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Rosa Luxemburg Reader 2010 (PDF) - Die Linke.SDS Leipzig

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Opportunismus vorwärts arbeiten muß.<br />

<strong>Die</strong> Marxsche Lehre hat freilich in ihrer theoretischen Rüstkammer schon vor einem<br />

halben Jahrhundert vernichtende Waffen ebenso gegen das eine wie gegen das andere<br />

Extrem geliefert. Da aber unsere Bewegung eben eine Massenbewegung ist, und die<br />

Gefahren, die ihr drohen, nicht aus den menschlichen Köpfen, sondern aus den<br />

gesellschaftlichen Bedingungen entspringen, so konnten die anarchistischen und die<br />

opportunistischen Seitensprünge nicht ein für allemal von vornherein durch die<br />

Marxsche Theorie verhütet werden: sie müssen, erst nachdem sie in der Praxis Fleisch<br />

geworden, durch die Bewegung selbst, allerdings nur mit Hilfe der von Marx gelieferten<br />

Waffen, überwunden werden. <strong>Die</strong> geringere Gefahr, die anarchistischen<br />

Kindheitsmasern, hat die Sozialdemokratie bereits mit der »Unabhängigenbewegung«<br />

überwunden. <strong>Die</strong> größere Gefahr - die opportunistische Wassersucht, überwindet sie<br />

gegenwärtig.<br />

Bei dem enormen Wachstum der Bewegung in die Breite in den letzten Jahren, bei der<br />

Kompliziertheit der Bedingungen, worin und der Aufgaben, wofür nun der Kampf zu<br />

führen ist, mußte der Augenblick kommen, wo sich in der Bewegung Skeptizismus in<br />

bezug auf die Erreichung der großen Endziele, Schwankung in bezug auf das ideelle<br />

Element der Bewegung geltend machten. So und nicht anders kann und muß die große<br />

proletarische Bewegung verlaufen, und die Augenblicke des Wankens, des Zagens sind<br />

weit entfernt, eine Überraschung für die Marxsche Lehre zu sein, vielmehr von Marx<br />

längst vorausgesehen und vorausgesagt. »Bürgerliche Revolutionen«, schrieb Marx vor<br />

einem halben Jahrhundert in seinem »Achtzehnten Brumaire«, »wie die des achtzehnten<br />

Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten<br />

sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist<br />

jedes Tages: aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein<br />

langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und<br />

Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die<br />

des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich<br />

fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es<br />

wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten,<br />

Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner<br />

niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen<br />

gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten<br />

Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede<br />

Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier<br />

ist die Rose, hier tanze!«<br />

<strong>Die</strong>s ist wahr geblieben, auch nachdem die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus<br />

aufgebaut worden ist. <strong>Die</strong> proletarische Bewegung ist damit noch nicht auf einmal, auch<br />

in Deutschland nicht, sozialdemokratisch geworden, sie wird sozialdemokratisch mit<br />

jedem Tage, sie wird es auch während und indem sie fortwährend die extremen<br />

Seitensprünge ins Anarchistische und ins Opportunistische überwindet, beides nur<br />

Bewegungsmomente der als Prozeß aufgefaßten Sozialdemokratie.<br />

Angesichts dieses ist nicht die Entstehung der opportunistischen Strömung, sondern<br />

vielmehr ihre Schwäche überraschend. Solange sie bloß in Einzelfällen der Parteipraxis<br />

zum Durchbruch kam, konnte man noch hinter ihr eine irgendwie ernste theoretische<br />

Grundlage vermuten. Nun sie aber in dem Bernsteinschen Buche zum vollen Ausdruck<br />

gekommen ist, muß jedermann verwundert ausrufen: Wie, das ist alles, was Ihr zu sagen<br />

habt? Kein einziger Splitter von einem neuen Gedanken! Kein einziger Gedanke, der<br />

nicht schon vor Jahrzehnten von dem Marxismus niedergetreten, zerstampft, ausgelacht,<br />

in nichts verwandelt worden wäre!<br />

Es genügte, daß der Opportunismus sprach, um zu zeigen, daß er nichts zu sagen hatte.<br />

Und darin liegt die eigentliche parteigeschichtliche Bedeutung des Bernsteinschen<br />

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