38 In der rS men». Weiter unten das Abzeichen «Sturmgewehr 2», «das heisst, dass ich mindestens zweimal hervorragend geschossen habe».Daneben: «Pistole 1».Ausserdem, Ehrensache: «Kameradenhilfe/ABC- Abwehr». Weil Hofmann während der Fussball-Europameisterschaft 2008 im Einsatz war, prangt auch das Abzeichen «Inlandeinsatz» an derBrust seiner Ausgangsuniform. Es hatnochPlatz, Hofmann rechnet damit, dass er spätestens 2015 für eine Weiterbildung nach Fort Benning reisen kann, ins US Army Infantry Center,und nach seiner Rückkehr das Abzeichen «Auslandeinsatz» bekommt. Und gäbe esdas Abzeichen «Hilfsbereitschaft gegenüber Journalisten», Hofmann hätte es hoch verdient. Im Ausgang –Gipsköpfe und Gagel (W 8) Schon nach wenigen Wochen sind die Rekruten sich selbst genug, sogar im Ausgang.Um 18 Uhr45steigen sie an diesem Mittwoch im Mai in den Bus, der sie vonder Kaserne nach Gossau bringt, gehen eilig in kleinen Gruppen essen, Pizza oder Schnipo, um sich dann wieder zu treffen, im «BBC» beim Bahnhof.Das Lokal, früher ein Güterschuppen, erstreckt sich über mehrere Räume, und die jungen Gossauerinnen haben sich an diesem Dienstag schön gemacht, Glitzer aufgetragen, Stöckelschuhe angezogen –dochins Gespräch kommt man nur selten. Denn die Rekruten,ans enge Miteinander gewöhnt,stehen lieber dicht an dicht, manchmal umarmen sie sich auch. In den Sätzen, die sie sich durch die Hitparade zuschreien, geht es um Gipsköpfe (Panzerfäuste), LMG (Leichtmaschinengewehre) und Gagel (einzelne Patronen). Wie immer gibt es die Wortführer und die Zuhörer, und mit jedem Schluck –4Franken 90 die Stange Bier,29Franken der Liter WodkaRed Bull –werden die Lauten lauter und die Stillen stiller. Rekrut Brasch,der grossgewachsene Maurer,ist gerade voll motiviert, weil er in zwei Tagen zum ersten Mal eine Panzerfaust abfeuern darf; Rekrut Zehnder,der unfreiwillige Offiziersanwärter,hatte letzte Woche zwar «eine Riesenkrise»,die aber wie durch Zauberhand wieder abgeklungen ist; der Obergefreite Ramadani berichtet, dass er am Wochenende nach Kosovo fliege, um das Aufgebot zu bestellen, 300 Leute werde erzuseiner Hochzeit einladen, dann spricht auch erwieder über das Militär. Ramadani steht mit ein paar Obergefreiten an einem Tischchen, daneben schweigt eine junge, hübsche Frau. Sie ist die Freundin des einen, hat sich nach derArbeitins Auto gesetzt, ist eine Stunde vonZürich nach Gossau gefahren,umeinen Abend lang bei ihrem Liebsten zu sein. Doch der fachsimpelt mit seinen Kollegen, und ab und zu patrouilliert er ein wenig durchs Lokal und hält ein Auge auf die Rekruten. Rekrut Schoch, GelimHaar,feines Lächeln, steht allein voreinem der vielen Flachbildschirme und sieht sich ein Fussballspiel an. Während aus den Lautsprechern die Bässe dröhnen, erzählt Schoch, wieesdazu kam, dass er seinen Dienst ohne Waffe versieht. Auch er hat am vierten Tagsein Sturmgewehr 90 erhalten, eins von450000 Gewehren dieser Art, die bisher an die Schweizer Armee geliefert wurden. Als er einrückte, dachte er nicht an waffenlosen Dienst. Bei der ersten Schiessübung habeerjedocheinen Widerwillen verspürt. «Ich konnte einfach nicht abdrücken. Mein Zeigefinger war wie gelähmt.» Das rührt wahrscheinlich daher, dass es in seinem Umfeld kürzlich einen Todesfall gab: Selbstmord mit der Ordonnanzwaffe. Schochlegtedas Gewehr nieder.Ein Obergefreiterhabe ihn beobachtet und beiseite genommen. Nachdem Schoch erzählt hatte, warum er