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Fastenpredigt von Pfarrer Dr. Hans Gerhard Koch ... - St. Matthias

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Arbeit – brauche ich sie nur für’s Geld ?<br />

Ökumenische <strong>Fastenpredigt</strong> <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Hans</strong> <strong>Gerhard</strong> <strong>Koch</strong><br />

am 27.2.2005 in <strong>St</strong>. <strong>Matthias</strong><br />

Liebe evangelische und katholische Mitchristen,<br />

Sie haben sich einen Fastenprediger eingeladen, nach alter Tradition.<br />

Wenn der Fasching vorbei ist, so sagten die Leute früher, dann gehen wir mal in uns. Wir lassen uns vom<br />

Fastenprediger heftig und deftig ins Gewissen reden, möglichst so laut, dass man nicht mehr hört, wie uns der<br />

Magen knurrt und der Schädel brummt.<br />

Ich hoffe, Ihr Magen knurrt nicht, und wenn Sie jetzt 7 Wochen fasten, verzichten Sie nicht auf lebenswichtige<br />

Dinge, sondern auf die, die eben gerade nicht lebenswichtig sind. Es ist ohnehin so eine Sache mit dem<br />

Fasten. Der Prophet Jesaja sagt bekanntlich, das Verzichten und Trauern könne man sich <strong>von</strong> Gott aus gerne<br />

schenken. Viel besser sei es, sich den Sklaven, den Hungrigen und den Obdachlosen zuzuwenden.<br />

Ein bisschen prophetisch deutlich will ich heute streckenweise auch reden, und ich bin mir dabei bewusst,<br />

dass ich die Tatsache schamlos ausnutze, dass ich ein Mikrofon habe und Sie nicht. Es gibt aber zum Glück<br />

anschließend eine Möglichkeit für Sie zu reden, und ich hoffe, sie nutzen die.<br />

Soviel als Vorrede.<br />

Arbeit – brauche ich sie nur für’s Geld ?<br />

Im gutbürgerlichen katholischen und vor allem protestantischen Milieu ist das fast eine rhetorische Frage. Die<br />

Antwort kommt leicht <strong>von</strong> den Lippen: Nein, natürlich nicht ! Natürlich brauche ich Arbeit nicht nur für’s Geld.<br />

Ich habe doch eine Aufgabe, eine Mission, wie Unternehmen heute gerne theologisieren. Ich bin doch mehr<br />

wert als die paar Euro und Cent auf meinem Gehaltskonto ! Ich hab’s doch nicht nötig, mich über den<br />

schnöden Mammon zu definieren !<br />

Aber Vorsicht ! Wir sind schon auf der <strong>St</strong>artbahn zum Abheben aus dem Land der Wirklichkeit.<br />

Es gibt viele und leider immer mehr Menschen, die auf unsere Predigtfrage sofort mit Ja antworten würden: Ja<br />

freilich brauch ich die Arbeit fürs Geld ! Und ich brauche jeden Cent da<strong>von</strong> ! Denn in Deutschland hat sich<br />

längst ein Niedriglohnsektor entwickelt, auf dem Löhne gezahlt werden, die nicht einmal für Einzelne,<br />

geschweige denn für Familien existenzsichernd sind. Löhne <strong>von</strong> brutto 5-6 Euro pro <strong>St</strong>unde sind im Bereich<br />

der Landwirtschaft, der Gebäudereinigung, des Handels oder der Leiharbeit nicht selten, im Bereich illegaler<br />

Beschäftigung werden sie oft deutlich unterschritten. Immer mehr Beschäftigte verdienen deutlich weniger als<br />

die Hälfte des Durchschnittslohns, immer mehr prekäre Arbeit in Form <strong>von</strong> Minijobs, befristeten<br />

Arbeitsverhältnissen und Leiharbeit. Die Münchner Sozialwissenschaftlerin Tatjana Fuchs hat dazu jüngst das<br />

nötige Zahlenmaterial zusammengetragen.<br />

Neulich traf ich am Nachmittag eine Frau in der U-Bahn, die sagte: Ich komme grad <strong>von</strong> meinem Tagsüber-<br />

