50 In der rS WIR S<strong>IN</strong>D KÄMPFER. PUNKT. Noch 48 Tage, 1Stunde und 32 Minuten bis zur Entlassung – am Besuchstag bewundern die Mütter die sauber gemachten Betten –der 50-Kilometer-Marsch wird zum Fiasko –was bleibt, ist das Positive. Unter der Maske wären sie 24 Minuten lang gegen Gas geschützt. FolIo 3/2013
51 In der rS Walenstadt –der Countdown beginnt (W 14) Die Churfirsten leuchten in der Morgensonne, der Seeglitzert. Der Waffenplatz Walenstadt befindet sich an bester Lage direkt beim Strandbad. Im Restaurant Seepromenade hat sich das Kommando zum Morgenkaffee versammelt. Stabsadjutant Widrig, vonder Truppe wegen seiner gemütlichen Art und seines Schnurrbarts «Papa Moll»genannt,blättertim«Blick».Abernochbevor er beim Sportteil angekommen ist, mahnt Hauptmann Hofmann zum Aufbruch. Er machteinen leicht gestressten Eindruck. «Heute bin ich grausam im Seich»,sagt er,während er zum Parkplatz eilt. Ausserdem ist er immernochverärgert, dass in Neuchlen Material im Wert von4000 Franken verloren ging, wasauch einen beträchtlichen administrativen Aufwand bedeutet. Dann steigt er in seinen Skoda und braust davon zum Rapport auf dem Waffenplatz St.Luzisteig. DerUmzug der Rekrutenschule vonNeuchlen nach Walenstadt in der <strong>RS</strong>-Woche 14 ist ein organisatorischer Kraftakt, der vorallem die höheren Kader fordert. Für die letzten <strong>RS</strong>-Wochen müssen die Züge neu geordnet, die Chargen neu verteilt werden. Die Züge Canale undDimitri verschwinden, sie werden mit den Zügen Amboss und Biviozusammengelegt.Die Zugführer Brügger und Giovanoli, die vom Oberwachtmeister zum Leutnant befördert wurden, bleiben dem Zug Bivio erhalten. Ihr Zug wird um 20 Mann auf 44 verstärkt –die heissen jetzt Soldaten, auch die Rekruten wurden letzte Woche befördert. Bei den Unteroffizieren hat es Veränderungen gegeben. WachtmeisterCollorafiwurde denOpfor,den Opposing Forces, zugeteilt; er wird bei den kommenden Übungen die Rolle der Gegenseite spielen,wieman heuteden Feind nennt.Ramadani fungiert jetzt als Stellvertreter des Feldweibels. Ihm sind sieben Soldaten unterstellt. Guci, der in der Woche zuvorineiner Motivationskrise steckte, wird als Materialchef eingesetzt. Die neuen Kollegen von Wachtmeister Zumbach heissen Muriq, Pfenninger und Wettstein. Zumbach trägt’s mit Fassung: «Hier kann man sich seine Kollegen nun einmal nicht aussuchen.» Er freut sich vor allem auf den Schiessplatz Paschga, der mit seinen für den Nahkampf ausgerüsteten Häusern als eine der modernsten simulationsgestützten Ausbildungsanlagen gilt. Und auf den 50-Kilometer-Marsch, versteht sich. Bevor esrichtig losgeht, müssen die Soldaten das Material wieder fassen, das sie vordem langen Pfingsturlaub in Neuchlen verladen hatten: Rucksack, Schanzwerkzeug, Notkocher, Gamelle, Zeltblachen,Schlafsack und Liegematten. Bis alle Utensilien verteilt, sachund fachgerecht verstaut und wiederum kontrolliert sind, dauert es einen Vormittag. Auf dem Handy von Soldat Serbanovic läuft der Countdown: Noch 48 Tage, 1Stunde und 32 Minuten bis zur Entlassung am 1.August. Serbanovic sagt, er leide seit der 6.Woche an Rückenschmerzen.Nun habeman ihn endlich als Betriebssoldat bei der Materialausgabe eingeteilt. Er langweile sich, sagt der gelernte Polymechaniker, doch erwolle den Dienst zu Ende bringen. «So muss ich wenigstens keinen Militärpflichtersatz zahlen.» Soldat Egger ist nicht der Typ, der sich beklagt. Er hat auch keinenGrund dazu.Als frischgewählter Kantonsrat bekommt er regelmässig Urlaub. Letzte Woche war erfür seine erste Session