03.11.2013 Aufrufe

Weihnachtsmarkt

Weihnachtsmarkt

Weihnachtsmarkt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Nicht ohne ein Herz von Tilly Till<br />

Der Frankfurter <strong>Weihnachtsmarkt</strong> hat starke Traditionen / Nur<br />

selten stößt ein neuer Aussteller in den Kreis der 196 Auserwählten<br />

Von Anita Strecker<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong>, Ort der Sinnlichkeit und wohliger Vorfreude. Man kann sich<br />

dem Budenzauber natürlich auch mit Zahlen, Daten, Fakten nähern. 196 Stände<br />

vom Liebfrauen- bis zum Römerberg, weitere 50 auf dem Buden-Ableger auf der<br />

Zeil. Den haben sich die Geschäftsleute entlang der Einkaufsmeile als vorweihnachtlichen<br />

Käufermagnet gewünscht und 1999 auch bekommen. Als jüngste<br />

Attraktion auf dem "Neuen" dreht sich erstmals sogar ein Kinderriesenrad von<br />

anno 1887 an der Hauptwache und rund um den Brockhausbrunnen lässt der<br />

Frankfurter Schausteller Hans-Jürgen Feuerstein eine echte Bimmel-<br />

Kindereisenbahn kreisen. Noch mehr gefällig?<br />

Marktorganisator Kurt Stroscher von der Tourismus und Congress GmbH legt<br />

mühelos nach. Mit mehr als drei Millionen Besuchern jährlich zählt der Frankfurter<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong> zu den größten in der Republik und weil seine Geschichte<br />

verbrieft bis ins Jahr 1393 zurückreicht, auch zu einem der ältesten. Doch bleiben<br />

wir in der Jetzt-Zeit: Exakt 7000 Glühbirnen leuchten am Weihnachtsbaum<br />

vorm Römer. Eine Leistung, die satte 240 Euro pro Stunde verschlingt. 7000<br />

Euro steht als Komplettpreis des nadeligen Weihnachtssymbols im Etat. Noch mal<br />

so viel fällt für die leuchtende Weihnachts-Deko drumherum an.<br />

Aber das ist nur ein Klacks gegen das, was für den laufenden Betrieb dazukommt:<br />

kilometerlange Leitungen für Strom und Wasser, ein eigener Winterdienst,<br />

Reinigungskräfte, Sicherheitsleute, die nachts die Stände bewachen, und<br />

nicht zuletzt die eigene Müllabfuhr. Alles Dinge, die weder FES noch städtische<br />

Gesellschaften erledigen, sondern Privatfirmen im Auftrag der Tourismus und<br />

Congress GmbH. Unterm Strich kommt Stroscher auf stolze 454 000 Euro, die<br />

der <strong>Weihnachtsmarkt</strong> verschlingt.<br />

Zahlen müssen das die Standbetreiber via Platzgebühr von 230 bis 307 Euro für<br />

den Meter. Tilly Till zum Beispiel. Die Frankfurterin steht seit 54 Jahren alle Jahre<br />

wieder mit ihrem Lebkuchenherzen- und Quetschenmännchen-Stand vorm Römer,<br />

spritzt was das Zeug hält mit frischer "Zuckerschmier" Namen, Sprüche und<br />

Girlanden auf die braunen Rohlinge, derweil ihre Stammgäste vorm Stand<br />

Schlange stehen.<br />

Zuckerschmier in dritter Generation<br />

Tilly Till ist Kult, ein Herz von ihr obligat - eine so lange <strong>Weihnachtsmarkt</strong>-<br />

Geschichte wie die Frankfurterin hat schließlich niemand sonst zu bieten. Mittlerweile<br />

ist nicht nur Tilly Tills Tochter, sondern auch Enkelin Nathalie eingestiegen.<br />

Sechs Wochen vor Marktbeginn fangen die drei Herz-Damen an, ihre süße Ware<br />

zu dekorieren. Tausende. Ach was, Abertausende, sagt die Enkelin und verdreht<br />

1<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


die Augen. Die Rohlinge backt ein Bäcker aus dem Odenwald, die Zuckerschmier<br />

wird eigenhändig angerührt und los geht"s. In aller Frühe schon, und während<br />

die Glasur trocknet, stecken die Frauen ihre Quetschen- und Hutzelmännchen<br />

zusammen. Und alle Jahre wieder kann die Enkelin den Marktbeginn kaum erwarten,<br />

"weil dann die Dekoriererei ein Ende hat". Der Standbetrieb ist eh" ihr<br />

Metier.<br />

Den Sommer über tingelt die Familie Till mit dem Schießstand der Oma über<br />

Volksfeste in Frankfurt und Umgebung. Wie fast alle auf dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong>.<br />

Man kennt sich. Die junge Frau zeigt zum Kräuterbonbon-Mann gegenüber, "der<br />

betreibt im Sommer einen Jaguarexpress". Und der am Stand schräg daneben<br />

Boxautos. Saisongeschäft. Auch der <strong>Weihnachtsmarkt</strong>. "Die Einnahmen müssen<br />

über die Winterpause bis März reichen."So war"s schon immer. Auch 1393, als<br />

Händler die verfügbare Warenwelt an Weihnachtsständen feilboten, damit die<br />

Frankfurter Geschenke kaufen und sich mit allerlei Nützlichem eindecken konnten.<br />

Mit neuen "Dippe" zum Beispiel. Bis heute zählt das Tonzeug mit der Salzglasur<br />

zu den Klassikern auf dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong>. Vier Original-Stände gibt es<br />

noch, sagt Stroscher, der überhaupt auf Tradition setzt. Auch bei den Händlern.<br />

90 Prozent von ihnen gehören zur treuen <strong>Weihnachtsmarkt</strong>belegschaft: "Wer<br />

einmal da war und sich bewährt hat, darf immer wieder kommen." Das tun sie<br />

glatt aus allen Himmelsrichtungen: Von Süd- bis Norddeutschland reicht das Einzugsgebiet.<br />

Bildhauer Johann Bachmann ist gar aus Südtirol mit seinen handgeschnitzten<br />

Krippen und Figuren angereist: "Die Frankfurter wissen die Arbeit<br />

zu schätzen." Ihn hat Stroscher ohne langes Zögern voriges Jahr als Neuzugang<br />

auserkoren. Und das will was heißen. Gut 1000 Bewerbungen, sagt der Herr des<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong>s, muss er jedes Jahr sichten. "Aber Bachmann ist der einzige<br />

echte Holzschnitzer auf dem Markt."<br />

Neben derlei Überraschungen, die Stroscher immer wieder aus dem Hut zaubert,<br />

ist es aber vor allem das vertraute Geschiebe in alten Bahnen, das die Frankfurter<br />

am <strong>Weihnachtsmarkt</strong> so lieben: Vor der Paulskirche werden Ausstecher gekauft,<br />

die Bethmännchen beim Stand vom Café Keth vorm Dom und Glühwein<br />

wird in der Frankfurter Glühweinstubb auf dem Römerberg getrunken. Der<br />

Frankfurter setzt auf Tradition, weiß Stroscher, und deshalb probiert der Cheforganisator<br />

modernen Schnickschnack erst gar nicht aus: Freitag, Samstag, Sonntag<br />

singen Chöre ab 17 Uhr auf der Bühne, mittwochs und samstags schallen die<br />

Turmbläser ab 18 Uhr über den Römerberg. Basta. Einmal, ja, da hatte er einen<br />

Weihnachtsclown engagiert. Ging aber kräftig in die Hose.<br />

Ebenso wie die amerikanische Beleuchtung mit einem Netz aus Tausenden kleiner<br />

Lämpchen überm Weihnachtsbaum. Den Frankfurtern hat"s nicht gefallen,<br />

sagt Stroscher. Hat ja auch keinen Stil, ein blickendes Haarnetz überm Weihnachtsbaum.<br />

© Copyright Frankfurter Rundschau<br />

Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 284)<br />

Datum: Samstag, den 04. Dezember 2004<br />

Seite: 35<br />

2<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Gleichzeitig haben sich die Christkindlmärkte auch zur Tourismusattraktion entwickelt.<br />

"Unser <strong>Weihnachtsmarkt</strong> ist zum beliebten Reiseziel geworden und dementsprechend<br />

ist auch unser Rahmenprogramm gewachsen: eine lebendige Krippe<br />

mit echtem Röhnschäfer und Konzerte der Golden Gospels", sagt der Leiter<br />

des Amtes für Stadtmarketing in Fulda, Peter Hügel. Die Stadt bietet sogar Pauschalreisen<br />

zu dem Event im Advent an. "Ich habe nichts gegen den angehängten<br />

kommerziellen Gedanken", so Hügel. "Der <strong>Weihnachtsmarkt</strong> enthält das Wort<br />

Markt und soll bei uns auch bewusst die Geschäfte in der Innenstadt beleben."<br />

© Copyright Frankfurter Rundschau<br />

Ausgabe: Stadtausgabe (Nr. 284)<br />

Datum: Samstag, den 04. Dezember 2004<br />

Seite: 38<br />

4<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


1.<br />

Übungsfälle<br />

und<br />

einschlägige Rechtsgrundlagen<br />

zur Problematik:<br />

Ermessensausübung<br />

bei der Zulassung<br />

zu<br />

(Weihnachts-) Märkten<br />

5<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: MWRE101290100<br />

VG Meiningen 5. Kammer , Beschluß vom 27. November 2000 , Az: 5 E 973/00.Me<br />

GewO § 70 Abs 1, GewO § 3<br />

Zulassung zu einem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> - Vergabepraxis: bekannte und bewährte Marktbeschicker<br />

Leitsatz<br />

Bei der Ausübung des Ausschließungsermessens muss gewährleistet sein, dass alle Bewerber<br />

grundsätzlich die gleiche Chance auf Zulassung zu dem Markt haben und dass der Ausschluss<br />

einzelner Bewerber anhand nachvollziehbarer und sachlich gerechtfertigter Kriterien erfolgt.<br />

Diesen Anforderungen wird eine Ermessensentscheidung nicht gerecht, die offenbar von der<br />

Erwägung geprägt ist, nur bekannte und bewährte Bewerber früherer Weihnachtsmärkte zuzulassen.<br />

Fundstellen<br />

ThürVGRspr 2001, 178-179 (Leitsatz und Gründe)<br />

ThürVBl 2001, 114-115 (Leitsatz und Gründe)<br />

Langtext<br />

Tatbestand<br />

Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 28.01.2000 die Zuweisung eines Standplatzes<br />

auf dem ... <strong>Weihnachtsmarkt</strong> vom 01.12. bis 23.12.2000. Die Größe des Standes solle 4 m x 2<br />

m betragen. Er beabsichtigte, an dem Stand Thüringer Rostbratwürste, Rostbrätl, Thüringer<br />

Schlachteplatten, Thüringer Holzfällerscheiben, Suppen sowie Glühwein und alkoholfreie<br />

Getränke anzubieten.<br />

Mit Bescheid vom 25.10.2000 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Ihre Ablehnung<br />

begründete sie damit, dass auf Grund der Größe der Marktfläche und der Vielzahl der Bewerbungen<br />

es nicht möglich gewesen sei, auch dem Antragsteller einen Platz zuzuweisen. Bei der<br />

Belegung der Fläche sei großen Wert auf ein weihnachtstypisches Angebot gelegt worden.<br />

Die Attraktivität, Neuartigkeit und Ausgewogenheit seien unter anderem weitere Kriterien für<br />

eine erfolgreiche Durchführung des ... <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es . Zur Sicherung eines konstanten<br />

Qualitätsniveaus seien auch "bekannte und bewährte" Gewerbetreibende berücksichtigt worden.<br />

Auf Grund der begrenzten Veranstaltungsfläche werde es auch zukünftig nicht gelingen,<br />

der großen Anzahl von Bewerbungen ... gerecht zu werden.<br />

Dagegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom 09.11.2000 Widerspruch eingelegt, über<br />

den noch nicht entschieden ist.<br />

Am 21.11.2000 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes<br />

und<br />

beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 2000 einen<br />

Standplatz zuzuweisen.<br />

6<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Die Ablehnung sei zu Unrecht erfolgt. Der Bescheid verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.<br />

Bei ihm handele es sich um einen alten ortsansässigen Betrieb. Bereits sein Vater sei in<br />

... als "Bratwurstsepp" bei der Bevölkerung bekannt gewesen. Auch letztes Jahr sei seine Zulassung<br />

in rechtswidriger Weise abgelehnt worden.<br />

Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag abzuweisen.<br />

Es liege kein Anordnungsanspruch vor. Bei der Belegung der Fläche für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

sei großen Wert auf ein vielseitiges Angebot gelegt worden, um die Ausgewogenheit<br />

des gesamten Veranstaltungsangebotes auf dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> zu erreichen. Auf Grund<br />

dessen sei es zu einer Beschränkung des Teilnehmerkreises auch innerhalb gleichartiger Bewerbergruppen<br />

gekommen. Neben anderen Imbissständen seien fünf Bratwurststände zugelassen<br />

worden. Innerhalb des Kriteriums bekannt und bewährt sei vor allem auf die erprobte<br />

Zuverlässigkeit von Altbewerbern sowie das damit verbundene Bekanntsein beim Publikum<br />

im Rahmen der Weihnachtsmärkte vergangener Jahre abgestellt worden, um das hohe Qualitätsniveau<br />

konstant zu halten. Der Antragsteller habe in den letzten Jahren am ... <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

nicht teilgenommen, so dass es sich auch nicht um einen bekannten und bewährten<br />

Bewerber in diesem Sinne habe handeln können. Die Vergabe der Standflächen sei auch<br />

nicht willkürlich erfolgt. Es sei zwar richtig, dass die Standflächen unterschiedlich groß gewählt<br />

worden seien, dies sei aber von unterschiedlichen Faktoren, wie etwa der Breite des<br />

Warenangebotes und dem damit verbundenen individuellen Platzbedarf des jeweiligen Händlers<br />

abhängig gemacht worden. Entsprechend der Konzeption zur Vorbereitung und Durchführung<br />

des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es in der Stadt ... sei die Belegung grundsätzlich nur mit stadteigenen<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong>hütten erfolgt. Zusätzlich würden Holzhütten oder andere Verkaufseinrichtungen<br />

der Händler nur zugelassen, wenn das Äußere der Verkaufseinrichtung in<br />

das Gesamtbild des Marktes passe, um die Typenreinheit der <strong>Weihnachtsmarkt</strong>veranstaltung<br />

zu gewährleisten. Der Verkaufswagen des Antragstellers füge sich optisch nicht in das Erscheinungsbild<br />

des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es ein. Die Vergabe der Standplätze auf dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

sei im Rahmen des Auswahlermessens an Hand der genannten Kriterien erfolgt.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte<br />

sowie auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 27.11.2000 verwiesen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.<br />

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung<br />

eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn<br />

diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern<br />

oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind<br />

dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO). Der Antragsteller<br />

hat den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, insbesondere kann<br />

ihm nicht die nur ausnahmsweise zuzulassende Vorwegnahme der Hauptsache entgegen<br />

gehalten werden, denn er kann nicht auf ein Abwarten bis zum Ergehen einer Hauptsacheentscheidung<br />

verwiesen werden, da bis zu diesem Zeitpunkt der <strong>Weihnachtsmarkt</strong> bereits vorbei<br />

wäre.<br />

7<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Der Antrag auf Zulassung zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> musste jedoch deswegen abgelehnt werden,<br />

weil ein eventueller Zulassungsanspruch des Antragstellers tatsächlich nicht mehr durchsetzbar<br />

ist. Soweit dies an Hand der vorgelegten Unterlagen und der Angaben der Antragsgegnerin<br />

festgestellt werden konnte, ist es für die Antragsgegnerin nämlich aus tatsächlichen und<br />

rechtlichen Gründen unmöglich, einen weiteren Standplatz zu vergeben, da alle Standplätze<br />

bereits an andere Marktteilnehmer vergeben sind. Bei einer tatsächlich erschöpften Platzkapazität<br />

könnte einem Zulassungsbegehren nur dann entsprochen werden, wenn entweder eine<br />

Verpflichtung des Marktveranstalters bestehen würde, die Platzkapazität auszuweiten oder<br />

andere bislang zugelassene Marktteilnehmer wieder ausgeschlossen werden könnten. Für eine<br />

Verpflichtung eines Marktveranstalters zur Ausweitung der Platzkapazität gibt es keine rechtliche<br />

Grundlage. Darüber hinaus ist ein Ausschluss von anderen Marktteilnehmern nicht<br />

möglich, weil deren Zulassung für das Gericht bindend ist (OVG Bautzen, B. v. 16.3.1999,<br />

NVwZ-RR 1999,500). Der vom Antragsteller vorgeschlagene und ihm offenbar ursprünglich<br />

angebotene Platz an der ...straße liegt nach Aussage der Antragsgegnerin und den vorgelegten<br />

Plänen nicht mehr im Bereich des beschlossenen <strong>Weihnachtsmarkt</strong>geländes , so dass nicht<br />

weiter geprüft werden brauchte, ob dieser Standort überhaupt geeignet wäre.<br />

Die Kosten des Verfahrens waren jedoch gemäß § 155 Abs. 5 VwGO wegen Verschuldens<br />

der Antragsgegnerin aufzuerlegen, da der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig<br />

ist und der Antragsteller nur aus den oben genannten Gründen im Verfahren unterliegt.<br />

Grundsätzlich hat der Antragsteller, der dem Teilnehmerkreis des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es angehört,<br />

gemäß § 70 Abs. 1 GewO Anspruch auf Zulassung zu diesem. Dieser Anspruch<br />

wird allerdings durch § 70 Abs. 3 GewO mit der Maßgabe eingeschränkt, dass aus sachlich<br />

gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht,<br />

einzelne Anbieter von der Teilnahme ausgeschlossen werden können.<br />

Bei der durch § 70 Abs. 3 GewO eröffneten Ausschlussbefugnis handelt es sich um eine Ermessensentscheidung,<br />

bei der dem oben genannten Merkmal ermessensbegrenzende Funktion<br />

zukommt. Bei der Ausübung dieses Ausschließungsermessens muss gewährleistet sein,<br />

dass alle Bewerber grundsätzlich die gleiche Chance auf Zulassung zu dem Markt haben und<br />

dass der Ausschluss einzelner Bewerber anhand nachvollziehbarer und sachlich gerechtfertigter<br />

Kriterien erfolgt (VG Chemnitz, U.v.28.6.1995, LKV 1996,301). Diesen Anforderungen<br />

wird die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin jedoch nicht gerecht. Aus dem ablehnenden<br />

Bescheid, den vorgelegten Unterlagen und dem schriftlichen und mündlichen Vortrag<br />

im gerichtlichen Verfahren, ist nach Auffassung des Gerichts nicht erkennbar, nach welchen<br />

Kriterien die Auswahl zwischen den Bewerbern, insbesondere zwischen denjenigen mit einem<br />

ähnlichen Angebot wie der Antragsteller und diesem erfolgt ist. Eine Subsumtion der konkreten<br />

auf den Antragsteller zutreffenden Erwägungen unter die ohnehin schwammigen Kriterien<br />

findet im Bescheid nicht statt. Völlig unverständlich ist auch, warum die anderen Bewerber<br />

ihren (positiven) Bescheid bereits im August 2000 erhalten haben, der Antragsteller jedoch<br />

erst Ende Oktober 2000. Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid entnehmen lässt,<br />

war die Ausschlussentscheidung, die als Auswahlkriterien auch die Attraktivität, Neuartigkeit<br />

und die Ausgewogenheit des Marktangebotes nennt, offenbar von der Erwägung geprägt, nur<br />

"bekannte und bewährte" Bewerber früherer Weihnachtsmärkte zuzulassen. Diese Vergabepraxis<br />

findet jedoch dort ihre Grenze, wo sie dazu führen würde, dass neue Bewerber ohne<br />

ausreichenden sachlichen Grund im Sinne des § 70 Abs. 3 GewO auf unabsehbare Zeit abgewiesen<br />

werden müssten und ist nicht zulässig. Auch das Abstellen darauf, dass der Verkaufswagen<br />

des Antragstellers auf Grund seiner Gestaltung nicht zugelassen werden konnte, wie<br />

8<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen, kann nicht zu einer ordnungsgemäßen<br />

Ablehnungsentscheidung führen. Zwar ist es grundsätzlich möglich, dass der Marktveranstalter<br />

auch die einheitliche Gestaltung bei einem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> als ein sachgerechtes Auswahlkriterium<br />

zugrundelegt. Der Antragsteller hat aber glaubhaft vorgetragen, dass er gegenüber<br />

Mitarbeitern der Antragsgegnerin mehrfach darauf hingewiesen hat, dass er seinen Verkaufswagen<br />

jederzeit so umgestalten könne, dass dieser sich in das Gesamtbild des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es<br />

einfüge. Das Abstellen allein hierauf reicht daher im vorliegenden Fall für eine<br />

ermessensfehlerfreie Ablehnungsentscheidung ebenfalls nicht aus.<br />

Aus alledem ergibt sich, dass der Antragsteller soweit er eine erneute Teilnahme am nächsten<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong> anstrebt, nur die Möglichkeit hat, im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage<br />

die Rechtswidrigkeit klären zu lassen bzw. bei einem erneuten Antrag im nächsten<br />

Jahr zu einem früheren Zeitpunkt, bereits bevor die Entscheidung gefallen ist, das Gericht<br />

anzurufen.<br />

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG, wobei die Kammer das<br />

Interesse des Antragstellers an der Teilnahme am <strong>Weihnachtsmarkt</strong> auf 15.000,-- DM schätzt.<br />

Im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache sieht die Kammer von der Reduzierung<br />

des Streitwertes im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ab.<br />

9<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: 200103120007<br />

Copyright Gewerbe Archiv<br />

VG Stuttgart vom 27. Oktober 2000, Az: 4 K 4149/00<br />

Rechtsprechung und Erlasse<br />

Gewarch 2001, Nr 1, 122<br />

Jahrmarkt, Marktzulassung<br />

Kurzreferat<br />

GewO § 70 Abs 1, 3<br />

1. Ein Vergabesystem für die Zulassung von Marktständen muss Neubewerbern in zeitlicher<br />

Hinsicht eine reale Zulassungschance einräumen und darf sich nicht auf bekannte und bewährte<br />

Beschicker beschränken.<br />

2. Das Kriterium der "Bewährung" ist an die Person gebunden und kann nicht weitergegeben<br />

werden.<br />

VG Stuttgart, Urteil vom 27.10.2000 - 4 K 4149/00 - (n.rkr.)<br />

Aus den Gründen:<br />

Nach § 70 Abs 1 GewO ist jedermann, der dem Teilnehmerkreis der festgesetzten Veranstaltung<br />

- hier des als Spezialmarkt festgesetzten <strong>Weihnachtsmarkt</strong>s - angehört, nach Maßgabe<br />

der für alle Veranstaltungsteilnehmer geltenden Bestimmungen teilnahmeberechtigt.<br />

Der Veranstalter kann jedoch nach § 70 Abs 3 GewO aus sachlich gerechtfertigten Gründen,<br />

insbesondere wenn der zur Verfügung gestellte Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller,<br />

Anbieter oder Besucher von der Teilnahme ausschließen. Vorliegend ist unstreitig,<br />

dass das Platzangebot für die Zulassung aller Anbieter nicht ausreichend war. Die Bekl. war<br />

danach gemäß § 70 Abs 3 GewO ermächtigt, nach ihrem Ermessen unter den Bewerbern auszuwählen<br />

und damit notwendigerweise auch einzelne Anbieter auszuschließen. Der Kl'in steht<br />

im Rahmen dieser Entscheidung grundsätzlich nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung<br />

dieses Ausschließungsermessens zu.<br />

Der angefochtene Bescheid enthält keine fehlerfreien Erwägungen zur Ausübung des Ausschließungsermessens<br />

zum Nachteil der Kl'in. Die Ermessensausübung der Bekl. erfolgte auf<br />

der Grundlage der Zulassungsbedingungen der Versorgungsmärkte und Marktveranstaltungen<br />

der Landeshauptstadt Stuttgart (VMS) für den Stuttgarter <strong>Weihnachtsmarkt</strong> in der hier maßgeblichen<br />

Fassung vom 01.03.1998, denen der Gemeinderat der Bekl. zugestimmt hat.<br />

Bereits aus dem Wortlaut des § 70 Abs 3 GewO ergibt sich, dass das der Bekl. für die Entscheidung<br />

über den Ausschluss eines Bewerbers eingeräumte Ermessen insoweit begrenzt ist,<br />

als eine Ausschließung nur bei Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes erlaubt ist.<br />

Der von der Bekl. in ihren Zulassungsbedingungen für Platzmangel gewählte Verteilungsmaßstab<br />

muss danach sachlich gerechtfertigt sein. Hiervon kann nicht ausgegangen werden.<br />

10<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nach der obergerichtlichen Rspr. ergeben sich aus dem Grundsatz der Marktfreiheit zwingende<br />

Schranken für das Verteilungsermessen des Veranstalters. Dieses kann nur dann fehlerfrei<br />

ausgeübt werden, wenn bei der unumgänglichen Beschränkung der Marktfreiheit ausschließlich<br />

marktrechtliche und marktspezifische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Dabei ist es<br />

grundsätzlich auch zulässig, einen Verteilungsmaßstab zu wählen, der etwa das Kriterium<br />

"bekannt und bewährt" als positiven Auswahlgesichtspunkt zugunsten des Kreises von<br />

Stammbeschickern einsetzt. Allerdings darf dieses Kriterium nicht zum ausschließlichen<br />

Verteilungsmaßstab werden, weil die durch § 70 Abs 1 GewO garantierte Marktfreiheit nur<br />

dadurch erhalten werden kann, dass auch allen anderen Bewerbern eine reale Zulassungschance<br />

eingeräumt wird. Außerhalb des dem Veranstalter durch § 70 Abs 3 GewO eingeräumten<br />

Ermessens liegt daher jedenfalls ein Auswahlsystem, welches Neubewerbern oder<br />

Wiederholungsbewerbern weder im Jahr der Antragstellung noch in einem erkennbaren zeitlichen<br />

Turnus eine Zulassungschance einräumt (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Urteile vom<br />

27.04.1984 - 1 C 24.82 und 1 C 26.82 -, Buchholz 451.20, § 70 GewO Nr. 1 und 2, GewArch<br />

1984, 265, 266; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 30.04.1991 - 14 S 1277/89 -, GewArch 1991,<br />

344, m.w.N.).<br />

Diesen Grundsätzen werden die Zulassungsbedingungen der Bekl. nicht gerecht. Die Kl'in hat<br />

sich mit ihrem "Knusperhaus" für einen Standplatz beworben, der unter die für "Verkaufsstände"<br />

vorgesehenen Regelungen unter Ziffer V. Nr. 1 der Zulassungsbedingungen fällt. Die<br />

Zulassungsbedingungen regeln unter Ziffer V. allgemein die Vergabe der Standplätze bei einem<br />

Überangebot. Nach Ziffer V. Nr. 1.1 können Bewerber/innen, von denen angenommen<br />

wird, dass sie wegen ihres Warenangebots oder Attraktivität eine besondere Anziehungskraft<br />

auf die Besucher/innen ausüben, bevorzugt Platz erhalten. Attraktivitätsgesichtspunkte als<br />

Vergabekriterium stellen zunächst grundsätzlich sachlich gerechtfertigte Gründe für die Ausübung<br />

des Ausschließungsermessens dar, da sie sich sowohl an marktspezifischen als auch<br />

den marktrechtlichen Gesichtspunkten orientieren. Bedenken bestehen jedoch für das weitere<br />

Zulassungskriterium für solche Verkaufsstände, die nicht bereits wegen ihrer besonderen Attraktivität<br />

einen Standplatz erhalten sollen. Nach Ziffer V. Nr. 1.2 der Zulassungsbedingungen<br />

erhalten bei gleichen Voraussetzungen langjährig bekannte und bewährte Anbieter/innen Vorrang<br />

vor neuen Bewerbern. Nach den Darlegungen der Bekl. fiel die Kl'in mit ihrem Verkaufsstand<br />

in diese Kategorie, konkurrierte also mit ihrem Verkaufshaus mit bekannten und<br />

bewährten Altbeschickern. Entsprechend den obigen Ausführungen ist das Auswahlkriterium<br />

"bekannt und bewährt" zwar grundsätzlich ein sachgerechtes Vergabekriterium. Allerdings<br />

räumen die Zulassungsbedingungen der Bekl. Neubewerbern keine realen Zulassungschancen<br />

ein und verstoßen daher insoweit sowohl gegen den Grundsatz der Marktfreiheit als auch der<br />

Chancengleichheit aller Bewerber. Nach den Zulassungsbedingungen der Bekl. erhalten vielmehr<br />

in der Kategorie der Verkaufsstände bei vergleichbar attraktiven Verkaufsständen stets<br />

die bekannten und bewährten Marktbeschicker den Vorrang vor Neubewerbern. Diese Altbeschicker<br />

sind nicht mit dem Risiko verminderter Zulassungschancen durch Neuzulassungen<br />

belastet, vielmehr werden diese vor allen anderen Bewerbern dauerhaft privilegiert und erhalten<br />

praktisch eine exklusive Dauerzulassung. Erst wenn ein Altbeschicker ausfällt, findet -<br />

offensichtlich unter entsprechender Anwendung der Regelungen für Imbissstände unter Ziffer<br />

V. Nr. 2 der Zulassungsbedingungen - der Bewerber Berücksichtigung, der/die unter V. Nr. 1<br />

genannten Voraussetzungen erfüllt und sich am längsten ununterbrochen um einen Verkaufsplatz<br />

mit Süßwaren beworben hat. Ein solches Vergabesystem, das Neubewerbern von vornherein<br />

keine reale Zulassungschance einräumt, in die Gruppe der bekannten und bewährten<br />

Anbieter aufzusteigen, ist mit der Marktfreiheit nicht vereinbar. Die Entscheidung der Bekl.<br />

auf der Grundlage ihrer Vergaberichtlinien ist daher bereits aus diesem Grunde rechtlich fehlerhaft<br />

und hält einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren nicht stand. Wie im Übrigen<br />

11<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


ein die Marktfreiheit und die Chancengleichheit erhaltendes Zulassungssystem auszugestalten<br />

ist, welche Bewerbergruppen dabei gebildet werden und nach welchem System Standplätze<br />

zugeteilt werden, kann im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, da die Aufstellung<br />

dieser Kriterien Sache der Bekl. ist und in deren gerichtlich nur beschränkt nachprüfbarem<br />

Ermessen als Veranstalter liegt.<br />

Für den vorliegenden Rechtsstreit ist daher auch nicht mehr entscheidungserheblich, ob die<br />

weiteren Regelungen unter Ziffer III. der Zulassungsbedingungen, insbesondere die Bestimmung,<br />

dass eine Übertragung der Rechte eines Anbieters auf Erben oder andere zur Zulassung<br />

zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> nicht statthaft ist, nach den vorgenannten Grundsätzen rechtlich zu<br />

beanstanden sind. Allerdings ist hierzu anzumerken, dass es sich bei dem Auswahlkriterium<br />

der Bewährung, das grundsätzlich ein sachgerechtes Vergabekriterium darstellt, um ein persönlichkeitsbezogenes<br />

Urteil über die durch mehrfache Marktteilnahme erprobte Zuverlässigkeit<br />

handelt, die daher auch nur durch den jeweiligen Betriebsinhaber und Marktbewerber<br />

erfüllt werden kann und mithin auch nicht an einen Betriebsübernehmer oder ein im Betrieb<br />

mitarbeitendes Familienmitglied weitergegeben werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil<br />

vom 30.04.1991, a.a.O. und Urteil vom 22.08.1984 - 6 S 1045/84 -).<br />

12<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: MWRE113169600<br />

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München 4. Senat , Urteil vom 24. Juli 1996 , Az: 4<br />

B 95.2765<br />

GemO BY Art 21<br />

Zulassung zu einem <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

Orientierungssatz<br />

1. Rechtsfehlerfreie Auswahl zwischen mehreren Marktbeschickern unter Berücksichtigung<br />

der Attraktivität des Marktangebotes.<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend VG Regensburg 18. Juli 1995 RO 3 K 94.1560<br />

Langtext<br />

Tatbestand<br />

Mit Schreiben vom 4. Juli 1994 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin auf Zulassung<br />

zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 mit einem Stand zum Verkauf von Glühwein und Lebkuchen ab.<br />

Die Klägerin legte Widerspruch ein und erhob Klage zum Verwaltungsgericht mit dem Antrag,<br />

die Beklagte zu verpflichten, sie mit ihrem Verkaufsstand zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994<br />

zuzulassen. Zur Begründung führte sie aus, sie beschicke seit 15 Jahren den <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