Job. Heut abend geh ich dann bedienen. Das war in Nürnberg, und in München ist das Leben noch viel teurer.<br />

Und wer jeden Cent braucht, darf nicht wählerisch sein: ob die Arbeit Spaß macht oder nicht, ob die<br />

Arbeitszeiten zu meinem Leben passen oder nicht, ob ich unter- oder überfordert bin – alles egal. Hauptsache<br />

Geld !<br />

Also – nicht abheben bitte, meine lieben Mitchristen !<br />

Auch für uns, die wir einigermaßen ordentlich verdienen, lässt sich Arbeit nicht vom Geld lösen. Schnell kann<br />

man und frau abstürzen in diesen Zeiten vom guten Verdienst und der kreativen Arbeit in die Tristesse <strong>von</strong><br />

Arbeitslosengeld II. Spätestens dann, wenn die Bank bei der ersten Überweisung <strong>von</strong> der Bundesagentur für<br />

Arbeit die Scheckkarte einzieht, weiß man, was ein geregeltes Einkommen bedeutet. Bedeutet hat.


Auch jenseits <strong>von</strong> Niedriglohn und Arbeitslosigkeit – Arbeit und Geld hängen eng zusammen. Der Erlanger<br />

Sozialethiker <strong>Hans</strong>-Günter Ulrich behauptet: ... daß Arbeit etwas kosten muß und kosten darf, weil<br />

menschliche Arbeitskraft, an der richtigen <strong>St</strong>elle eingesetzt, unersetzbar ist. Mit ihr geht es auch um andere<br />

Güter. Sie müßten und könnten uns etwas wert sein, durchaus auch im ökonomischen Sinn: eine gute<br />

Erziehung, eine gute Pflege im Alter, eine gute Forschung .... Daß uns Arbeit auch dann nicht ausgeht, wenn<br />

die industrielle Produktion nicht gesteigert wird, hängt da<strong>von</strong> ab, ob wir neben den Waren auch solche Güter<br />

neu lernen wertzuschätzen.<br />

Ja, Herr Professor, das klingt gut in Zeiten, wo die Deutsche Bank oder die Waschmittelfirma Henkel<br />

Rekordgewinne damit quittieren, dass sie Massenentlassungen ankündigen. Wo blieb eigentlich in den<br />

letzten Wochen der deutliche Hinweis der Kirchen, dass Arbeit ihr Geld wert ist ? Warum haben wir nicht<br />

lauter gesagt, dass Arbeitsplätze für reale Menschen der Zweck der Wirtschaft sind und nicht das virtuelle<br />

Geld der Aktienkurse ?<br />

Fällt unser Protest vielleicht deswegen so leise aus, weil im Zeichen kirchlicher Einsparprogramme auch bei<br />

uns hart arbeitenden Leuten, die auch jetzt schon kaum was übrig haben, Gehaltskürzungen zugemutet<br />

werden ? Weil auch bei uns Arbeit ihr Geld nicht mehr wert ist ?<br />

Soviel, damit wir geerdet sind, bei unserem Nachdenken über Arbeit und Geld, und auch auf der Erde bleiben.<br />

Denn natürlich bieten die Bibel, die reformatorische Theologie und die Katholische Soziallehre jede Menge<br />

gute und richtige Gedanken über den Sinn der Arbeit an. Gedanken, die die Arbeit viel höher aufhängen als<br />

bloß da unten beim schnöden Mammon. Halbwegs in den Himmel, wirklich zum Abheben.<br />

Die Schöpfungsgeschichte, die zweite, ältere, spricht <strong>von</strong> der Arbeit der Menschen als Mitarbeiten an der<br />

Schöpfung Gottes. „Gott, der Herrm nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn<br />

bebaue und hüte.“<br />

Einen Garten bebauen und behüten: das war es, was Gott mit dem Menschen im Sinn hatte. Sinnvoll<br />

aufbauende, lebensdienliche Arbeit an uns selber, an der Natur und für die Gemeinschaft steht ganz oben<br />

unter den Dingen, die uns Menschen zu Menschen machen. Sie ist eigentlich zu schade, um aus dem Leben<br />

herausgenommen, immer weiter verkürzt, immer nur durch Geld abgegolten zu werden.<br />

