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IN DER RS

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In der rS<br />

In der Kaserne –von der Wache in den Arrest (W 8)<br />

Es ist ein ganz gewöhnlicher Tag, einer vonvielen, an denen die Zeit<br />

in der Kaserne zu stocken scheint. Die <strong>RS</strong> geht in ihreachte Woche,<br />

dieGrundausbildung habendie Rekruten hinter sich. Heute haben<br />

siesichmit ihrenVorgesetzten über das 2,4 Quadratkilometer grosse<br />

Areal des Waffenplatzes verteilt, sie feuern auf dem Schiessplatz<br />

Breitfeld auf Zielscheiben, sie stürmen die Betonhäuser der Ortskampfanlage,<br />

sie kriechen irgendwo durchs Unterholz oder stecken<br />

in einerSonderausbildung: am leichten Maschinengewehr (LMG)<br />

oder an der Panzerfaust, als Minenwerferkanonier oder Panzerfahrer.<br />

Die Infanterie, die grösste Truppengattung der Armee, ist stolz<br />

darauf,ihren Soldaten über zwanzig Spezialisierungsmöglichkeiten<br />

zu bieten.<br />

In Neuchlen treibt der Wind ein paar Blätter über den Exerzierplatz,<br />

sonst regt sich nichts: eine ganze Kaserne wie ausgestorben.<br />

Nur im Wachlokal sitzt der Obergefreite Pfenninger,grossgewachsen,<br />

rothaarig, sommersprossig, und bedient den Schlagbaum. Am<br />

Wochenende ist der Wachdienst der meistgehasste Jobder Kaserne,<br />

doch jetzt, unter der Woche, ist es hier recht gemütlich. Personen<br />

identifizieren, Fahrzeuge kontrollieren, viel mehr gibt es tagsüber<br />

nicht zu tun. Aber weil im Militär ein Mann kein Mann ist, schiebt<br />

nicht nur der Obergefreite Pfenninger Wache. Ihm unterstellt sind<br />

ein Stellvertreter und fünf Rekruten. Man arbeitet im Schichtdienst,<br />

in der Nacht im Zwei­Stunden­Takt: Zwei Mann sind auf Posten.<br />

Zwei Mann sind auf Pikett, washeisst, dass sie innert zweier Minuten<br />

einsatzfähig sein müssen und deshalb in Schuhen auf den Pritschen<br />

im Nebenzimmer ruhen. Zwei können schlafen, ungestörte<br />

zwei Stunden am Stück.<br />

Pfenninger führt ins Obergeschoss des Wachlokals zu den sechs<br />

Arrestzellen. Im Moment ist keine belegt. Bis zu 10 Tage kann der<br />

Arrest dauern, er ist die schwerste Strafeinder Disziplinarstrafordnung,<br />

die angewendet wird,wenn ein Soldat Vorschriften, Befehle<br />

oder die militärische Ordnung missachtet. Bevor ein Rekrut oder<br />

Soldat in der Zelle landet,könnte ihm der Kommandant auch einen<br />

Verweis erteilen, eine Ausgangssperreoder eine Busse aufbrummen<br />

–jenachVergehen und nach Ermessen des Kommandanten. Kürzlich<br />

warein Rekrut arrestiert, der sich geweigert hatte, einen Befehl<br />

auszuführen. Und inder letzten <strong>RS</strong> gab eseinen, der während des<br />

