Rosa Luxemburg Reader 2010 (PDF) - Die Linke.SDS Leipzig
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durchführen - Bernstein verzichtet auf die Vergesellschaftung der Produktion und kommt<br />
auf die Reform des Handels, auf den Konsumverein.<br />
Aber die Umgestaltung der Gesellschaft durch die Konsumvereine, auch mit<br />
Gewerkschaften zusammen, verträgt sich nicht mit der tatsächlichen materiellen<br />
Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft - Bernstein gibt die materialistische<br />
Geschichtsauffassung auf.<br />
Aber seine Auffassung von dem Gang der ökonomischen Entwicklung verträgt sich nicht<br />
mit dem Marxschen Mehrwertgesetz - Bernstein gibt das Mehrwert- und das Wertgesetz<br />
und damit die ganze ökonomische Theorie von Karl Marx auf.<br />
Aber ohne bestimmtes Endziel und ohne ökonomischen Boden in der gegenwärtigen<br />
Gesellschaft kann der proletarische Klassenkampf nicht geführt werden - Bernstein gibt<br />
den Klassenkampf auf und verkündet die Aussöhnung mit dem bürgerlichen<br />
Liberalismus.<br />
Aber in einer Klassengesellschaft ist der Klassenkampf eine ganz natürliche,<br />
unvermeidliche Erscheinung - Bernstein bestreitet in weiterer Konsequenz sogar das<br />
Bestehen der Klassen in unserer Gesellschaft: die Arbeiterklasse ist ihm bloß ein Haufen<br />
nicht nur politisch und geistig, sondern auch wirtschaftlich zersplitterter Individuen. Und<br />
auch die Bourgeoisie wird nach ihm nicht durch innere ökonomische Interessen, sondern<br />
bloß durch äußeren Druck von oben oder von unten - politisch zusammengehalten.<br />
Aber wenn es keinen ökonomischen Boden für den Klassenkampf und im Grunde<br />
genommen auch keine Klassen gibt, so erscheint nicht nur der künftige Kampf des<br />
Proletariats mit der Bourgeoisie unmöglich, sondern auch der bisherige, so erscheint die<br />
Sozialdemokratie selbst mit ihren Erfolgen unbegreiflich. Oder aber sie wird begreiflich<br />
gleichfalls nur als Resultat des politischen Regierungsdruckes, nicht als gesetzmäßiges<br />
Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung, sondern als Zufallsprodukt des<br />
hohenzollernschen Kurses, nicht als legitimes Kind der kapitalistischen Gesellschaft,<br />
sondern als Bastard der Reaktion. So führt Bernstein mit zwingender Logik von der<br />
materialistischen Geschichtsauffassung zu der »Frankfurter« und der »Vossischen<br />
Zeitung«.<br />
Es bleibt nur noch übrig, nachdem man die ganze sozialistische Kritik der<br />
kapitalistischen Gesellschaft abgeschworen hat, das Bestehende wenigstens irn großen<br />
und ganzen auch befriedigend zu finden. Und auch davor schreckt Bernstein nicht<br />
zurück: er findet jetzt die Reaktion in Deutschland nicht so stark, »in den<br />
westeuropäischen Staaten ist von politischer Reaktion nicht viel zu merken«, in fast allen<br />
Ländern des Westens ist »die Haltung der bürgerlichen Klassen der sozialistischen<br />
Bewegung gegenüber höchstens eine der Defensive und keine der Unterdrückung«<br />
('Vorwärts' vom 26. März 1899). <strong>Die</strong> Arbeiter sind nicht verelendet, sondern im<br />
Gegenteil immer wohlhabender, die Bourgeoisie ist politisch fortschrittlich und sogar<br />
moralisch gesund, von Reaktion und Unterdrückung ist nichts zu sehen, - und alles geht<br />
zum besten in dieser besten der Welten...<br />
So kommt Bernstein ganz logisch und folgerichtig von A bis herunter auf Z. Er hatte<br />
damit angefangen, das Endziel um der Bewegung willen aufzugeben. Da es aber<br />
tatsächlich keine sozialdemokratische Bewegung ohne das sozialistische Endziel geben<br />
kann, so endet er notwendig damit, daß er auch die Bewegung selbst aufgibt.<br />
<strong>Die</strong> ganze sozialistische Auffassung Bernsteins ist somit zusammengebrochen. Aus dem<br />
stolzen, symmetrischen, wunderbaren Bau des Marxschen Systems ist bei ihm nunmehr<br />
ein großer Schutthaufen geworden, in dem Scherben aller Systeme, Gedankensplitter<br />
aller großen und kleinen Geister eine gemeinsame Gruft gefunden haben. Marx und<br />
Proudhon, Leo von Buch und Franz Oppenheimer, Friedrich Albert Lange und Kant,<br />
Herr Prokopovitsch und Dr. Ritter von Neupauer, Herkner und Schulze-Gävernitz,<br />
Lassalle und Prof. Julius Wolf - alle haben ihr Scherflein zu dem Bernsteinschen System<br />
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