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Rosa Luxemburg Reader 2010 (PDF) - Die Linke.SDS Leipzig

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überwinden und ihre Handlungsmacht als Kollektiv entdecken.<br />

In diesem Prozess war für <strong>Luxemburg</strong> und Lenin das Wechselverhältnis von Organisation und<br />

Bewegung zentral. Damit aus den Reformkämpfen eine revolutionäre Bewegung entstünde,<br />

bräuchte es eine sozialistische Massenpartei, die diese Kämpfe vernetzen und politisch führen<br />

könne. Sie müsse mit praktischen Vorschlägen in die Bewegung intervenieren, um die<br />

Auseinandersetzungen auf das jeweils höchstmögliche Niveau zu heben, und mit politischen<br />

Analysen, um kollektive Bewusstseinsprozesse zu befördern.<br />

Ziel sei es, dass die Massen durch eigene Erfahrung erkennen, dass sie die politische Macht<br />

erobern müssen, um auch die Wirtschaft demokratisch zu kontrollieren. <strong>Die</strong> Strukturen die sie<br />

in ihren Kämpfen entwickeln, seien zugleich Grundlage für eine neue Gesellschaft, die sich von<br />

unten demokratisch selbst verwaltet.<br />

Sowohl Lenin als auch <strong>Luxemburg</strong> betonten, dass es dabei keine Abkürzungen gebe. <strong>Die</strong> Partei<br />

könne die Lernprozesse der Bewegung nicht ersetzen, sie jedoch beschleunigen. So schrieb<br />

Lenin 1918: „Den Sozialismus aber kann nicht eine Minderheit – die Partei – einführen.<br />

Einführen können ihn Dutzende von Millionen, wenn sie es lernen, das selbst zu tun. Wir sehen<br />

unser Verdienst darin, dass wir danach streben, der Masse zu helfen, das sofort in Angriff zu<br />

nehmen“.<br />

<strong>Die</strong>se Strategie, so zeigt Plener, verfolgten sowohl <strong>Luxemburg</strong> als auch Lenin vom Anfang ihrer<br />

politischen Aktivität in den 1890ern an bis zu ihrem Lebensende. Sie sahen sich durch die<br />

russische Revolution von 1905 bestätigt und stritten gemeinsam dafür, dass sich die Zweite<br />

Internationale der sozialdemokratischen Parteien auf außerparlamentarische Kämpfe<br />

konzentrierte.<br />

In den Rahmen dieser grundsätzlichen strategischen Gemeinsamkeiten stellt Plener nun die<br />

Kontroversen über <strong>Luxemburg</strong> und Lenin – und verdeutlicht deren inhaltliche und zeitliche<br />

Begrenztheit. <strong>Die</strong> erste Kontroverse betrifft <strong>Luxemburg</strong>s Kritik an „Was tun?“ aus dem Jahr<br />

1904. Sie warf Lenin damals „Ultrazentralismus“ vor, was bis heute gerne zitiert wird. Jedoch<br />

nehmen die wenigsten wahr, dass <strong>Luxemburg</strong> schon 1905 ihre Bedenken beseitigt sah. Plener<br />

kann zudem anhand vieler zeitgenössischer Reden und Briefe aufzeigen, dass Lenin bereits mit<br />

„Was tun?“ auf eine Bewegungspartei abzielte, allerdings unter den schwierigen Bedingungen<br />

der Illegalität des russischen Zarenreichs. Ein allgemeingültiges Parteimodell zu schaffen, sei<br />

nie sein Anliegen gewesen.<br />

„Das Postulat von der ‘Parteilehre Lenins’ war und bleibt die eigennützige, zur Doktrin<br />

erhobene Konstruktion Stalins nach Lenins Tod mit schlimmen Folgen für die kommunistische<br />

Bewegung des 20. Jahrhunderts“, betont Plener. So wurde in der Zeit des Stalinismus die<br />

Behauptung kanonisiert, Lenin habe mit „Was tun?“ die Grundlagen für die „Partei neuen<br />

Typus“ geschaffen. Während viele heutige Kritiker Lenins dies ebenfalls gerne als seine<br />

Intention ausgeben, bleibt Ulla Plener beim tatsächlichen Wortlaut. Sie verweist darauf, dass<br />

Lenin die Formulierung „Partei neuen Typus“ überhaupt nur einmal verwandt habe und zwar<br />

1922 im Sinne einer Bewegungspartei.<br />

Bei Plener stoßen wir auf einen sehr flexibel agierenden Lenin. <strong>Die</strong> Revolution von 1905 schuf<br />

bessere Bedingungen für die politische Arbeit. Daher setzte er sich für die volle Öffnung und<br />

Umstrukturierung der Partei ein: „Ruft alle sozialdemokratischen Arbeiter zu euch, reiht sie zu<br />

hunderten und tausenden in die Parteiorganisationen ein.“ Nach der Revolution von 1917<br />

bekräftigte Lenin, dass die Partei „Organe der Kritik“ brauche, um ihre Fehler kollektiv und<br />

ehrlich auszuwerten. 1921 wandte sich Lenin gegen die internationale Verbreitung von „Was<br />

tun?“. Zumindest brauche es Anmerkungen eines gut informierten Genossen, damit es nicht zu<br />

„falschen Anwendungen“ komme. Eine Aussage des Revolutionärs, die bisher wenig beachtet<br />

worden ist.<br />

Pleners kompakte Einführung von 99 Seiten kann keinesfalls auf die gesamte<br />

Organisationsdebatte innerhalb der kommunistischen Bewegung eingehen. Der Grunddissens<br />

auch nach 1905 bestand darin, ob sich revolutionäre Arbeiter in einer Partei mit<br />

reformistischen Arbeitern organisieren sollten (<strong>Luxemburg</strong>), oder ob sie ihre eigene Partei<br />

haben und dann in Bündnissen mit allen anderen zusammenarbeiten (Lenin). Der Konflikt hielt<br />

bis zur Gründung der KPD (1918/19) an. Hier müsste man an anderer Stelle weiterlesen,<br />

aufbauend auf Plener, die das Terrain für uns übersichtlicher macht und stalinistische<br />

Verfälschungen sowohl des „Leninismus“ als auch des „<strong>Luxemburg</strong>ismus“ berichtigt.<br />

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