Die Bibel ist allerdings nicht naiv. Kurz nach dem schönen Wort vom Bauen und Hüten spricht der Schöpfer<br />

zum Menschen: “Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum<br />

Ackerboden. Von ihm bist du ja genommen. Denn <strong>St</strong>aub bist du, zum <strong>St</strong>aub mußt du zurück.”. Die<br />

Niedriglöhner und Doppeljobber, die, die schuften müssen in Schweiß und <strong>St</strong>aub, und auch die<br />

Gutverdienenden, deren rastlose Arbeit ihr ganzes übriges Leben zu <strong>St</strong>aub zermahlt – sie bleiben<br />

gegenwärtig.<br />

Aber gerade für sie brauchen wir die biblischen Visionen jenseits des Geldes.<br />

Den Gedanken des Paulus zum Beispiel, daß Leben immer geschenktes Leben ist und der Mensch seine<br />

Existenz nicht aus der Leistung rechtfertigen muß, sondern umgekehrt aus dem Beschenktsein heraus<br />

ungeahnte Leistungen erbringt.<br />

Die Vision desselben Paulus <strong>von</strong> einer Gemeinde, in der jeder und jede seine und ihre Gaben einbringt, und<br />

alle sind gleich wichtig, und auf jeder Arbeit ruht der Heilige Geist.<br />

Was würde das auch für’s Geld, für unsere immer weiter auseinanderdriftende Schere zwischen<br />

Niedriglöhnen und Vorstandsbezügen bedeuten ?<br />

Im Licht dieser Visionen, aber mit beiden Beinen auf der Erde, sehen wir, was auch heute Arbeit für Männer<br />

und Frauen bedeutet. Paradoxerweise sehen wir es und merken es die Betroffenen meist erst, wenn die<br />

Arbeit weg ist.<br />

Natürlich ist Sinn in der Arbeit, ist engagierte Anstrengung und gutes Ergebnis wichtig, fast ebenso wichtig wie<br />

Geld. Damit ich weiß, was ich kann, wer ich bin, dass ich gebraucht werde. Und etwas schaffe, das anderen<br />

gut tut – Kundenorientierung kann etwas sehr Christliches sein.<br />

Natürlich bringt Arbeit <strong>St</strong>ruktur in meine Zeit. Ich weiß, wofür ich aufstehe, und bin „rechtschaffen müde“ und<br />

nicht nur erschöpft. Ich kann Feierabend und Urlaub nur mit Arbeit genießen, nicht ohne sie. In der Bibel kann<br />

man und frau viel über diesen Zusammenhang lernen. Fast immer, wenn sie <strong>von</strong> Arbeit redet, redet sie auch<br />

vom Sabbat, vom Ende der Arbeit. Das wäre auch ein lohnendes Thema für Ihre <strong>Fastenpredigt</strong>reihe über das<br />

Glück.


Natürlich bringt mich Arbeit mit andren Menschen in einen lebendigen, lebensfördernden Zusammenhang. Wir<br />

arbeiten Hand in Hand, finden miteinander Lösungen, erkennen die Leistung des anderen an. Denken Sie an<br />

Paulus und die Sache mit dem Leib und den Gliedern.<br />

Das alles würde nun wieder heißen, dass wir die Frage: Arbeit – brauche ich sie nur fürs Geld ? klar<br />

verneinen. Nein, wir brauchen Arbeit nicht nur fürs Geld.<br />

Wir brauchen sie auch zu unserem Glück.<br />

Deshalb ist es ja so schlimm, dass wir jedes Jahr ein paar mehr Menschen aus unsrer Arbeitswelt<br />

hinauswerfen, weil sie zu alt, zu unbeweglich, zu schwierig, zu teuer sind. Die Arbeit verlieren, das ist<br />

schlimmer, noch schlimmer als Arbeitslosengeld II. Deswegen melden sich so überraschend viele Menschen<br />

auf die so genannten 1- Euro-Jobs, weil sie sagen: Ich will wenigstens irgendwo mitmachen dürfen !<br />