, habe ihn mitaufgebaut und ein neues Niveau des Marktes geschaffen. Sie besitze den<br />

schönsten Stand und der nur von ihr angebotene Glühwein sei die Attraktion des Marktes. Sie<br />

habe zwei kleine Kinder und beziehe ihre Einnahmen aus einer Hüpfburg auf der Dult mit<br />

einem Jahresverdienst von ca. 18.000 DM sowie dem Verkauf auf dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> mit<br />

einem Verdienst von ca. 30.000 DM. Die ablehnende Entscheidung zerstöre ihre Existenz.<br />

Die sozialen Belange habe die Beklagte überhaupt nicht geprüft. An Stelle der Klägerin sei<br />

ein vermögender Betrieb, der nicht einmal aus stamme, zugelassen worden. Entgegen den<br />

Angaben der Beklagten seien nicht alle Standplätze vergeben worden. So sei der Platz, auf<br />

dem früher eine Waschanlage stand, nicht belegt worden. Ein weiterer Standplatz, der für eine<br />

das ganze Jahr über dort bestehende Wurstbude vorgesehen gewesen sei, sei nach deren kurzfristigem<br />

Ausscheiden von der Beklagten nur einem kleinen Kreis, nicht aber der Klägerin,<br />

angeboten worden. Schließlich sei der Platz unter dem eigentlichen Wert einer Stempelfirma<br />

überlassen worden, weil kein Interessent die von der Beklagten geforderten 9.000 DM Standgeld<br />

geboten habe.<br />

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Es habe für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> deutlich<br />

mehr Bewerber als Plätze gegeben. Bei der deshalb zu treffenden Auswahlentscheidung habe<br />

sie seit über zehn Jahren das Kriterium der Attraktivität des Marktes gewählt. Die Klägerin<br />

habe in den letzten Jahren ihr Geschäft ordentlich betrieben. Das Angebot sei aber unverän-<br />

13<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


dert geblieben. Man habe nunmehr zwei andere Beschicker bevorzugt, von denen der eine<br />

Lebkuchen direkt am Stand produziere und mit individuellen Aufschriften versehe. Gleichzeitig<br />

solle Baumkuchen auf einer rotierenden Scheibe angeboten werden, wobei der Kunde<br />

frischen Baumkuchen von einer Baumkuchenpyramide abgeschnitten erhalte. Der andere Bewerber<br />

biete anstelle des von der Klägerin angebotenen Glühweins eine Feuerzangenbowle<br />

an, die dank eines neuen technischen Verfahrens mit offener Flamme am Stand hergestellt<br />

werde. Mit dieser Entscheidung habe man die Attraktivität des Marktes steigern und neuen<br />

Bewerbern eine Chance geben wollen.<br />

Nachdem der <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 begonnen hatte, stellte die Klägerin ihre Klage um und<br />

beantragte, im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festzustellen, daß die Ablehnung<br />

der Zulassung ihres Standes zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 rechtswidrig war.<br />

Mit Gerichtsbescheid vom 18. Juli 1995 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die Klage<br />

sei unbegründet, weil die Ermessensentscheidung der Beklagten, die Klägerin zum<br />

<strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 nicht zuzulassen, nicht fehlerhaft gewesen sei. Da eine Auswahl unter<br />

den Bewerbern zu treffen gewesen sei, habe die Beklagte das Zulassungskriterium der<br />

Attraktivität des Marktes anwenden und unter diesem Gesichtspunkt die Ausgestaltung des<br />

Marktes bestimmen können. Es sei nicht willkürlich, wenn dabei die Klägerin mit ihren nicht<br />

weiter aktualisierten Angeboten abgelehnt und neue Beschicker mit bisher nicht vertretenen<br />

Angeboten zugelassen worden seien. Grundsätzlich müßten auch Neubewerber eine Chance<br />

auf Zulassung zum Markt erhalten. Die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin an der Teilnahme<br />

am <strong>Weihnachtsmarkt</strong> habe die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung, die insbesondere<br />

an der Attraktivität des Marktes orientiert gewesen sei, nicht ausschlaggebend berücksichtigen<br />

müssen.<br />

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Die Beklagte tritt<br />

der Berufung entgegen.<br />

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten<br />

Bezug genommen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die Berufung ist unbegründet.<br />

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Feststellungsklage zulässig. Insbesondere hat<br />

die Klägerin ein Feststellungsinteresse. Es ergibt sich aus der Wiederholungsgefahr. Die Klägerin<br />

war und ist auch in den Folgejahren an der Zulassung zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> interessiert.<br />

Für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1995 hat sie erneut eine Absage erhalten. Da die Hauptsache<br />

regelmäßig erledigt sein wird, bevor die Klägerin die Möglichkeit hat, eine obergerichtliche<br />

Klärung der Frage der Rechtmäßigkeit ihrer Ablehnung zu erhalten, hat sie ein berechtigtes<br />

Interesse an der nachträglichen Feststellung, ob die Ablehnung rechtswidrig war.<br />

Die Berufung hat aber keinen Erfolg, weil das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat,<br />

daß die Entscheidung der Beklagten, die Klägerin nicht zum <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 zuzulassen,<br />

nicht zu beanstanden ist.<br />

14<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Da der <strong>Weihnachtsmarkt</strong> nicht gemäß § 69 GewO förmlich festgesetzt ist, richtet sich die<br />

Zulassung der Klägerin nach Art. 21 GO. Sie steht unter dem Vorbehalt entsprechender Kapazitäten.<br />

Unstreitig haben der Beklagten für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 mehr Bewerbungen<br />

vorgelegen als Plätze zu vergeben waren. Dabei kann es dahinstehen, ob alle Bewerber aus<br />

dem Gemeindegebiet der Beklagten kamen. Aus den Akten ergibt sich, daß der <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

der Beklagten nie auf Beschicker aus dem Stadtgebiet beschränkt war. Dementsprechend<br />

hat die Klägerin als ortsansässige Bewerberin nicht grundsätzlich einen vorrangigen<br />

Anspruch gegenüber auswärtigen Bewerbern.<br />

Bei der durch die beschränkte Zahl der Plätze notwendigen Auswahl unter den Bewerbern<br />

steht der Beklagten grundsätzlich ein weites Ermessen zu. Dabei kann sie auch das Kriterium<br />

"bekannt und bewährt" anwenden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts<br />

darf dieses Kriterium aber nicht allein ausschlaggebend sein. Grundsätzlich muß die Auswahlentscheidung<br />

auch Neubewerbern oder Wiederholungsbewerbern, die nicht kontinuierlich<br />

auf dem Markt vertreten sind, eine Zulassungschance einräumen (vgl. BVerwG vom<br />

27.4.1984 NVwZ 1984, S. 585; BayVGH vom 11.9.1981 BayVBl 1982 S. 658/657). "Bekannt<br />

und bewährt" ist aber weder das allein zulässige Auswahlkriterium noch muß die Auswahl<br />

anhand dieses Grundsatzes getroffen werden. Es ist deshalb nicht ermessensfehlerhaft,<br />

wenn die Beklagte als für sie entscheidendes Kriterium die Attraktivität des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es<br />

ansieht und deshalb bemüht ist, Bewerber mit bisher nicht vertretenen Angeboten<br />

zum Markt zuzulassen. Welche Angebote dabei die Attraktivität des Marktes erhöhen sollen,<br />

liegt ebenfalls grundsätzlich im Auswahlermessen der Beklagten. Ihre Entscheidung, anstelle<br />

des von der Klägerin seit mehreren Jahren unveränderten Angebots erstmals einen Stand mit<br />

einer Backstube für Lebkuchen und einem besonderen Angebot für Baumkuchen und anstelle<br />

des Glühweins einen Stand mit Feuerzangenbowle zuzulassen, ist unter diesem Gesichtspunkt<br />

nicht zu beanstanden. Beide Angebote sind für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 unstreitig neu gewesen,<br />

so daß die Beklagte auch von einer höheren Attraktivität ausgehen konnte. Unberücksichtigt<br />

kann insoweit bleiben, ob - wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung<br />

behauptet hat - die Feuerzangenbowle tatsächlich ein umbenannter Glühwein gewesen und<br />

Baumkuchen nicht angeboten worden ist. Die Rechtmäßigkeit der Auswahl für die Zulassung<br />

kann sich nur nach den der Beklagten in der Bewerbung unterbreiteten Angeboten richten.<br />

Soweit die Beschicker tatsächlich nach der Zulassung im Betrieb ihres Standes von der Bewerbung<br />

abweichen, kann das die Auswahl der Beschicker nicht nachträglich rechtswidrig<br />

machen. Daß die Beklagte auch nicht gewillt war, derartige Abweichungen widerspruchslos<br />

hinzunehmen, ergibt sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben der Beklagten vom<br />

13. Dezember 1994 an alle Beschicker des Christkindlmarktes 1994, in dem die Beklagte bemängelte,<br />

daß die Angebotspalette vieler Stände über das zugelassene Sortiment hinausgehe<br />

und darauf hinweist, daß bei künftigen Bewerbungen die Stadt ein verstärktes Augenmerk<br />

auch auf die Einhaltung der Regel, daß nur die vertraglich zugesicherte Ware verkauft werde,<br />

haben werde.<br />

Die Beklagte mußte bei der Entscheidung über die Vergabe der Standplätze nicht berücksichtigen,<br />

daß die Klägerin nach ihren - von der Beklagten bestrittenen - Angaben zur Sicherung<br />

ihrer und ihrer Kinder Existenz auf den Verdienst aus der Tätigkeit beim <strong>Weihnachtsmarkt</strong><br />

angewiesen ist. Derartige soziale Gesichtspunkte können bei der Auswahl, die an der Attraktivität<br />

des Marktes orientiert ist, nicht ausschlaggebend berücksichtigt werden. Denn die Beklagte<br />

ist verpflichtet, die Ausübung ihres Ermessens an Gesichtspunkten zu orientieren, die<br />

mit dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> in sachlichem Zusammenhang stehen (vgl. BVerwG vom<br />

15<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


27.4.1984 GewArch 1984, S. 266/267). Dazu gehören die sozialen Belange der Bewerber<br />

grundsätzlich nicht.<br />

Die Ablehnung des Zulassungsbegehrens der Klägerin für den <strong>Weihnachtsmarkt</strong> 1994 ist auch<br />

nicht deshalb rechtswidrig, weil nach Angaben der Klägerin nicht alle Standplätze belegt<br />

wurden. Mit den Fotografien, die der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung<br />

vorgelegt hat - sie lagen in Fotokopie bereis im erstinstanzlichen Verfahren vor -, will er belegen,<br />

daß der Platz, an dem in früheren Jahren eine Waschanlage betrieben wurde, 1994 nicht<br />

belegt worden sei. Dem hat die Beklagte bereits im erstinstanzlichen Verfahren entgegengehalten,<br />

daß die Zahl der Standplätze durch eine weitere Budenreihe vergrößert worden sei.<br />

Aus Sicherheitsgründen und zur Berücksichtigung anderer Zwecke habe aber eine gewisse<br />

Auflockerung erfolgen müssen. Es liegt wiederum im Gestaltungsermessen der Beklagten zu<br />

bestimmen, an welchen Stellen sie Buden aufstellen lassen will. Allein die Tatsache, daß in<br />

früheren Jahren an einer Stelle eine Waschanlage stand und dieser Platz im Jahre 1994 nicht<br />

belegt war, bedeutet nicht, daß dort der Stand der Klägerin hätte aufgestellt werden müssen.<br />

Wenn die Beklagte in diesem Bereich keinen weiteren Verkaufsstand zulassen möchte - was<br />

im übrigen auch nach dem Vortrag der Klägerin früher nicht der Fall war -, so hat sie damit<br />

ihr Gestaltungsermessen nicht überschritten.<br />

Schließlich ergibt sich ein Zulassungsanspruch der Klägerin nicht daraus, daß nach einem von<br />

ihr vorgelegten Zeitungsbericht eine das ganze Jahr über auf dem Platz betriebene Wurstbude<br />

kurzfristig vor dem <strong>Weihnachtsmarkt</strong> aufgegeben wurde. Nach Angaben des Klägerbevollmächtigten<br />

wurde dieser Platz nur einem kleinen Kreis, nicht aber der Klägerin angeboten.<br />

Der Standplatz sei zum Verkauf von Glühwein und Würsten vorgesehen gewesen und für<br />

9.000 DM Standgebühr angeboten worden. Mangels entsprechender Bieter sei der Platz<br />

schließlich für ca. 1.000 DM an eine Firma zum Stempel-Verkauf vergeben worden.<br />

Es kann dahinstehen, ob die Behauptung, daß der Platz nach dem Konzept der Beklagten für<br />

Glühwein und Würste vorgesehen gewesen sei, zutrifft. Zunächst ist davon auszugehen, daß<br />

die Beklagte annahm, die ganzjährige Betreiberin des Wurststandes werde diesen - ohne<br />

Glühwein - auch während des <strong>Weihnachtsmarkt</strong>es betreiben. Einen Wurststand wollte die<br />

Klägerin jedenfalls nicht anbieten. Selbst wenn es aber dem ursprünglichen Konzept der Beklagten<br />

entsprochen hätte, an diesem Stand zumindest auch Glühwein anzubieten, mußte die<br />

Klägerin nicht in den nach Angaben des Klägerbevollmächtigten kleinen Kreis der Interessenten<br />

aufgenommen werden, dem die Stadt den kurzfristig freigewordenen Standplatz anbot.<br />

Denn die Beklagte war schon bei der ursprünglichen Auswahl der Beschicker bei Anwendung<br />

des Zulassungskriteriums der Attraktivität des Marktes zu dem Ergebnis gekommen, daß der<br />

seit mehreren Jahren unveränderte Stand der Klägerin nicht hinreichend attraktiv sei. Deshalb<br />

hatte sie ihn durch zwei andere Bewerber ersetzt. An das Kriterium der Attraktivität war die<br />

Stadt konsequenterweise dann aber auch bei der Neuvergabe des früheren Wurststandes gebunden.<br />

Das heißt, sie mußte den wegen mangelnder Attraktivität herausgefallenen Stand der<br />

Klägerin nicht an diesem anderen Standplatz berücksichtigen. Vielmehr konnte sie ihn unter<br />

Beibehaltung des Zulassungskonzeptes solchen Bewerbern anbieten, die etwas Neues und<br />

damit aus der Sicht der Beklagten Attraktives verkaufen wollten. Es ist deshalb nicht zu beanstanden,<br />

daß der kurzfristig freigewordene Standplatz der früheren Wurstbude letztlich von<br />

einer Stempel-Firma belegt wurde. Die Beklagte durfte der Ansicht sein, daß damit das Angebot<br />

des Marktes vielfältiger geworden ist.<br />

16<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige<br />

Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.<br />

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.<br />

17<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


§ 70b Anbringung von Namen und Firma<br />

Auf Veranstaltungen im Sinne der §§ 65 bis 68 finden die Vorschriften des § 15a über die<br />

Anbringung des Namens und der Firma entsprechende Anwendung.<br />

§ 71 Vergütung<br />

Der Veranstalter darf bei Volksfesten, Wochenmärkten und Jahrmärkten eine Vergütung nur<br />

für die Überlassung von Raum und Ständen und für die Inanspruchnahme von Versorgungseinrichtungen<br />

und Versorgungsleistungen einschließlich der Abfallbeseitigung fordern.<br />

Daneben kann der Veranstalter bei Volksfesten und Jahrmärkten eine Beteiligung an den<br />

Kosten für die Werbung verlangen. Landesrechtliche Bestimmungen über die Erhebung von<br />

Benutzungsgebühren durch Gemeinden und Gemeindeverbände bleiben unberührt.<br />

§ 71a Öffentliche Sicherheit oder Ordnung<br />

Den Ländern bleibt es vorbehalten, Vorschriften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit<br />

oder Ordnung auf Veranstaltungen im Sinne der §§ 64 bis 68 zu erlassen.<br />

§ 71b Anwendbarkeit von Vorschriften des stehenden Gewerbes für die Ausübung im<br />

Messe-, Ausstellungs- und Marktgewerbe<br />

(1) Für die Ausübung des Messe-, Ausstellungs- und Marktgewerbes gilt § 29 entsprechend.<br />

(2) Für die Ausübung des Bewachungsgewerbes, des Versteigerergewerbes und des Gewerbes<br />

der Makler, Bauträger und Baubetreuer gelten § 34a Abs. 1 Satz 4, § 34a Abs. 2 bis 4 , §<br />

34b Abs. 5 bis 8 und 10, § 34c Abs. 3 und 5 sowie die auf Grund des § 34a Abs. 2, des § 34b<br />

Abs. 8 und des § 34c Abs. 3 erlassenen Rechtsvorschriften entsprechend. Die zuständige Behörde<br />

kann für die Versteigerung leicht verderblicher Waren für ihren Bezirk Ausnahmen<br />

zulassen.<br />

Bayrische Gemeindeordnung<br />

- Auszug -<br />

Artikel 21<br />

Benutzung öffentlicher Einrichtungen; Tragung der Gemeindelasten<br />

(1) Alle Gemeindeangehörigen sind nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften<br />

berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Sie sind verpflichtet,<br />

die Gemeindelasten zu tragen.<br />

(2) Mehrere technisch selbständige Anlagen der Gemeinde, die demselben Zweck<br />

dienen, können eine Einrichtung oder einzelne rechtlich selbständige Einrichtungen<br />

bilden. Die Gemeinde entscheidet das durch Satzung; trifft sie keine Regelung, liegt<br />

nur eine Einrichtung vor.<br />

(3) Auswärts wohnende Personen haben für ihren Grundbesitz oder ihre gewerblichen<br />

Niederlassungen im Gemeindegebiet gegenüber der Gemeinde die gleichen Rechte<br />

und Pflichten wie ortsansässige Grundbesitzer und Gewerbetreibende.<br />

(4) Die Vorschriften in den Absätzen 1 und 3 finden auf juristische Personen und Personenvereinigungen<br />

entsprechende Anwendung.<br />

21<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


(5) Die Benutzung der öffentlichen, dem Gemeingebrauch dienenden Einrichtungen<br />

steht nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften jedermann zu.<br />

22<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


2.<br />

Übungsfälle<br />

und<br />

einschlägige Rechtsgrundlagen<br />

zur Problematik:<br />

Lärmimmissionen<br />

bei<br />

(Weihnachts-) Märkten<br />

23<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: MWRE109209600<br />

Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen 1. Senat , Urteil vom 14. November<br />

1995 , Az: 1 BA 13/95<br />

BImSchG § 3 Abs 1, BGB § 906 Abs 1, BGB § 907 ,BImSchV 18 ,BGB § 1006<br />

Unterlassungsanspruch gegen nächtliche Lärmstörung durch Jahrmarkt<br />

Leitsatz<br />

1. Die "Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche" (sog<br />

LAI-Hinweise) stellen eine Entscheidungshilfe bei der Beurteilung von Volksfestlärm dar.<br />

Weder der Gesichtspunkt der Sozialadäquanz des Volksfestlärms noch der Umstand seiner<br />

Ortsüblichkeit rechtfertigen eine vollständige Lösung von dem Bewertungsmuster, das diese<br />

Entscheidungshilfe vorgibt.<br />

Fundstellen<br />

GewArch 1996, 390-392 (Leitsatz und Gründe)<br />

NVwZ-RR 1997, 165-167 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

BImSchG-Rspr § 22 Nr 111 (Leitsatz und Gründe)<br />

Weitere Fundstellen<br />

ZUR 1996, 268 (Leitsatz)<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend VG Bremen 12. Oktober 1994 1 A 35/92<br />

Langtext<br />

Tatbestand<br />

Der Kläger wendet sich gegen nächtliche Lärmstörungen, die von auf dem A M in B durchgeführten<br />

Jahrmärkten ausgehen.<br />

Der A M, der eine Fläche von etwa 0,75 ha hat und im Bebauungsplan Nr. 987 vom<br />

03.09.1987 als "Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung" festgesetzt ist, grenzt südlich<br />

an die Z straße, westlich an die G- Straße - insoweit setzt der Bebauungsplan Nr. 987 für die<br />

gegenüberliegenden Grundstücke Mischgebiet fest -, nördlich an die Straße A M - insoweit<br />

setzt der genannte Bebauungsplan für die angrenzenden Grundstücke teils Mischgebiet, teils<br />

Allgemeines Wohngebiet fest - und östlich an die Straße P. Der Kläger ist seit 1960 Eigentümer<br />

des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Die an den P angrenzenden Grundstücke<br />

liegen außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. 987, auch sonst sind verbindliche<br />

bauleitplanerische Festsetzungen nicht vorhanden. Das Wohnhaus des Klägers ist<br />

24<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


wie die übrigen Häuser der Straße knapp hinter der Straßenlinie errichtet; die Entfernung zwischen<br />

dem Haus des Klägers und dem M beträgt ca. 12 m. Auf dem M werden regelmäßig vor<br />

Himmelfahrt der 6-tägige Frühjahrsmarkt und im Spätsommer der 6-tägige Herbstmarkt<br />

durchgeführt, und zwar von der Beklagten als Marktbetreiberin. Die Jahrmärkte sind freitags<br />

und samstags bis 24.00 Uhr und an den übrigen Tagen bis 23.00 Uhr geöffnet. Der Frühjahrsmarkt<br />

findet dort als "A M" seit den 30er Jahren statt. Der Herbstmarkt wird dort jedenfalls<br />

seit 1985 durchgeführt; nach Angaben der Beklagten wird die Fläche schon seit den 60er<br />

Jahren in das Marktgeschehen des "V Herbstmarktes" einbezogen.<br />

Abgesehen von den genannten Jahrmärkten wird der A M vor allem als Parkplatz genutzt, es<br />

finden dort aber auch gelegentlich Zirkusveranstaltungen, Missionsveranstaltungen etc. statt.<br />

Der Kläger beschwerte sich erstmals 1990 bei der Beklagten über Lärmbelästigungen, die<br />

durch die genannten Jahrmärkte ausgelöst würden. Er nahm dabei Bezug auf die soeben ergangene<br />

Entscheidung des BGH vom 23.03.1990 zur Wesentlichkeit von Volksfestlärm<br />

(NJW 90, 2465). In dieser Entscheidung hat der BGH den von den Umweltministern der Länder<br />

beschlossenen "Hinweisen zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche"<br />

(sog. LAI-Hinweise) den Charakter einer Entscheidungshilfe bei der Beurteilung von<br />

Volksfestlärm zuerkannt. Die Hinweise sehen für Freizeitanlagen, die nicht regelmäßig betrieben<br />

werden (Einwirkungen unter 5 % der Tage und Nächte eines Jahres), zum Schutz der<br />

Wohnfunktion für die Nachtstunden einen maximal zulässigen Beurteilungspegel von 55 dB<br />

(A) vor. Die nächtlichen Maximalpegel sollen in den Nachtstunden um nicht mehr als 10 dB<br />

(A) höher liegen, also 65 dB (A) nicht übersteigen. Hierbei handelt es sich um die Außenpegel<br />

jeweils 50 cm vor den Fenstern.<br />

Für den Frühjahrsmarkt 1991 ordnete die Behörde an, Wohn- und Packwagen als Schallschutz<br />

zum klägerischen Grundstück aufzustellen. Die Lärmbelästigungen wurden hierdurch aber<br />

nicht wesentlich vermindert.<br />

Am 03.06.1991 erhob der Kläger vor dem Landgericht Bremen Klage mit dem Ziel, die Beklagte<br />

für die Nachtstunden (22 Uhr bis 06.00 Uhr zur Einhaltung der in den LAI-<br />

Hinweisen genannten Lärmwerte zu verurteilen.<br />

Das Landgericht Bremen hat den Rechtsstreit mit Beschluß vom 30.08.1991 an das Verwaltungsgericht<br />

Bremen verwiesen.<br />

Aufgrund eines Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts führte der TÜV Nord während<br />

des Frühjahrsmarktes 1994 eine Lärmmessung durch, die hinsichtlich des Außenpegels für<br />

die Zeit ab 22.00 Uhr zu folgenden Ergebnissen führte:<br />

07.05.1994 (Samstag)<br />

Beurteilungspegel 75 dB (A),<br />

Maximalpegel 86 dB (A),<br />

09.05.1994 (Montag)<br />

Beurteilungspegel 73 dB (A),<br />

Maximalpegel 84 dB (A).<br />

25<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


In dem Sachverständigengutachten vom 14.06.1994 wird ausgeführt, daß die Lärmbeurteilung<br />

in Anlehnung an die LAI- Hinweise erfolgt sei. Die Beurteilungspegel seien durch Musikdarbietungen<br />

der Lautsprecher bestimmt worden, und zwar überwiegend von der Anlage<br />

"M-D". Wegen der Informationshaltigkeit des Lärms sei entsprechend den LAI- Hinweisen<br />

ein Zuschlag von 3 dB (A) vorgenommen worden, außerdem sei der Beurteilungspegel für die<br />

lauteste Stunde gebildet worden. Die nach den LAI-Hinweisen bei seltenen Störereignissen<br />

maximal zulässigen Beurteilungs- und Maximalpegel würden erheblich überschritten.<br />

Der Kläger hat durch dieses Gutachten seinen Standpunkt bestätigt gesehen. Er leide unter<br />

unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen. Zu dem eigentlichen Jahrmarktslärm kämen die<br />

durch den Auf- und Abbau verursachten Belästigungen, die teilweise bis in die frühen Morgenstunden<br />

andauerten. Er habe sein Haus bereits mit einer lärmdämmenden Klinkerverkleidung<br />

versehen lassen sowie Fenster mit Isolierverglasung eingebaut, was aber zu keiner ausreichenden<br />

Lärmminderung geführt habe.<br />

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, auf dem A M Veranstaltungen<br />

durchzuführen oder Dritten die Durchführung von Veranstaltungen dort zu<br />

gestatten, die gemessen 0,5 m vor dem geöffneten Fenster des Grundstücks zum A M hin im<br />

Zeitraum zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr einen Beurteilungspegel von 55 dB (A) und/oder<br />

einen Maximalpegel von 65 dB (A) überschreiten.<br />

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, daß der<br />

Kläger die Lärmbeeinträchtigungen dulden müsse. Bei den beiden Jahrmärkten handele es<br />

sich um traditionsreiche Veranstaltungen. Die Öffnungszeiten seien für Jahrmärkte üblich,<br />

dem Kläger würden nur für wenige Tage im Jahr derartige Lärmbeeinträchtigungen zugemutet.<br />

Das Verwaltungsgericht Bremen - 1. Kammer - hat die Beklagte mit Urteil vom 12.10.1994<br />

entsprechend dem Klagantrag zur Unterlassung verurteilt. Der Kläger könne von der Beklagten<br />

verlangen, daß sie die auf dem A M durchgeführten Jahrmärkte so betreibe, daß die in<br />

den LAI-Hinweisen genannten Lärmwerte eingehalten würden. Die dort genannten Lärmwerte<br />

seien von Sachverständigen unter Berücksichtigung umfassender Erkenntnisse gebildet<br />

worden. Sie sähen für selten auftretende Störereignisse eine deutlich heraufgesetzte Zumutbarkeitsgrenze<br />

vor, die im vorliegenden Fall um einiges überschritten werde. Das Verwaltungsgericht<br />

ging davon aus, daß der A M erst seit 1985 als Veranstaltungsort für die Jahrmärkte<br />

in Anspruch genommen werde, so daß von einer sog. gewachsenen Gemengelage, die<br />

dem Kläger besondere Duldungspflichten auferlege, keine Rede sein könne.<br />

Die Beklagte hat gegen das am 22.12.1994 zugestellte Urteil am 17.01.1995 Berufung eingelegt.<br />

Sie meint, daß dem Kläger kein Unterlassungsanspruch zustehe. Die beiden Märkte<br />

hätten eine lange Tradition. Der Frühjahrsmarkt werde seit den 30er Jahren dort durchgeführt,<br />

der Herbstmarkt ebenfalls seit 1965. Beide Märkte würden von der Bevölkerung, auch<br />

des niedersächsischen Umlands, sehr gut angenommen. Die Lärmimmissionen seien als sozialadäquat<br />

anzusehen. Die Möglichkeiten insbesondere jüngerer Leute, an einem attraktiven<br />

Volksfest teilzunehmen, dürften nicht weiter eingeschränkt werden. Die vom Verwaltungsgericht<br />

für erforderlich gehaltenen Lärmgrenzwerte bedrohten den Bestand der V Jahrmärkte,<br />

weil die Schausteller dann wegen Einnahmeverlusten kaum noch zu einer Mitwirkung bereit<br />

seien und in andere Städte abwanderten. Zwar sei das Ruhebedürfnis der Menschen ein be-<br />

26<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


deutender Belang, demgegenüber stehe aber das Bedürfnis der Bevölkerung nach geselliger<br />

Kommunikation. Handele es sich um lediglich kurzzeitige Beeinträchtigungen der Nachtruhe,<br />

müsse ein Anwohner entsprechende Nachteile dulden. Das gelte erst recht, wenn ein Anwohner,<br />

wie der Kläger, die Beeinträchtigungen über Jahrzehnte hingenommen habe.<br />

Die Beklagte hat beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Bremen - 1. Kammer - vom<br />

12.10.1994 aufzuheben und die Klage abzuweisen.<br />

Der Kläger hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.<br />

Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Keinesfalls habe er die Lärmbeeinträchtigungen<br />

über Jahre hinweg hingenommen und damit etwaige Rechte verwirkt. Der A M werde<br />

erst seit 1985 in der jetzigen Weise für Jahrmärkte genutzt. Überdies sei es im Laufe der Zeit<br />

durch den Einsatz immer leistungsstärkerer Lautsprecheranlagen zu erheblichen zusätzlichen<br />

Beeinträchtigungen gekommen. Ihm gehe es lediglich darum, daß die auch für Jahrmärkte<br />

geltenden immissionsrechtlichen Beschränkungen eingehalten würden. Diese ließen sich nicht<br />

unter Hinweis auf eine angebliche Sozialadäquanz des Volksfestlärms überspielen. Die Befürchtungen<br />

der Beklagten, die V Märkte würden dadurch in ihrem Bestand gefährdet, seien<br />

nicht nachvollziehbar.<br />

Der Kläger macht weiter geltend, daß beim Frühjahrsmarkt 1995 in unmittelbarer Nähe seines<br />

Hauses ein neues, mit pneumatischen Bremsen versehenes Fahrgeschäft aufgestellt worden<br />

sei, das Lärmimmissionen in einer bislang nicht bekannten Größenordnung verursacht habe.<br />

In seinem Haus sei ein Innenpegel von 85 dB (A) gemessen worden, vor dem Haus ein Außenpegel<br />

von 90 dB (A). Es seien Erschütterungen verursacht worden, die sogar zu Schäden<br />

am Haus geführt hätten (Rißbildungen). Hinsichtlich des Herbstmarktes 1995 seien überdies<br />

wiederum nächtliche Ruhestörungen durch den Auf- und Abbau zu verzeichnen gewesen (diverse<br />

LKW-Bewegungen).<br />

Die Beklagte hat hierzu entgegnet, daß beim Frühjahrsmarkt 1995 in der Tat ein neues attraktives<br />

Fahrgeschäft zugelassen worden sei, nämlich das Geschäft "T S". Die vom Kläger angegebenen<br />

Lärmwerte müßten aber als äußerst fragwürdig angesehen werden. Die Beklagte hat<br />

dazu eine Stellungnahme des Herstellers dieses Fahrgeschäfts vorgelegt, wonach nach einer<br />

betriebsinternen akustischen Vermessung auf dem Werksgelände in einem Abstand von 9,5 m<br />

und in 1 m Höhe ein Geräuschpegel von 66 dB (A) festgestellt worden sei. Die Schäden am<br />

Haus könnten unmöglich durch das Fahrgeschäft verursacht worden sein.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die Berufung der Beklagten ist überwiegend unbegründet.<br />

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Einhaltung bestimmter Immissionspegel<br />

verpflichtet, lediglich die Höhe dieser Pegel bedarf der Korrektur.<br />

Der Verwaltungsrechtsweg ist bereits aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts<br />

Bremen vom 30.08.1991 gegeben, der gem. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend ist. Abgesehen<br />

davon ist die Verweisung auch in der Sache nicht zu beanstanden. Denn es handelt sich<br />

vorliegend um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit i. S. von § 40 Abs. 1 VwGO. Der Kläger<br />

macht einen Immissionsabwehranspruch gegen von der Beklagten nach Maßgabe ihrer<br />

27<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Marktordnung vom 23.05.1972 (BremGBl. S. 129) öffentlich-rechtlich betriebene Marktveranstaltungen<br />

geltend.<br />

Zulässige Klageart ist die allgemeine Leistungsklage.<br />

Der Klageantrag ist zutreffend darauf gerichtet, Lärmbelästigungen oberhalb bestimmter<br />

Immissionspegel zu unterlassen. Insbesondere kann dem Kläger nicht zugemutet werden, die<br />

