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In der rS<br />
Einrücken –15! 16! 17! 17! 16! 17! 18! 18!<br />
Montag, 12.März 2012, 10 Uhr morgens: In einem Zwölferschlag<br />
der Unterkunft 3sitzen fünf junge Männer im Kampfanzug auf<br />
schmalen Betten und üben den bösen Blick.Sie sind nervös.Vermutlich<br />
nicht weniger nervös als die 550 Rekruten, die an diesem Tag<br />
in der Kaserne Neuchlen in der Nähe von Gossau einrücken. «Du<br />
musst strenger schauen»,sagt Ramadani zu Guci, dem schon wieder<br />
ein gutmütiges Lächeln ins Gesicht zu schleichen droht. Ramadani<br />
macht es vor: der Ausdruck starr,die Augen kalt, kein Blinzeln.<br />
Die Abzeichen mit den drei dünnen diagonalen Strichen am<br />
Kämpfer verraten den militärischen Grad: Die fünf sind Obergefreite,<br />
angehende Wachtmeister (im alten System der Armee95wären<br />
sie Korporale gewesen). 17 Wochen ist es her,seit sie selber mit der<br />
Rekrutenschule begonnen haben, in gut einer Stunde werden sie<br />
Vorgesetzte sein: Dergutmütige Guci, Detailhandelsverkäufer; der<br />
selbstsichereSherifi, Profiboxer; der zackige Ramadani, Kaufmann,<br />
mit 19 Jahren der Jüngste; der ruhige Collorafi,ebenfalls Kaufmann;<br />
und der glatzköpfige Zumbach, Strassenbauer.Sie sind die Gruppenführer<br />
des Zugs Bivio der 2.Kompanie der Infanterie-<strong>RS</strong> 11.<br />
Heute werden sie auf dem Kasernenhof erstmals den jungen Männern<br />
gegenüberstehen, die sie 21 Wochen lang «führen, ausbilden<br />
und erziehen» sollen, so lautet der Auftrag.<br />
Doch wie sollen sie sich den Rekruten überhaupt vorstellen?<br />
Den Vornamen nennen oder nicht? Etwas Persönliches erwähnen,<br />
das Alter vielleicht oder den Beruf? Sherifi, der Profiboxer,schlägt<br />
vor, ein paar Hobbies anzugeben, die die Neulinge einschüchtern<br />
werden, «Marschieren» oder «Seckle» zum Beispiel, denn der erste<br />
Eindruck, da sind sich alle einig, entscheidet, ob die Rekruten sie<br />
als Chefs respektieren oder nicht.<br />
Ihre direkten Vorgesetzten, die Zugführer Giovanoli und Brügger,haben<br />
die fünf Obergefreiten im Kadervorbereitungskurs in der<br />
Woche zuvor kennengelernt, und um den einen rankt sich bereits<br />
ein Mythos: Oberwachtmeister Giovanoli sei nämlich der einzige<br />
Zugführer gewesen, der sich den Zug Biviozugetraut habe. Als die<br />
Namen der Gruppenführer,also Collorafi, Guci, Ramadani, Sherifi,<br />
Zumbach, bekannt wurden, wollte keiner einen Zug, in dem nur<br />
ein einziger Obergefreiter Schweizer ist – obwohl natürlich alle<br />
Obergefreiten Schweizer sind, sonst wärensie ja nicht beim Militär.<br />
Aber vier von fünf haben einen «Migrationshintergrund», wie es<br />
offiziell heisst – inoffiziell sind sie «keine Eidgenossen».Ramadani<br />
und Sherifi kommen aus Kosovo, Guci ist Albaner, Collorafi hat<br />
arabische und italienische Wurzeln. Und sowar es still im Saal,<br />
als es um den Zug Bivio ging, bis schliesslich Oberwachtmeister<br />
Giovanoli vortrat, der keineswegs als Freund alles Multikulturellen<br />
aufgefallen war, und sagte, er übernehme den «Balkanzug».So<br />
berichten es die Obergefreiten, voller Stolz und Anerkennung für<br />
ihren Zugführer. Giovanoli selbst wird die Geschichte später ein<br />
bisschen anders erzählen.<br />
In diesem Moment aber hat der Oberwachtmeister keine Zeit für<br />
Erklärungen. Giovanoli nimmt die neuen Rekruten in Empfang.<br />
DergelernteKochsteht in der Turnhalle der Kaserne Neuchlen, die<br />
sich ab zehn Uhr mit jungen Männern füllt. Die meisten sind mit<br />
dem Zug angereist und dann im Shuttlebus vom Bahnhof Gossau<br />
hinauf zur Kaserne gefahren, manche sind mit dem eigenen Auto<br />
da, einige wurden von der Freundin gebracht, ein paar von Mami<br />
