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Rosa Luxemburg Reader 2010 (PDF) - Die Linke.SDS Leipzig

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<strong>Die</strong> zweite Kontroverse betrifft die Politik der Bolschewiki (der Partei Lenins) im ersten Jahr<br />

nach der Oktoberrevolution 1917. <strong>Luxemburg</strong> hatte dazu im Gefängnis mit mangelhaften<br />

Informationen eine Kritik geschrieben, sie aber nicht veröffentlicht. Das geschah erst nach<br />

ihrem Tod. Ulla Plener streicht heraus, dass alle Lenin-Kritiker den Grundtenor der Broschüre,<br />

nämlich die volle Solidarität mit der Russischen Revolution, übersehen.<br />

Zudem führt sie zwei Belege dafür an, dass <strong>Luxemburg</strong> ihre Position änderte, nachdem sie<br />

durch die Novemberrevolution wieder in Freiheit gekommen war. Zum einen existiert ein<br />

Bericht Clara Zetkins, wonach <strong>Luxemburg</strong> eine längere Abhandlung statt einer Broschüre<br />

plante. Zum anderen wollte <strong>Luxemburg</strong> beim Gründungsparteitag der KPD einen Redebeitrag<br />

zur Russischen Revolution und zu Lenin halten. Aufgrund einer Änderung der Tagesordnung<br />

und der Ermordung <strong>Luxemburg</strong>s einige Wochen später ist uns ihre wirkliche Meinung leider<br />

nicht bekannt.<br />

Plener zeichnet ebenfalls ein anderes Bild von Lenin als der Mainstream, wenn es um die<br />

„Diktatur des Proletariats“ geht, was man heute wohl als „Arbeitermacht“ bezeichnen würde.<br />

Folgt man ihr, so wollte er sowohl vor als auch nach der Revolution unter den Arbeitern und<br />

Bauern das Bewusstsein verbreiten, dass sie mit ihrer Selbstorganisation die Macht<br />

übernehmen können und sollen. „<strong>Die</strong> Demokratie muss sofort aufgebaut werden, von unten<br />

her, durch die Initiative der Massen selber, durch ihre aktive Teilnahme am gesamten<br />

staatlichen Leben, ohne ‘Überwachung’ von oben (...) das ist die Gewähr für eine Freiheit, die<br />

keine Zaren, keine wackeren Generale, keine Kapitalisten mehr zurücknehmen können.“ Plener<br />

beschreibt seine immense Tätigkeit als aufklärender Aktivist: „Er sprach, solange er dazu<br />

physisch in der Lage war, 1917–1922 vor Eisenbahnern, vor Bergbau-, Metall-, Textil- u.a.<br />

Arbeitern, vor Bauern, in der Bildung Tätigen, auch auf Parteilosenkonferenzen u.a.m.“<br />

An seine Partei appellierte er, dass man, um führen zu können, Verbindungen zur gesamten<br />

Bevölkerung brauche und daher auch Bündnisse mit Nichtkommunisten eingehen müsse.<br />

Doch die Probleme des isolierten, rückständigen Russlands waren nach drei Jahren Bürgerkrieg<br />

zu groß. Lenin bemängelte, dass ein zu niedriges kulturelles Niveau der weniger bewussten<br />

Werktätigen dazu führe, dass sie sich nicht an den Arbeiterräten beteiligten. Er war der Erste,<br />

der 1920 vor der aufkommenden Bürokratie und der Rückkehr der alten zaristischen Beamten<br />

warnte. Seine Lösung für dieses Problem war jedoch nicht die alleinige Parteiherrschaft – im<br />

Gegenteil: „Es gilt den Kommunisten zu helfen, denn die Lasten übersteigen ihre Kräfte. (...)<br />

<strong>Die</strong> breiten Massen der Parteilosen müssen alle Staatsangelegenheiten kontrollieren und es<br />

lernen, selber zu regieren.“<br />

<strong>Die</strong>s gelang nicht. Lenin starb Anfang 1924, und im wirtschaftlich rückständigen und<br />

international isolierten Russland verloren die Arbeiterräte zunehmend an Einfluss, bis sich<br />

schließlich Ende der 1920er Jahre die stalinistische Bürokratie als neue herrschende Klasse<br />

durchgesetzt hatte.<br />

<strong>Die</strong> Erklärungen Pleners sind an diesem Punkt leider nicht zufriedenstellend. Meines Erachtens<br />

wäre es hier hilfreich gewesen, die Theorien Leo Trotzkis mit einzubeziehen. Aber eine Analyse<br />

des Stalinismus ist auch nicht die Hauptaufgabe des Buchs.<br />

Der britische Marxist Tony Cliff sagte gerne, durch die Theorien großer Revolutionäre würden<br />

wir auf den Schultern von Giganten stehen. Von dort aus könnten wir weiter sehen. Genau<br />

darin liegt der außergewöhnliche Gebrauchswert dieser Studie. Ulla Plener lässt uns einen Blick<br />

über die Schulter zweier Giganten des revolutionären Marxismus werfen und räumt zugleich<br />

mit Irrtümern und Verfälschungen der letzten 85 Jahre auf.<br />

<strong>Die</strong> Besonderheit ihrer Arbeit besteht darin, dass sie nicht nur die ausgetretenen Pfade der<br />

bekannten Schriften Lenins geht. Während die meisten Kritiker ihn nur indirekt oder mit den<br />

Worten <strong>Luxemburg</strong>s wiedergeben, nutzt Plener ihre umfassende Kenntnis seiner Werke, um<br />

ähnliche Formulierungen der beiden in weiteren Texten und Reden zu sammeln. So entsteht<br />

ein Bild von Lenins Wirken, das dem <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong>s in vielem nahe steht, und einiges auch<br />

konsequenter und genauer zu Ende gedacht hat. Auf Pleners Studie folgt noch ein 175 Seiten<br />

langer Anhang mit Originaltexten vor allem von Lenin. Auf diese stützt Plener ihre<br />

Argumentation. Zudem geben sie die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild zu machen.<br />

<strong>Die</strong>ses Buch liefert wichtige Anregungen für den Aufbau einer neuen <strong>Linke</strong>n in Deutschland.<br />

<strong>Die</strong> Lektüre ist ein großer Gewinn für jeden, der sich mit dem Wechselverhältnis von<br />

Organisation und Bewegung beschäftigt – und für jeden, der daran mitwirken möchte, dass<br />

DIE LINKE eine Bewegungspartei wird. (Text von Win Windisch, erschienen in marx21 Nr.16)<br />

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