Einzelentscheidungen der Beklagten anzugreifen, mit denen die Marktbeschicker nach § 5 der<br />

genannten Marktordnung jeweils zum Markt zugelassen werden, auch wenn die Lärmbelästigungen<br />

allem Anschein nach regelmäßig vor allem von einzelnen Schaustellern ausgehen,<br />

nämlich den direkt vor dem Grundstück des Klägers aufgebauten Rundfahrgeschäften.<br />

Grundlage für das Unterlassungsbegehren des Klägers ist der nachbarliche Immissionsabwehranspruch<br />

des öffentlichen Rechts. Danach unterliegen auch öffentliche Einrichtungen<br />

den allgemeinen Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes, d. h. von ihnen dürfen<br />

keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer<br />

geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit<br />

oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Allerdings ist zu<br />

beachten, daß sich die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung nicht nach einem festen und<br />

einheitlichen Maßstab bestimmen läßt. Es kommt vielmehr auf eine situationsbezogene Abwägung<br />

und einen Ausgleich widerstreitender Interessen an (BVerwG, U. v. 19.01.1989 - 7<br />

C 77/87 -, NJW 89, 1291 (Tegelsbarg)).<br />

Für die Abwägung ist u.a. das Gewicht der öffentlichen Aufgabe von Bedeutung, deren Verwirklichung<br />

die betreffende öffentliche Einrichtung dient (BVerwG, U. v. 29.04.1988 - 7 C<br />

33/87 -, NJW 88, 2396 (Feuerwehrsirene)). Ferner kann die Erheblichkeit und damit Zumutbarkeit<br />

der Geräuschimmissionen von wertenden Elementen wie solchen der Herkömmlichkeit,<br />

der sozialen Adäquanz und einer allgemeinen Akzeptanz abhängen (BVerwG, U. v.<br />

07.10.1983 - 7 C 44/81 -, NJW 84, 989 (sakrales Glockengeläut)). Wann Lärmimmissionen<br />

die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen überschreiten, unterliegt deshalb weitgehend<br />

tatrichterlicher Wertung und ist eine Frage der Einzelbeurteilung (BVerwG, U. v. 30.04.1992<br />

- 7 C 25/91 -, NJW 92, 2779 (nichtsakrales Glockengeläut)). Für eine Einzelbeurteilung ist<br />

nur dann kein Raum mehr, wenn die Grenze der Zumutbarkeit von Lärm normativ festgelegt<br />

ist, wie dies etwa für den Sportlärm durch die 18. BImSchV vom 18.07.1991, die Sportanlagenlärmschutzverordnung,<br />

geschehen ist (BVerwG, B. v. 08.11.1994 - 7 B 73/94 -, NVwZ 95,<br />

993).<br />

In Bezug auf den Lärm, der von Jahrmärkten, Volksfesten etc. ausgeht, existiert eine normative<br />

Festlegung der Zumutbarkeitsgrenze nicht, so daß im vorliegenden Fall eine wertende<br />

Einzelbeurteilung vorzunehmen ist. Im Rahmen dieser Einzelbeurteilung bieten die von<br />

Sachverständigen erstellten technischen Regelwerke, die sich mit den Auswirkungen des<br />

Lärms auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden befassen, eine Entscheidungshilfe.<br />

Sie ersetzen nicht die tatrichterliche Einzelfallwürdigung, geben dieser Würdigung<br />

aber eine Orientierung. In Bezug auf den Lärm, der von Jahrmärkten, Volksfesten etc.<br />

ausgeht, sind in dieser Hinsicht vor allem die "Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen<br />

verursachten Geräusche" - LAI-Hinweise - (NVwZ 88, 135) heranzuziehen.<br />

Die LAI-Hinweise sind vom Länderausschuß für Immissionsschutz unter Berücksichtigung<br />

der Beratungsergebnisse der Vorsitzenden der Sportministerkonferenz und der Umweltministerkonferenz<br />

erstellt worden. Ihr Anwendungsbereich zielt generell auf den Freizeitlärm.<br />

28<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Erfaßt wird das Freizeitgewerbe (Volksfeste, Rummelplätze etc.), Sportstätten (Fußballplätze,<br />

Tennisplätze etc.), Stadien (Fußballstadien etc.) und der Motorsport (vgl. Anhang Ziff. 1 -<br />

4). Die LAI-Hinweise treffen für selten auftretende Störereignisse, d. h. für Lärmereignisse,<br />

die an nicht mehr als maximal 5 % der Tage oder Nächte eines Jahres auftreten, in Ziffer 4.2<br />

eine Sonderregelung, die die ansonsten geltenden Richtwerte, die in Ziffer 4.1 genannt werden,<br />

deutlich heraufsetzt. Als maximal zulässiger Beurteilungspegel vor dem Fenster wird<br />

danach bei seltenen Störereignissen angesehen:<br />

Während der Tageszeit (06.00 - 22.00 Uhr) 70 dB (A), während der lautesten Stunde in der<br />

Nachtzeit (22.00 - 06.00 Uhr) 55 dB (A).<br />

Auftretende Maximalpegel sollen die vorgenannten Werte tagsüber um nicht mehr als 20 dB<br />

(A) und nachts um nicht mehr als 10 dB (A) überschreiten. Um den Besonderheiten des Freizeitlärms<br />

gerecht zu werden, sehen die LAI-Hinweise ferner vor, daß der Beurteilungspegel<br />

unter Anwendung des Takt-Maximal- Verfahrens mit einer Taktzeit von 5 Sekunden zu ermitteln<br />

ist, was auffällige Pegelveränderungen besser berücksichtigt als der äquivalente Dauerschallpegel.<br />

Außerdem ist bei besonderer Tonhaltigkeit und Informationshaltigkeit der Geräusche<br />

eine Tonzuschlag von 3 oder 6 dB (A) zu machen (Ziff. 3.1/3.2).<br />

Die LAI-Hinweise stellen im vorliegenden Fall eine bedeutende Entscheidungshilfe dar.<br />

Das Regelwerk enthält differenzierte Vorgaben, die den Besonderheiten des Lärms, der von<br />

Freizeitanlagen und vom Freizeitgewerbe ausgeht, Rechnung tragen. Dafür, daß die Hinweise<br />

durch neuere Erkenntnisse überholt sein könnten, ist nichts ersichtlich. Lediglich für die<br />

Sportstätten ist inzwischen durch die Sportanlagenlärmschutzverordnung vom 18.07.1991<br />

eine eigene normative Regelung getroffen worden.<br />

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 23.03.1990 (NJW 90, 2466), das ebenfalls<br />

ein Volksfest betraf, die LAI-Hinweise als ein von Sachverständigen ausgearbeitetes Regelwerk<br />

bezeichnet, dem sogar der Charakter eines sog. antizipierten Sachverständigengutachtens<br />

beigemessen werden könne. Eine Überschreitung der einschlägigen Richtwerte sei<br />

deshalb grundsätzlich als eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. von § 906 Abs. 1 BGB<br />

anzusehen.<br />

Das Bundesverwaltungsgericht hat die LAI-Hinweise ebenfalls als Anhalt bewertend herangezogen,<br />

hat allerdings in Bezug auf den Sportlärm zugleich auf eine etwaige Sozialadäquanz<br />

und Akzeptanz des Sports hingewiesen (U. v. 24.04.1991 - 7 C 12/90 -, NVwZ 91,<br />

885).<br />

Als Entscheidungshilfe sind die LAI-Hinweise ferner vom OVG Lüneburg zur Beurteilung<br />

der von einem Open-air- Konzert ausgehenden Geräuscheinwirkungen herangezogen worden<br />

(U. v. 15.09.1994 - 7 L 5328/92 -, abgedruckt bei: Feldhaus, BImSchG, Entscheidungen, § 22<br />

BImSchG Nr. 31).<br />

Vorliegend wird der maximal zulässige Beurteilungspegel von 55 dB (A), der in den LAI-<br />

Hinweisen bei seltenen Störereignissen für die lauteste Stunde der Nachtzeit festgelegt ist,<br />

deutlich überschritten. Nach dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten des TÜV<br />

Nord betrug der tatsächliche Beurteilungspegel am 07.05.1994 75 dB (A) und am 09.05.1994<br />

73 dB (A). Der Lärmpegel ist insoweit methodisch korrekt nach dem Takt-Maximal-<br />

Verfahren bestimmt worden. Für die Informationsgehaltigkeit der Geräusche wurde darüber<br />

hinaus ein Zuschlag von 3 dB (A) vorgenommen. Der für den nächtlichen Maximalpegel angegebene<br />

Richtwert von 65 dB (A) ist mit 86 dB (A) am 07.05.1994 und mit 84 dB (A) am<br />

09.05.1994 ebenfalls an beiden Tagen deutlich überschritten worden. Einwände gegen die<br />

29<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Lärmermittlung sind von der Beklagten nicht erhoben worden und sind auch sonst nicht ersichtlich.<br />

Eine derartige Überschreitung des nach den LAI-Hinweisen maximal zulässigen Beurteilungspegels<br />

sowie des dort genannten Maximalpegels braucht der Kläger nicht hinzunehmen.<br />

Die von der Beklagten ins Feld geführten Gesichtspunkte rechtfertigen es nicht, sich von<br />

dem Bewertungsmuster der LAI-Hinweise vollständig zu lösen. Darauf läuft der Standpunkt<br />

der Beklagten aber im Ergebnis hinaus. Das betrifft insbesondere den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz.<br />

Zwar können einem Lärmbetroffenen unter Umständen besondere Duldungspflichten<br />

erwachsen, wenn bestimmte Lärmereignisse sich im Rahmen des sozial Üblichen<br />

und allgemein Akzeptierten bewegen. Das gilt auch für Lärmstörungen, die von gelegentlich<br />

veranstalteten Volksfesten und Jahrmärkten ausgehen. Dem tragen die LAI-Hinweise aber<br />

bereits selbst dadurch Rechnung, daß sie in Ziffer 4.2 eine Sonderregelung für selten auftretende<br />

Störereignisse treffen, die die Zumutbarkeitsgrenze deutlich anhebt, und zwar sowohl<br />

für die Tages- als auch für die Nachtstunden. Die Lärmwerte liegen insoweit um einiges über<br />

den Werten, die ansonsten in Ziffer 4.1 für Freizeitanlagen und das Freizeitgewerbe genannt<br />

sind. Die Gesamtbelastung, die einem Anwohner auf diese Weise über den Tag hinweg zugemutet<br />

wird, ist erheblich. Deshalb wäre es nicht sachgerecht, die dort genannte Lärmobergrenze<br />

unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Sozialadäquanz von Volks- und<br />

Jahrmarktslärm generell zu überspielen.<br />

Auch unter dem Gesichtspunkt der historisch gewachsenen Gemengelage ist eine vollständige<br />

Lösung von dem Bewertungsmuster der LAI-Hinweise nicht gerechtfertigt. Zwar ist der<br />

Beklagten zuzugestehen, daß dieser Gesichtspunkt im vorliegenden Fall durchaus Gewicht<br />

hat. Auf dem A M sind ersichtlich schon in den 30er Jahren Jahrmärkte veranstaltet worden.<br />

Die Beklagte hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht ein<br />

Fotodokument vorgelegt, das diesen Sachverhalt belegt. Die Annahme des Verwaltungsgerichts,<br />

der Platz werde überhaupt erst seit 1985 für Jahrmärkte genutzt, läßt sich deshalb nicht<br />

aufrechterhalten; der Kläger selbst hatte im übrigen im erstinstanzlichen Verfahren eine schon<br />

länger andauernde Nutzung durch Märkte eingeräumt. Eine andere Frage ist allerdings, ab<br />

welchem Zeitpunkt neben dem Frühjahrsmarkt auch der Herbstmarkt auf dem A M durchgeführt<br />

wird. Der Kläger behauptet, dies geschehe erst sei 1985, die Beklagte gibt das Jahr 1965<br />

an. Das kann hier aber letztlich dahinstehen. Denn in jedem Fall steht fest, daß der M schon<br />

seit Jahrzehnten für Jahrmärkte genutzt wird, was das Argument der Beklagten, es handele<br />

sich um eine historisch gewachsene Gemengelage, als im Ansatz zutreffend erscheinen läßt.<br />

Hieraus folgt jedoch nicht, daß der Kläger ohne Einschränkung den von den Jahrmärkten<br />

auf ihn einwirkenden Lärm erdulden müßte. Eine Gemengelage erlegt beiden Seiten eine<br />

Pflicht zur Rücksichtnahme auf. Es kann nicht angehen, daß die eine Seite, hier die Marktbetreiberin,<br />

die - lärmintensiven - Möglichkeiten moderner Karussell- und Beschallungstechnik<br />

vollständig ausnutzt und der anderen Seite, den Anwohnern, allein die Möglichkeit des<br />

passiven Erduldens bleibt. Soweit die Beklagte sich in diesem Zusammenhang auf die Tradition<br />

der Märkte beruft, ist darauf hinzuweisen, daß diese im Laufe der Jahrzehnte ihr Erscheinungsbild<br />

einschneidend verändert haben. Moderne Karussell- und Beschallungstechnik ermöglichen<br />

in zuvor nicht bekannter Weise die Erzeugung von Lärm, wobei der Lärmeffekt<br />

gerade auch gezielt eingesetzt wird. Das Gutachten des TÜV Nord, dem zu entnehmen ist,<br />

daß der Beurteilungspegel an beiden Meßtagen durch Musikdarbietungen über Lautsprecher<br />

(überwiegend von der Anlage "M-D") bestimmt wurde, belegt das. Maximalpegel von 80 bis<br />

90 dB (A), die auf diese Weise erreicht worden sind, liegen im Bereich von Arbeitslärm in<br />

30<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


einer Fabrikhalle (vgl. Ullrich, Lärmschutz - Eine technische Einführung, DVBl. 85, 1159<br />

(1160)). Gerade dieser Lärmzuwachs bestimmt im vorliegenden Fall den Nutzungskonflikt.<br />

Der Kläger kann aus diesem Grund verlangen, daß die vorhandenen Lärmimmissionen<br />

spürbar vermindert werden. Der maximale Beurteilungspegel für die Nachtstunden (22.00<br />

bis 06.00 Uhr) vor den Fenstern (im Freien) darf zukünftig 60 dB (A) und der Maximalpegel<br />

70 dB (A) nicht überschreiten. Das Oberverwaltungsgericht orientiert sich bei diesen Lärmwerten<br />

an dem Bewertungsmuster, das die LAI-Hinweise für selten auftretende Störereignisse<br />

vorgeben, hält andererseits aber bei einer wertenden Gesamtbetrachtung einen Aufschlag von<br />

jeweils 5 dB (A) für geboten. Dieser Aufschlag trägt einmal den historisch entstandenen örtlichen<br />

Verhältnissen Rechnung, er berücksichtigt darüber hinaus, daß die Beklagte durch die<br />

Begrenzung der Öffnungszeiten des Marktes (freitags und sonntags bis 24.00 Uhr, an den<br />

übrigen Tagen bis 23.00 Uhr) selbst schon einen bedeutenden Beitrag zum Schutz der Anwohner<br />

geleistet hat, der die genannte Anhebung der Zumutbarkeitsgrenze rechtfertigt. Das<br />

Urteil des Verwaltungsgerichts ist entsprechend abzuändern.<br />

Beurteilungs- und Maximalpegel können sich dabei jeweils nur auf die Geräusche aus Lautsprechern<br />

sowie die technischen Geräusche der Fahrgeschäfte beziehen, die zusammen den<br />

genannten Pegel nicht überschreiten dürfen. Diese Geräusche sind technisch beherrschbar und<br />

rechtlich steuerbar, während der verhaltensbedingte Lärm der Jahrmarktsbesucher sich entsprechenden<br />

Regelungen entzieht. Auch insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern.<br />

Die Lärmermittlung hat dabei in Anlehnung an das in den LAI-Hinweisen vorgegebene<br />

Verfahren zu erfolgen.<br />

Entgegen der Befürchtung der Beklagten kann nicht angenommen werden, daß diese<br />

Lärmbeschränkungen die Funktionsfähigkeit der Märkte ernstlich beeinträchtigen werden.<br />

Die Beklagte hat hierzu sehr pauschal vorgetragen. Ihre Einlassung, durch die Lärmbeschränkungen<br />

verlören die Märkte im Wettbewerb mit anderen regionalen Marktstandorten entscheidend<br />

an Attraktivität, hat sie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht<br />

nicht durch konkrete Anhaltspunkte zu substantiieren vermocht. Schon der insgesamt<br />

eher begrenzte zeitliche Umfang der Beschränkungen steht einer solchen Annahme<br />

entgegen.<br />

31<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: KORE302359001<br />

BGH 5. Zivilsenat , Urteil vom 23. März 1990 , Az: V ZR 58/89<br />

BGB § 906 Abs 1, BGB § 906 Abs 2 S 1, BGB § 1004 ,BImSchG § 3 Abs 1, BImSchG § 22<br />

Abs 1<br />

Nachbarrecht: Kriterien der wesentlichen Beeinträchtigung durch Volksfestlärm; Duldungspflicht<br />

Leitsatz<br />

1. Wesentliche Geräuschimmissionen im Sinne von BGB § 906 Abs 1 sind identisch mit den<br />

erheblichen Geräuschbelästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne<br />

von BImSchG § 3 Abs 1, § 22 Abs 1.<br />

2. Die "Hinweise zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräusche" (sog<br />

LAI-Hinweise vgl NVwZ 1988, 135) können den Gerichten als Entscheidungshilfe bei der<br />

Beurteilung von Volksfestlärm dienen.<br />

3. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit von Volksfestlärm können gesetzliche Wertungen<br />

(hier: LärmschutzVO in Rheinland-Pfalz = juris: LärmV RP) nicht unberücksichtigt bleiben.<br />

4. Hat der Tatrichter auf der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts (Zahl der Feste, Öffnungszeit,<br />

entwickelte Lautstärke) eine wesentliche Lärmbeeinträchtigung festgestellt, dann<br />

ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, durch Beschränkung in der Zahl der Feste mit bestimmten<br />

Öffnungszeiten oder sonstigen Auflagen das zulässige Maß der Lärmimmission<br />

festzulegen.<br />

5. Zur Frage der Ortsüblichkeit von Volksfestlärm.<br />

6. Der Nachbar von Volksfesten hat grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen<br />

Gemeinschaftsverhältnisses keine über BGB § 906 Abs 1 hinausgehenden Duldungspflichten.<br />

Orientierungssatz<br />

1. Zitierungen zu Leitsatz 1: vergleiche BVerwG, 29. April 1988, 7 C 33/87 , NJW 1988,<br />

2396, 2397 und BVerwG, 19. Januar 1989, 7 C 77/87 , NJW 1989, 1291.<br />

Fundstellen<br />

BGHZ 111, 63-75 (Leitsatz und Gründe)<br />

WuM 1990, 252-255 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

WM 1990, 1074-1077 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

ZMR 1990, 262-266 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

DWW 1990, 167-170 (Leitsatz und Gründe)<br />

UPR 1990, 261-264 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

DVBl 1990, 771-774 (Leitsatz und Gründe)<br />

MDR 1990, 706-707 (Leitsatz und Gründe)<br />

32<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


BWVPr 1990, 183-184 (Leitsatz und Gründe)<br />

DÖV 1990, 698-700 (Leitsatz und Gründe)<br />

NJW 1990, 2465-2468 (Leitsatz und Gründe)<br />

DÖV 1990, 887-889 (Leitsatz und Gründe)<br />

BGHR BGB § 906 Gemeinschaftsverhältnis, nachbarliches 1 (Leitsatz und Gründe)<br />

BGHR BGB § 906 Abs 1 Immissionsbeschränkung 1 (Leitsatz und Gründe)<br />

BGHR BGB § 906 Abs 1 Schutzmaßnahmen 1 (Gründe)<br />

BGHR BGB § 906 Abs 1 Wesentlichkeit 1 (Leitsatz und Gründe)<br />

BGHR BGB § 906 Abs 2 S 1 Ortsüblichkeit 1 (Leitsatz und Gründe)<br />

JZ 1991, 91-94 (red. Leitsatz und Gründe)<br />

LM Nr 83 zu § 906 BGB (Leitsatz und Gründe)<br />

BImSchG-Rspr § 3 Nr 91 (Leitsatz und Gründe)<br />

JR 1991, 146-149 (Leitsatz und Gründe)<br />

BGH-DAT Zivil<br />

HdL 58, 182 (Leitsatz und Gründe)<br />

Weitere Fundstellen<br />

ZAP EN-Nr 448/90 (red. Leitsatz)<br />

ZfSch 1990, 259 (red. Leitsatz)<br />

NJW-RR 1990, 1231 (Leitsatz)<br />

NVwZ 1990, 1104 (Leitsatz)<br />

RdL 1991, 259-261 (Kurzwiedergabe)<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend OLG Koblenz 25. Januar 1989 7 U 1686/87<br />

vorgehend LG Koblenz 14. Oktober 1987 15 O 170/87<br />

Diese Entscheidung zitiert<br />

BVerwG 29. April 1988 7 C 33/87 Vergleiche<br />

BVerwG 19. Januar 1989 7 C 77/87 Vergleiche<br />

Diese Entscheidung wird zitiert von<br />

BGH 5. Februar 1993 V ZR 62/91 Vergleiche<br />

DWW 1990, 170-171, Pfeifer, Frank-Georg (Anmerkung)<br />

JZ 1991, 94-95, Gerlach, Johann W (Anmerkung)<br />

JR 1991, 149-150, Roth, H (Anmerkung)<br />

NJW 1991, 3247-3251, Wagner, Gerhard<br />

NJW 1994, 302-304, Dury, Walter (Entscheidungsbesprechung)<br />

jurisPR-BGHZivilR 27/2004, Nassall, Wendt (Anmerkung)<br />

jurisPK-BGB / Vieweg, 2. Aufl. 2004, § 906<br />

33<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Langtext<br />

Tatbestand<br />

Der Kläger ist Eigentümer eines Hausgrundstücks in W. (Parzelle 373/2), das er mit seiner<br />

Familie bewohnt. Ein Teil des Hauses ist vermietet. Im Norden grenzt sein Grundstück an ein<br />

größeres Gelände (Parzelle 379/2), das im Eigentum der Katholischen Kirchengemeinde steht.<br />

Von diesem Gelände, auf dem sich auch die Kirche befindet, hat die Beklagte einen Teil gepachtet<br />

und zu einem Parkplatz ausgebaut. Das Pachtland wird mehrmals im Jahr als Kirmesund<br />

Festplatz benutzt, wobei das Festzelt 10 bis 20 m vor dem Wohnhaus des Klägers steht.<br />

Eine vom Kläger veranlaßte Messung der von dem Festzelt ausgehenden Geräusche während<br />

der Kirmes am 7. Juni 1987 zwischen 21.10 Uhr und 23.20 Uhr durch das Institut für Energietechnik<br />

und Umweltschutz des Technischen Überwachungsvereins Rheinland ergab vor<br />

dem Schlafzimmerfenster an der dem Festzelt zugewandten Seite des Hauses einen Mittelungspegel<br />

von 76,7 dB(A) und einen Spitzenpegel von 82,7 dB(A).<br />

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu<br />

verurteilen, es zu unterlassen, auf der Parzelle 379/2 Veranstaltungen durchzuführen oder<br />

Dritten die Durchführung von Veranstaltungen dort zu gestatten, die - gemessen 0,50 m vor<br />

dem geöffneten Fenster zur Parzelle 379/2 hin - im Zeitraum zwischen 22.00 Uhr und 6.00<br />

Uhr einen Beurteilungspegel von 55 dB(A) und/oder einen Maximal-Spitzenpegel von 65<br />

dB(A) überschreiten.<br />

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.<br />

Die Berufung der Beklagten hatte lediglich insoweit Erfolg, als das Unterlassungsgebot nur<br />

für Veranstaltungen auf dem Parkplatz und für den Zeitraum von 22 Uhr bis 2 Uhr ausgesprochen<br />

wurde.<br />

Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter;<br />

der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die Revision ist unbegründet. Rechtsfehlerfrei bejaht das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch<br />

des Klägers im ausgesprochenen Umfang (§§ 1004, 906 BGB).<br />

1. Das Berufungsgericht meint, die vom Festzelt ausgehenden Geräusche beeinträchtigten den<br />

Kläger in der Benutzung seines Grundstücks nicht nur unwesentlich.<br />

a) Zutreffend stellt es in diesem Zusammenhang auf das Empfinden eines durchschnittlichen<br />

34<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Menschen ab, wobei Natur und Zweckbestimmung des von der Beeinträchtigung betroffenen<br />

Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit eine entscheidende Rolle spielen (sog. differenziert-objektiver<br />

Maßstab vgl. z. B. Senatsurteile v. 30. Oktober 1981, V ZR 191/80, NJW<br />

1982, 440, 441 und v. 11. November 1983, V ZR 231/82, NJW 1984, 1242f je m.w.N.). Wesentliche<br />

Geräuschimmissionen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB sind identisch mit den erheblichen<br />

Geräuschbelästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von<br />

§ 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG. Es besteht kein Anlaß, die grundlegenden Maßstäbe, mit<br />

denen das private und das öffentliche Immissionsschutzrecht die Grenze für eine Duldungspflicht<br />

bestimmen, nämlich einerseits Wesentlichkeit und andererseits Erheblichkeit, unterschiedlich<br />

auszulegen (BVerwG NJW 1988, 2396, 2397 und NJW 1989, 1291; Erman/Hagen,<br />

BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 15).<br />

Ob Geräuschimmissionen die Benutzung eines Nachbargrundstücks nicht oder nur unwesentlich<br />

beeinträchtigen, ist zunächst eine Tatfrage (Senatsurt. v. 6. Juni 1969, V ZR 53/66, WM<br />

1969, 1042, 1044; BGB-RGRK/Augustin 12. Aufl. § 906 Rdn. 36). Revisionsrechtlich nachprüfbar<br />

ist, ob das Berufungsgericht die nötigen Tatsachenfeststellungen verfahrensfehlerfrei<br />

getroffen und bei ihrer Würdigung die zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkte zugrunde gelegt<br />

hat. Dieser Nachprüfung hält das Berufungsurteil stand.<br />

b) Das Berufungsgericht orientiert sich zunächst an den Richtwerten der Technischen Anleitung<br />

zum Schutz gegen Lärm vom 16. Juli 1968 und kommt so zu Grenzwerten von tagsüber<br />

55 dB(A) und nachts 40 dB(A), weil es feststellt, es handle sich im vorliegenden Fall um ein<br />

Gebiet, in dem vorwiegend Wohnungen "untergebracht" sind (TA-Lärm Nr. 2321 lit d). Das<br />

Berufungsgericht hat diese Richtwerte nicht schematisch angewendet, sondern trägt dem Charakter<br />

dieser Richtlinie als Rahmen Rechnung. Es hält sich damit an die Rechtsprechung des<br />

Senats (vgl. z. B. BGHZ 46, 35 , 38; Senatsurteile v. 17. November 1967, V ZR 143/66, WM<br />

1968, 123, 124; v. 6. Juni 1969, V ZR 53/66, WM 1969, 1042, 1044; v. 20. November 1970,<br />

V ZR 51/68, WM 1971, 134, 135).<br />

Freilich betreffen diese Richtwerte unmittelbar nur die Geräuschimmissionen von gewerblichen<br />

und industriellen Anlagen und sind nicht ohne weiteres aussagekräftig zur Beurteilung<br />

der von Freizeitanlagen verursachten Geräusche. Ohne Rechtsverstoß hält sich das Berufungsgericht<br />

aber insoweit an die Ausführungen des vorgelegten Lärmgutachtens, das die<br />

Geräusche nach den "Hinweisen zur Ermittlung und Beurteilung des durch Freizeitaktivitäten<br />

verursachten Lärms" (herausgegeben vom Minister für Soziales, Gesundheit und Umwelt<br />

Rheinland-Pfalz) vom 24. Januar 1983 beurteilt. Dort wird unterschieden zwischen Freizeitanlagen<br />

mit regelmäßigem Betrieb (Einwirkungen mehr als 5% der Tage und Nächte eines<br />

Jahres) und einem nicht regelmäßigem Betrieb (unter 5% der Tage und Nächte eines Jahres).<br />

Bei letzteren - und damit seltenen Ereignissen - wird den Bewohnern betroffener Grundstücke<br />

eine deutlich höhere Belastung zugemutet. Um den der Emissionsquelle am nächsten gelegenen<br />

Wohnungen aber die Wohnfunktion (Einschlafen zur Nachtzeit, Kommunikation) bei<br />

geschlossenen (!) Fenstern zu gewährleisten, werden als maximal zulässige Beurteilungspegel<br />

vor dem Fenster (im Freien) während der Nachtzeit 55 dB(A) angesehen, wobei auftretende<br />

Maximalpegel nachts um nicht mehr als 10 dB(A) höher liegen sollen. Von insoweit völlig<br />

gleichen Grundsätzen und Grenzwerten gehen die "Hinweise zur Beurteilung der durch Frei-<br />

35<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


zeitanlagen verursachten Geräusche" aus, die vom Länderausschuß für Immissionsschutz unter<br />

Berücksichtigung der Beratungsergebnisse der Vorsitzenden der Sportministerkonferenz<br />

und der Umweltministerkonferenz erstellt worden sind (sog. LAI-Hinweise NVwZ 1988, 135<br />

= Ule/Laubinger BImSchG, Rechtsvorschriften der Länder SchlH 13; vgl. auch BVerwG<br />

NJW 1989, 1292). Sie wurden in Rheinland-Pfalz durch Rundschreiben des Ministers für<br />

Umwelt und Gesundheit vom 26. April 1988 bekannt gemacht mit der Empfehlung, sie bei<br />

Ermittlung und Beurteilung der von Freizeitanlagen ausgehenden Geräusche heranzuziehen<br />

(vgl. Ule/Laubinger aaO RhPf 26). Diese von Sachverständigen ausgearbeiteten und von allen<br />

Ländern mitgetragenen Hinweise können auch den Gerichten als Entscheidungshilfe dienen.<br />

Sie stellen - ähnlich wie die TA-Lärm - ein sogenanntes antizipiertes Sachverständigengutachten<br />

dar (vgl. auch BVerwG GewArch 78, 232; Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 1). Es<br />

ist deshalb nicht zu beanstanden, eine Überschreitung der einschlägigen Richtwerte grundsätzlich<br />

als wesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB anzusehen, zumal hier die gemessenen<br />

Mittelungspegel um über 20 dB(A) und der Spitzenpegel um nahezu 20 dB(A) über dem<br />

jeweiligen Grenzwert liegen. Es geht im vorliegenden Fall allein um die Lärmbeeinträchtigung<br />

ab 22.00 Uhr und damit um die Nachtzeit, für die ein besonderes Ruhebedürfnis besteht.<br />

Demgemäß dürfen - worauf das Berufungsgericht ebenfalls abhebt - nach § 5 Abs. 1 der Landesverordnung<br />

zur Bekämpfung des Lärms in Rheinland-Pfalz (LärmSchutzVO) Tonwiedergabegeräte<br />

und Musikinstrumente von 20.00 Uhr bis 7.00 Uhr nur benutzt werden, wenn sichergestellt<br />

ist, daß unbeteiligte Personen nicht gestört werden. Die Beklagte hat weder behauptet<br />

noch unter Beweis gestellt, daß insoweit Ausnahmegenehmigungen (§ 5 Abs. 5<br />

LärmSchutzVO) erteilt wurden. Die Beurteilung der Erheblichkeit oder Wesentlichkeit von<br />

Lärm setzt eine "Güterabwägung" im Rahmen der konkreten Gegebenheiten voraus. Dabei<br />

können gesetzliche Wertungen (hier: LärmSchutzVO) nicht unberücksichtigt bleiben (vgl.<br />

BVerwG NJW 1988, 2396, 2397).<br />

Ergänzend sei in diesem Zusammenhang auch noch auf folgendes hingewiesen: Würden die<br />

Volksfeste (vgl. § 60b Abs. 1 GewO) auf Antrag des Veranstalters nach Gegenstand, Zeit,<br />

Öffnungszeit und Platz für jeden Fall der Durchführung öffentlich-rechtlich festgesetzt (§ 60b<br />

Abs. 2 i.V.m. § 69 Abs. 1 GewO), so wäre die Festsetzung abzulehnen, wenn die Durchführung<br />

der Veranstaltung dem öffentlichen Interesse widerspricht, insbesondere erhebliche Störungen<br />

der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu befürchten sind (§ 69a Abs. 1 Nr. 3 GewO).<br />

Der Veranstalter müßte insbesondere eine Prüfung nach landesrechtlichem Sperrzeitrecht<br />

(vgl. GaststättensperrzeitVO von Rheinland-Pfalz) und Immissionsschutzrecht (vgl.<br />

etwa LärmSchutzVO RhPf) hinnehmen und eine Ablehnung des Antrags gewärtigen, falls die<br />

Öffnungszeiten mit den entsprechenden Bestimmungen nicht vereinbar sind (BVerwG NVwZ<br />