oder Papi. In den Sporttaschen,die sie über der Schulter tragen, oder<br />
im Rollköfferchen, das sie hinter sich herziehen, müssten sich laut<br />
Merkliste 2Waschlappen, 2Handtücher,2Paar wollene feldgraue,<br />
dunkelblaue oder schwarze Socken und 1Paar unauffällige zivile<br />
Schaft-oder Halbschuhe befinden.<br />
Nachdem die Rekruten Dienstbüchlein und Marschbefehl vorgelegt<br />
haben, sitzen sie geordnet nach vier Zügen und in Sechserreihen<br />
auf dem Turnhallenboden. Die Züge, die zusammen eine<br />
Kompanie bilden, heissen Amboss, Bivio, Canale und Dimitri. Das<br />
Zivilleben ist vorbei. Werjetzt noch einmal hinauswill, ob zum<br />
Rauchen oder Pinkeln, muss sich beim Zugführer abmelden. Doch<br />
noch sind sie alle in ihre private Uniform gekleidet, Kapuzenpulli,<br />
tiefsitzende Jeans, Turnschuhe, und noch tragen sie einen Vornamen:<br />
Dergrossgewachsene Brillenträger etwa heisst Levi Zehnder,<br />
ein Maturand aus Wädenswil. Im Herbst, wenn die <strong>RS</strong> vorbei sei,<br />
werdeermit dem Medizinstudium beginnen,sagt er,deshalb wollte<br />
er zuerst zu den Sanitätstruppen, aber: «Ich dachte mir,wenn schon<br />
Militär,dannrichtig.»LeviZehnderwirdnochüberragt vonRobin<br />
Brasch, einem jungen Mann mit auffallend langen Haaren unter<br />
all den vorsorglich kurzgeschorenen Köpfen. Brasch arbeitet als<br />
Maurer auf dem Bau und hat: «Null Erwartungen, null Gefühle,<br />
null Hoffnungen für die <strong>RS</strong>.»<br />
Es ist zehn nach elf,als ein Bär voneinem Mann ansRednerpultauf<br />
der Galerie tritt: Der Kommandant der Infanterie-Rekrutenschule<br />
11, Oberst im Generalstab Ronald Drexel, begrüsst die Rekruten.<br />
«Verständlicherweise», ruft er über das Heer strammstehender<br />
Männer,«ist das Einrücken mit gemischten Gefühlen verbunden.»<br />
Oberst Drexel wählt markige Worte, um zu begründen, warum die<br />
persönliche Freiheit des Einzelnen ab sofort eingeschränkt sei, er<br />
verkündet die drei wichtigsten Regeln, erstens: Die Armee solle<br />
ein positives Erlebnis sein, zweitens: Kameradschaft und Respekt<br />
seien wichtig, drittens: DerDienstbetrieb sei klar geregelt. Undals<br />
er mit «hiermit ist die Inf <strong>RS</strong> eröffnet!» schliesst, brandet Applaus<br />
auf.«Das ist heute halt so»,sagt er danach schulterzuckend, «sobald<br />
einer etwassagt, wird geklatscht.» Oberst Drexel befehligt eine von<br />
sieben Infanterie-Rekrutenschulen in der Schweiz,in denen jährlich<br />
über 6000 Rekruten und 1000 Unteroffiziere und Offiziere ausgebildet<br />
werden.<br />
Wasdie Rekruten am ersten Nachmittag auf dem Kasernenhof an<br />
«formeller Ausbildung» lernen,ist Folgendes: Die Achtungsstellung<br />
mit den Füssen in einem 60-Grad-Winkel. Das korrekte An- und<br />
Abmelden. Das gleichmässig schöne Daher: die Aufstellung im<br />
Halbkreis um den Vorgesetzten. Die 24 militärischen Dienstgrade:<br />
Soldat, Obergefreiter, Wachtmeister, Oberwachtmeister, Leutnant,<br />
Oberleutnant, Hauptmann – bis hoch zum General. Ausserdem<br />
lernen die Rekruten, dass im Militär zwei immer zwo heisst und<br />
dass das Dezimalsystem nicht gilt, sobald es um Liegestütze geht.<br />
«14! 15! 16! 16!» brüllt der Obergefreite Zumbach, der mitmacht<br />
und sich locker auf und ab stemmt, während den Männern um ihn<br />
herum bereits die Arme zittern. «17! 18! 16! 17! 18! 18!»<br />
Die 33 Rekruten, die im Moment den Zug Biviobilden, sind auf<br />
die fünf Gruppenführer aufgeteilt worden. Als die sich vorstellten,<br />
warnichtsmehrvon der Nervosität vomMorgenzuspüren. Fürden<br />
Satz «Ramadani, Obergefreiter,von Buchs, mehr müssen Sie nicht<br />
wissen», entschied sich der eine, der andere sagte: «Sherifi, Profiboxer,Hobbies<br />
Sport, Kampfsport. Ich verlange Teamgeist, Willen,<br />
FolIo 3/2013