nicht schiessen könne, und nachdem er die üblichen bürokratischen Pflichten hinter sich gebracht hatte, konnte er das Gewehr abgeben. Schoch hat ein zweischneidiges Verhältnis zum Schiessen. Er sieht sich,«wie fast alle andern»,als Teil der «Generation Battlefield». «Battlefield» ist ein Computerspiel, ein Ego-Shooter,ein Ballerspiel. Je nach Version kämpft man sich durch Stalingrad und schiesst auf Deutsche oder Russen, mal als Scharfschütze, mal mit der Panzerfaust. In Neuauflagen nimmtman an Kriegender Zukunft teil oder sieht, was geschehen wäre, wäre der Kalte Krieg heiss geworden. Lob bekam das Spiel, weil man nicht nur Feinde umbringen, sondern auch die Infrastruktur verwüsten kann. Werwill, tobt sich als Sprengmeister aus und jagt nach einem grauen TagimGrossraumbürodas eine oder andereHaus in die Luft. «Battlefield» wurde bis im Sommer 2012 fünfzig Millionen Mal verkauft; achtzig Millionen Soldaten haben laut Schätzungen im echten Zweiten Weltkrieg gekämpft. Man könnte die Augenringe der Rekruten als Orden sehen, als Abzeichen der «Generation Battlefield». Oftsitzen sie bis tief in die Nacht hinter ihren Notebooks, tauchen die Schlafsäle in fahles Licht, landen miteinander in der Normandie, feuern zusammen auf Berlin, bevor die Müdigkeit sie übermannt. Schoch sagt, er sei selber angefixt gewesen von diesem Spiel, vom Kitzel, der darin bestehe, dass sich Dutzende von Spielern gleichzeitig einloggen und zusammen in den Krieg ziehen und kämpfen können. Doch Rekrut Schoch hält es für bedenklich, dass in der Rekrutenschule selten über die Bedeutung der Waffe gesprochen werde, dass sich niemand vor Augen halte, worum es eigentlich gehe: «Zu lernen, wie man Leute tötet.» Dass die Rekruten schiessen lernen, um töten zu können, wird in der Ausbildung nicht besonders betont.Die Schweizer Armeebildet nicht Soldaten aus, für die ein Kampfeinsatz absehbar ist. Hubert Annen, Dozent für Militärpsychologie und Militärpädagogik an der ETHZürich, hat beiseinen früheren <strong>RS</strong>-Einsätzen als Integrationsberater Rekruten wieSchoch betreut, die nicht schiessen konnten, weil sie in der Zielscheibe einen Menschen sahen. Die meisten, sagt Annen, schafften es dann doch. In der Infanterie ist ihm das Problem selten begegnet. Das Schiessen ist für die Infanteristen in der Regel eine sportliche Herausforderung. «Wenn schlöpft, ischs guet!» habeihm einmal ein Infanterierekrut gesagt –Action ist für die «Generation Battlefield» die Hauptsache. Um viertel vor elf nehmen die Männer in Uniform den letzten Schluck, dann spurten sie aus dem Lokal, als habejemand «Daher!» gerufen. Gleich fährt der Bus vor dem Bahnhof Gossau ab, um 23 Uhr müssen sie in der Kaserne sein, die Vorgesetzten eine Stunde später. Wirklich spät werde es dafür zu Hause, amWochenende, hatten die Rekruten gerade noch erzählt und vom letzten wilden Ausgang in Zürich, St.Gallen oder Buchs berichtet. Am Samstagmorgen um acht Uhrwaren sie abgetreten, am Samstagabend hatten sie sich schon wieder getroffen. Das ist nicht ungewöhnlich: Manche Rekruten verabreden sich auch im Urlaub am Wochenende für den Ausgang. Man könne, formuliert es einer, mit den anderen Kollegen eben fast nicht mehr reden. Sie verstünden einen einfach nicht. FolIo 3/2013
39 In der rS Obergefreiter Collorafi: Einer der fünf Gruppenführer des «Balkanzugs» Bivio. Destination «BBC»: Einmal pro Woche dürfen sie in den langen Ausgang. FolIo 3/2013