1987, 494; vgl. auch Friauf/Wagner, GewO § 69 a Rdn. 12-19). Es ist nicht vorstellbar, daß<br />

bei der Lage des Festzelts Öffnungszeiten mit Tanzmusik der hier gemessenen dB(A)-Werte<br />

bis 2.00 Uhr nachts festgesetzt werden könnten, wie dies die Beklagte auf privatrechtlicher<br />

Ebene für sich in Anspruch nehmen will. Der Kläger könnte sich auch gegen eine Festsetzung<br />

wehren, die § 69a Abs. 1 Nr. 3 GewO widerspricht (vgl. BVerwG aaO S. 495). Im Interesse<br />

einer Vereinheitlichung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Beurteilungsmaßstäbe (vgl.<br />

Erman/Hagen, BGB 8. Aufl. § 906 Rdn. 15) erscheint es geboten, die Beklagte in bezug auf<br />

die Zulässigkeit von Lärmemissionen privatrechtlich nicht günstiger zu stellen als sie öffentlich-rechtlich<br />

stehen würde.<br />

36<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


c) Das Berufungsgericht hat sich nicht mit Überlegungen zur Überschreitung der oben angeführten<br />

Richtwerte begnügt, sondern ausgeführt, daß erfahrungsgemäß bei Volksfesten und<br />

ähnlichen Veranstaltungen Musik fast ausschließlich mit Hilfe elektrischer Lautverstärker<br />

dargeboten werde, die auch ein durchschnittlich empfindlicher Mensch als sehr laut empfinde.<br />

Es hebt auch darauf ab, daß musikalische Darbietungen bedingt durch ihre Frequenz von besonderer<br />

Eindringlichkeit seien und die Unregelmäßigkeit der Musikgeräusche besondere<br />

Aufmerksamkeit errege, wobei insbesondere das in keiner Tanzkapelle fehlende Schlagzeug<br />

wegen seines Impulscharakters sich als störend erweise. Das Berufungsgericht durfte die eigenen<br />

Erfahrungen mit den üblicherweise von einem Festzelt ausgehenden Musikgeräuschen<br />

seiner Beurteilung zugrunde legen (vgl. Senatsurt. v. 16. Oktober 1970, V ZR 10/68, WM<br />

1970, 1460, 1461). Es hätte zusätzlich darauf abstellen können, daß auch die genannten LAI-<br />

Hinweise den besonderen Informationsgehalt von Lautsprechern und Musikdarstellungen<br />

hervorheben und deshalb einen Zuschlag von 3 oder sogar 6 dB(A) auf den Mittelungspegel<br />

empfehlen (Ziff. 3.2).<br />

Zu Unrecht macht die Revision geltend, der Kläger habe die Art der beanstandeten Musikdarbietungen<br />

und die dabei verwendeten technischen Hilfsmittel nicht näher konkretisiert. Das<br />

war nicht seine Aufgabe, vielmehr war die Beklagte als Störerin dafür darlegungs- und beweispflichtig,<br />

daß die vom Festzelt ausgehenden Geräusche die Benutzung des Nachbargrundstücks<br />

nur unwesentlich beeinträchtigen (vgl. Senatsurt. aaO S. 1461), insbesondere<br />

nachdem die Messungen eine erhebliche Überschreitung der oben dargestellten Richtwerte<br />

ergeben hatten. Die Beklagte hat jedoch in tatsächlicher Hinsicht nichts vorgetragen.<br />

d) Bei dieser Sachlage versucht die Revision vergeblich, entgegen den Ausführungen im Berufungsurteil<br />

die Wesentlichkeit der Geräusche allein damit in Frage zu stellen, daß die Veranstaltungen<br />

nur an wenigen Wochenenden übers Jahr verteilt und jeweils nur einige Stunden<br />

dauern. Dabei ist schon verkannt, daß die Beklagte dem Kläger im Jahre 1987 beispielsweise<br />

vier jeweils über das ganze Wochenende, einmal sogar drei Tage dauernde, Veranstaltungen<br />

angekündigt hat, die nur in den Monaten Juni, Juli und August stattfinden. Der Besonderheit<br />

von seltenen Störereignissen tragen die LAI-Hinweise (Ziff. 4.2) im übrigen damit Rechnung,<br />

daß sie den Betroffenen eine über die Immissionsregelwerte der TA-Lärm hinausgehende<br />

Belastung zumuten. Diese Hinweise konnten in den von der Revision angezogenen Urteilen<br />

des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 16. April 1984 (VBl BW 1985, 60ff) und vom<br />

28. Mai 1985 (NVwZ 1986, 62ff) noch nicht berücksichtigt werden. Im übrigen übersieht die<br />

Revision, daß die Sachverhalte in diesen Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall nicht<br />

vergleichbar sind. Im Urteil vom 16. April 1984 ging es um Veranstaltungen, die regelmäßig<br />

nur bis 22.00 Uhr (einmal bis 23.00 Uhr) dauerten; im vorliegenden Fall handelt es sich aber<br />

gerade um die Zeit nach 22.00 Uhr, für die auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ausführt,<br />

das Interesse der Bevölkerung an ungestörter Nachtruhe habe Vorrang gegenüber<br />

Volksfesten, zumal wenn die Bewohner der Umgebung bereits tagsüber einem hohen Lärmpegel<br />

ausgesetzt seien. Das Urteil vom 28. Mai 1985 betraf die Abwehr von Geräuschen, die<br />

von einem Waldfestplatz ausgingen. Auf diese Lage im Außenbereich stellt das Urteil maßgeblich<br />

ab.<br />

37<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


e) Das Berufungsgericht stellt für seine Überlegungen fest, daß die Grundstücke im vorliegenden<br />

Fall in einem Gebiet liegen, in dem sich vorwiegend Wohnungen befinden (vgl. TA-<br />

Lärm Nr. 2321 lit d). Diese Feststellung greift die Revision nicht an. Sie macht nur geltend,<br />

das Berufungsgericht habe den Vortrag der Beklagten über eine Lärmvorbelastung des Gebiets<br />

nicht berücksichtigt. Zutreffend führt das Berufungsgericht jedoch aus, dieser sei unschlüssig.<br />

Die Beklagte hebt auf den Verkehrslärm von der Straße L 208 und zwei Bushaltestellen<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft ab. Dazu fehlt aber eine nähere Konkretisierung, daß<br />

dieser Lärm für die Zeit nach 22.00 Uhr überhaupt noch eine nennenswerte Rolle spielt und<br />

damit die Lästigkeit der Geräusche aus dem Festzelt beeinflußt (vgl. BGHZ 46, 35 , 41). Die<br />

Revision übersieht im übrigen, daß das vorgelegte Lärmgutachten ausdrücklich auf die straßenabgewandte<br />

Lage der beiden Meßpunkte und den geringen Abstand zum Festzelt abstellt<br />

und gerade deshalb hervorhebt, die vom Zelt ausgehenden Geräusche seien "pegelbestimmend"<br />

gewesen.<br />

f) Zu Unrecht wendet sich die Revision auch gegen die Verwertung der Ergebnisse über die<br />

Messungen am 7. Juni 1987. Die Beklagte behauptet nicht, die entsprechenden Messungen<br />

seien unzutreffend, sondern verweist allein darauf, daß nach dem Gutachten am Abend des<br />

Meßtages eine Diskoveranstaltung stattgefunden habe und während der Meßzeit kontinuierlich<br />

Musik über eine Lautsprecheranlage abgespielt worden sei. Soweit die Revision nunmehr<br />

eine "Diskoveranstaltung" für besonders laut und nicht für repräsentativ hält, bleibt sie jeden<br />

Hinweis auf entsprechenden Vortrag in den Tatsacheninstanzen schuldig. Es wäre Sache der<br />

Beklagten gewesen, darzulegen und zu beweisen, daß die Musikbeeinträchtigungen unwesentlich<br />

sind und die Veranstaltung am 7. Juni 1987 wegen ihrer Lautstärke Ausnahmecharakter<br />

gehabt habe.<br />

g) Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, der Kläger sei nicht verpflichtet, während der<br />

Festveranstaltungen die Fenster seines Wohnhauses geschlossen zu halten oder gar noch die<br />

Rolläden herabzulassen. Der Senat hat bereits früher ausgeführt, daß der durch eine Geräuschimmission<br />

beeinträchtigte Grundstückseigentümer sein Eigentum so nutzen darf, wie es<br />

ihm richtig erscheint, und nicht seinerseits Schutzmaßnahmen ergreifen muß, um eine rechtswidrige<br />

Lärmbelästigung abzuwehren oder herabzumindern (vgl. Senatsurteile v. 6. Juni<br />

1969, V ZR 53/66, WM 1969, 1042, 1045 und v. 11. November 1983, V ZR 231/82, NJW<br />

1984, 1242). Die Revision übersieht insbesondere, daß die oben erwähnten LAI-Hinweise mit<br />

einer Grenze von 55 dB(A) für den Beurteilungspegel und einer solchen von 65 dB(A) für den<br />

Maximalpegel ohnehin von geschlossenen Fenstern ausgehen. Dafür, daß hier unter dem Gesichtspunkt<br />

des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses wegen eines besonderen Ausnahmefalls<br />

etwas anderes gelten könnte, sind weder Tatsachen vorgetragen noch festgestellt.<br />

h) Hat der Tatrichter auf der Grundlage eines bestimmten Sachverhalts (Zahl der Feste, Öffnungszeit,<br />

entwickelte Lautstärke) eine wesentliche Lärmbeeinträchtigung festgestellt, so ist<br />

es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, durch Beschränkung in der Zahl der Feste mit bestimmten<br />

Öffnungszeiten oder sonstige Auflagen das zulässige Maß der Lärmimmissionen<br />

festzulegen. Grundsätzlich hat der Störer zu entscheiden, ob und wie er seine Emissionen auf<br />

das nach § 906 BGB zulässige Maß begrenzt (Erman/Hagen aaO Rdn. 28). Die Beklagte hat<br />

dazu auch in der Berufungsinstanz keine genauen Vorschläge unterbreitet, insbesondere nicht<br />

38<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


vorgetragen, auf welche Feste mit welchen Öffnungszeiten oder sonstigen Auflagen (Verzicht<br />

auf Verstärker u.a.m.) sie sich beschränken wolle, damit das Grundstück des Klägers nur unwesentlich<br />

beeinträchtigt werde. Schon deshalb hatte auch das Berufungsgericht keine Veranlassung,<br />

sich mit derartigen Varianten zu befassen und etwa die Beklagte nur in beschränktem<br />

Umfang zu verurteilen.<br />

2. Das Berufungsgericht hält die Festplatznutzung im vorliegenden Fall auch nicht für ortsüblich.<br />

Es geht dabei zutreffend von der Frage aus, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der<br />

Umgebung mit einer nach Art und Maß einigermaßen gleichbleibenden Einwirkung benutzt<br />

wird ( BGHZ 30, 273 , 277, 279; Senatsurt. v. 17. Dezember 1982, V ZR 55/82, NJW 1983,<br />

751) und stellt fest, dies treffe für den fraglichen Platz auf der Parzelle 379/2 nicht zu. Diese<br />

weitgehend auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung ( BGHZ 30, 273 , 277; Senatsurt.<br />

v. 17. Dezember 1982 aaO S. 752) hält den Revisionsangriffen jedenfalls im Ergebnis stand.<br />

Auch die Revision zieht nicht in Zweifel, daß es in W. keinen anderen gleich oder ähnlich<br />

benutzten Platz gibt. Die Grenze des Vergleichsgebiets kann je nach Lage des Falles im Einzelfall<br />

enger oder weiter gezogen werden und braucht sich auch nicht unbedingt mit der Gemeindegrenze<br />

zu decken (vgl. Senatsurt. v. 28. April 1967, V ZR 216/64, WM 1967, 727,<br />

728). Offen bleiben kann, ob man der Revision darin folgen könnte, daß es auf das Vorhandensein<br />

vergleichbar genutzter Grundstücke nicht nur innerhalb der Gemeinde W., sondern<br />

darüber hinaus in einem großen Bereich von Ortsgemeinden an Rhein und Mosel ankäme.<br />

Auch dann ergäben sich hier noch keine Bedenken gegen die Verneinung der Ortsüblichkeit<br />

durch den Tatrichter. Die Revision verkennt, daß es nicht darum geht, ob Kirchweih und<br />

Winzerfeste in anderen Ortsgemeinden allgemein üblich sind, sondern darum, ob sie nach<br />

22.00 Uhr nach Art und Maß eine Lärmbelästigung der hier festgestellten Art in unmittelbarer<br />

Nähe einer Wohnbebauung entwickeln. Dazu hat die insoweit ebenfalls darlegungs- und beweispflichtige<br />

Beklagte (vgl. Senatsurt. v. 30. November 1970, V ZR 51/68, LM BGB § 906<br />

Nr. 38) nichts vorgetragen. Das Berufungsgericht hätte auch noch darauf abstellen können,<br />

daß das Festzelt hier einen besonders geringen Abstand zum Wohngebäude des Klägers hat<br />

und darüber hinaus die Beklagte weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt hat, für die<br />

Veranstaltungen seien in zeitlicher oder sonstiger Hinsicht Auflagen gemacht worden (z.B.<br />

keine Verwendung von Lautsprechern und Verstärkern), die eine Minderung der Lärmbelästigung<br />

nach 22.00 Uhr gewährleisten könnten (vgl. BGHZ 38, 61 , 62; Senatsurt. v. 17. Dezember<br />

1982, V ZR 55/82, NJW 1983, 751, 752).<br />

Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, daß unter Umständen einzelne überragend<br />

große Anlagen oder Betriebe unter dem Gesichtspunkt der mit ihnen verbundenen Emissionen<br />

den Charakter der Umgebung in der Weise prägen können, daß von ihnen ausgehende<br />

Beeinträchtigungen sich als ortsüblich darstellen (vgl. BGHZ 59, 378 , 381; 69, 105, 111). Für<br />

einen solchen Fall fehlt es hier an jeden tatsächlichen Anhaltspunkten. Der Gebietscharakter<br />

wird hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von der Kirche und der umliegenden,<br />

überwiegend zu Wohnzwecken genutzten Bebauung geprägt. Daran kann die gelegentliche<br />

Nutzung des Parkplatzes als Festplatz nichts ändern. Im übrigen bleibt auch im vorliegenden<br />

Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß es hier allein um die besonders schädliche Störung<br />

der Nachtruhe durch eine massive Lärmbeeinträchtigung geht. Unter diesen Umständen<br />

stellt es keinen Rechtsverstoß dar, wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, diese<br />

39<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Art der Einwirkung sei nicht gewöhnlich (vgl. BGHZ 15, 146 , 149; 30, 273, 277ff).<br />

Selbst wenn man von einer Ortsüblichkeit der festgestellten Lärmimmission ausginge, wäre<br />

die Klage begründet, weil sich nicht feststellen läßt, der Beklagten sei eine wirtschaftlich zumutbare<br />

Abhilfe unmöglich. Der Kläger hat mit einer detaillierten Planskizze vorgeschlagen,<br />

das Festzelt auf einen in der Nähe liegenden Mehrzweckplatz aufzustellen, wodurch ein<br />

durchschnittlicher Abstand von 50 bis 60 m zu jeder Art Wohnbebauung gewährleistet werde.<br />

Die auch insoweit darlegungspflichtige und beweisbelastete Beklagte (Erman/Hagen, BGB 8.<br />

Aufl. § 906 Rdn. 27; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 906 Rdn. 60) hat nicht schlüssig dargelegt,<br />

daß die Verlegung des Festzelts mit wirtschaftlich unzumutbaren Aufwendungen verbunden<br />

wäre. Ihr pauschaler Vortrag in der Berufungsbegründung ist dazu nicht ausreichend;<br />

auf den spezifizierten Vortrag des Klägers in der Berufungserwiderung hat sich die Beklagte<br />

nicht mehr geäußert.<br />

3. Erfolglos wendet sich die Revision schließlich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts,<br />

der Kläger müsse auch nicht unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses<br />

die Geräuschimmissionen dulden. Grundsätzlich stellt § 906 BGB in seinem Anwendungsbereich<br />

eine abschließende Regelung dar, die mit ohnehin ausfüllungsbedürftigen<br />

Begriffen einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen anstrebt. Daneben ist es grundsätzlich<br />

weder möglich noch geboten, den Nachbarn über den allgemeinen Grundsatz von Treu<br />

und Glauben besondere Duldungspflichten abzuverlangen ( BGHZ 38, 61 , 65). Im übrigen<br />

versucht die Revision vergeblich, das Berufungsurteil als Schlag gegen die Dorfgemeinschaft<br />

darzustellen, indem sie hervorhebt, es verhindere künftig die Abhaltung von Dorffesten. Dies<br />

ist eine falsche Sicht. Es soll nur erreicht werden, die Lärmbelästigung ab 22.00 Uhr auf ein<br />

zumutbares Maß zurückzuführen. Ebensowenig wie die Sportausübung sind die für eine<br />

Dorfgemeinschaft sicher wünschenswerten Feste von der Rücksichtnahme auf das Ruhebedürfnis<br />

anderer Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen, freigestellt (vgl. BVerwG NJW<br />

1989, 1291, 1292).<br />

40<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: MWRE102230400<br />

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat , Beschluß vom 13. Februar 2004 , Az:<br />

6 B 10279/04<br />

GastG § 12 ,GastG § 12 Abs 1, ImSchG RP § 4 ,ImSchG RP § 4 Abs 3, ImSchG RP § 4 Abs<br />

4, ImSchG RP § 4 Abs 4 S 1, ImSchG RP § 4 Abs 4 S 2<br />

Karnevalsveranstaltung als "sehr seltenes Ereignis" iSv § 12 Abs 1 GastG<br />

Leitsatz<br />

1. Veranstaltungen, bei denen die für seltene Störereignisse in der Freizeitlärm-Richtlinie<br />

festgelegten Immissionsrichtwerte voraussichtlich nicht eingehalten werden, können gemäß §<br />

12 Abs 1 Gaststättengesetz (GastG) gestattet werden, wenn sie als sehr seltene Ereignisse<br />

trotz der mit ihnen verbundenen erheblichen Belästigungen wegen ihrer Herkömmlichkeit,<br />

ihrer Bedeutung für die örtliche Gemeinschaft oder ihrer sozialen Adäquanz den Nachbarn<br />

zumutbar sind.<br />

2. Das gilt grundsätzlich für die im Rheinland zum überlieferten kulturellen Brauchtum zählenden<br />

Karnevalsveranstaltungen (zB eine Kappensitzung und eine Feier am Schwerdonnerstag<br />

- Weiberfastnacht -).<br />

3. Aufgrund der auch bei Vorliegen eines sehr seltenen Ereignisses erforderlichen Abwägung<br />

der widerstreitenden Interessen der Beteiligten dürfen Musikdarbietungen in der Regel allenfalls<br />

bis 24.00 Uhr zugelassen werden, und zwar unter der Voraussetzung, dass der folgende<br />

Tag allgemein arbeitsfrei ist.<br />

Fundstellen<br />

GewArch 2004, 217-219 (Leitsatz und Gründe)<br />

NVwZ-RR 2004, 485-486 (Leitsatz und Gründe)<br />

BImSchG-Rspr § 22 Nr 160 (Leitsatz und Gründe)<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend VG Koblenz 12. Februar 2004 1 L 478/04.KO Beschluß<br />

Langtext<br />

Gründe<br />

Die Beschwerde der Beigeladenen ist zulässig, aber nur in dem sich aus dem Tenor ergebenden<br />

Umfang begründet.<br />

Wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, sind<br />

41<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen, und zwar unter Berücksichtigung<br />

der Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen gemäß<br />

§ 12 Abs. 1 Gaststättengesetz – GastG – erteilte Gestattung.<br />

Die in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur mögliche summarische Prüfung der<br />

Sach- und Rechtslage ergibt überwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Gestattung<br />

der für den 21. Februar 2004 geplanten "Mottofete" und auch der "After-Train-Party", die am<br />

23. Februar 2004 stattfinden soll. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch, dass die Antragsgegnerin<br />

für die Veranstaltung am 19. Februar 2004 ( Weiberfastnachtsfete ) musikalische<br />

Darbietungen über 22.00 Uhr hinaus sowie eine längere Betriebszeit als 24.00 Uhr erlaubt<br />

hat. Die Gestattung der Weiberfastnachtfete im Übrigen und der Kappensitzung am 14.<br />

Februar 2004 sind – nach überschlägiger Prüfung des Senats – nicht zu beanstanden. Nur bei<br />

diesen beiden Veranstaltungen handelt es sich höchst wahrscheinlich um so genannte sehr<br />

seltene Störereignisse, während dies auf die Mottofete und die After-Train-Party nicht zutrifft.<br />

Nach der im Verwaltungsstreitverfahren 1 K 745/03.KO eingeholten gutachterlichen Stellungnahme<br />

des Schalltechnischen Ingenieurbüros für Gewerbe-, Freizeit- und Verkehrslärm<br />

Dipl. Ing. P vom 14. Oktober 2003 ist damit zu rechnen, dass die aufgrund der Gestattung<br />

vom 28. Januar 2004 zu erwartenden Lärmimmissionen die für seltene Störereignisse in den<br />

Hinweisen des Länderausschusses für Immissionsschutz zur Beurteilung der durch Freizeitanlagen<br />

verursachten Geräusche (NVwZ 1997, 469 – Freizeitlärm-Richtlinie –) und dem<br />

Rundschreiben des Ministeriums für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz vom 30. Januar<br />

1997 (MinBl. 1997, 213) festgelegten Immissionsrichtwerte überschreiten.<br />

Davon geht auch die Antragsgegnerin aus. Da diese Richtwerte als Anhalt, als Orientierungs-<br />

und Entscheidungshilfe dienen (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2001, NVwZ 2001,<br />

1167; BGH, Urteil vom 26. September 2003, NJW 2003, 3699), war die Antragsgegnerin<br />

gehalten, nur Veranstaltungen gemäß § 12 Abs. 1 GastG zu gestatten, die als sehr seltene<br />

Ereignisse privilegiert sind, also trotz der mit ihnen verbundenen erheblichen Belästigungen<br />

den Nachbarn wegen ihrer Herkömmlichkeit, ihrer Bedeutung für die örtliche Gemeinschaft<br />

oder ihrer sozialen Adäquanz zumutbar sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.<br />

April 2003, GewArch 2003, 300 f.; BGH, Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.; VGH<br />

Mannheim, Urteil vom 26. Juni 2002, VBIBW 2002, 483 ).<br />

Die Differenzierung zwischen seltenen und sehr seltenen Ereignissen ist nach Auffassung<br />

des Senats auch in der Systematik des § 4 Landes-Immissionsschutzgesetz – LImSchG –<br />

angelegt, der sich zwar ausdrücklich nur auf die besonders schutzbedürftige Nachtzeit (22.00<br />

Uhr bis 6.00 Uhr) bezieht, für die in geringerem Umfang geschützte abendliche Ruhezeit<br />

(20.00 Uhr bis 22.00 Uhr) aber entsprechend herangezogen werden kann. Auf den in § 4 Abs.<br />

1 LImSchG niedergelegten Grundsatz des Schutzes der Nachtruhe folgt in Absatz 2 eine Ausnahmeregelung.<br />

Die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 LImSchG lässt weitere Ausnahmen<br />

von dem Verbot des § 4 Abs. 1 LImSchG zu, wenn die Ausübung der Tätigkeit während der<br />

Nachtzeit im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse einer beteiligten Person<br />

geboten ist. Schließlich kann die zuständige Behörde gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 LImSchG allgemeine<br />

Ausnahmen für bestimmte Veranstaltungen bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürf-<br />

42<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


nisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse zulassen. Daraus wird deutlich, dass die<br />

Nachtruhe umso weniger geschützt ist, je stärker das öffentliche Interesse an einer Veranstaltung<br />

ist. Ein öffentliches Bedürfnis liegt nach § 4 Abs. 4 Satz 2 LImSchG in der Regel<br />

vor, wenn eine Veranstaltung der Pflege des historischen oder kulturellen Brauchtums<br />

dient oder sonst von besonderer kommunaler Bedeutung ist und deshalb das Interesse der<br />

Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber dem Interesse der<br />

Nachbarschaft an ungestörter Nachtruhe überwiegt. Die beispielhafte Aufzählung in § 4<br />

Abs. 4 Satz 1 LImSchG (Messen, Märkte, Volksfeste, Silvester-/Neujahrsnacht) lässt erkennen,<br />

dass es sich bei diesen Veranstaltungen im Allgemeinen um jährlich einmal stattfindende<br />

handelt, die sich über allenfalls wenige Tage erstrecken (so auch BGH, Urteil vom 26. September<br />

2003, a.a.O.). Bei den sehr seltenen Ereignissen kann es sich nur um vereinzelte,<br />

besonders herausragende Veranstaltungen handeln, deren Bedeutung so groß ist, dass dahinter<br />

das Ruhebedürfnis der Anwohner zurückzutreten hat (OVG Rheinland-Pfalz ,<br />

Urteil vom 16. April 2003, BauR 2003, 1187; VGH Kassel, Beschluss vom 8. Oktober<br />

1996, GewArch 1997, 162). Derartige Merkmale weisen etwa Jubiläumsfeste dörflicher Vereine<br />

(vgl. VGH München, Urteil vom 13. Mai 1997, NJW 1998, 401) oder traditionelle<br />

Jahrmärkte und Volksfeste auf (vgl. OVG Bremen, Urteil vom 14. November 1995, GewArch<br />

1996, 390). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 26.<br />

September 2003, a.a.O.), mit der im Interesse der Harmonisierung zivilrechtlicher und öffentlichrechtlicher<br />

Beurteilungsmaßstäbe eine Angleichung an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung<br />

vollzogen wurde, gehören Volks- und Gemeindefeste, Feiern örtlicher Vereine,<br />

traditionelle Umzüge und ähnliche Veranstaltungen zu den herkömmlichen, allgemein akzeptierten<br />

Formen gemeindlichen und städtischen Lebens, die für den Zusammenhalt der<br />

örtlichen Gemeinschaft von großer Bedeutung sein können, dabei auch die Identität dieser<br />

Gemeinschaft stärken und für viele Bewohner einen hohen Stellenwert besitzen, so dass die<br />

mit ihnen verbundenen Geräuschentwicklungen von einem verständigen Durchschnittsmenschen<br />

bei Würdigung auch anderer Belange in der Regel in höherem Maß akzeptiert werden<br />

als sonstige Immissionen; ereignen sie sich sehr selten, können auch Lärmimmissionen , die<br />

die Richtwerte der Freizeitlärm-Richtlinie überschreiten, ausnahmsweise noch unwesentlich<br />

sein.<br />

Nach diesen Maßstäben ist die Durchführung einer Kappensitzung ebenso wie eine Feier<br />

am Schwerdonnerstag (Weiberfastnacht) überliefertes kulturelles Brauchtum im Rheinland,<br />

ohne dass es entscheidend darauf ankommt, ob deren Ablauf streng nach historischem<br />

Vorbild gestaltet wird oder ob die Veranstaltung seit vielen Jahren an einem bestimmten Ort<br />

stattfindet. Nicht ausreichend ist jedoch, wenn eine Feier keinen erkennbaren Bezug zur<br />

Brauchtumspflege hat, sondern die Tradition lediglich zum Anlass für eine Tanz- bzw. Musikveranstaltung<br />

beispielsweise nach Art einer Disco nimmt. Nach dem Ergebnis der im vorliegenden<br />

Verfahren vorzunehmenden überschlägigen Prüfung fehlt sowohl der Mottofete als<br />

auch der After-Train-Party ein hinreichend deutlicher Bezug zum tradierten rheinischen Karneval,<br />

auch wenn sie sich – wie es in der Beschwerdebegründung heißt – von typischen Disco-Veranstaltungen<br />

dadurch unterscheiden sollten, dass nicht hauptsächlich Musik mit hohem<br />

Bassanteil gespielt werden soll.<br />

Angesichts des Umstandes, dass auch eine Kirmes typischerweise zu den in der örtlichen<br />

43<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Gemeinschaft verwurzelten traditionellen Festen gehört, muss darauf geachtet werden, dass<br />

die Gesamtzahl der sehr seltenen Veranstaltungen eines Kalenderjahres deutlich niedriger<br />

liegt als die höchstzulässige Anzahl der seltenen Ereignisse.<br />

Stellt eine Veranstaltung i.S.d. § 4 Abs. 4 LImSchG ein sehr seltenes Ereignis dar, bedeutet<br />

dies nicht, dass der Schutz der Nachtruhe vollständig entfällt. Vielmehr hat eine Abwägung<br />

zwischen den widerstreitenden Interessen der Beteiligten stattzufinden. Dabei stimmt der<br />

Senat mit dem Bundesgerichtshof (Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.) darin überein, dass<br />

Musikdarbietungen in der Regel allenfalls bis 24.00 Uhr zugelassen werden dürfen. Dies kann<br />

allerdings nur gelten, wenn der darauf folgende Tag allgemein arbeitsfrei ist, so dass sich die<br />

in ihrer Nachtruhe beeinträchtigten Anwohner durch längeres Ausschlafen erholen können.<br />

Schließt sich an eine sehr seltene Veranstaltung ein Arbeitstag an, wie dies bei der geplanten<br />

Weiberfastnachtsfete der Fall ist, sind musikalische Darbietungen um 22.00 Uhr, die Feier<br />

selbst um 24.00 Uhr zu beenden. Anders als bei einer typischen Disco-Veranstaltung wird<br />

durch eine solche Begrenzung der bereits um 18.11 Uhr beginnenden Weiberfastnachtfete<br />

deren Charakter nicht grundlegend verändert (vgl. hierzu VGH Kassel, Beschluss vom 8.<br />

Oktober 1996, a.a.O.).<br />

Ob die Beigeladene auf einen anderen Veranstaltungsort verwiesen werden kann (vgl. hierzu<br />

BGH, Urteil vom 26. September 2003, a.a.O.), muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren<br />

ggf. durch eine Ortsbesichtigung vorbehalten bleiben.<br />

Angesichts der seit Jahren immer wieder auftretenden Auseinandersetzungen um die Karnevalsveranstaltungen<br />

der Beigeladenen erscheint es dem Senat angezeigt, der Antragsgegnerin<br />

aufzugeben, die Einhaltung dieser Beschränkungen der Gestattung durch eigene Mitarbeiter<br />

sicherzustellen.<br />

44<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nr: MWRE115139600<br />

Hessischer Verwaltungsgerichtshof 14. Senat , Beschluß vom 8. Oktober 1996 , Az: 14 TG<br />

3852/96<br />

GastG § 4 Abs 1 Nr 3<br />

Rechtsschutz eines Nachbarn gegen gaststättenrechtliche Gestattung und Sperrzeitregelung<br />

für eine traditionelle Festveranstaltung - Störung der Wohnruhe und Zumutbarkeitsgrenze<br />

Leitsatz<br />

1. Einem betroffenen Nachbarn kann gemäß § 4 Abs 1 Nr 3 GastG ein Anspruch auf Versagung<br />

bzw Aufhebung einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis bzw Gestattung zustehen, wenn<br />

der beabsichtigte Gaststättenbetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage oder auf die Verwendung<br />

der Räume nicht ohne Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erlaubt werden<br />

kann, es insbesondere nicht möglich ist, die auf die Nachbarschaft etwa durch Lärmimmissionen<br />

einwirkenden schädlichen Umwelteinwirkungen durch Nebenbestimmungen auf ein zumutbares<br />

Maß zu begrenzen, ohne dadurch gleichzeitig die Ausübung des Gaststättengewerbes<br />

in seiner konkret beantragten Betriebsart durch Beseitigung eines prägenden Merkmals<br />

(wirtschaftlich) unmöglich zu machen.<br />

2. Die Richtwerte der sogenannten LAI-Hinweise sind bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze<br />

nicht schematisch, sondern lediglich als Entscheidungshilfe im Rahmen einer<br />

wertenden Abwägung des Betreiberinteresses und gegebenenfalls des Allgemeininteresses an<br />

der Durchführung gemeinschaftsfördernder sozialer und/oder kultureller Veranstaltungen gegenüber<br />

dem nachbarschaftlichen Interesse an ruhigen Wohnverhältnissen insbesondere in<br />

Zeiten der Nachtruhe anzuwenden; dabei sind ua zu berücksichtigen: Traditionscharakter und<br />

herkömmlicher Ablauf, Dauer, Häufigkeit, zeitliche Abstände, Jahreszeit der fraglichen Veranstaltung(en)<br />

und konkretes Schutzbedürfnis des Anwohners.<br />

3. Bei zu erwartenden und unter Wahrung des Charakters einer traditionellen Festveranstaltung<br />

nicht zu verhindernden erheblichen Überschreitungen der nächtlichen Lärmgrenzwerte<br />

kann deren Zumutbarkeit gegebenenfalls durch zeitliche Begrenzungen gewahrt werden.<br />

