34 In der rS sind sich die Obergefreiten einig. Für Roos ist es eine Selbstverständlichkeit.Er hat das Sportgymnasium in Davosabsolviert,heute ist er Stürmer beim HC Thurgau. Ballwurf,Stangenklettern, alles kein Problem, und beim 12-Minuten-Lauf lässt Roos rotgesichtige Kollegen in rutschenden Trainerhosen stehen und läuft leichtfüssig dem Abzeichen entgegen. Das Sportabzeichen ziert auch die Brust des Kommandanten.Natürlich habeauch er sich immer angestrengt, sagt Oberst Drexel, «Ehrgeiz muss sein». DerKommandant ist eine Frohnatur,aberheute ist er schlecht gelaunt, wegen dieser Sache im «Blick».Gereizt spricht er am Telefon mit einem Anrufer aus Bern. Nein, er wisse nicht, woher dieser Panzer komme, sagt er. «Jedenfalls nicht von uns!» Der«Blick» zeigt im Bild den UnternehmerHausi Leutenegger mit seinem Bruder Hugo. Hugo feiert seinen Geburtstag mit Rotwein und Cervelas –und einem Radschützenpanzer in seinem Garten. «Jeden Tagwas Neues»,sagt Drexel genervt und schiebt versöhnlich hinterher: «Das macht meinen Job so interessant.» Heute trifft er sich noch mit Vertretern der Umweltkommission. Nachdem die Volksinitiative «40 Waffenplätze sind genug» 1993 abgelehnt worden war, wurde der 2,4 Quadratkilometer grosse WaffenplatzNeuchlen, den sie verhindern wollte,1997 fertiggestellt. Dabei bemühte man sich, Anliegen der Naturschützer aufzunehmen (Feuchtbiotope,Magerwiesen,Naturhecken),und zweimal jährlich, so will es eine Vereinbarung, sitzen Umweltschützer und Militär zusammen. «Heute geht es um irgendwelche Mölche»,brummt Drexel und stapft über den Kasernenplatz davon. Zugsaussprache –sogeht es doch nicht! (W 7) «Zug Biviodaher! Seckle, go!» Zugführer Giovanoli hetzt seine Rekruten vordem Wochenende ein letztes Mal über die Wiese. Dann dürfen siedie Waffe und den Helm ablegen, in einem Kreis im Gras hocken,Rekrut neben Oberwachtmeister,Oberwachtmeister neben Obergefreitem. Aber das Du wird den Rekruten nicht angeboten. Werwill, darf rauchen –allerdings nur Zigaretten, wie Giovanoli betont. Jeden Freitag, bevor die Rekruten ins Wochenende entlassen werden, gibt es eine Zugsaussprache, beider die Rekruten vorbringen können, was ihnen gefällt und was nicht. Ohne formelles Anmelden, frisch von der Leber weg. Als erster ergreift Rekrut Egger das Wort. Er finde es gut, dass man endlich ein bisschen mehr Verantwortung tragen dürfe. «Man traut uns zu, dass wir das Gewehr richtig putzen. Man schaut uns nicht mehr ständig auf die Finger.» Für Egger,von Beruf Metzger –Fleischfachmann, wie ersagt –, ist das Militär schlicht «Bürgerpflicht». Er hätte durchaus das Zeug zum Unteroffizier oder garOffizier,sagen seine Vorgesetzten. Doch man wolle ihn nicht zwingen, schliesslich engagiereersich bereits für das Gemeinwesen. Egger ist im Vorstand der Jungen SVP und wurde –nochkeine zwanzig Jahrealt –amWochenende vorBeginn derRekrutenschuleins St.Galler Kantonsparlament gewählt. Einen Namenmachtesichder jungeRheintalermit seinen markigen Worten gegen Jugendgewalt und Sozialhilfebetrug. Auch in der <strong>RS</strong>, sagt Egger,gebe eszuviele Simulanten: «Mich stört, dass solche, die laut genug klagen, aufs Krankenzimmer dürfen, während andere, die wirklich