Wachdiensts am Wochenende seine Freundin einschmuggelte.<br />

Dem Arrestanten steht abdem zweiten Tag eine Stunde überwachter<br />

Hofgang zu, Besuche sind in der Regel nicht erlaubt, einziger<br />

Kontakt zur Aussenwelt sind Briefe. Ausserdem gibt’s eine<br />

Zeitung täglich, dazu die Bibel, den Koran, das Dienstreglement.<br />

Zuerst schläft jeder Arrestant,die Langeweile wird erst ab dem zweiten<br />

oder dritten Tagzur Qual, wenn die Müdigkeit verflogen ist.<br />

Einerhat dieBacksteinegezählt, dieseine Zellebilden, es sind 559,<br />

ein anderer hat das Parkettmuster des Bodens abgezeichnet. Der<br />

Obergefreite Pfenninger führt den Schalter vor, mit dem man das<br />

Licht in der Zelle vonaussen ein­ und ausschalten kann –nochweiss<br />

er nicht, dass er in wenigen Wochen selber in der Dunkelheit des<br />

Arrests sitzen wird.Wegen zu grosser Hilfsbereitschaft: Er wird einer<br />

Zivilistin, die sich verfahren hat, den Schlagbaum öffnen, damit sie<br />

auf dem Kasernenareal wenden kann –das ist verboten.<br />

Im Hauptgebäude hängt der Geruch von grosszügig versprühtem<br />

Deo, er weist den Wegins Wartezimmer des Truppenarztes. Einfach<br />

so bekommt man hier keinen Termin, wer sich krank fühlt,<br />

muss sich über seinen Vorgesetzten und das Kompaniebüro anmelden.<br />

Unddann gibt es noch eine Regel: Behandelt werden nur<br />

propere Wehrmänner. Das sieht man auf einem Blatt Papier, das<br />

im Wartezimmer an der Wand hängt: einen Soldaten, der auf einer<br />

Bank herumlümmelt und doppelt durchgestrichen ist, und einen<br />

Soldaten, der mit bolzengeradem Rücken der Behandlung harrt<br />

und nicht durchgestrichen ist. Genau wie ersitzen vier Rekruten<br />

in Ausgangsuniformauf ihrenStühlen und warten geduldig, bis sie<br />

dem Truppenarzt erklären dürfen, wo es wehtut.<br />

Oberleutnant Müggler, imZivilleben Assistenzarzt in einem<br />

Spital, absolviert seinen WK als Truppenarzt. Er weiss, welches<br />

Übel in jeder Rekrutenschule gefürchtet ist: Grippewellen, vor allem<br />

die Magen­Darm­Grippen. Bisher blieb die Kaserne Neuchlen<br />

verschont, die Rekruten schleppen sich mit offenen Blasen an den<br />

Füssen in die Krankenabteilung, mit Rückenschmerzen oder Knieproblemen.<br />

Besonders viel gibt es natürlich nach langen Märschen<br />

zu tun, aber das Wartezimmer füllt sich auch vor den Märschen<br />

oder bei besonders schlechtem Wetter.Dann kommen die Rekruten,<br />

die hoffen, dass der Truppenarzt auf ihrer Dispenskarte hinter<br />

möglichst viele Kästchen (Sport/Lauf,Hindernisbahn, Zugschule,<br />

Kampfstiefel, Märsche) ein Kreuzchen setzt. Unddas für möglichst<br />

viele Tage. Nur für das Gefechtsschiessen, sagt der Truppenarzt, fühle<br />

sich kaum einer je zu krank.<br />

In der Kasernenpost sitzt ein Soldat in seinem Stuhlwie eine Katze,<br />

irgendwo zwischen Wachen und Schlaf. AmNachmittag passiert<br />

hier nur selten etwas. Am Morgen allerdings muss die Postordonnanz<br />

jeweils etwa vierzig Pakete sortieren.Es sind die Fresspäckli,die<br />

besorgte Mütter und liebende Freundinnen nach Gossau schicken.<br />

Aber nicht alle Rekruten werden gleichermassen beschert. Es gibt<br />

solche, die beinahe täglich ein Paket bekommen und an manchen<br />

Tagen zwei, und es gibt solche, die noch garkeines erhalten haben.<br />

Unddann gibt es noch jenen jungen Mann, der über eine Trennung<br />

vonder Freundin nachdenkt, damit aber wohl bis zum Ende der <strong>RS</strong><br />

warten wird,weil sie so verlässlich Päckli schickt.<br />

Bei der Kasernenpost können die Rekruten nicht nur Briefe<br />

abgeben und Geld abheben, sondern auch Memorabilien kaufen:<br />

Postkarten mit Militärwitzen drauf, Infanterie­Kleber fürs Auto,<br />

Infanterie­Feuerzeuge und den Infanterie­Aufnäher, tannengrün,<br />

mit Adler,Panzer,zweigekreuzten Gewehren.<br />

In einem BüroimKommandotrakt steht Hauptmann Hofmann vor<br />

einem Gestell voller Ordner,inder Hand eine Liste. Darauf sieht<br />

man, wiegut seine Rekruten beider Übung Sunrise abgeschnitten<br />

haben: «Zehnder,zwölfter von55, Topmann. Sanchez, zwar in den<br />

hinteren Rängen, aber der kommt gut, braucht einfach noch zu<br />

lang. Die Empfehlung zum Offizier haben beide auf sicher.» Hofmann<br />

spricht von den Vorzügen einer Karriere als Berufsmilitär.<br />

Früher hat er als Lehrer gearbeitet, jetzt schätzt er es, dass er «ohne<br />

lange zu diskutieren auch einfach mal befehlen kann».Später fügt<br />

er an: «Ausserdem gibt es keine Elterngespräche.»<br />

Er wirft noch mal einen Blick auf die Liste und sagt: «Schade.»<br />

Zehnder fehlte beim Schiessen nur ein Punkt, um ein Abzeichen<br />

zu bekommen. Hofmannselbst haften sie reihenweise an der Brust.<br />

In der obersten Abzeicheneinschubleisteträgt er das Abzeichen für<br />

550 Diensttage,«mittlerweile habeich aber bereits etwa 600 beisam­<br />

FolIo 3/2013

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