Fundstellen<br />

ESVGH 47, 151-152 (Leitsatz)<br />

GewArch 1997, 162 -164 (Leitsatz und Gründe)<br />

Weitere Fundstellen<br />

ZAP EN-Nr 32/97 (Leitsatz)<br />

NVwZ-RR 1997, 159 (Leitsatz)<br />

UPR 1997, 258 (Leitsatz)<br />

DVBl 1997, 966 (Leitsatz)<br />

Verfahrensgang<br />

vorgehend VG Gießen 10. September 1996 8 G 1221/96 (1)<br />

45<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Diese Entscheidung wird zitiert von<br />

VG Potsdam 17. August 2004 3 K 3161/99 Anschluss<br />

Langtext<br />

Tatbestand<br />

Der Antragsteller wehrt sich gegen Lärmbeeinträchtigungen durch die S Altstadtkirmes. Er<br />

ist Eigentümer und mit seiner Familie Bewohner des Grundstücks in der dortigen Altstadt, das<br />

in einem Bereich mit überwiegender Wohnbebauung, einem landwirtschaftlichen Anwesen<br />

und einer Schule liegt.<br />

Vor einigen Jahren erwarb die Antragsgegnerin das westlich unmittelbar an das Grundstück<br />

des Antragstellers angrenzende und vormals landwirtschaftlich genutzte Anwesen ließ alle<br />

aufstehenden Gebäude bis auf das jetzt als Gemeinschaftshaus genutzte Wohngebäude abreißen,<br />

vorhandene Pflaster aufnehmen, die große Wiesenfläche und den Bewuchs entfernen und<br />

die entstandene Freifläche schottern. Diese sollte nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung<br />

vom 7. Juli 1994 zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 63 "Dorfplatz" als<br />

Dorf- bzw. Festplatz genutzt werden.<br />

Bereits seit 1993 läßt die Antragsgegnerin jährlich im Oktober dort durch die Beigeladene die<br />

Altstadtkirmes veranstalten. Etwa seit der Jahrhundertwende war die Kirmes stets am zweiten<br />

Sonntag nach dem 29. September, dem Fest des heiligen Michael, auf einem Platz in der<br />

Dorfmitte und in den Tanzsälen und den bis zur Mitte der 60er Jahre noch fünf Gaststätten<br />

des alten Dorfes der Kernstadt gefeiert worden, in der heute nur noch die Gaststätte der Beigeladenen<br />

existiert. Diese führte die Festveranstaltung zunächst noch auf dem Gelände ihrer<br />

Gaststätte durch und dann ab 1993 in einem unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum<br />

Grundstück des Antragstellers und etwa 40 m von seinem Wohnhaus entfernt aufgestellten<br />

Festzelt auf dem hier fraglichen Dorfplatz, auf dem jeweils außer dem Festzelt auch zwei Karussells<br />

und Buden aufgestellt werden.<br />

Im August 1995 beantragte der Antragsteller erstmals beim Verwaltungsgericht Gießen die<br />

Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel, die Altstadtkirmes auf dem Dorfplatz<br />

ganz zu verhindern oder jedenfalls auf ein erträgliches Maß zu beschränken, weil ein<br />

Festplatz in dem allgemeinen Wohngebiet schon planungsrechtlich nicht zulässig und dafür<br />

auch keine Baugenehmigung erteilt worden sei und weil die Altstadtkirmes aufgrund der unzumutbaren<br />

Lärmbelastungen gegen die Hessische Lärmschutzverordnung und das Bundes-Immissionsschutzgesetz<br />

verstoße.<br />

Mit Beschluss vom 27. September 1995 - 8 G 1275/95 (1) - setzte das Verwaltungsgericht<br />

Gießen im Wege der einstweiligen Anordnung für Musikveranstaltungen bei der Altstadtkirmes<br />

in Anwendung der sogenannten LAI-Hinweise Lärmgrenzwerte für seltene Störereignisse<br />

von tagsüber 70 dB (A) und nachts ab 22.00 Uhr von 55 dB (A) fest und lehnte den<br />

46<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Antrag im übrigen ab.<br />

Im Rahmen des dagegen von beiden Parteien eingeleiteten Beschwerdeverfahrens schlug der<br />

erkennende Senat mit Beschluss vom 5. Oktober 1995 - 14 TG 3325/95 - eine von beiden<br />

Parteien angenommene vergleichsweise Regelung vor, in der sich die Antragsgegnerin verpflichtete,<br />

der Beigeladenen Auflagen aufzuerlegen, deren Einhaltung zu überwachen und<br />

gegebenenfalls durchzusetzen, wonach am Freitag, an dem bisher im Zelt jeweils eine Techno-Disco<br />

durchgeführt worden war, auf dem Festplatz keine Veranstaltung stattfinden sollte,<br />

die Veranstaltungszeit an den folgenden Tagen von Samstag bis Montag zeitlich begrenzt und<br />

im übrigen die bereits vom Verwaltungsgericht festgesetzten Lärmrichtwerte um bestimmte<br />

Zuschläge ergänzt wurden.<br />

Diese Regelungen übernahm die Antragsgegnerin zwar als Auflage in die der Beigeladenen<br />

erteilte gaststättenrechtliche Gestattung vom 6. Oktober 1995 für den Betrieb ihres Festzeltes<br />

anläßlich der vom 7. bis 9. Oktober 1995 geplanten Altstadtkirmes. Lärmmessungen<br />

nahm die Antragsgegnerin aber nicht vor, wie sie in einem Schreiben ihres Bürgermeisters<br />

vom 17. Oktober 1995 auf einen Beschwerdebrief einer anderen Anwohnerin mitteilte, weil<br />

sie sich dazu aufgrund des gerichtlichen Vergleichs nicht verpflichtet fühlte. Demgegenüber<br />

ließ der Antragsteller durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in<br />

seinem Wohnhaus während der Altstadtkirmes 1995 samstags und montags Lärmimmissionsmessungen<br />

durchführen, die schon ohne Berücksichtigung der festgesetzten Zuschläge<br />

deutliche Überschreitungen sowohl der Tages- als auch der Nachtgrenzwerte ergaben, und<br />

forderte die Antragsgegnerin im Januar 1996 zu einer verbindlichen Erklärung auf, dass das<br />

fragliche Nachbargrundstück nicht mehr als Festplatz benutzt werde.<br />

Nachdem die Antragsgegnerin dies abgelehnt und in einem verwaltungsinternen Vermerk<br />

vom 22. Februar 1996 festgestellt hatte, dass die Festsetzung und Durchsetzung der fraglichen<br />

Lärmgrenzwerte "völlig illusorisch" sei, erhob der Antragsteller am 7. Mai 1996 beim Verwaltungsgericht<br />

Gießen eine derzeit noch anhängige Klage - 8 E 666/96 - auf Untersagung,<br />

hilfsweise auf Einschränkung der Nutzung des Dorfplatzes für Festveranstaltungen und begründete<br />

diese u. a. damit, dass die Antragsgegnerin weder die Immissionsgrenzwerte noch<br />

die Veranstaltungszeiten überwacht und durchgesetzt habe.<br />

Mit Bescheiden vom 21. August 1996 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine<br />

gaststättenrechtliche Gestattung für den Betrieb ihres Festzeltes anläßlich der vom 12. bis<br />

14. Oktober 1996 geplanten Altstadtkirmes und setzte die Veranstaltungs- bzw. Sperrzeiten<br />

und Lärmgrenzwerte wiederum entsprechend dem gerichtlichen Vergleich vom 5. Oktober<br />

1995 fest. Mit Bescheid vom 29. August 1996 ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser<br />

Bescheide an, weil an der sofortigen Durchführung der seit Generationen in nahezu gleicher<br />

Form begangenen traditionellen Altstadtkirmes, an der der größte Teil der Altstadtbewohner<br />

teilnehme, ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, zumal dem Interesse des Antragstellers<br />

durch die Auflagen ausreichend Rechnung getragen werde.<br />

Bereits zuvor, nämlich am 14. August 1996, hatte der Antragsteller gegen die Altstadtkirmes<br />

1996 beim Verwaltungsgericht Gießen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt<br />

und zur Begründung im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Nachdem<br />

47<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


ihm die der Beigeladenen erteilten Bescheide vorlagen, hat er unter dem 3. September 1996<br />

dagegen Widersprüche erhoben und seinen einstweiligen Rechtsschutzantrag entsprechend<br />

umgestellt.<br />

9<br />

Mit Beschluss vom 10. September 1996 - 8 G 1221/96 (1) - hat das Verwaltungsgericht Gießen<br />

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt, soweit die Sperrzeiten<br />

am 12. und 14. Oktober 1996 über 24.00 Uhr hinaus festgesetzt und soweit musikalische Darbietungen<br />

mit technischen Tonwiedergabegeräten zugelassen worden sind, und hat den Antrag<br />

im übrigen abgelehnt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, dass für den Antragsteller<br />

als Nachbarn zwar eine Rechtsgrundlage für eine gänzliche Untersagung eines Traditionsfestes<br />

der vorliegenden Art nicht ersichtlich sei, er aber gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG einen<br />

Anspruch auf hinreichenden Lärmschutz habe. Dieser Anspruch könne durch die festgesetzten<br />

Lärmgrenzwerte nicht erfüllt werden, weil bei summarischer Betrachtung feststehe,<br />

dass diese in Wirklichkeit in keiner Weise eingehalten würden. Es bedürfe deshalb zusätzlicher<br />

Einschränkungen durch die Festsetzung früherer Sperrzeiten und die Wiederherstellung<br />

der aufschiebenden Wirkung bezüglich der Verwendung technischer Tonwiedergabegeräte.<br />

Gegen den am 12. September 1996 zugestellten Beschluss haben alle Beteiligten am 16., 18.<br />

und 20. September 1996 Beschwerden eingelegt.<br />

Der Antragsteller macht über seinen bisherigen Vortrag hinaus noch geltend, die Vorverlegung<br />

der Sperrzeiten am 12. und 14. Oktober 1996 auf 24.00 Uhr sei nicht ausreichend, weil<br />

die Antragsgegnerin deren Einhaltung ebenso wie die der Immissionsgrenzwerte nicht durchsetzen,<br />

das Fest vielmehr wieder seinen freien Lauf nehmen werde, so dass es insgesamt zu<br />

untersagen sei; jedenfalls hätte der Antragsgegnerin die Überwachung und Durchsetzung der<br />

Auflagen unter Androhung von Ordnungsmitteln auferlegt werden müssen.<br />

Der Antragsteller beantragt - sinngemäß -, unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts<br />

Gießen vom 10. September 1996 - 8 G 1221/96 (1) - die aufschiebende<br />

Wirkung seiner Widersprüche vom 3. September 1996 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin<br />

vom 21. August 1996 betreffend die gaststättenrechtliche Gestattung an die Beigeladene<br />

für den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft anläßlich der Altstadtkirmes<br />

vom 12. bis 14. Oktober 1996 und betreffend die Verkürzung und Festsetzung der Sperrzeit<br />

anläßlich der Altstadtkirmes wiederherzustellen, andernfalls der Antragsgegnerin im Wege<br />

der einstweiligen Anordnung zu untersagen, auf dem Dorfplatz in der Zeit vom 12. bis 14.<br />

Oktober 1996 die sogenannte Altstadtkirmes/Kirchweihfest abzuhalten bzw. durch Dritte<br />

abhalten zu lassen,<br />

hilfsweise,<br />

die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers insoweit wiederherzustellen,<br />

als die Antragsgegnerin durch die angefochtenen Bescheide auch Musikdarbietungen<br />

durch Kapellen und/oder technische Tonwiedergabegeräte und Restauration durch gast-<br />

48<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


stättenartigen Ausschank alkoholischer Getränke zugelassen hat,<br />

hilfsweise,<br />

die aufschiebende Wirkung der Widersprüche insoweit anzuordnen, als die festgesetzte<br />

Veranstaltungszeit am Montag, dem 14. Oktober 1996, über 23.00 Uhr hinausgeht,<br />

hilfsweise,<br />

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die im Gestattungsbescheid<br />

vom 21. August 1996 festgesetzten Immissionszeiten und Immissionsgrenzwerte<br />

zu überwachen und gegebenenfalls sofort durchzusetzen, und ihr für jeden Fall der<br />

Zuwiderhandlung die Verhängung eines Ordnungsgeldes bis zum Betrage von 500.000,--<br />

DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, anzudrohen.<br />

Die Antragsgegnerin beantragt, die Anträge zurückzuweisen.<br />

Zur Begründung macht sie ergänzend geltend, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts<br />

seien die ursprünglich entsprechend dem vor dem Hess. VGH geschlossenen Vergleich<br />

festgesetzten Sperrzeiten für eine sinnvolle Durchführung der Altstadtkirmes erforderlich und<br />

dem Antragsteller auch zumutbar, weil er am Sonntag ausschlafen könne und der Montagabend<br />

den traditionellen Ausklang des Altstadtfestes darstelle. Auch der Einsatz von Mikrofonen<br />

und elektrischen Verstärkern für die Musikdarbietungen sei bei einer erwarteten Zuhörermenge<br />

von 600 bis 700 Personen unbedingt erforderlich. Eine Überwachung und Einhaltung<br />

der Immissionsrichtwerte sei ihr nicht möglich, dies sei vielmehr Sache der Beigeladenen.<br />

Im übrigen sei sie bestrebt und habe auch schon erste dahingehende Maßnahmen ergriffen,<br />

den Standort der Altstadtkirmes zu verlegen; dass dies bereits 1997 erfolgen könne, sei<br />

eher unwahrscheinlich, damit könne aber im Folgejahr gerechnet werden.<br />

Die Beigeladene beantragt, die Anträge des Antragstellers abzulehnen,<br />

und macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, dass es sich bei der Altstadtkirmes um<br />

ein Traditionsfest handele. Dessen Charakter würde durch die Einschränkungen des Verwaltungsgerichts<br />

völlig in Frage gestellt und diese kämen deshalb nahezu einem Verbot der Festveranstaltung<br />

gleich. Zudem habe sie im Vertrauen auf die zwischen den Parteien 1995 geschlossene<br />

Vergleichsvereinbarung vertraglich zahlreiche finanzielle Verpflichtungen übernommen;<br />

sie könne die ihr erteilten Auflagen auch durch Anweisungen an die Musikkapellen<br />

und durch Aushang für die Festzeltbesucher durchsetzen.<br />

Ein den Beteiligten durch Beschluss des Senats vom 7. Oktober 1996 unterbreiteter Vergleichsvorschlag<br />

ist daran gescheitert, dass der Magistrat der Antragsgegnerin keine verbindliche<br />

Erklärung hat abgeben wollen, dass die Altstadtkirmes - wie auch andere Festveranstaltungen<br />

vergleichbarer Größenordnung - ab 1997 nicht mehr auf dem Dorfplatz durchgeführt<br />

werde.<br />

49<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf<br />

die Streitakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die zulässigen Beschwerden haben jeweils nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang<br />

Erfolg, denn dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist nur teilweise<br />

stattzugeben, wobei von der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu Lasten und zu Gunsten<br />

aller Beteiligten abgewichen wird.<br />

Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die der Beigeladenen<br />

gemäß § 12 GastG erteilte Gestattung vom 21. August 1996 und gegen die ergänzende Sperrzeitregelung<br />

gleichen Datums ist gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1<br />

VwGO nur teilweise wiederherzustellen. Nach der vorliegend allein gebotenen summarischen<br />

Prüfung ist die gaststättenrechtliche Gestattung mit der ergänzenden Sperrzeitregelung<br />

nämlich wegen Verletzung des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG, soweit diesem nachbarschützender<br />

Charakter zukommt (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 18. Mai 1990 - 8 TH 362/90 -<br />

GewArch 1990 S. 330 = NVwZ 1991 S. 278), nur insoweit offensichtlich rechtswidrig, als<br />

die gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG und § 4 der Hessischen Verordnung über die Sperrzeit<br />

vom 19. April 1971 (GVBl. I S. 96) - SperrzeitVO - beigefügten Auflagen und Sperrzeitregelungen<br />

nicht hinreichend geeignet sind, die auf den Antragsteller einwirkenden Lärmbeeinträchtigungen<br />

auf ein unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zumutbares<br />

Maß zu begrenzen.<br />

Zwar kann - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - ein auf § 4 Abs. 1 Nr. 3<br />

GastG beruhender nachbarschaftlicher Anspruch auf Versagung bzw. Aufhebung einer<br />

gaststättenrechtlichen Erlaubnis bzw. Gestattung grundsätzlich bestehen, nämlich dann,<br />

wenn der beabsichtigte Gaststättenbetrieb im Hinblick auf seine örtliche Lage oder auf die<br />

Verwendung der Räume nicht ohne Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erlaubt<br />

werden kann, es insbesondere nicht möglich ist, die auf die Nachbarschaft etwa durch<br />

Lärmimmissionen einwirkenden schädlichen Umwelteinwirkungen durch Nebenbestimmungen<br />

auf ein zumutbares Maß zu begrenzen, ohne dadurch gleichzeitig die Ausübung<br />

des Gaststättengewerbes in seiner konkret beantragten Betriebsart durch Beseitigung eines<br />

prägenden Merkmals (wirtschaftlich) unmöglich zu machen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom<br />

4. Oktober 1988 - 1 C 72.86 - BVerwGE 80 S. 259 (264) = NVwZ 1989 S. 258 f. = GewArch<br />

1989 S. 100 f.; Ziff. 2.1 und 2.2.3 der sogenannten LAI-Hinweise, NVwZ 1988 S. 135 f.;<br />

Steinberg, Öffentlich-rechtlicher Nachbarschutz im Gaststättenrecht, DÖV 1991 S. 354 (357);<br />

vgl. auch BVerwG, Urteil vom 5. November 1985 - 1 C 14.84 - GewArch 1986 S. 96; Hess.<br />

VGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 - 14 UE 2626/95 - GewArch 1996 S. 251 zur Rechtswidrigkeit<br />

einer derart "erdrosselnden" Nebenbestimmung). Diese Voraussetzungen liegen hier<br />

bei summarischer Prüfung aber (noch) nicht vor.<br />

Ob die zum Zwecke der Nutzung als Dorf- bzw. Festplatz erfolgte Befestigung der Freifläche<br />

des Grundstücks durch Aufbringen der Schotterung gemäß § 62 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr.<br />

50<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


1 HBO einer Baugenehmigung bedurft hätte und ob deshalb wegen formeller Illegalität eine<br />

bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung gemäß § 78 Abs. 1 HBO ergehen könnte, oder ob dem<br />

die Beschränkung der Nutzung als Festplatz auf lediglich einmal im Jahr entgegensteht, wie<br />

offensichtlich die hier zuständige Bauaufsichtsbehörde des Landkreises meint, bedarf vorliegend<br />

keiner Prüfung, weil die Rechtmäßigkeit einer Gaststättenerlaubnis oder -gestattung<br />

nicht davon abhängt, ob eine für den beabsichtigten Gaststättenbetrieb erforderliche Baugenehmigung<br />

erteilt worden ist oder nicht (vgl. VGH Bad.- Württ., Beschluss vom 7. Januar<br />

1985 - 14 S 2918/84 - GewArch 1985 S. 300; BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1989 - 1 C<br />

18.87 - NVwZ 1990 S. 559 (560) = GewArch 1990 S. 29 ff.; Steinberg a. a. O. S. 359 m. w.<br />

N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats<br />

dürften für die rechtliche Beurteilung der von dem Festzelt auf die Nachbarschaft ausgehenden<br />

Störungen zwar grundsätzlich auch bauplanungsrechtliche Vorschriften einzubeziehen<br />

sein, weil danach nur einer bereits erteilten Baugenehmigung eine "sperrende" Bindungswirkung<br />

für die Gaststättenbehörde hinsichtlich der typischen Immissionen der beantragten Betriebsart<br />

zukommt (vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Oktober 1988 und 17. Oktober 1989 a. a. O.;<br />

Hess. VGH, Beschluss vom 2. Juli 1991 - 14 TH 3563/90 - GewArch 1992 S. 32 f., Urteil<br />

vom 18. Oktober 1995 a. a. O. und Beschluß vom 8. November 1995 - 14 TG 3375/95 - GewArch<br />

1996 S. 252 f.; a. A. Sternberg a. a. O. S. 359). Die Einbeziehung bauplanungsrechtlicher<br />

Vorschriften hinsichtlich der entscheidungserheblichen Fragen führt hier aber zu keiner<br />

anderen als der unten getroffenen Beurteilung. Ein Dorf- bzw. Festplatz ist nämlich als Anlage<br />

für kulturelle und soziale Zwecke in Dorfgebieten und auch in allgemeinen Wohngebieten<br />

gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 7 und § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO generell zulässig und die in § 15 Abs.<br />

1 Satz 2 BauNVO für den Einzelfall aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen stimmen mit<br />

denen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG überein, soweit es - wie hier - um die mit einem Gaststättenvorhaben<br />

in bestimmter örtlicher Umgebung verbundenen Immissionen geht (vgl.<br />

BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 1988 a. a. O.; Hess. VGH, Beschlüsse vom 2. Juli 1991 und<br />

8. November 1995 a. a. O.), wobei die Gaststättenbehörde lediglich über die typisierende Betrachtungsweise<br />

der Baugenehmigungsbehörde hinaus auch im Einzelfall bestehende besondere<br />

Betriebseigentümlichkeiten einschließlich der Person des Gaststättenbetreibers zu berücksichtigen<br />

hat.<br />

Nach den danach hier einheitlich anwendbaren immissionsschutzrechtlichen Maßstäben<br />

ist die der Beigeladenen erteilte Gestattung zum Betrieb ihres Festzeltes im Rahmen der<br />

Altstadtkirmes 1996 nicht insgesamt, sondern nur hinsichtlich der beigefügten Auflagen<br />

und sonstigen Nebenbestimmungen insoweit offensichtlich rechtswidrig, als diese nur mit<br />

den vom Senat durch teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bewirkten<br />

zeitlichen Einschränkungen der Musik- und Veranstaltungsdauer und unter Berücksichtigung<br />

der besonderen Umstände der vorliegenden Festveranstaltung noch hinreichend geeignet erscheinen<br />

können, die auf den Antragsteller und seine Familie einwirkenden Lärmimmissionen<br />

auf ein gerade noch zumutbares Maß zu beschränken. Zwar muß angesichts der Erfahrungen<br />

der letztjährigen Veranstaltung davon ausgegangen werden, dass auch dieses Jahr die<br />

nach den hier anwendbaren LAI-Hinweisen zugrundezulegenden Immissionsgrenzwerte<br />

für seltene Störereignisse nicht eingehalten werden und bei Wahrung des Charakters dieser<br />

Festveranstaltung angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft zum Wohngrundstück<br />

des Antragstellers auch nicht eingehalten werden können, so dass eine Untersagung der<br />

51<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Veranstaltung insbesondere wegen der aufgrund seiner Lage grundsätzlich stark eingeschränkten<br />

Eignung des Festplatzes insgesamt naheliegen könnte (vgl. zu einem ähnlichen<br />

Fall BGH, Urteil vom 23. März 1990 - V ZR 58/89 - BGHZ 111 S. 63 ff. = NJW 1990 S.<br />

2465 ff. = DVBl. 1990 S. 771 ff.). Andererseits sind die Richtwerte der LAI-Hinweise bei<br />

der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze nicht schematisch, sondern lediglich als Entscheidungshilfe<br />

im Rahmen einer wertenden Abwägung des Betreiberinteresses und gegebenenfalls<br />

- wie hier - des Allgemeininteresses an der Durchführung gemeinschaftsfördernder<br />

sozialer und/oder kultureller Veranstaltungen gegenüber dem nachbarschaftlichen<br />

Interesse an ruhigen Wohnverhältnissen insbesondere in Zeiten der Nachtruhe anzuwenden.<br />

Danach sind dem Antragsteller und seiner Familie Überschreitungen der obigen Lärmrichtwerte<br />

während der vom Senat eingeschränkten Veranstaltungszeiten noch zumutbar, wobei<br />

der Senat davon ausgeht, dass sich diese Überschreitungen aufgrund entsprechender Maßnahmen<br />

der Beigeladenen und der Antragsgegnerin auf die vom Senat im Vergleichsvorschlag<br />

vom 7. Oktober 1996 genannten 10 dB (A) unter Nichtberücksichtigung der besonderen<br />

Zuschläge beschränken. Bei der zur Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze vorzunehmenden<br />

Einzelfallabwägung war vorliegend nämlich zu berücksichtigen, dass die Festveranstaltung<br />

anläßlich der Altstadtkirmes in der derzeitigen Form in einem Festzelt auf dem hier<br />

fraglichen Festplatz zwar einerseits erst seit 1993 veranstaltet wird und das Grundstück des<br />

Antragstellers deshalb nicht traditionell mit der Nachbarschaft dieser Veranstaltung belastet<br />

ist, dass dieses Kirchweihfest mit Kirmes in der Altstadt aber andererseits eine Tradition etwa<br />

seit der Jahrhundertwende hat und offensichtlich nur deshalb nicht mehr wie früher in Tanzsälen<br />

und Gaststätten der Altstadt durchgeführt werden kann und in ein Festzelt auf dem hier<br />

fraglichen Dorfplatz verlegt werden mußte, weil in der Altstadt nur noch eine Gaststätte existiert<br />

und ein anderer, geeigneterer Festplatz, wie möglicherweise der Marktplatz , (noch) nicht<br />

zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass dieses der Pflege der dörflichen Gemeinschaft dienende<br />

Fest nur einmal jährlich und seit 1995 nicht mehr an vier, sondern nur noch an drei<br />

aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet (vgl. zur Beschränkung auf drei Tage OVG NW, Urteile<br />

vom 29. Juli 1983 - 4 A 1063/82 - NVwZ 1984 S. 531 f., vom 23. Mai 1985 - 4 A<br />

1645/84 - NVwZ 1986 S. 64 ff. und vom 25. Juni 1987 - 21 A 1136/87 - NVwZ 1988 S. 178<br />

f.); zudem wird die Altstadtkirmes auch nicht in der Sommerzeit, sondern im Winterhalbjahr<br />

veranstaltet, in dem nicht nur die Neigung der Besucher zum abendlichen Aufenthalt im Umfeld<br />

des Festzeltes, sondern insbesondere auch das Bedürfnis der Anwohner sich abends im<br />

Freien aufzuhalten und ihre Fenster insbesondere nachts geöffnet zu halten, deutlich geringer<br />

sein dürfte als im Sommer (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 2. Juli 1991 a. a. O.). Auch ansonsten<br />

werden auf dem Dorf- bzw. Festplatz keine anderen vergleichbaren Veranstaltungen<br />

durchgeführt, so dass sich die Veranstaltungsdauer hier auf drei Tage im Jahr beschränkt,<br />

während die Lärmimmissionsgrenzwerte der LAI-Hinweise für seltene Störereignisse von<br />

maximal 5 % der Tage oder Nächte eines Jahres, also von 18 Tagen ausgehen (vgl. Ziff. 4.2 a.<br />

a. O. S. 137). Für die Frage der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen sind aber die Dauer, die<br />

zeitlichen Abstände, wie etwa eine Konzentration in der Sommerzeit, und die Häufigkeit der<br />

störenden Ereignisse von erheblicher Bedeutung, so dass vorliegend auch zu berücksichtigen<br />

ist, dass angesichts der aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlichen Bemühungen und der<br />

auch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren abgegebenen Absichtserklärungen der Antragsgegnerin<br />

davon ausgegangen werden kann, dass die Altstadtkirmes möglicherweise<br />

1997, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aber ab 1998 nicht auf dem Festplatz<br />

52<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


in unmittelbarer Nachbarschaft des Wohngrundstücks des Antragstellers stattfinden wird. Die<br />

diesjährige Altstadtkirmes kann unter diesen Voraussetzungen als eine sehr seltene und nahezu<br />

einmalige bzw. letztmalige Veranstaltung angesehen werden, für die die hier zu erwartenden<br />

Überschreitungen des Lärmimmissionsgrenzwertes von 55 dB (A) auch nach 22.00 Uhr<br />

im Interesse der Kontinuität der traditionellen dörflichen Gemeinschaftspflege ausnahmsweise<br />

während der vom Senat vorgegebenen zeitlichen Grenzen noch hingenommen werden können<br />

(vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13. Dezember 1993 - 8 S 1800 /93 - NVwZ-RR<br />

1994 S. 633 (635); Nds. OVG, Urteil vom 15. September 1994 - 7 L 5328/92 - GewArch<br />

1995 S. 173 (175); OVG Bremen, Urteil vom 14. November 1995 - OVG 1 BA 13/95 - GewArch<br />

1996 S. 390 ff.). Mit der gestaffelten zeitlichen Vorverlegung des Endes der Musikdarbietungen<br />

bzw. der Veranstaltung insgesamt am Samstag und Montag, dem 12. und 14.<br />

Oktober 1996, verfolgt der Senat unter Berücksichtigung der zu erwartenden Lärmgrenzwertüberschreitungen<br />

den Zweck, unter Wahrung des typischen Erscheinungsbildes eines dörflichen<br />

Volksfestes, wozu bei einer erwarteten Teilnehmerzahl von 600 bis 700 Personen und<br />

beabsichtigten Tanzveranstaltungen auch laute Musik gehört, dem Antragsteller und seiner<br />

Familie wenigstens durch zeitliche Beschränkungen ein Mindestmaß an Nachtruhe zu sichern<br />

(vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 5. Juni 1990 - 22 CS 90.1522 - GewArch 1990 S. 419 f., Urteil<br />

vom 19. August 1991 - 22 B 88.3570 - GewArch 1992 S. 31). Deshalb soll zwar am<br />

Samstag über Mitternacht hinaus bis sonntags um 2.00 Uhr gefeiert werden dürfen, weil das<br />

Fest an diesem Tage erst abends um 20.00 Uhr beginnt und derartige Feste mit Tanz, Musik<br />

und Geselligkeit an diesem Tage üblicherweise lange andauern und weil am Sonntagmorgen<br />

ausgeschlafen werden kann; andererseits soll die Musik eine Stunde vor dem Veranstaltungsende<br />

eingestellt werden, um die Lautstärke schon zu diesem Zeitpunkt um etwa 10 dB (A) zu<br />

vermindern und die Einhaltung der verkürzten Sperrzeit um 2.00 Uhr zu erleichtern. Da das<br />

Fest am Montag traditionsgemäß bereits um 11.00 Uhr beginnt, der Antragsteller also schon<br />

tagsüber von erheblichen Lärmimmissionen betroffen sein wird, und der nachfolgende<br />

Dienstag ein Werk- bzw. Schultag ist, erscheint es dagegen angemessen, an diesem Abend<br />

spätestens ab 24.00 Uhr eine Nachtruhe zu ermöglichen.<br />

Eine weitergehende zeitliche Beschränkung der lärmverursachenden Altstadtkirmes war auch<br />

nicht nach der Hessischen Gefahrenabwehrverordnung gegen Lärm vom 16. Juni 1993<br />

(GVBl. S. 257) - LärmVO - geboten. Dabei spricht schon viel dafür, dass deren Anwendbarkeit<br />

gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 LärmVO schon deswegen ausgeschlossen ist, weil die vorliegende<br />

Lärmquelle durch Vorschriften des Bau- und Gaststättenrechts abschließend geregelt<br />

ist. Jedenfalls aber kann in der gaststättenrechtlichen Gestattung mit ihren Nebenbestimmungen<br />

die Zulassung einer Einzelfallausnahme gemäß § 9 Abs. 3 LärmVO gesehen werden (vgl.<br />

Hess. VGH, Beschluss vom 29. Juli 1994 - 14 TG 2077/94 -).<br />

Angesichts des sich bei summarischer Prüfung aus dem Akteninhalt ergebenden Verhaltens<br />

der Beigeladenen und der Antragsgegnerin hinsichtlich der Einhaltung der für die letztjährige<br />

Altstadtkirmes festgesetzten Lärmgrenzwerte und Veranstaltungszeiten sah sich der Senat<br />

genötigt, zur Absicherung der durch die teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung<br />

der Widersprüche des Antragstellers geregelten gestaffelten Schlußzeiten die Antragsgegnerin<br />

gemäß § 80 a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO i. V. m. §<br />

172 VwGO bzw. § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 888 ZPO unter Androhung von Zwangsgeld<br />

53<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


zur Überwachung und gegebenenfalls Durchsetzung der Einhaltung dieser Rechtspflichten der<br />

Beigeladenen zu verpflichten (vgl. dazu OVG NW, Beschluss vom 8. September 1992 - 11 B<br />