etwas haben, keinen Dispens bekommen.» –«Hallo, meinst du etwa mich?» ruft einer aus dem Hintergrund. «Natürlich gibt es solche, die sich schneller für einen Dispens melden als andere», räumt Oberwachtmeister Giovanoli ein. Aber Schmerz sei nun einmal eine subjektive Empfindung.Und er erzähltseine Lieblingsanekdote: «Beim 100-Kilometer-Marsch in der Offiziersschule waren meine Knie geschwollen, und die Füsse sahen aus wiegeschreddert, die ganze Haut warinFetzen. Trotzdem bin ich weitergelaufen, bis zum Ende.» Man würde es dem bleichen, hochaufgeschossenen Giovanoli nicht auf den ersten Blick zutrauen. Er ist kein Kraftprotz. Trotzdem strahlt er mit seiner ruhigen Art eine natürliche Autorität aus. «Ich habe ja selber die Rekrutenschule gemacht», fährt er fort. «Mein Ziel istes, dass ihreine bessere<strong>RS</strong>habt, als ich sie hatte. Das Militär soll auch Spass machen, und jeder sollte etwasmitnehmen.» Rekrut Gassmann machteskeinen Spass. Ihn stört vorallem, dass man als Rekrut derart den Launen der Vorgesetzten ausgesetzt sei. Einmal nehmeman es eher locker,dann sei man wieder total pingelig.«Das istnun einmal unserFührungsstil»,entgegnet Giovanoli. «Wenn es gut läuft,können wirmehr Freiheiten gewähren,wenn nicht,ziehen wir die Schraube an. Das ist wie bei einem Hund, da lässt man die Leine auch mal lockerer.» Zu locker für den Geschmack des Obergefreiten Ramadani. Er ist empört darüber,dass sich diese Woche gleich zweimal jemand einen Spass daraus gemacht hat, die ordnungsgemäss vor dem Schlafsaal deponierten Sturmgewehrezuentsichern.Dass die Gewehrenatürlich nicht geladen waren, spielt keine Rolle. «Das ist völlig daneben! Ein absolutes No-go! So etwasmuss sofort den Vorgesetzten gemeldet werden!» Als Oberst Drexel am ersten Tagden Rekruten sagte: «An dieser Waffe werden wir Sie drillen», meinte er damit auch den vorsichtigen Umgang mit dem Gewehr.Ein Rekrut, der beider Entladekontrolle nach dem Schiessen noch eine Patrone im Gewehr hat, kann sicher sein, dass er abends zur Strafeeinsame Runden um den Kasernenplatz drehen wird. Überhaupt findet Ramadani, dass der Zug nicht mehr so zusammenhalte wie zuBeginn der <strong>RS</strong>. Das äussere sich auch im zunehmend aggressivenTon untereinander.«Ständig hört man ‹Scheisse› und ‹Wichser›. So geht es doch nicht!» Kollege Guci pflichtet ihm bei: «Wir dürfen nicht nachlassen,wirmüssenweiterhin 200 Prozent Einsatz zeigen.» Das Schlusswort hat Oberwachtmeister Giovanoli. «Alles in allem»,stellt er fest, «sind wirder beste Zug.» Das zeigten auch die Ergebnisse beider Übung Sunrise und beim AGA-Finale. «Es wurde zwar keiner von uns Erster oder Zweiter. Aber inder Breite warenwir die Besten.» Leider gebeesauch Enttäuschungen, zum Beispiel die Zugschule gestern. «Die war Scheisse.» Dann schickt Giovanoli die Rekruten zur Entladekontrolle. Ein letztes «Daher!» und noch eine Serie Liegestütze. Zumbach pumpt unermüdlich und treibt die Männer an. Statt zu zählen, brüllt er beim Auf und Ab: «WilsFrytigisch, wilsFrytig isch.» Bald skandierenalle: «Wil sFrytig isch, wilsFrytig isch, wilsFrytig isch.» FolIo 3/2013
Im Schützenpanzer: Die Infanterie bietet über zwanzig Spezialausbildungen an.