gleich vier Tage weg. Er votierte im St.Galler Kantonsparlamentgegen die Abschaffung des Pendlerabzugs und reichte seinen ersten Vorstoss ein: für die Schaffung einer Meldestelle für IV- und Sozialhilfebetrüger.Nun sitzt er als Wache beim Eingang zu den Truppenunterkünften und passt auf,dass kein Unbefugter das Gebäude betritt. Im 1.Stock hat sich Oberleutnant Dubois-dit-Bonclaude einquartiert, mit strenger Miene weibelt er durch die Gänge. Der 30jährige, der sich für die Karrieredes Berufsoffiziers entschieden hat, hat mit seiner Büroordonnanz die neuen Organigramme und die Einsatzpläne für die nächsten Wochen erstellt. Gefechtsschiessen –das Beste am Militär (W 15) Die Warnflagge zuckt an der Fahnenstange, die Soldaten liegen in den Gräben, die Maschinengewehrerattern. Gefechtsscheiben sind das Ziel, kleine und grosse, die Panzer darstellen. Sie bewegen sich auf einer Schiene, wenn einer im Führungsstand an der Fernsteuerung dreht. Kompaniekommandant Dubois-dit-Bonclaude schiesst eine Petarde in den Himmel, das Zeichen für: Feuer einstellen. Der Rauch verzieht sich, die Gewehre werden neu geladen. Dann tritt Kommandant Dubois-dit-Bonclaude wieder aus dem Führungsstand,schiesst erneut eine Petarde in die Luft,das Zeichen für: Feuer wiederaufnehmen. Wernur auf die Geräusche achtet, hört ein minimalistisches Musikstück: das Knattern der Gewehre, das Rumsen der Handgranaten, das Zischen der Panzerfaust. Eine Maschinengewehrkugel kostet 55 Rappen, und an diesem Nachmittag feuern die Rekruten nach Hauptmann Hofmanns Schätzung etwa 3000 Schuss ab. Die Patrone ist einer der günstigsten Teile der Ausrüstung, die sich pro Soldat auf 5700 Franken beläuft. Die Infanterie-Rekrutenschule 11 kostet, für fünf Kompanien und den Stab, 2Millionen Franken, die Hälfte davonmacht der Sold aus, 700000 Franken die Verpflegung. Während der Rekrutenschule werden insgesamt über 91000 Diensttage geleistet, einer kostet 22 Franken, hinzu kommen 6Franken pro Soldat und Diensttag für die Transportkosten in öffentlichen Verkehrsmitteln, die Wehrleute in Uniform gratis benützen können. Nach der Schiessübung marschieren die Soldaten zurück in die Kaserne. Sie wirken glücklich, fast schon euphorisch. DerTenor ist eindeutig: Das Schiessen ist einfach das Beste am Militär. Kadervorkurs in Chur –die vier H(W16) Ungeeignet, mangelnde Leistung, Disziplinlosigkeit: Nach einem Monat hat man 22 von149 Kaderanwärtern bereits wieder vonChur nach Walenstadt in die <strong>RS</strong> zurückgeschickt.Das erstaunt nicht,denn dem Kommandanten der Kaserne Chur ist sein Ruf vorausgeeilt. DerBaumgartner sei einfach ein harter Siech, hatten die Gruppenführer des Zugs Bivio, die hier in ihre <strong>RS</strong>eingerückt waren, anerkennend gesagt. Streng, fordernd, aber auch stets bereit, selber durch den Dreck zukriechen. Nun steht Oberst im Generalstab Peter Baumgartner im Vortragssaal vor den höheren Kadern der nächsten <strong>RS</strong>. Während der Korpsvisite ist es einen Moment lang so still, dass man das Knarren der Dachbalken hört. «Guten Tag, Kader!» ruft Oberst Baumgartner endlich in den Raum.«Guten Tag, Kommandant!» schallt es vielstimmig zurück. Hätte man in einem Hollywoodfilm die Rolle eines Colonels zu vergeben, der Kommandant der Infanterie-Rekrutenschule 12 wäre eine gute Wahl: durchtrainiert, kurzgeschoren, die markanten Gesichtszüge eine Lizenz zum Befehlen. Baumgartners Lieblingswort ist «tagg!», die Dialektform von «zack!». «Tagg, das muss sitzen!» sagt er gern. An diesem Morgen sollen die Anwärter im Kadervor- FolIo 3/2013