3495/92 - NVwZ 1993 S. 383 ff.). Der Senat hat demgegenüber im Rahmen seiner Ermessensentscheidung<br />

davon abgesehen, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung<br />

gemäß § 123 Abs. 1 VwGO darüber hinaus unter Androhung eines Zwangsgeldes zu<br />

verpflichten, die der Beigeladenen weiterhin auferlegten Lärmimmissionsgrenzwerte durchzusetzen,<br />

weil der Senat nach den obigen Ausführungen davon ausgeht, dass diese Grenzwerte<br />

bei Wahrung des Charakters der vorliegenden Festveranstaltung nicht eingehalten werden<br />

können und er sich im Rahmen der vorliegenden streitigen Entscheidung rechtlich außerstande<br />

sieht, diese Grenzwerte - etwa in Anlehnung an die vergleichsweise vorgeschlagene<br />

Regelung - zu Lasten des Antragstellers zu verändern. Im übrigen hat die Antragsgegnerin<br />

dem Gericht gegenüber fernmündlich zugesagt, Lärmmessungen durchzuführen und sich gegebenenfalls<br />

um Lärmreduzierung bemühen zu wollen.<br />

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens<br />

nach der auch den § 154 Abs. 3 VwGO verdrängenden Sondervorschrift des § 155 Abs. 5<br />

VwGO wegen Verschuldens je zur Hälfte zu tragen, weil sie durch Nichterfüllung des letztjährigen<br />

Vergleichs den vorliegenden Rechtsstreit um die Altstadtkirmes 1996 schuldhaft<br />

verursacht haben; insoweit sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 162<br />

Abs. 3 VwGO nicht für erstattungsfähig erklärt worden. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens<br />

sind demgegenüber gemäß § 155 Abs. 1 VwGO gegeneinander aufzuheben, weil nicht<br />

nur die Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen hinsichtlich der Verwendung<br />

technischer Tonwiedergabegeräte und der Vorverlegung der Sperrzeiten auf 24.00 Uhr am 12.<br />

und 14. Oktober 1996, sondern auch die Beschwerde des Antragstellers hinsichtlich der Beendigung<br />

der Musikdarbietungen am Montag, dem 14. Oktober 1996, um 23.00 Uhr erfolgreich<br />

waren.<br />

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 20 Abs. 3 und § 13 Abs.<br />

1 GKG.<br />

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG unanfechtbar.<br />

54<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


3. Kammer , Urteil vom 15. Januar 2002 , Az: 3 K 3905/01<br />

ImSchG NW § 9 Abs 2, ImSchG NW § 10 Abs 4<br />

Schutz vor Lärmimmissionen und Schutz der Nachtruhe bei Volksfesten mit Musikdarbietungen,<br />

ImSchG NW §§ 10 Abs 4, 9 Abs 2<br />

Orientierungssatz<br />

1. Soweit in Nordrhein-Westfalen der von Volksfesten ausgehende Lärm durch Anwendung<br />

der Freizeitlärm-Richtlinie vom 11. Oktober 1997 (MBl NW 1997 § 1352) zu bewerten ist,<br />

sind die in dieser Richtlinie vorgegebenen generellen Richtwerte keine abschließende Grenze;<br />

denn die Regelungen des ImSchG NW §§ 10 Abs 4 und 9 Abs 2 haben als Voraussetzung,<br />

dass bestimmte Betätigungen stattfinden dürfen, die geeignet sind, die Nachtruhe zu stören.<br />

2. Die gemäß ImSchG NW §§ 10 Abs 4 und 9 Abs 2 bei Ausnahmen vom Lärmschutz erforderlichen<br />

Auflagen und Bedingungen dienen in erster Linie dem Zweck, auch dann noch in<br />

einem Mindestumfang den berechtigten Interessen betroffener Dritter Rechnung zu tragen,<br />

wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Durchbrechung der Vorschriften zum<br />

Schutz der Nachtruhe erfüllt sind.<br />

3. Die behördliche Vorgabe, die Lautstärke der Musikdarbietungen und Lautsprecherdurchsagen<br />

so zu regeln, dass unbeteiligte Personen nicht in unzumutbarer Weise belästigt werden, ist<br />

nicht hinreichend bestimmt genug, um eine Begrenzung der Belastung der Nachbarschaft zur<br />

Nachtzeit zu gewährleisten.<br />

4. Zur Gewährleistung der Rechte Unbeteiligter kann die Behörde gehalten sein, die Schutzauflagen<br />

zu konkretisieren und einen Abstrahlpegel festzusetzen sowie die Verwendung eines<br />

Schallpegelbegrenzers vorzuschreiben und zu kontrollieren.<br />

Weitere Fundstellen<br />

ZUR 2003, 304 (red. Leitsatz)<br />

Langtext<br />

Tatbestand<br />

Mit Bescheid vom 15. März 2001 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen eine Ausnahmegenehmigung<br />

nach §§ 9 Abs. 3 und 10 Abs. 4 des Landesimmissionsschutzgesetzes<br />

(LImSchG) für die Durchführung eines Schützen- und Heimatfestes auf dem Festplatz und<br />

in einem Festzelt ... in der Zeit von Samstag, 30. Juni 2001, bis Montag, 2. Juli 2001. Die Genehmigung<br />

bezog sich im Hinblick auf den ersten Tag der Veranstaltung auf die Zeit von<br />

15.00 Uhr bis 1.00 Uhr des Folgetages, für den zweiten Tag der Veranstaltung auf die Zeit<br />

von 11.00 Uhr bis 24.00 Uhr und für den dritten Tag auf die Zeit von 15.00 Uhr bis 1.00 Uhr<br />

des Folgetages. Die Erlaubnis enthielt zudem folgende Regelung: "Die Musikdarbietungen<br />

und die Lautsprecherdurchsagen sind in ihrer Lautstärke so zu wählen, dass unbeteiligte Personen,<br />

insbesondere nach 22.00 Uhr, nicht in unzumutbarer Weise belästigt werden. Außerdem<br />

ist Sorge dafür zu tragen, dass nach jeweils drei Musikstücken eine Pause von mindestens<br />

zehn Minuten eingehalten wird."<br />

55<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


en Ausnahmen vom Nachtruheschutz zugelassen würden. Die Ausnahme durch einen bestimmten<br />

Lärmpegel zu begrenzen, erscheine aus mehreren Gründen nicht praktikabel. Technische<br />

Geräte, die eine Begrenzung der Lautstärke auf bestimmte Werte ermöglichten, gebe<br />

es nicht für Musikinstrumente, die ohne Verstärkeranlage betrieben würden. Im Übrigen<br />

müssten sie vor Beginn einer Veranstaltung eingestellt werden. Bereits durch veränderte<br />

Wetterverhältnisse könnten am Bezugspunkt völlig andere Lärmpegel auftreten. Außerdem<br />

sei es kaum möglich, eine Veränderung der einmal vorgenommenen Begrenzung bzw. eine<br />

Umgehung des Begrenzers auszuschließen, ohne die Veranstaltung permanent zu überwachen.<br />

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er führt aus, der Bescheid berücksichtige die Belange<br />

der Anwohner ausreichend. Messungen am Haus ..., das ungefähr auf der Linie der Häuser der<br />

Kläger zu 1. und 2. liege, und vor dem Haus ... hätten bis 23.00 Uhr Pegel von nicht mehr als<br />

45 dB (A) und ab 23.00 Uhr nicht mehr als zwischen 37 und 42 dB (A) ergeben. Lediglich im<br />

Bereich des Eingangs des Sportplatzes neben dem Festplatz sei ein Pegel von 55 dB (A) festgestellt<br />

worden.<br />

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten<br />

Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (einschließlich des Vorgangs<br />

über das Fest vom 1. bis 3. Juli 2000) und der ... ... sowie das Protokoll vom 15. Januar<br />

2002 Bezug genommen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

Die zulässige Klage hat nur teilweise Erfolg.<br />

Die Kläger können in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Rechtswidrigkeit<br />

der angefochtenen Genehmigung auch nach ihrer Erledigung geltend machen, weil sie<br />

ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung haben. Dieses ergibt sich hier aus der Gefahr<br />

der Wiederholung in der Zukunft, nachdem der Beklagte darauf hingewiesen hat, er beabsichtige<br />

auch in der Zukunft nicht die Konkretisierung der Schutzauflage etwa durch einen<br />

bestimmten Pegel.<br />

Die Klage ist jedoch nur teilweise begründet.<br />

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß<br />

§§ 9 Abs. 2, 10 Abs. 4 LImSchG für die Veranstaltung des Beigeladenen lagen vor.<br />

Nach § 9 Abs. 3 Satz 2 LImSchG liegt ein öffentliches Bedürfnis in der Regel vor, wenn eine<br />

Veranstaltung auf historischen, kulturellen oder sonst sozial gewichtigen Umständen beruht<br />

und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber<br />

dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt. Die Genehmigung betrifft ein<br />

Schützenfest, das nach den Feststellungen des Beklagten seit über 70 Jahren stattfindet. Dies<br />

stellt einen hinreichend gewichtigen Umstand dar, der die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung<br />

gemäß §§ 9 Abs. 2 Satz 2, 10 Abs. 4 LImSchG rechtfertigt. Das öffentliche Interesse an<br />

der Durchführung der Veranstaltung wird nicht dadurch beseitigt, dass im Laufe der Zeit etwa<br />

einem veränderten Musikgeschmack Rechnung getragen wird. Im Übrigen kann ein öffentliches<br />

Interesse im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 2 LImSchG auch dann gegeben sein, wenn die<br />

57<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


engeren Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 2 LImSchG nicht erfüllt sind (vgl. OVG NRW,<br />

Beschluss vom 25. Juli 1996 - 21 B 1741/96 -). Auch der zeitliche Umfang der Veranstaltung<br />

verletzt für sich genommen Rechte der Kläger nicht. Dabei kann davon ausgegangen werden,<br />

dass selbst ohne entsprechende planungsrechtliche Grundlage auf einem von Wohnbebauung<br />

umgebenen Platz eine viertägige Veranstaltung zulässig ist, die im Durchschnitt nicht über<br />

24.00 Uhr hinaus festgesetzt wird, bei einem Schützenfest, das sich auf drei Tage beschränkt,<br />

auch eine jeweils über 24.00 Uhr hinausreichende Veranstaltungszeit noch nicht beanstandet<br />

werden kann (vgl. BVerwG, NVwZ 1989, 755 und OVG NRW, NVwZ 1988, 178).<br />

Anhaltspunkte für eine unzumutbare Lärmeinwirkung zur Tageszeit hatte der Beklagte<br />

nicht zu berücksichtigen. Indessen waren die Nebenbestimmungen in den Bescheiden vom<br />

15. März und 15. Juni 2001 nicht in einer Weise gefasst, die geeignet war, dem nach nicht zu<br />

beanstandender Auffassung des Beklagten und der Widerspruchsbehörde Beachtung verlangenden<br />

Schutzbedürfnis der Anwohner zur Nachtzeit im Hinblick auf die Musikdarbietungen<br />

und Lautsprecherdurchsagen hinreichend Rechnung zu tragen. Die Vorgabe, Musikdarbietungen<br />

und Lautsprecherdurchsagen seien in ihrer Lautstärke so zu wählen, dass unbeteiligte<br />

Personen nicht in unzumutbarer Weise belästigt werden, war nicht hinreichend bestimmt genug,<br />

um eine Begrenzung der Belastung der Nachbarschaft zur Nachtzeit zu gewährleisten.<br />

Hierzu erfolgte zwar die ergänzende Anordnung, die Lautstärke der Musikdarbietungen sei ab<br />

22.00 Uhr entsprechend dem Vertrag mit der Musikgruppe deutlich zu reduzieren. Der Vertrag<br />

sieht in diesem Zusammenhang aber wiederum lediglich vor: "Lautstärke ab 22.00 Uhr<br />

total reduzieren (BASS)". Gegen die Eignung einer solchen Anordnung sprach hier, dass es<br />

nach Auffassung der Widerspruchsbehörde im Jahre 2000 zu Verstößen gegen immissionsschutzrechtliche<br />

Auflagen gekommen war. Zumindest sprechen die Feststellungen des Beklagten<br />

im Jahr 2000 für die Gefahr, dass durch die Musikdarbietungen in der Zeit ab 22.00<br />

Uhr Belastungen durch Lärm auftreten konnten, die der Beklagte verhindern wollte. Der Beklagte<br />

hatte im Jahre 2000 noch in einer Entfernung von 150 m einen Wirkpegel von 55 dB<br />

(A) ohne Musikdarbietungen festgestellt und in einem Abstand von 380 m einen Wirkpegel<br />

von 52 dB (A). Für die Bewertung der Lärmeinwirkungen kann auf die sogenannte Freizeitlärm-Richtlinie<br />

(vgl. Runderlass des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft<br />

vom 11. Oktober 1997, MBl.NRW S. 1352) zurückgegriffen werden.<br />

Die dortigen Hinweise gelten insbesondere für Grundstücke, auf denen in Zelten oder im<br />

Freien Diskothekenveranstaltungen, Volksfeste o.ä. stattfinden. Dabei können allerdings die<br />

generell einzuhaltenden Richtwerte keine abschließende Grenze darstellen, weil § 10 Abs. 4<br />

und § 9 Abs. 2 LImSchG gerade voraussetzen, dass bestimmte Betätigungen stattfinden sollen,<br />

die die Nachtruhe zu stören geeignet sind bzw. geeignet sind, unbeteiligte Personen zu<br />

belästigen. Es kann offen bleiben, wo hier etwa ein sachgerechter Wert hätte angesetzt werden<br />

können, etwa bei dem nach Ziffer 4.4 a) der Richtlinie bei dem um 10 dB (A) erhöhten generellen<br />

Richtwert für allgemeine Wohngebiete oder noch darüber. Jedenfalls war es nicht folgerichtig,<br />

auf eine nähere Regelung zum Ausmaß der Lärmbeeinträchtigung zu verzichten.<br />

Die Bedingungen und Auflagen, die §§ 9 Abs. 2 Satz 2, 10 Abs. 4 Satz 2 LImSchG ermöglichen,<br />

sollen gerade dazu dienen, auch dann noch in einem Mindestumfang den berechtigten<br />

Interessen betroffener Dritter Rechnung zu tragen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen<br />

für eine Durchbrechung der Vorschriften zum Schutz der Nachtruhe erfüllt sind. In diesem<br />

Zusammenhang verweist etwa die Freizeitlärm-Richtlinie darauf, dass Lautsprecher und<br />

ähnliche Einrichtungen in ihrer Lautstärke begrenzt werden können und hierfür Begrenzer<br />

vorgeschrieben werden können, die die Einhaltung der entsprechenden Immissionsrichtwerte<br />

ermöglichen. Der Beklagte und die Widerspruchsbehörde sehen einerseits das Bedürfnis zu<br />

58<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


einer Begrenzung der Belastung durch Musikdarbietungen zur Nachtzeit. Andererseits hält<br />

der Beklagte genauere Festsetzungen für ungeeignet, weil er den Charakter der Veranstaltung<br />

gefährdet sieht und die Umgehung einer Begrenzungseinrichtung für nicht ausgeschlossen<br />

hält. Selbst wenn etwa ein Richtwert von 50 dB (A) tatsächlich nicht ohne Beeinträchtigung<br />

des Charakters der Festveranstaltung mit Tanz einhaltbar sein sollte, stünde dies einer Regelung<br />

des Abstrahlpegels nicht gänzlich entgegen. Dass hier Musikinstrumente ohne eine Verstärkeranlage<br />

betrieben werden sollten, was nach Auffassung des Beklagten einer Pegelbegrenzung<br />

entgegengestanden hätte, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Hiergegen spricht die<br />

Anforderung nach einem Stromanschluss mit bestimmten Leistungsdaten in dem Vertrag mit<br />

der Musikgruppe. Mit maßgeblichen meteorologischen Unsicherheiten bei der Einmessung<br />

der Anlage war hier nicht zu rechnen. Dies wäre nach Auskunft des Landesumweltamtes erst<br />

bei einem Abstand von 200 m der Fall. Das Landesumweltamt hat überdies mitgeteilt, dass es<br />

Schallpegelbegrenzer gibt, die gegen Manipulationen gesichert werden können. Der Umstand<br />

allein, dass die Möglichkeit besteht, auch einen solchen gegen Manipulationen gesicherten<br />

Pegelbegrenzer aus der Anlage herauszunehmen, spricht jedenfalls dann nicht gegen eine entsprechende<br />

Anordnung, wenn zugleich für Kontrollen gesorgt wird.<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Das Begehren der Kläger war auch<br />

in der mündlichen Verhandlung auf Feststellung der vollständigen Rechtswidrigkeit der Genehmigung<br />

gerichtet. Anlass, einem der Beteiligten die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen,<br />

besteht nicht, weil dieser sich nicht durch das Stellen eines Sachantrages dem Kostenrisiko<br />

des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.<br />

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711<br />

ZPO.<br />

Gründe für eine Zulassung der Berufung gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO<br />

liegen nicht vor.<br />

59<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


nem Wohnhaus entfernt aufgestellten Festzelt auf dem hier fraglichen Dorfplatz, auf dem jeweils<br />

außer dem Festzelt auch zwei Karussells und Buden aufgestellt wurden.<br />

Im August 1995 beantragte der Kläger erstmals bei dem Verwaltungsgericht Gießen die Gewährung<br />

einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Ziel, die Altstadtkirmes auf dem Dorfplatz<br />

ganz zu verhindern oder jedenfalls auf ein für ihn erträgliches Maß zu beschränken, weil ein<br />

Festplatz in dem allgemeinen Wohngebiet schon planungsrechtlich nicht zulässig und dafür<br />

auch keine Baugenehmigung erteilt worden sei, und weil die Altstadtkirmes aufgrund der unzumutbaren<br />

Lärmbelästigung gegen die Hess. Lärmschutzverordnung und das Bundesimmissionsschutzgesetz<br />

verstoße. Mit Beschluß vom 27.09.1995 - 8 G 1275/95(1) - setzte die erkennende<br />

Kammer im Wege der einstweiligen Anordnung für Musikveranstaltungen bei der<br />

Altstadtkirmes in Anwendung der sogenannten LAI-Hinweise Lärmgrenzwerte für seltene<br />

Störereignisse von tagsüber 70 dB(A) und nachts ab 22.00 Uhr von 55 dB(A) fest und lehnte<br />

den Antrag im übrigen ab. Im Rahmen des dagegen von beiden Parteien eingeleiteten Beschwerdeverfahrens<br />

schlug der zuständige 14. Senat mit Beschluß vom 05.10.1995 - 14 TG<br />

3325/95 - eine von beiden Parteien angenommene vergleichsweise Regelung vor, in der sich<br />

die Beklagte verpflichtete, der die Veranstaltung durchführenden Gastwirtin Auflagen aufzuerlegen,<br />

deren Einhaltung zu überwachen und ggf. durchzusetzen. Danach sollte am Freitag,<br />

an dem bisher im Zelt jeweils eine Techno-Disco abgehalten worden war, auf dem Festplatz<br />

keine Veranstaltung stattfinden, ferner die Veranstaltungszeit an den folgenden Tagen von<br />

Samstag bis Montag zeitlich begrenzt und im übrigen die bereits von der Kammer festgesetzten<br />

Lärmrichtwerte um bestimmte Zuschläge ergänzt werden.<br />

Diese Vergleichsregelungen übernahm die Beklagte als Auflage in die der die Veranstaltung<br />

durchführenden Gastwirtin erteilte gaststättenrechtliche Gestattung vom 06.10.1995 für den<br />

Betrieb ihres Festzeltes anläßlich der vom 07.- 09.10.1995 geplanten Altstadtkirmes. Lärmmessungen<br />

nahm die Beklagte aber nicht vor, weil sie sich dazu aufgrund des gerichtlichen<br />

Vergleichs nicht verpflichtet fühlte. Der Kläger ließ durch einen öffentlich bestellten und vereidigten<br />

Sachverständigen in seinem Wohnhaus während der Altstadtkirmes 1995 samstags<br />

und montags Lärmimmissionsmessungen durchführen, die deutliche Überschreitungen sowohl<br />

der Tages- als auch der Nachtgrenzwerte ergaben. Daraufhin forderte er die Beklagte im<br />

Januar 1996 zur Abgabe einer verbindlichen Erklärung auf, das fragliche Nachbargrundstück<br />

nicht mehr als Festplatz zu nutzen.<br />

Die Beklagte lehnte dies ab und stellte in einem verwaltungsinternen Vermerk vom<br />

22.02.1996 fest, daß die Festsetzung und Durchsetzung der fraglichen Lärmgrenzwerte "völlig<br />

illusorisch" sei.<br />

Am 14.08.1996 beantragte der Kläger gegen die Altstadtkirmes 1996 bei dem Verwaltungsgericht<br />

Gießen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (8 G 1221/96(1)).<br />

Mit Bescheiden vom 21.08.1996 erteilte die Beklagte der die Festveranstaltung durchführenden<br />

Gastwirtin eine gaststättenrechtliche Gestattung für den Betrieb ihres Festzeltes anläßlich<br />

der vom 12.-14.10.1996 geplanten Altstadtkirmes und setzte die Veranstaltungs- bzw.<br />

Sperrzeiten und Lärmgrenzwerte wiederum entsprechend dem gerichtlichen Vergleich des<br />

Hess. Verwaltungsgerichtshofes vom 05.10.1995 fest. Mit Bescheid vom 29.08.1996 ordnete<br />

sie die sofortige Vollziehung dieser Bescheide an, weil an der sofortigen Durchführung der<br />

traditionellen Altstadtkirmes ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, zumal dem<br />

Interesse des Klägers durch die Auflagen ausreichend Rechnung getragen worden sei.<br />

61<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Mit Beschluß vom 10.09.1996 stellte die erkennende Kammer die aufschiebende Wirkung des<br />

Widerspruchs teilweise wieder her.<br />

Aufgrund der von allen Beteiligten eingelegten Beschwerden hiergegen änderte der<br />

Hess.VGH am 08.10.1996 den Beschluß der erkennenden Kammer vom 10.09.1996 ab und<br />

stellte gegenüber dem Beschluß der Kammer in zeitlicher und die Lärmgrenzwerte betreffender<br />

Hinsicht strengere Anforderungen auf. Zugleich gestattete der Hess.VGH (14 TG<br />

3852/96) allerdings die Verwendung technischer Tonwiedergabegeräte - anders als die erkennende<br />

Kammer in ihrem Beschluß vom 10.09.1996.<br />

Am 07.05.1996 hat der Kläger Klage erhoben, die er im wesentlichen mit denselben Argumenten<br />

wie in den zuvor durchgeführten Eilverfahren (8 G 1275/95(1) und 8 G 1221/96(1))<br />

begründet. Er macht im wesentlichen geltend, die Beklagte habe für den Festplatz keine Baugenehmigung<br />

erhalten, so daß die Nutzung des Dorfplatzes als Festplatz nicht zulässig sei.<br />

Die Beklagte halte sich im übrigen weder an die festgesetzten Immissionszeiten noch an die<br />

Immissionsgrenzwerte. Vielmehr würden diese durchgängig drastisch überschritten. Sogar<br />

nach 22.00 Uhr lägen die Immissionswerte noch über den höheren Werten, die für die Zeit bis<br />

22.00 Uhr festgesetzt worden seien; von einer Reduzierung ab 22.00 Uhr könne nicht im geringsten<br />

die Rede sein, wie das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten des öffentlich bestellten<br />

und vereidigten Sachverständigen Dipl-Ingenieur K.H. B..., bei dessen entsprechender<br />

Messung ergeben habe. Auch während der Musikpausen seien die festgesetzten Immissionsgrenzwerte<br />

von 55 dB(A) bzw. 65 dB(A) permanent überschritten worden. Dies zeige, daß<br />

alleine schon die von der Menschenansammlung ausgehende Lärmbelästigung ohne Kapelle<br />

zu einer nach der maßgeblichen Freizeitlärmrichtlinie nicht hinnehmbaren Nachbarbelastung<br />

führe. Abgesehen davon seien sogar den Kläger schmähende Lieder im Festzelt gesungen<br />

worden. Die Beklagte sei nicht im geringsten gewillt, übernommene Grenzwerte zu respektieren<br />

und weiterzugeben. Sie fühle sich für nichts zuständig und lasse die Dinge unkontrolliert<br />

ihren Lauf nehmen. Darüber hinaus habe auch die von der Beklagten durchgeführten Messung<br />

im Rahmen der Festveranstaltung im August 1996 ergeben, daß die festgesetzten Werte nicht<br />

eingehalten worden seien, weshalb die Untersagung des gesamten Festes geboten sei.<br />

Der Kläger beantragt,<br />

I. der Beklagten zu untersagen, den "Dorfplatz K....Weg 25" in S....für Festveranstaltungen<br />

jeder Art, wie beispielsweise Kirchweihfest, Kirmes, Dämmerschoppen und ähnliches,<br />

zu nutzen und/oder durch Dritte nutzen zu lassen,<br />

hilfsweise:<br />

der Beklagten zu untersagen, den "Dorfplatz K.... Weg 25" in S.... für Festveranstaltungen<br />

jeder Art (Kirchweihfest, Kirmes, Dämmerschoppen und ähnliches), bei denen auch Musikdarbietungen,<br />

sei es durch Kapellen oder technische Tonwiedergabegeräte und Restauration<br />

durch gaststättenartigen Ausschank alkoholischer Getränke, sei es in Festzelten oder in offener<br />

Veranstaltung, stattfinden, zu nutzen und/oder durch Dritte nutzen zu lassen,<br />

weiter hilfsweise:<br />

die Beklagte zu verpflichten, bei Abhaltung und/oder Zulassung von Festveranstaltungen auf<br />

dem "Dorfplatz K.... Weg 25" in S.... folgende Immissionszeiten und Immissionsgrenzwerte<br />

62<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


"wesentlich" vgl. BVerwGE 79, 254 , 257 ff.; 81, 197, 200; NVwZ 1991, 886; Bay.VGH,<br />

NwVZ 1993, 1006; VGH Bad-Würt., VBlBW 1996, 108; BVerwG, BayVBl 1996, 634, 635<br />

lSp). Erreichen Nachteile oder Belästigungen den Grad des "Erheblichen", überschreiten sie<br />

damit zugleich das Maß der Zumutbarkeit (OVG NRW, NVwZ 1983, 356, 357; BayVGH,<br />

NVwZ 1993, 1006 f.; Nds. OVG, GewArch 1995, 173, 174; BVerwG, BayVBl 1996, 634,<br />

635), wobei auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und nicht auf die<br />

individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Nachbarn abzustellen ist ( BVerwGE<br />

50, 49 , 55; 68, 62, 67; OVG Rh.-Pf., NVwZ 1990, 275, 280; BGH, NJW 1993, 925, 929;<br />

Jarass, a.a.O., Rdnr. 37, 39 zu § 3). Die Bestimmung der maßgeblichen Erheblichkeitsschwelle<br />

kann allerdings nicht anhand allgemeingültiger Maßstäbe beurteilt werden, sondern<br />

ist aufgrund einer auf die konkrete Situation bezogenen, auf Ausgleich der Interessen angelegten<br />

Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen die konkreten Gegebenheiten zum einen der<br />

emittierenden und zum anderen der immissionsbetroffenen Nutzung in Betracht zu ziehen<br />

sind (vgl. BVerwGE 79, 254 , 260; 81, 197, 200; 88, 143, 145; VGH Bad-Württ., NVwZ<br />

1994, 920, 924 rSp; Nds. OVG, a.a.O.). Von diesen Grundsätzen ist die erkennende Kammer<br />

bereits in anderen Entscheidungen, die die Aufstellung von Wertstoffcontainern betrafen,<br />

ausgegangen (VG Gießen, NwVZ - RR 1996, 571, 572 f. = GewArch 1997,38 ff.; U. v.<br />

21.02.1996, 8 E 1654/93(1), S. 10 f. UA).<br />

c) Unter Berücksichtigung der sonach gebotenen konkreten und individuellen Beurteilung der<br />

mit der Festplatznutzung der Altstadtkirmes zusammenhängenden Immissionen vermag der<br />

Kläger mit seinem Hauptantrag (vollständige Untersagung) und mit seinem ersten Hilfsantrag<br />

(Hilfsantrag zu I 2, Untersagung jeglicher Musikdarbietung) nicht durchzudringen, während<br />

er mit seinem zweiten Hilfsantrag (zu I 3, Begrenzung der Lärmwerte ) teilweise erfolgreich<br />

ist. Bei der vorzunehmenden Bewertung der Interessen der Beteiligten in dem hier zu entscheidenden<br />

Einzelfall erscheint nämlich das Maß dessen, was an Lärm der Altstadtkirmes<br />

auf das Grundstück des Klägers einwirken kann, unter Beachtung der im Urteilstenor unter 1.<br />

ausgesprochenen Beschränkungen auf bestimmte dB(A)-Werte, für den Kläger zumutbar.<br />

Auszugehen ist zunächst davon, daß es normative Vorgaben für die rechtliche Beurteilung<br />

von Freizeitlärm nicht gibt. Die erkennende Kammer berücksichtigt in solchen, den Immissionsschutz<br />

betreffenden Fällen, in denen gesetzliche Regeln nicht vorhanden sind, ebenso wie<br />

die sonstige Rechtsprechung der allgemeinen Verwaltungsgerichte (vgl. z.B. VGH Bad.-<br />

Württ., GewArch 1985, 136, 137; Bay.VGH, NVwZ 1993, 1006 m.w.N.; NJW 1997, 1181,<br />

1182) die einschlägigen technischen Regelwerke, die unter sachverständiger Beratung der<br />

Fachöffentlichkeit erarbeitet worden sind, als Orientierungsrahmen. Aus diesem Grunde zieht<br />

die erkennende Kammer in Übereinstimmung mit der übrigen Rechtsprechung (vgl. z.B.<br />

VGH Bad-Würt., NVwZ - RR 1994, 633, 634; VBlBW 1996, 108, 109; siehe auch Nds.<br />

OVG, GewArch 1995, 173, 174; OVG Bremen, GewArch, 1996, 390, 391; Bay.VGH, NJW<br />

1997, 1181, 1182) und dem zuständigen Senat des Hess. VGH (vgl. z.B. die die Beteiligten<br />

betreffende Eilentscheidung vom 08.10.1996, 14 TG 3852/96, GewArch 1997, 162 ff. bei der<br />

Beurteilung der Lärmimmission , die von kommunalen Festveranstaltungen ausgehen, die<br />

entsprechenden Hinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI-Hinweise,<br />

NVwZ 1988, 135 ff.; Neufassung: NVwZ 1997, 469 ff.) als wesentlich für die Beurteilung der<br />

Frage der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles<br />

heran (vgl. auch BVerwGE 88, 143 , 145). Danach ist vorliegend ein sogenanntes seltenes<br />

Störereignis anzunehmen. Ein solches liegt nach 4.2 der LAI-Hinweise 1988 vor, wenn nicht<br />

mehr als max. 5 % der Tage oder Nächte eines Jahres bzw. an 10 Tagen (4.4 der LAI-<br />

Hinweise 1997) eine Veranstaltung stattfindet. Davon ist hier auszugehen, denn die Altstadt-<br />

66<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


kirmes ist bislang die einzige auf dem Festplatz durchgeführte Veranstaltung. Aus diesem<br />

Grunde hält die Kammer die in 4.2 der LAI-Hinweise vorgegebenen dB(A)-Werte für angemessen,<br />

so daß der Beurteilungspegel - mit Ausnahme des Samstags - während der Tageszeit<br />

(6.00 - 22.00 Uhr) 70 dB(A) - Maximalpegel 90 dB(A) - und während der lautesten Nachtzeit<br />

(22.00 Uhr - 6.00 Uhr) 55 dB(A) - Maximalpegel 65 dB(A) betragen darf. Die erkennende<br />

Kammer hält es im vorliegenden Einzelfall nicht für angebracht, Zuschläge für den Schutz<br />

ruhebedürftiger Zeiten (vgl. 3.3. der LAI-Hinweise 1988 und 4.2. der LAI-Hinweise 1997) zu<br />

berücksichtigen, da die Altstadtkirmes bislang die einzige Festveranstaltung ist, dem Kläger<br />

mithin die in 4.2 der LAI-Hinweise 1988 bzw. 4.4 der LAI-Hinweise 1997 genannten Werte<br />

ohne Zuschläge zumutbar erscheinen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang vorgetragen<br />

hat, ihr sei es nicht möglich, die vorgegebenen Werte von 55 dB(A) nachts und 70<br />

dB(A) am Tage einzuhalten, ist dies für die erkennenden Kammer nicht nachvollziehbar. Zu<br />

berücksichtigen ist nämlich einerseits, daß Musikveranstaltungen und damit die Hauptursache<br />

der Lärmemissionen , nur bis 22.00 Uhr an den beiden fraglichen Tagen gestattet sind, mithin<br />

die Immissionsbelastung durch Musik zeitlich eingeschränkt ist. Andererseits ist die Beklagte<br />

gehalten, durch entsprechende Messungen und Kontrollen die Lärmimmissionen zu begrenzen.<br />

Für den Kläger ist es nach Auffassung der erkennenden Kammer auch zumutbar, an nur einem<br />

Tag der Altstadtkirmes deutlich höhere Beurteilungspegel hinzunehmen, nämlich am<br />

Samstag bis Sonntagnacht 1.00 Uhr 75 dB(A) - Maximalpegel 80 dB(A). Hierfür ist im vorliegenden<br />

Einzelfall ausschlaggebend, daß es sich bei der Altstadtkirmes entgegen der Ansicht<br />

des Klägers um eine Traditionsveranstaltung handelt. Der Traditionscharakter ergibt sich<br />

vorliegend schon daraus, daß die Kirmesveranstaltungen einschließlich der ab 1993 durchgeführten<br />

stets zur gleichen Zeit, nämlich am 2. Sonntag nach dem 29.09., dem Fest des Heiligen<br />

Michael, abgehalten wurden bzw. werden. Auch wenn die Altstadtkirmes zunächst an<br />

einem anderen Ort, wenngleich in unmittelbarer Nähe, stattfand, so wird sie doch inzwischen<br />

ausschließlich und ohne ihren Charakter geändert zu haben, auf dem Dorfplatz durchgeführt.<br />

Es ist weiterhin zu berücksichtigen, daß die Altstadtkirmes bislang stets von einer Vielzahl<br />

von Personen besucht wurde, mithin von einem Großteil der S..... Bevölkerung gewünscht<br />

wird und daher dem entsprechenden Kommunikationsbedürfnis und der Neigung der Bevölkerung,<br />

bei solchen Festivitäten zu tanzen, in zeitlicher Hinsicht und durch die Gestattung<br />

elektronisch verstärkter Musik als Ausdruck des im Laufe der Zeit gewandelten Musikverständnisses<br />

Rechnung getragen werden muß. Bei solchen Veranstaltungen, die zu den typischen<br />

Erscheinungsformen des gemeindlichen Lebens gehören, ist daher ein entsprechendes<br />

Fest von Samstag bis in die Nachtstunden 1.00 Uhr des Sonntags hinzunehmen, zumal - worauf<br />

auch der Hess. Verwaltungsgerichtshof in seinem letzten die Parteien betreffenden Eilverfahren<br />

vom 08.10.1996 mit Recht hingewiesen hat, am Sonntagmorgen grundsätzlich ausgeschlafen<br />

werden kann. Da es hierbei praktisch nur um wenige Stunden im Jahr geht, sind für<br />

den Kläger als Ausnahme Überschreitungen der allgemeinen Lärmorientierungswerte hinnehmbar.<br />

Dies gilt vorliegend um so mehr, als an den beiden anderen Festtagen ein Ausgleich<br />

durch die zeitliche Beschränkung der Veranstaltung auf 24.00 Uhr und eine Beschränkung der<br />

musikalischen Darbietung auf 22.00 Uhr vorgesehen ist. Die erkennende Kammer schließt<br />

sich damit dem Hess.VGH an, der in seiner das letzte Eilverfahren der Beteiligten betreffenden<br />

Entscheidung (Beschluß vom 08.10.1996) ausgeführt hat, daß Überschreitungen der zulässigen<br />

dB(A)-Werte an einem Festtag durch einschränkende Maßnahmen an einem anderen<br />

Festtag ihren Ausgleich zu finden in der Lage sind. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß Festveranstaltungen<br />

dieser Art traditionsgemäß bis in die Nachtstunden dauern. Will man solche<br />

Festivitäten mit Rücksicht auf ihren Traditionscharakter und ihre Sozialadäquanz wegen des<br />

67<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


großen Interesses der Bevölkerung und der insoweit bestehenden Daseinsvorsorge der Gemeinden<br />

und unter Berücksichtigung dessen, daß sie - wie hier - nur singulär vorkommen,<br />

nicht gänzlich untersagen, hält es die Kammer ausnahmsweise für angemessen, daß an einem<br />

Tag einschließlich der Nachtstunden höhere Lärmwerte hingenommen werden müssen. Im<br />

Rahmen einer mehrtägigen Festveranstaltung ist einem betroffenen Nachbarn zumindest an<br />

einem Tag bis in die Nachtstunden des folgenden auch ein höherer Lärmwert zuzumuten als<br />

die LAI-Hinweise vorgeben, wenn die Veranstaltung - wie hier - ansonsten weitgehend die<br />

einzige bleibt. Zwar entstehen die höheren Lärmwerte in der Regel durch die musikalischen<br />

Darbietungen mit Verstärkeranlagen, und der Kammer sind auch Musikrichtungen bekannt,<br />

die eine Elektronik nicht benötigen. Bei Veranstaltungen der vorliegenden Art, die auch die<br />

Möglichkeit zum Tanz bieten wollen, scheinen Verstärkeranlagen aber weitgehend unabdingbar<br />

zu sein, um die notwendige "Tanzatmosphäre" zu erzeugen. Bei den im Tenor festgesetzten<br />

Grenzwerten, die für Samstag- auf Sonntagnacht vorgegeben wurden, hat die erkennende<br />

Kammer daher die realistischen Lärmgrößen , wie sie in den Vorjahren anläßlich der Altstadtkirmes<br />

auftraten, mit herangezogen. Für die Veranstaltung im Oktober 1995 hat der von<br />

dem Kläger beauftragte Sachverständige bei den Musikdarbietungen am Samstag einen Mittelungspegel<br />

von 75 dB(A) und einen Maximalpegel von 84,1 dB(A) festgestellt, und die von<br />

der Beklagten beauftragte Gesellschaft für Schalltechnik und Arbeitsschutz mbH - GSA Limburg<br />

- hat für das Fest im Oktober 1996 als höchsten Wert 73,0 dB(A) und Maximalpegel<br />

80,6 dB(A) - jeweils Takt-Maximalpegel - gemessen. Bei entsprechenden Anstrengungen und<br />

Kontrollen durch die Beklagte sind daher die Beurteilungspegel von 75 dB(A) und maximal<br />

80 dB(A) ohne weiteres durchsetzbar. Eventuelle Überschreitungen können auch hier notfalls<br />

durch längere Musikpausen ausgeglichen werden. Dabei ist der erkennenden Kammer bewußt,<br />

daß die Handhabung der Lärmwerte für die Beklagte nicht ganz einfach sein dürfte.<br />

Gerade auf diese Schwierigkeiten hat die Kammer aber in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.<br />

Mittels entsprechender Meßgeräte ist jedoch die Einhaltung der Lärmwertvorgaben<br />

möglich.<br />

3. Soweit der Kläger im Rahmen seines dritten Hilfsantrages zugleich begehrt, daß grundsätzlich<br />

weitere Festveranstaltungen, d.h. solche, die über die Altstadtkirmes hinausgehen,<br />

untersagt werden sollen, kann dieses Begehren deswegen nicht zum Erfolg führen, weil ein<br />

entsprechendes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis für eine vorbeugende Unterlassungsklage<br />

insoweit nicht vorliegt. Denn weitere Rechtsverletzungen drohen diesbezüglich nicht. Zwar<br />

haben die Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt,<br />

daß andere Veranstaltungen auf dem Festplatz denkbar seien; konkrete Veranstaltungen wurden<br />

aber weder benannt noch in naher Zukunft bzw. überhaupt in Aussicht gestellt, so daß es<br />

dem Kläger zumutbar erscheint, im einzelnen weitere Veranstaltungen abzuwarten und ggf.<br />

diese anzugreifen.<br />

Die Kammer hält es im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren nicht für notwendig, hinsichtlich<br />

evtl. weiterer Festveranstaltungen Vorgaben zu machen, weist aber in diesem Zusammenhang<br />

darauf hin, daß in den Fällen, in denen Veranstaltungen am Tag oder in der<br />

Nacht mit bedeutsamen Lärmwerten geplant sind, unter Umständen ein strenger Maßstab an<br />

die Höhe des Beurteilungspegels der weiteren Festivität bzw. der Altstadtkirmes anzulegen<br />

sein wird.<br />

4. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Beklagte bei den vorangegangenen Veranstaltungen<br />

der Altstadtkirmes bislang keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen hat, die<br />

Lärmrichtwerte einzuhalten, war gem. § 167 VwGO i.V.m. § 890 ZPO für den Fall der Zuwi-<br />

68<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


derhandlung ein Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, auszusprechen. Die Androhung<br />

soll möglichst frühzeitig Druck auf den Schuldner ausüben, so daß sie auch in dem die Verpflichtung<br />

aussprechenden Urteil angeordnet werden kann. Hinsichtlich der Höhe wurde der<br />

gesetzliche Rahmen, den § 890 Abs. 1 ZPO vorsieht, d.h Androhung eines Ordnungsgeldes<br />

bis zu einem Betrag von 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zugrundegelegt.<br />

Die Kammer weist aber darauf hin, daß sie sich bei evtl. Verstößen im wesentlichen<br />

an der Höhe des in § 172 VwGO genannten Betrages orientieren wird.<br />

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 VwGO, wobei davon auszugehen ist, daß Kläger<br />

und Beklagte jeweils zur Hälfte unterlegen waren. Die weitere Nebenentscheidung folgt aus §<br />

167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.<br />

69<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Bundesimmissionsgesetz<br />

- Auszug -<br />

BImSchG § 3 Begriffsbestimmungen<br />

(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach<br />

Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen<br />

für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.<br />

(2) Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden,<br />

das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen,<br />

Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.<br />

(3) Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen,<br />

Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen.<br />

(4) Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung<br />

der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe<br />

oder Geruchsstoffe.<br />

(5) Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind<br />

1. Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen,<br />

2. Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen<br />

sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und<br />

3. Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten<br />

durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen<br />

öffentliche Verkehrswege.<br />

(5a) Ein Betriebsbereich ist der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich,<br />

in dem gefährliche Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nr. 4 der Richtlinie 96/82/EG des Rates<br />

vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen<br />

Stoffen (ABl. EG 1997 Nr. L 10 S. 13) in einer oder mehreren Anlagen einschließlich<br />

gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen und Tätigkeiten einschließlich Lagerung im<br />

Sinne des Artikels 3 Nr. 8 der Richtlinie in den in Artikel 2 der Richtlinie bezeichneten Mengen<br />

tatsächlich vorhanden oder vorgesehen sind oder vorhanden sein werden, soweit davon<br />

auszugehen ist, dass die genannten gefährlichen Stoffe bei einem außer Kontrolle geratenen<br />

industriellen chemischen Verfahren anfallen; ausgenommen sind die in Artikel 4 der Richtlinie<br />

96/82/EG angeführten Einrichtungen, Gefahren und Tätigkeiten.<br />

(6) Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher<br />

Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme<br />

zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit,<br />

zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur<br />

Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines<br />

allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der<br />

Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die im Anhang aufgeführten Kriterien<br />

zu berücksichtigen.<br />

(7) Dem Herstellen im Sinne dieses Gesetzes steht das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstige<br />

Behandeln, dem Einführen im Sinne dieses Gesetzes das sonstige Verbringen in den Geltungsbereich<br />

dieses Gesetzes gleich.<br />

Fußnoten<br />

70<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Neugefasst durch Bek. v. 26.9.2002 I 3830<br />

BImSchG § 22 Pflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen<br />

(1) Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass<br />

1. schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der<br />

Technik vermeidbar sind,<br />

2. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf<br />

ein Mindestmaß beschränkt werden und<br />

3. die beim Betrieb der Anlagen entstehenden Abfälle ordnungsgemäß beseitigt<br />

werden können.<br />

Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51) durch<br />

Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auf Grund der Art oder Menge aller oder<br />

einzelner anfallender Abfälle die Anlagen zu bestimmen, für die die Anforderungen des § 5<br />

Abs. 1 Nr. 3 entsprechend gelten. Für Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und<br />

nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, gilt die Verpflichtung<br />

des Satzes 1 nur, soweit sie auf die Verhinderung oder Beschränkung von schädlichen<br />

Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Geräusche gerichtet ist.<br />

(2) Weitergehende öffentlich-rechtliche Vorschriften bleiben unberührt.<br />

Fassung vom 26. September 2002, gültig ab 18. September 2002<br />

71<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen,<br />

Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen<br />

(Landes-Immissionsschutzgesetz - LImschG - NRW)<br />

-Auszug -<br />

Vom 18. März 1975 1<br />

GV. NRW. 1975 S. 232, geändert durch Art. 20 2. FRG v. 18. 9. 1979 (GV. NRW. S. 552),<br />

Gesetz v. 19. 3. 1985 (GV. NRW. S. 292), 7. 3. 1990 (GV. NRW. S. 202), 26. 5. 1992 (GV.<br />

NRW. S. 214), Art. 2 d. 1. VwStrukturRG v. 15. 12. 1993 (GV. NRW. S. 987), geändert<br />

durch Artikel 82 d. EuroAnpG NRW v. 25.9.2001 (GV. NRW. S. 708).<br />

Textnachweis vom : 1.1.2003, Geltungsende: 31. Mai 2004<br />

§ 9 Schutz der Nachtruhe<br />

(1) Von 22 bis 6 Uhr sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet<br />

sind.<br />

(2) Das Verbot des Absatzes 1 gilt nicht für<br />

1.<br />

Ernte- und Bestellarbeiten zwischen fünf und sechs Uhr sowie zwischen 22 und 23 Uhr,<br />

2.<br />

den Betrieb von Anlagen, die aufgrund einer Genehmigung nach dem Bundes-<br />

Immissionsschutzgesetz, einer Planfeststellung nach dem Abfallgesetz oder dem Bundesberggesetz<br />

(BBergG) oder aufgrund eines zugelassenen Betriebsplanes nach dem Bundesberggesetz<br />

betrieben werden, und<br />

3.<br />

Maßnahmen zur Verhütung oder Beseitigung eines Notstandes.<br />

Darüber hinaus kann die nach § 14 zuständige Behörde auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot<br />

des Absatzes 1 zulassen, wenn die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit im öffentlichen<br />

Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist; die Ausnahme<br />

kann unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden werden.<br />

(3) Bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse<br />

können die Gemeinden für Messen, Märkte, Volksfeste , Volksbelustigungen, ähnliche Veranstaltungen<br />

und für Zwecke der Außengastronomie sowie für die Nacht vom 31. Dezember<br />

zum 1. Januar durch ordnungsbehördliche Verordnung allgemeine Ausnahmen von dem Verbot<br />

des Absatzes 1 zulassen. Ein öffentliches Bedürfnis liegt in der Regel vor, wenn eine Veranstaltung<br />

auf historischen, kulturellen oder sonst sozialgewichtigen Umständen beruht und<br />

deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber<br />

dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt.<br />

§ 10 Benutzung von Tongeräten<br />

72<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


(1) Geräte, die der Schallerzeugung oder Schallwiedergabe dienen (Musikinstrumente, Tonwiedergabegeräte<br />

und ähnliche Geräte), dürfen nur in solcher Lautstärke benutzt werden, daß<br />

unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden.<br />

(2) Auf öffentlichen Verkehrsflächen sowie in und auf solchen Anlagen, Verkehrsräumen und<br />

Verkehrsmitteln, die der allgemeinen Benutzung dienen, ferner in öffentlichen Badeanstalten<br />

ist der Gebrauch dieser Geräte verboten, wenn andere hierdurch belästigt werden können.<br />

(3) Die Benutzung von Geräten zur Schallerzeugung oder Schallwiedergabe für Zwecke der<br />

Wahlwerbung zu Europa-, Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen in den letzten vier<br />

Wochen vor der Wahl, außer am Wahltag selbst, durch an der Wahl teilnehmende Parteien,<br />

Wählergruppen oder sonstige politische Vereinigungen ist zulässig. Die Gemeinden können<br />

durch ordnungsbehördliche Verordnung das Nähere regeln.<br />

(4) Die örtliche Ordnungsbehörde kann bei einem öffentlichen oder überwiegenden privaten<br />

Interesse auf Antrag von den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 im Einzelfall Ausnahmen<br />

zulassen. Die Ausnahmen können unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden<br />

werden. § 9 Abs. 3 gilt entsprechend. Außerdem können die Gemeinden abweichend von Absatz<br />

2 zeitlich begrenzte Darbietungen in innerstädtischen Fußgängerzonen, insbesondere Musikdarbietungen,<br />

durch ordnungsbehördliche Verordnung allgemein zulassen und die dabei zu<br />

beachtenden Anforderungen festlegen.<br />

(5) Die Absätze 1 und 2 finden auf rechtlich vorgeschriebene Signal- und Warneinrichtungen<br />

sowie auf Geräte, die im Rahmen eines öffentlichen Verkehrsbetriebes verwendet werden,<br />

keine Anwendung.<br />

§§ 7, 9, 10 und 11 zuletzt geändert durch Gesetz v. 26. 5. 1992 (GV. NRW. S. 214); in Kraft<br />

getreten am 1. Juli 1992<br />

73<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Gesetz<br />

zum Schutz vor Luftverunreinigungen,<br />

Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen<br />

(Landes-Immissionsschutzgesetz - LImschG -)<br />

Vom 18. März 1975 1<br />

1<br />

GV. NRW. 1975 S. 232, geändert durch Art. 20 2. FRG v. 18. 9. 1979 (GV. NRW. S. 552),<br />

Gesetz v. 19. 3. 1985 (GV. NRW. S. 292), 7. 3. 1990 (GV. NRW. S. 202), 26. 5. 1992 (GV.<br />

NRW. S. 214), Art. 2 d. 1. VwStrukturRG v. 15. 12. 1993 (GV. NRW. S. 987), geändert<br />

durch Artikel 82 d. EuroAnpG NRW v. 25.9.2001 (GV. NRW. S. 708).<br />

Textnachweis ab : 1.1.2003<br />

Fundstelle: GV. NRW. 1975, S. 232<br />

Zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.5.2004, GV. NRW. 2004, S. 229<br />

Erster Teil<br />

Allgemeine Vorschriften<br />

§ 1 Geltungsbereich<br />

(1) Dieses Gesetz gilt für die Errichtung und für den Betrieb von Anlagen sowie für das Verhalten<br />

von Personen, soweit dadurch schädliche Umwelteinwirkungen verursacht werden<br />

können.<br />

(2) Andere Vorschriften, die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen oder der<br />

Vorsorge gegen derartige Einwirkungen dienen, sowie die der allgemeinen Gefahrenabwehr<br />

dienenden Vorschriften des Ordnungsbehördengesetzes (OBG) und des Polizeigesetzes des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NW) werden durch dieses Gesetz nicht berührt.<br />

§ 2 Begriffsbestimmungen<br />

Die Begriffe der schädlichen Umwelteinwirkungen, der Immissionen, der Emissionen, der<br />

Luftverunreinigungen, der Anlagen und des Standes der Technik werden in diesem Gesetz im<br />

Sinne des § 3 Abs. 1 bis 6 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwandt. Soweit Kraftfahrzeuge<br />

und ihre Anhänger, Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeuge nicht zum Personenoder<br />

Güterverkehr auf öffentlichen Verkehrswegen oder im Luftraum eingesetzt werden, sind<br />

sie Anlagen im Sinne dieses Gesetzes.<br />

§ 3 Grundregel<br />

(1) Jeder hat sich so zu verhalten, daß schädliche Umwelteinwirkungen vermieden werden,<br />

soweit das nach den Umständen des Einzelfalles möglich und zumutbar ist.<br />

(2) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, hat durch geeignete Maßnahmen für die<br />

Einhaltung der Pflichten des Absatzes 1 zu sorgen.<br />

74<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


(3) Bei der Errichtung von Anlagen ist Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu<br />

treffen. Der Stand der Technik ist einzuhalten, soweit dies im Einzelfall nicht einen unverhältnismäßigen<br />

Aufwand erfordert. Soweit zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen<br />

Rechtsverordnungen nach § 23 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes erlassen sind,<br />

bestimmen sich die Anforderungen nach diesen Regelungen.<br />

.<br />

§ 4 Untersagung<br />

Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach Anhörung des zuständigen<br />

Landtagsausschusses bestimmte Tätigkeiten oder den Betrieb bestimmter nicht genehmigungsbedürftiger<br />

Anlagen ganz oder teilweise zu untersagen, wenn sie wegen ihrer Verbreitung<br />

in besonderem Maße schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen können und der<br />

Schutzzweck durch eine Rechtsverordnung auf Grund des § 23 des Bundes-<br />

Immissionsschutzgesetzes nicht erreicht werden kann.<br />

§ 5 Ortsrechtliche Vorschriften<br />

(1) Die Gemeinden können unter Beachtung der Ziele und Erfordernisse von Raumordnung<br />

und Landesplanung durch ordnungsbehördliche Verordnung vorschreiben, daß im Gemeindegebiet<br />

oder in Teilen des Gemeindegebietes im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit<br />

des Gebietes<br />

a) bestimmte Anlagen nicht oder nur beschränkt betrieben,<br />

b) bestimmte Brennstoffe allgemein oder zu bestimmten Zwecken nicht verbrannt oder<br />

c) bestimmte Tätigkeiten nicht oder nur beschränkt ausgeübt<br />

werden dürfen, soweit und solange das zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen<br />

geboten ist.<br />

(2) Vor dem Erlaß von ordnungsbehördlichen Verordnungen im Sinne des Absatzes 1 ist den<br />

Behörden und den Stellen, die Träger öffentlicher Belange sind, Gelegenheit zur Stellungnahme<br />

zu geben.<br />

(3) Die Entwürfe von ordnungsbehördlichen Verordnungen im Sinne des Absatzes 1 sind<br />

öffentlich auszulegen. § 3 Abs. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) ist entsprechend anzuwenden.<br />

(4) Ordnungsbehördliche Verordnungen im Sinne des Absatzes 1 bedürfen der Zustimmung<br />

der Bezirksregierung.<br />

§ 6 Ermittlung von schädlichen Umwelteinwirkungen<br />

Die Kreise und kreisfreien Städte sind verpflichtet, schädliche Umwelteinwirkungen im Hinblick<br />

auf Vorhaben, die für den Immissionsschutz bedeutsam sind, zu ermitteln oder ermitteln<br />

zu lassen; die Verpflichtung besteht nicht, soweit entsprechende Ermittlungen in einem behördlichen<br />

Verfahren getroffen oder vor der Einleitung von Maßnahmen zur Verwirklichung<br />

des Vorhabens zu erwarten sind. Das Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft<br />

und Verbraucherschutz kann Weisungen in bezug auf Ort, Zeit und Objekte der Ermittlungen,<br />

das Ermittlungsverfahren sowie die Auswertung und Weiterleitung der Ermittlungsergebnisse<br />

erteilen.<br />

Zweiter Teil<br />

Vorschriften für besondere Immissionsarten und Anlagensicherheit<br />

75<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Erster Abschnitt<br />

Luftreinhaltung<br />

§ 7 Verbrennen im Freien<br />

(1) Das Verbrennen sowie das Abbrennen von Gegenständen zum Zwecke der Rückgewinnung<br />

einzelner Bestandteile oder zu anderen Zwecken (z.B. Brauchtumsfeuer) im Freien ist<br />

untersagt, soweit die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit hierdurch gefährdet oder erheblich<br />

belästigt werden können. Die Gemeinden können durch ordnungsbehördliche Verordnung<br />

die näheren Einzelheiten bestimmen, soweit sie nach § 14 für die Überwachung der Einhaltung<br />

zuständig sind. Zu diesen Einzelheiten gehört insbesondere die Regelung einer Anzeigepflicht<br />

vor der Durchführung. Satz 1 bis 3 gelten nicht, soweit das Verbrennen von Abfällen<br />

im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz oder den aufgrund des Kreislaufwirtschaftsund<br />

Abfallgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen geregelt ist.<br />

(2) Die nach § 14 zuständige Behörde kann auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot des Absatzes<br />

1 zulassen, wenn lediglich kurzfristig mit Luftverunreinigungen zu rechnen ist.<br />

§ 8<br />

§§ 8 und 12a gestrichen mit Wirkung vom 1. Juli 1992 durch Gesetz v. 26. 5. 1992 (GV.<br />

NRW. S. 214).<br />

Zweiter Abschnitt<br />

Lärmbekämpfung<br />

§ 9 Schutz der Nachtruhe<br />

(1) Von 22 bis 6 Uhr sind Betätigungen verboten, welche die Nachtruhe zu stören geeignet<br />

sind.<br />

(2) Das Verbot des Absatzes 1 gilt nicht für<br />

1.<br />

Ernte- und Bestellarbeiten zwischen fünf und sechs Uhr sowie zwischen 22 und 23 Uhr,<br />

2.<br />

den Betrieb von Anlagen, die aufgrund einer Genehmigung nach dem Bundes-<br />

Immissionsschutzgesetz, einer Planfeststellung nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz<br />

oder dem Bundesberggesetz (BBergG) oder aufgrund eines zugelassenen Betriebsplanes<br />

nach dem Bundesberggesetz betrieben werden, und<br />

3.<br />

Maßnahmen zur Verhütung oder Beseitigung eines Notstandes.<br />

Darüber hinaus kann die nach § 14 zuständige Behörde auf Antrag Ausnahmen von dem Verbot<br />

des Absatzes 1 zulassen, wenn die Ausübung der Tätigkeit während der Nachtzeit im öffentlichen<br />

Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist; die Ausnahme<br />

kann unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden werden.<br />

76<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


(3) Bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse<br />

können die Gemeinden für Messen, Märkte, Volksfeste, Volksbelustigungen, ähnliche Veranstaltungen<br />

und für Zwecke der Außengastronomie sowie für die Nacht vom 31. Dezember<br />

zum 1. Januar durch ordnungsbehördliche Verordnung allgemeine Ausnahmen von dem Verbot<br />

des Absatzes 1 zulassen. Ein öffentliches Bedürfnis liegt in der Regel vor, wenn eine Veranstaltung<br />

auf historischen, kulturellen oder sonst sozialgewichtigen Umständen beruht und<br />

deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber<br />

dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt.<br />

§ 10 Benutzung von Tongeräten<br />

(1) Geräte, die der Schallerzeugung oder Schallwiedergabe dienen (Musikinstrumente, Tonwiedergabegeräte<br />

und ähnliche Geräte), dürfen nur in solcher Lautstärke benutzt werden, daß<br />

unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden.<br />

(2) Auf öffentlichen Verkehrsflächen sowie in und auf solchen Anlagen, Verkehrsräumen<br />

und Verkehrsmitteln, die der allgemeinen Benutzung dienen, ferner in öffentlichen Badeanstalten<br />

ist der Gebrauch dieser Geräte verboten, wenn andere hierdurch belästigt werden können.<br />

(3) Die Benutzung von Geräten zur Schallerzeugung oder Schallwiedergabe für Zwecke der<br />

Wahlwerbung zu Europa-, Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen in den letzten vier<br />

Wochen vor der Wahl, außer am Wahltag selbst, durch an der Wahl teilnehmende Parteien,<br />

Wählergruppen oder sonstige politische Vereinigungen ist zulässig. Die Gemeinden können<br />

durch ordnungsbehördliche Verordnung das Nähere regeln.<br />

(4) Die örtliche Ordnungsbehörde kann bei einem öffentlichen oder überwiegenden privaten<br />

Interesse auf Antrag von den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 im Einzelfall Ausnahmen<br />

zulassen. Die Ausnahmen können unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden<br />

werden. § 9 Abs. 3 gilt entsprechend. Außerdem können die Gemeinden abweichend von Absatz<br />

2 zeitlich begrenzte Darbietungen in innerstädtischen Fußgängerzonen, insbesondere Musikdarbietungen,<br />

durch ordnungsbehördliche Verordnung allgemein zulassen und die dabei zu<br />

beachtenden Anforderungen festlegen.<br />

(5) Die Absätze 1 und 2 finden auf rechtlich vorgeschriebene Signal- und Warneinrichtungen<br />

sowie auf Geräte, die im Rahmen eines öffentlichen Verkehrsbetriebes verwendet werden,<br />

keine Anwendung.<br />

§ 11 Abbrennen von Feuerwerken oder<br />

Feuerwerkskörpern<br />

(1) Wer ein Feuerwerk oder an bewohnten oder von Personen besuchten Orten Feuerwerkskörper<br />

der Klassen III und IV im Sinne des § 6 Abs. 3 in Verbindung mit Nummer 1.3 der<br />

Anlage 1 der Ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz (1. SprengV) in der Fassung der Bekanntmachung<br />

vom 31. Januar 1991 (BGBl. I S.169), zuletzt geändert am 25. November 2003<br />

(BGBl. I S.2304), abbrennen will, hat dies der örtlichen Ordnungsbehörde, in deren Bezirk<br />

das Feuerwerk oder die Feuerwerkskörper abgebrannt werden sollen, zwei Wochen vorher<br />

schriftlich anzuzeigen. Die örtliche Ordnungsbehörde kann im Einzelfall auf die Einhaltung<br />

der Frist verzichten.<br />

(2) Das Feuerwerk darf höchstens 30 Minuten dauern und muß um 22.00 Uhr, in den Monaten<br />

Mai, Juni und Juli um 22.30 Uhr beendet sein, in dem Zeitraum, für den die mitteleuropäische<br />

Sommerzeit eingeführt ist, darf das Ende des Feuerwerks um eine halbe Stunde hinausgeschoben<br />

werden. Die örtliche Ordnungsbehörde kann bei Veranstaltungen von besonderer<br />

Bedeutung Ausnahmen zulassen.<br />

77<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Dritter Abschnitt<br />

Schutz vor verschiedenen Immissionsarten<br />

§ 11a Laufenlassen von Motoren<br />

Es ist verboten, Geräusch oder Abgas erzeugende Motoren unnötig laufen zu lassen.<br />

§ 12 Halten von Tieren<br />

Tiere sind so zu halten, daß niemand durch die hiervon ausgehenden Immissionen, insbesondere<br />

durch den von den Tieren erzeugten Lärm, mehr als nur geringfügig belästigt wird.<br />

§ 13 Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes 19<br />

Zur Abwehr anderer Immissionen als Luftverunreinigungen und Geräusche sind die Vorschriften<br />

des § 22 Abs. 1 Satz 1 und § 31 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auch auf<br />

Anlagen entsprechend anzuwenden, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und die nicht im<br />

Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden.<br />

Vierter Abschnitt<br />

Schutz vor sonstigen Gefahren<br />

§ 13a § 1 Abs. 1 und 2, § 2 sowie der Zweite und der Vierte Teil der Zwölften Verordnung<br />

zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 26. April 2000 (BGBl. I S.<br />

603) sind auf genehmigungsbedürftige und nicht genehmigungsbedürftige Anlagen entsprechend<br />

anzuwenden, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und die nicht im Rahmen wirtschaftlicher<br />

Unternehmungen Verwendung finden, sofern sie Betriebsbereiche oder Teile von<br />

Betriebsbereichen im Sinne des § 3 Abs. 5a Bundes-Immissionsschutzgesetz sind.<br />

Dritter Teil<br />

Durchführung des Gesetzes<br />

§ 14 Zuständigkeit<br />

(1) Die Durchführung des § 9 , soweit die Betätigung nicht im Betrieb einer Anlage besteht,<br />

sowie die Durchführung der §§ 10 bis 12 dieses Gesetzes werden von den örtlichen Ordnungsbehörden<br />

überwacht. Diese Behörden überwachen auch die Einhaltung der Vorschriften<br />

der §§ 3 und 7, soweit es sich nicht um Tätigkeiten im Rahmen eines Gewerbebetriebes oder<br />

einer wirtschaftlichen Unternehmung handelt. Im übrigen nehmen die Staatlichen Umweltämter<br />

die Verwaltungsaufgaben zur Durchführung dieses Gesetzes und der auf dieses Gesetz<br />

78<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


gestützten Rechtsverordnungen wahr, soweit nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen<br />

ist.<br />

(2) Bei Anlagen, die der Bergaufsicht unterstehen, treten die Bergämter an die Stelle der in<br />

Absatz 1 genannten Behörden.<br />

(3) In den Rechtsverordnungen nach § 4 und 5können von Absatz 1 abweichende Zuständigkeitsregelungen<br />

zur Durchführung dieser Verordnungen vorgesehen werden.<br />

(4) Soweit die Überwachung den örtlichen Ordnungsbehörden obliegt, sollen sie das Staatliche<br />

Umweltamt beteiligen, wenn die zu treffende Entscheidung besondere technische Sachkunde<br />

auf dem Gebiet des Immissionsschutzes erfordert.<br />

§ 15 Anordnungsbefugnis<br />

(1) Die nach § 14 zuständigen Behörden können anordnen, daß Zustände beseitigt werden, die<br />

diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften widersprechen.<br />

Verfügungen, die die Errichtung, die Änderung, die Nutzungsänderung oder den Abbruch<br />

baulicher Anlagen zum Gegenstand haben, sind im Einvernehmen mit den Bauaufsichtsbehörden<br />

zu treffen.<br />

(2) Zum Schutz vor anderen Immissionen als Luftverunreinigungen und Geräusche sind für<br />

nicht genehmigungsbedürftige Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und die nicht<br />

im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, die Vorschriften der §§ 24<br />

bis 26 , des § 29 Abs. 2 , des § 30 Satz 2 und des § 31 Bundes-Immissionsschutzgesetzes<br />

entsprechend anzuwenden.<br />

(3) Zum Schutz vor Störfällen sind für genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des § 13a<br />

die Vorschrift des § 20 Abs. 1a Bundes-Immissionsschutzgesetz und für nicht genehmigungsbedürftige<br />

Anlagen im Sinne des § 13a die Vorschriften der § 24 sowie § 25 und § 29a<br />

Abs. 1 und 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes entsprechend anzuwenden.<br />

§ 16 Überwachung<br />

(1) Eigentümer und Besitzer von Grundstücken, auf denen Anlagen betrieben oder Tätigkeiten<br />

ausgeübt werden, die Emissionen verursachen können, haben den Angehörigen der nach §<br />

14 zuständigen Behörden und deren Beauftragten, soweit dies zur Überwachung der Durchführung<br />

dieses Gesetzes oder der auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlich<br />

ist,<br />

1. den Zutritt zu den Grundstücken und zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche<br />

Sicherheit oder Ordnung auch zu Wohnräumen zu gestatten,<br />

2. die Vornahme von Prüfungen und Messungen zu ermöglichen, insbesondere die hierfür<br />

benötigten Arbeitskräfte und Hilfsmittel bereitzustellen, sowie<br />

3. Auskünfte zu erteilen und Unterlagen vorzulegen.<br />

Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ( Artikel 13 des Grundgesetzes ) wird<br />

insoweit eingeschränkt.<br />

(2) Ist es zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich, andere Grundstücke<br />

zu betreten, auf denen Immissionen festgestellt oder zu besorgen sind, so haben die Eigentümer<br />

und Besitzer dieser Grundstücke den Angehörigen und Beauftragten der nach § 14 zuständigen<br />

Behörden den Zutritt zu den Grundstücken und zur Verhütung dringender Gefahren<br />

für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auch zu Wohnräumen und die Vornahme von<br />

Prüfungen zu gestatten. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ( Artikel 13 des<br />

Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. Bei Ausübung der Befugnisse nach Satz 1 ist<br />

auf die berechtigten Belange der Eigentümer und Besitzer Rücksicht zu nehmen; für entstehende<br />

Schäden hat das Land Ersatz zu leisten. Waren die Schäden unvermeidbare Folgen der<br />

79<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Überwachungsmaßnahmen und haben die Überwachungsmaßnahmen zu Anordnungen gegen<br />

den Betreiber einer Anlage geführt, so hat dieser die Ersatzleistung zu erstatten.<br />

(3) Kosten, die durch Überwachungsmaßnahmen nach Absatz 1 entstehen, trägt der Auskunftspflichtige,<br />

wenn die Ermittlungen ergeben, dass<br />

1. Auflagen oder Anordnungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erfüllt worden<br />

oder<br />

2. Auflagen oder Anordnungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes geboten sind.<br />

Bei genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne des § 13a trägt der Auskunftspflichtige die<br />

Kosten, die durch Überwachungsmaßnahmen nach Absatz 1 entstehen auch, wenn die Voraussetzungen<br />

des Satz 1 Nr. 1 oder 2 nicht gegeben sind. Bei nicht genehmigungsbedürftigen<br />

Anlagen nach § 13a trägt der Auskunftspflichtige die Kosten, die durch Beauftragung eines<br />

Sachverständigen entsprechend § 16 Abs. 3 der Zwölften Verordnung zur Durchführung des<br />

Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 26. April 2000 (BGBl. I S. 603) entstehen.<br />

Vierter Teil<br />

Straf- und Bußgeldvorschriften<br />

§ 17 Ordnungswidrigkeiten<br />

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig<br />

a) einer auf Grund des § 4 erlassenen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung<br />

für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist,<br />

b) einer im Rahmen des § 5 ergangenen ordnungsbehördlichen Verordnung zuwiderhandelt,<br />

soweit die ordnungsbehördliche Verordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift<br />

verweist,<br />

c) entgegen § 7 Abs. 1 Satz 1 Gegenstände im Freien verbrennt oder abbrennt,<br />

d) einer im Rahmen des § 7 Abs. 1 Satz 2 ergangenen ordnungsbehördlichen Verordnung zuwiderhandelt,<br />

soweit die ordnungsbehördliche Verordnung für einen bestimmten Tatbestand<br />

auf diese Bußgeldvorschrift verweist,<br />

e) entgegen § 9 Abs. 1 in der Zeit von 22 bis 6 Uhr Betätigungen ausübt, die geeignet sind,<br />

die Nachtruhe zu stören,<br />

f) entgegen § 10 Abs. 1 Geräte in solcher Lautstärke benutzt, daß unbeteiligte Personen erheblich<br />

belästigt werden,<br />

g) entgegen § 11 Abs. 1 ein Feuerwerk oder das Abbrennen von Feuerwerkskörpern nicht<br />

oder nicht rechtzeitig angezeigt hat<br />

h) beim Abbrennen eines Feuerwerks die in § 11 Abs. 2 festgesetzten Zeiten überschreitet,<br />

i) entgegen § 11 a Motoren unnötig laufen läßt<br />

j) entgegen § 12 Tiere nicht so hält, daß niemand mehr als nur geringfügig belästigt wird,<br />

k) entgegen § 13a in Verbindung mit der 12. BImSchV vom 26. April 2000 (BGBl. I S. 603)<br />

einen der in § 21 der 12. BImSchV aufgeführten Tatbestände erfüllt,<br />

l) einer vollziehbaren Anordnung nach § 15 zuwiderhandelt.<br />

(2) Ordnungswidrig handelt ferner, wer vorsätzlich oder fahrlässig<br />

a) entgegen § 10 Abs. 2 Geräte auf öffentlichen Verkehrsflächen, in oder auf solchen Anlagen,<br />

Verkehrsräumen oder Verkehrsmitteln, die der allgemeinen Benutzung dienen, oder in<br />

öffentlichen Badeanstalten in einer Weise gebraucht, daß andere hierdurch belästigt werden<br />

können,<br />

b) entgegen § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Auskünfte nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder<br />

nicht rechtzeitig erteilt oder Unterlagen nicht vorlegt.<br />

80<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


(2a) Ordnungswidrig handelt ferner, wer<br />

a) entgegen § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 den Zutritt zu Grundstücken oder<br />

Wohnräumen nicht gestattet oder<br />

b) entgegen § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Prüfungen oder Messungen nicht ermöglicht oder Arbeitskräfte,<br />

oder Hilfsmittel nicht bereitstellt.<br />

(3) Die Ordnungswidrigkeit nach Absatz 1 kann mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro,<br />

die Ordnungswidrigkeit nach Absatz 2 oder 2 a mit einer Geldbuße bis zu eintausend Euro<br />

geahndet werden.<br />

(4) Zuständig für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten sind die in § 14<br />

genannten Behörden, soweit es sich um Verstöße gegen Vorschriften handelt, deren Einhaltung<br />

sie zu überwachen haben.<br />

§ 18 Straftaten<br />

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich<br />

eine der in § 17 Abs. 1 Buchstabe a) oder i) bezeichneten Handlungen begeht und dadurch das<br />

Leben oder die Gesundheit eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet.<br />

(2) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.<br />

Fünfter Teil<br />

Schlußvorschriften<br />

§ 19 Entschädigungspflicht bei Widerruf oder Rücknahme einer Genehmigung<br />

(1) Wird eine nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz erteilte Genehmigung widerrufen, so<br />

ist die nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zu zahlende Entschädigung vom<br />

Land zu tragen. Beruht der Widerruf auf der Änderung eines Bebauungsplanes oder auf der<br />

Feststellung in einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, daß ein bei der Genehmigungserteilung<br />

zugrunde gelegter Bebauungsplan rechtswidrig ist, so hat die Gemeinde die<br />

Entschädigung zu zahlen. Ist nach Errichtung der Anlage rechtswidrig die Genehmigung zur<br />

Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer schutzbedürftigen baulichen Anlage im<br />

Einwirkungsbereich der genehmigten Anlage erteilt worden und wird deshalb die Genehmigung<br />

widerrufen, so hat der Rechtsträger, dem die Baugenehmigungsbehörde angehört, dem<br />

Land die gezahlte Entschädigung zu erstatten.<br />

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn nach Rücknahme einer Genehmigung ein Vermögensnachteil<br />

auszugleichen ist.<br />

§ 20 Änderung des Landesabfallgesetzes und des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen<br />

§ 20 entfallen; Änderungsvorschriften.<br />

§ 21 Aufhebung von Vorschriften<br />

§ 21 gegenstandslos; Aufhebungsvorschriften.<br />

§ 22 Inkrafttreten<br />

81<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Das Gesetz tritt am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft 17<br />

. Die Landesregierung überprüft bis zum Ablauf des Jahres 2008 die Wirkungen dieses Gesetzes<br />

und inwieweit seine Aufrechterhaltung weiterhin erforderlich ist. Sie berichtet dem<br />

Landtag über das Ergebnis.<br />

Die Landesregierung<br />

des Landes Nordrhein-Westfalen<br />

Der Ministerpräsident<br />

§ 22 neu gefasst durch Gesetz v. 4.5.2004 (GV. NRW. S. 229); in Kraft getreten am 1. Juni<br />

2004.<br />

GV. NRW. ausgegeben am 26. März 1975.<br />

82<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Hinweise zur Beurteilung der von Freizeitanlagen verursachten Geräusche<br />

(Freizeitlärm-Richtlinie)<br />

Fundstelle: Ministerialblatt Rhl.-Pf. 1997, Seite 213 ff.<br />

Rundschreiben des Ministeriums für Umwelt und Forsten Rhl.-Pf. vom 30. Januar 1997<br />

(10615-83 123-7) –<br />

Gliederung<br />

1 Problemstellung<br />

2 Anwendungsbereich<br />

3 Immissionsschutzrechtliche Grundsätze<br />

4 Ermittlung des Beurteilungspegels der von Freizeitanlagen ausgehenden Geräusche<br />

4.1 Zuschlag k l für Impulshaltigkeit und/oder auffällige Pegeländerungen<br />

4.2 Zuschlag K r für Tonhaltigkeit und Informationshaltigkeit<br />

4.3 Schutz ruhebedürftiger Zeiten und der Sonn- und Feiertage<br />

4.4. Beurteilungszeiten<br />

5 Immissionsschutzrechtliche Bewertung<br />

5.1 Immissionsrichtwerte „Außen“<br />

5.2 Immissionsrichtwerte „Innen’“<br />

5.3 Maximalpegel<br />

5.4 Besonderheiten bei seltenen Störereignissen<br />

6 Maßnahmen<br />

1. Problemstellung<br />

Anlagen, die der Freizeitgestaltung dienen, verursachen oftmals Geräuschimmissionen, die zu<br />

Konflikten mit der Wohnnachbarschaft führen. Dabei können die Geräusche durch den Betrieb<br />

der Anlagen selbst, durch technische Nebenanlagen (z.B. Lautsprecher, Entlüftungsanlagen),<br />

durch die Benutzer und Zuschauer, durch die zur Anlage gehörenden Parkplätze oder<br />

durch den in einem räumlichen überschaubaren Bereich auftretenden und überwiegend von<br />

der Anlage bestimmten Straßenverkehr entstehen.<br />

Geräusche von Freizeitanlagen treten oft in Zeiten auf, in denen das Ruhebedürfnis der Bevölkerung<br />

am größten ist. Dem erhöhten Ruhebedürfnis stehen erhöhte Nutzungsansprüche an<br />

Freizeitanlagen gegenüber. Andererseits werden manche Freizeitanlagen nur selten benutzt,<br />

so daß besondere Geräuschbelastungen nur an wenigen Tagen im Jahr entstehen. Daraus<br />

folgt, daß die Geräuscheinwirkungen durch Freizeitanlagen einer besonderen Beurteilung<br />

bedürfen. Hierzu dienen die nachstehenden Regelungen, die im wesentlichen denen in der<br />

vom Länderausschuß für Immissionsschutz empfohlenen Freizeitlärm-Richtlinie entsprechen.<br />

2 Anwendungsbereich<br />

(1) Freizeitlärm hat die Besonderheit, dass die Lärmverursachung zu Zeiten erfolgt, an denen<br />

das Ruhe- und Erholungsbedürfnis der Bevölkerung besonders groß ist (z.B. am Abend sowie<br />

an Sonn- und Feiertagen). Weiterhin ist zu berücksichtigen, das Freizeitlärm gegenüber anderen<br />

Schallquellen im allgemeinen impulshaltig ist und einen störenden Informationsgehalt<br />

besitzt.<br />

Freizeitanlagen sind Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 oder 3 des Bundes-<br />

Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), die dazu bestimmt sind, von Personen zur Gestaltung<br />

ihrer Freizeit genutzt zu werden. Grundstücke gehören zu den Freizeitanlagen, wenn sie nicht<br />

83<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


nur gelegentlich zur Freizeitgestaltung bereitgestellt werden. Dies können auch Grundstücke<br />

sein, die sonst z.B. der Sportausübung, dem Flugbetrieb oder dem Straßenverkehr dienen.<br />

(2) Die Hinweise in diesem Abschnitt gelten insbesondere für folgende Anlagen:<br />

Grundstücke, auf denen in Zelten oder im Freien Diskothekenveranstaltungen,<br />

Lifemusik-Darbietungen, (Außen-gastronomie) Rockmusikdarbietungen,<br />

Platzkonzerte, regelmäßige Feuer-werke, Volksfeste o.ä. stattfinden,<br />

Spielhallen,<br />

Rummelplätze,<br />

Freilichtbühnen,<br />

Autokinos,<br />

Freizeitparks,<br />

Vergnügungsparks,<br />

Abenteuer-Spielplätze (z.B. Robinson-Spielplätze, Aktiv-Spielplätze), die wegen<br />

ihrer Ausstattung dazu geeignet sind, auch Benutzerinnen und Benutzer<br />

aus der weiteren Umgebung anzuziehen,<br />

Bolzplätze, soweit sie nicht Bestandteil eines Kinderspielplatzes mit entsprechender<br />

Nutzung sind (siehe Absatz 3),<br />

Flächen für sonstige Freizeitaktivitäten, z.B. Grillplätze,<br />

Skateboard- und vergleichbare Anlagen,<br />

Badeplätze,<br />

Erlebnisbäder, auch soweit sie als Außenanlage betrieben werden,<br />

Anlagen für Modellfahrzeuge, Wasserflächen für Schiffsmodelle,<br />

Zirkusse,<br />

Hundedressurplätze.<br />

(3) Genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem BImSchG sind keine Freizeitanlagen im Sinne<br />

dieser Richtlinie. Sportanlagen und Gaststätten zählen ebenfalls nicht zu den Freizeitanlagen.<br />

Ferner gilt diese Richtlinie nicht für Kinderspielplätze, die die Wohnnutzung in dem betroffenen<br />

Gebiet ergänzen; die mit ihrer Nutzung unvermeidbar verbundenen Geräusche sind<br />

sozialadäquat und von der Nachbarschaft hinzunehmen.<br />

(4) Durch menschliches Verhalten hervorgerufene, dem Anlagenbetrieb nicht zurechenbare<br />

Geräuschereignisse (Freizeitbetätigungen im Wohnbereich und in der freien Natur, z.B. Partys,<br />

Musikspielen), sind nicht nach diesen Hinweisen zu beurteilen. § 117 OWiG ist zu beachten;<br />

danach handelt ordnungswidrig, wer ohne berechtigten Anlaß oder in einem unzulässigen<br />

oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm verursacht, der geeignet ist, die<br />

Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines oder<br />

einer anderen zu schädigen.<br />

3 Immissionsschutzrechtliche Grundsätze<br />

(1) Für Freizeitanlagen (nicht genehmigungsbedürftige Anlagen) gilt die allgemeine Grundpflicht<br />

aus § 22 Abs. 1 BImSchG; danach sind schädliche Umwelteinwirkungen zu verhindern,<br />

soweit dies nach dem Stand der Technik möglich ist; unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen<br />

sind auf ein Mindestmaß zu beschränken. Die Beachtung dieser Pflicht<br />

kann im Baugenehmigungsverfahren und durch Anordnungen nach § 24 BImSchG durchgesetzt<br />

werden.<br />

(2) Schädliche Umwelteinwirkungen liegen z.B. dann vor, wenn die Nachbarschaft oder die<br />

Allgemeinheit erheblich belästigt werden. Die Erheblichkeit einer Lärmbelästigung hängt<br />

nicht nur von der Lautstärke der Geräusche ab, sondern auch wesentlich von der Nutzung des<br />

Gebietes, auf das sie einwirken, von der Art der Geräusche und der Geräuschquellen sowie<br />

dem Zeitpunkt (Tageszeit) und der Zeitdauer der Einwirkungen. Auch die Einstellung der<br />

84<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Betroffenen zu der Geräuschquelle kann für den Grad der Belästigung von Bedeutung sein.<br />

Bei der Beurteilung ist nicht auf eine mehr oder weniger empfindliche individuelle Person,<br />

sondern auf die Einstellung einer oder eines verständigen, durchschnittlich empfindlichen<br />

Mitbürgerin oder Mitbürgers abzustellen.<br />

(3) Von Bedeutung für die Beurteilung der Geräusche von Freizeitanlagen ist die Schutzbedürftigkeit<br />

der Nutzungen in den diesen Anlagen benachbarten Gebieten. Bei der Zuordnung<br />

der für die Beurteilung maßgebenden Immissionsrichtwerte zu den Gebieten im Einwirkungsbereich<br />

der Anlage ist grundsätzlich vom Bebauungsplan auszugehen. Weicht die tatsächliche<br />

bauliche Nutzung im Einwirkungsbereich der Anlage erheblich von der im Bebauungsplan<br />

festgesetzten baulichen Nutzung ab, so ist von der tatsächlichen baulichen Nutzung unter Berücksichtigung<br />

der vorgesehenen Entwicklung des Gebietes auszugehen. Ist ein Bebauungsplan<br />

nicht aufgestellt, so ist die tatsächliche bauliche Nutzung zugrunde zu legen; eine voraussehbare<br />

Änderung der baulichen Nutzung ist zu berücksichtigen.<br />

(4) Liegen aufgrund baulicher Entwicklungen in der Vergangenheit Wohngebiete und Freizeitanlagen<br />

eng zusammen, kann eine besondere Pflicht zur gegenseitigem Rücksichtnahme<br />

bestehen. Sofern an störenden Anlagen alle verhältnismäßigen Emissionsminderungsmaßnahmen<br />

durchgeführt sind, kann die Pflicht zur gegenseitigem Rücksichtnahme dazu führen,<br />

dass die Bewohnerinnen und Bewohner mehr an Geräuschen hinnehmen müssen als die Bewohnerinnen<br />

und Bewohner von gleichartig genutzten Gebieten, die fernab derartiger Anlagen<br />

liegen. Die im Einzelfall noch hinzunehmende Geräuscheinwirkung hängt von der<br />

Schutzbedürftigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner des Gebietes und den tatsächlich nicht<br />

weiter zu vermindernden Geräuschemissionen ab. Die zu duldenden Geräuscheinwirkungen<br />

sollen die Immissionsrichtwerte unterschreiten, die für die Gebietsart mit dem nächst niedrigeren<br />

Schutzanspruch gelten.<br />

(5) Soweit die Einhaltung der Grundpflicht nach § 22 Abs. 1 BImSchG nicht durch Nebenbestimmungen<br />

zur Baugenehmigung sichergestellt ist, kann sie durch Anordnungen nach § 24<br />

BImSchG durchgesetzt werden. Als Gegenstand von Anordnungen kommen technische<br />

Schutzmaßnahmen (vgl. Nr. 5) sowie zeitliche Beschränkungen des Betriebs in Betracht.<br />

Technische Schutzmaßnahmen und zeitliche Beschränkungen können ganz oder teilweise<br />

entbehrlich sein, wenn der Betreiber der Anlage nachweislich verpflichtet wird, den Benutzerinnen<br />

und Benutzern ein geräuscharmes Verhalten vorzuschreiben, und wenn er die Einhaltung<br />

seiner Vorschriften überwacht und Verstöße abstellt.<br />

(6) Eine Stilllegung von Anlagen kommt nach § 25 Abs. 2 BImSchG nur in Betracht, wenn<br />

ihr Betrieb zu Gefahren für Leben, Gesundheit oder bedeutende Sachwerte führt. Diese Voraussetzung<br />

dürfte bei Freizeitanlagen in der Regel nicht gegeben sein.<br />

(7) Neben dem Immissionsschutzrecht hat vor allem das Planungsrecht die Aufgabe, Konflikte,<br />

die durch Emissionen von Freizeitanlagen entstehen können, zu vermeiden. Vor einer<br />

Genehmigung von Freizeitanlagen (auch von Nutzungserweiterungen oder –änderungen bestehender<br />

Anlagen) ist deshalb zuprüfen, ob sie nach dem Bauplanungsrecht an einem bestimmten<br />

Standort zulässig sind. Von der auf immissionsschutzrechtliche Bestimmungen gestützten<br />

Forderung kostspieliger technischer Schutzmaßnahmen ist abzusehen, wenn die Genehmigungsfähigkeit<br />

nach dem Bauplanungsrecht nichtherbeigeführt werden kann.<br />

4 Ermittlung des Beurteilungspegels der von Freizeitanlagen ausgehenden Geräusche<br />

(1) Bei der Ermittlung der durch Freizeitanlagen verursachten Geräuschimmissionen kann auf<br />

die allgemein anerkannten akustischen Grundregeln, wie sie in der Technischen Anleitung<br />

vom Schutz gegen Lärm (TA Lärm), der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BimSchV)<br />

und der VDI-Richtlinie 2058, Blatt 1, Beurteilung von Arbeitslärm in der Nachbarschaft, festgehalten<br />

sind, zurückgegriffen werden. Der Messort ist entsprechend den schutzwürdigen<br />

85<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Nutzungen in der Nachbarschaft der Anlage auszuwählen. Dabei sollen die Regelungen der<br />

Nummer 1.2 in Verbindung der Nummer 3.2.2.1 des Anhangs der 18. BImSchG herangezogen<br />

werden.<br />

(Hinweis: Den Geräuschen der Anlage sind folgende Schallemissionen hinzuzurec h-<br />

nen:<br />

Geräusche von Nebenanlagen (z.B. Lautsprecher, Lüftungsanlagen),<br />

Geräusche von Benutzerinnen und Benutzern und Zuschauerinnen und Zuschauern,<br />

Geräusche von zur Anlage gehörende Parkplätze,<br />

Verkehrslärm auf Straßen, der eindeutig durch den Betrieb der Anlage bestimmt wird<br />

und nicht dem allgemeinen Straßenverkehr zuzuordnen ist.)<br />

(2) Bei der Ermittlung des Beurteilungspegels Lr ist grundsätzlich vom Mittelungspegel L Aeqi<br />

gemäß Gleichung<br />

auszugehen.<br />

(3) Bei der Berücksichtigung<br />

der Impulshaltigkeit und/oder der auffälligen Pegeländerungen,<br />

der Ton- und der lnformationshaltigkeit sowie<br />

des Schutzanspruchs während der ruhebedürftigen Zeiten sowie der Sonn- und Feiertage<br />

gilt folgendes:.<br />

4.1 Zuschlag Kl für Impulshaltigkeit und/oder auffällige Pegeländerungen<br />

(1) Enthält das zu beurteilende Geräusch Impulse und/oder auffällige Pegeländerungen, ist<br />

dem Mittelungspegel ein Zuschlag für die Zeit Ti während der die Impulse und/oder auffällige<br />

Pegeländerungen auftreten, hinzuzurechnen.<br />

Unter impulsartigen Geräuschen und/oder Geräuschen mit auffälligen Pegeländerungen sind<br />

Geräusche zu verstehen, deren Pegel nach dem subjektiven Eindruck schnell über den mittleren<br />

Pegel des Geräusches ansteigt und bei denen diese Pegelerhöhungen von kurzer Dauer<br />

sind. Als Impulszuschlag Kli gilt die Differenz zwischen dem Mittelungspegel LAeqi und<br />

dem Wirkpegel nach dem Taktmaximalverfahren LAFTeqi.<br />

Kli = LAFTeqi - LAeqi<br />

(2) Für die von Freizeitanlagen hervorgerufenen Geräusche (z.B. auch für Musik) ist im allgemeinen<br />

ein Impulszuschlag erforderlich.<br />

Wenn bei einer Prognoseberechnung vom Schalleistungspegel ausgegangen wird, ist der Zuschlag<br />

für die Impulshaltigkeit und/oder auffällige Pegeländerungen nach Erfahrungswerten<br />

zu bestimmen.<br />

4.2 Zuschlag K r für Tonhaltigkeit und Informationshaltigkeit<br />

(1) Wenn sich aus dem Geräusch von Freizeitanlagen ein Einzelton heraushebt, ist ein Tonzuschlag<br />

K Toni von 3 dB (A) oder 6 dB (A) zu dem Mittelungspegel für die Zeit Ti während der<br />

der Ton auftritt, hinzuzurechnen. Der Zuschlag von 6 dB (A) ist nur bei besonderer Auffälligkeit<br />

des Tons zu wählen.<br />

(2) Wegen der erhöhten Belästigung beim Mithören ungewünschter Informationen ist je nach<br />

Auffälligkeit ein Informationszuschlag K inf von 3 dB (A) oder 6 dB (A) zu berücksichtigen.<br />

Dieser Zuschlag ist dem Mittelungspegel hinzuzurechnen, der für den Zeitraum ermittelt wird,<br />

in dem das informationshaltige Geräusch auftritt. Der Zuschlag von 6 dB (A) ist nur bei besonders<br />

hohem Informationsgehalt (z.B. laute und gut verständliche Lautsprecherdurchsagen,<br />

deutlich hörbare Musikwiedergaben) zu wählen.<br />

(3) Die hier genannten Zuschläge sind so zusammenzufassen, dass der Gesamtzuschlag K ri auf<br />

max. 6 dB (A) begrenzt bleibt.<br />

K ri = K TONI + Ki nfi < 6 dB (A)<br />

4.3 Schutz ruhebedürftiger Zeiten und der Sonn- und Feiertage<br />

86<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


Der Schutz der ruhebedürftigen Zeiten und der Sonn- und Feiertage wird durch die in Nummer<br />

5.1 für Ruhezeiten und Sonn- und Feiertage genannten niedrigeren Immissionsrichtwerte<br />

berücksichtigt. Ein Zuschlag für Ruhezeiten kommt daher nicht in Betracht.<br />

4.4 Beurteilungszeiten<br />

(1) An Werktagen gilt für Geräuscheinwirkungen:<br />

tags außerhalb der Ruhezeiten (8.00 bis 20.00 Uhr) eine Beurteilungszeit von 12 Stunden,<br />

tags während der Ruhezeiten (6.00 bis 8.00 Uhr und 20.00 bis 22.00 Uhr) jeweils eine Beurteilungszeit<br />

von 2 Stunden<br />

nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) eine Beurteilungszeit von 1 Stunde (ungünstigste volle Stunde).<br />

(2) An Sonn- und Feiertagen gilt für Geräuscheinwirkungen<br />

tags von 9.00 bis 13.00 Uhr und 15.00 bis 20.00 Uhr eine Beurteilungszeit von 9 Stunden,<br />

tags von 7.00 bis 9.00 Uhr, 13.00 bis 15.00 Uhr und 20.00 bis 22.00 Uhr jeweils eine Beurteilungszeit<br />

von 2 Stunden,<br />

nachts (0.00 bis 7.00 Uhr und 22.00 bis 24.00 Uhr)<br />

eine Beurteilungszeit von 1 Stunde (ungünstigste volle Stunde).<br />

5 Immissionsschutzrechtliche Bewertung<br />

Die nachfolgenden Immissionsrichtwerte markieren die Schwelle, oberhalb der in der Regel<br />

mit erheblichen Belästigungen zu rechnen ist.<br />

5.1 Immissionsrichtwerte "Außen"<br />

Die Immissionsrichtwerte "Außen" betragen für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden<br />

a) in Industriegebieten<br />

tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 70 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 70 dB (A)<br />

nachts 70 dB (A)<br />

b) in Gewerbegebieten<br />

tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 65 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 60 dB (A)<br />

nachts 50 dB (A)<br />

c) in Kerngebieten, Dorfgebieten und Mischgebieten<br />

tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 60 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 55 dB (A)<br />

nachts 45 dB (A)<br />

d) in allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten<br />

tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 55 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 50 dB (A)<br />

nachts 40 dB (A)<br />

e) in reinen Wohngebieten<br />

tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 50 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 45 dB (A)<br />

nachts 35 dB (A)<br />

f) in Kurgebieten, für Krankenhäuser und Pflegeanstalten<br />

87<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04


tags an Werktagen außerhalb der Ruhezeit 45 dB (A)<br />

tags an Werktagen innerhalb der Ruhezeit und an Sonn- und<br />

Feiertagen 45 dB (A)<br />

nachts 35 dB (A)<br />

5.2 Immissionswerte "Innen"<br />

Bei Geräuschübertragung innerhalb von Gebäuden und bei Körperschallübertragung betragen<br />

die Richtwerte für Wohnräume unabhängig von der Lage des Gebäudes in einem der oben<br />

genannten Gebiete:<br />

tags 35 dB (A),<br />

nachts 25 dB (A).<br />

5.3 Maximalpegel<br />

Einzelne Geräuschspitzen sollen die lmmissionsrichtwerte "Außen" tags um nicht mehr als 30<br />

dB (A) sowie nachts um nicht mehr als 20 dB (A) überschreiten. Ferner sollen einzelne Geräuschspitzen<br />

die Immissionsrichtwerte "Innen" um nicht mehr als 10 dB (A) überschreiten.<br />

5.4 Besonderheiten bei seltenen Störereignissen<br />

(1) Bei seltenen Ereignissen ist im Einzelfall zu prüfen, ob den Betroffenen für diese Zeit eine<br />

über die Immissionsrichtwerte hinausgehende Belastung zugemutet werden kann. Dabei sind<br />

die Bedeutung des Ereignisses (politische, kulturelle, traditionelle, volkstümliche, touristische<br />

Bedeutung), die Höhe der auftretenden Pegel, Dauer und Häufigkeit der Störereignisse, Möglichkeiten<br />

der Durchführung von Maßnahmen zur Verminderung der Geräuscheinwirkungen<br />

und der hierfür erforderliche Aufwand in die Abwägung mit einzubeziehen.<br />

(2) Bei seltenen Ereignissen soll erreicht werden, das die Beurteilungspegel vor den Fenstern<br />

(im Freien) die nachfolgenden Werte nicht überschreiten:<br />

tags außerhalb der Ruhezeit 70 dB(A)<br />

tags innerhalb der Ruhezeit 65 dB(A)<br />

nachts<br />

55 dB(A)<br />

Geräuschspitzen sollen die vorgenannten Werte tagsüber um nicht mehr als 20 dB (A) und<br />

nachts um nicht mehr als 10 dB (A) überschreiten.<br />

(3) Soweit die in den Nummern 5.1 und 5.3 genannten allgemeinen Beurteilungskriterien weniger<br />

strenge Anforderungen stellen, sind diese auch für seltene Störereignisse maßgeblich.<br />

6 Maßnahmen<br />

(1) Lautsprecher u.ä. Einrichtungen können in ihrer Lautstärke begrenzt werden. Hierzu sind<br />

geeignete Begrenzer vorzuschreiben, die die Einhaltung der entsprechenden Immissionsrichtwerte<br />

"Außen" ermöglichen. Durch mehrere Lautsprecher kleinerer Leistung können unter<br />

bestimmten Voraussetzungen gegenüber einem Lautsprecher großer Leistung die Immissionen<br />

vermindert werden, indem Flächen (z.B. Spielflächen und Zuschauerränge) gezielt beschallt<br />

werden.<br />

(2) Sollen mehrere geräuschintensive Anlagen anlässlich einer Veranstaltung auf einem Freizeitgelände<br />

(z.B. Rummelplatz) betrieben werden, kann die Einhaltung der Immissionsrichtwerte<br />

auch dadurch sichergestellt werden, dass die lauteste Anlage von der Wohnbebauung<br />

am entferntesten aufgestellt wird. Auch die Richtwirkung von Schallquellen ist zu berücksichtigen.<br />

Gegebenenfalls sollte ein Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden.<br />

(3) An- und Abfahrtswege sowie Parkplätze sind durch betriebliche und organisatorische<br />

Maßnahmen des Betreibers so zu gestalten, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche<br />

auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Dabei ist auch zu prüfen, ob ein "Park-and-<br />

Ride-System" mit dem ÖPNV-Träger unter Benutzung eines von der Wohnbebauung entfernt<br />

liegenden Parkplatzes die zu erwartende Lärmbelastung vermindern kann.<br />

88<br />

© Prof. Dr. Schulz - VerwR<br />

Dez. 04

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!