Ich frage allerdings: warum müssen das Hilfsarbeiten sein, womöglich unter Androhung <strong>von</strong> Geldstrafen,<br />

kurzfristig und ohne Arbeitnehmerrechte ? Warum schaffen wir das nicht in diesem reichen Land, einen<br />

Arbeitsmarkt jenseits der hochprofitablen Unternehmen zu etablieren, wo man und frau all die Arbeit machen<br />

kann, die es halt auch noch braucht, damit Menschen menschlich leben können. Es gibt jede Menge<br />

ungetaner Arbeit in dieser Gesellschaft, und sie wird nur deshalb nicht gemacht, weil sie sich am Markt zur<br />

Zeit nicht rechnet. Sollten wir nicht eine Möglichkeit finden, diese Arbeit und das viele Geld, das wir für<br />

Nichtarbeit ausgeben, zusammen zu bringen ?<br />

Ja, gemeinnützige Arbeit – auch für’s Geld, nicht nur ehrenamtlich, was man und frau sich ja bekanntlich<br />

leisten können muss.<br />

Nein, Arbeit, nicht nur für’s Geld. Arbeit ist ein Menschenrecht. Sagt nicht irgendwer, sondern die beiden<br />

großen Kirchen in ihrem gemeinsamen Wort <strong>von</strong> 1997. Schon vergessen ?<br />

Ja, Arbeit, für gutes Geld. Aber auch gute Arbeit. Arbeit, die zum Menschen passt, und ihn oder sie mit allen<br />

Fähigkeiten fordert und fördert. Arbeit, die nicht krank macht und nicht den Rest des Lebens kaputt macht.<br />

Arbeit, mit der man auch mal aufhören kann, weil der Feierabend, der Sonntag und der Urlaub eben auch zum<br />

Menschen gehören, nicht nur die Arbeit.<br />

Ja, Arbeit für alle, und <strong>von</strong> jeder der drei Arten <strong>von</strong> Arbeit ein bisschen: ein <strong>St</strong>ück Erwerbsarbeit mit guter<br />

Leistung und gutem Geld. Ein <strong>St</strong>ück gemeinnützige Arbeit, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Ein <strong>St</strong>ück<br />

Arbeit nur für mich, mit der ich mich entwickle, gestalte und entfalte.<br />

Nein, Arbeit nicht nur fürs Geld.<br />

Sie merken: Sie haben eine Frage gestellt, die nicht mit Ja und Nein zu beantworten ist. Ich muss Ja und Nein<br />

antworten. Aber die Frage ist trotzdem eine gute Frage. Sie ist ungeheuer wichtig und lohnt das Nachdenken,<br />

vor allem das Umdenken.<br />

Deswegen ist sie eine echte Fastenfrage.<br />

Halten Sie inne, wenn die Arbeit ihr Leben fast pausenlos bestimmt, und fragen Sie, was sonst noch Leben<br />

ausmacht.<br />

Lassen Sie sich nichts einreden, wenn Sie zu denen gehören, die zur Zeit nicht in Erwerbsarbeit stehen und<br />

auch nicht reinkommen. Es gibt noch andere wichtige menschliche Tätigkeiten, und Sie haben ein Recht auf<br />

tätiges Leben, wo auch immer. Und auf Geld als Schutz vor Armut und Not, als Ihr Menschenrecht.<br />

Werden Sie hellhörig und kritisch, wenn Sie nächste Woche wieder die Zahlen aus Nürnberg hören, und<br />

gewöhnen Sie sich nicht an diese Zahlen. Jede und jeder, der hinter diesen Zahlen steht, ist einer und eine zu<br />

viel.<br />

In der Evangelischen Kirche gibt es eine Aktion, die heißt „1+1 – Mit Arbeitslosen teilen“. Was immer jemand<br />

für Langzeitarbeitslose spendet, wird <strong>von</strong> der Kirchenleitung aus Kirchensteuermitteln verdoppelt. So konnten<br />

wir in 10 Jahren schon mehr als 5000 Menschen in Lohn, Brot und sinnvolle Arbeit bringen.<br />

Tun wir uns zusammen, und machen wir diese Welt in gemeinsamer Arbeit zu einem Ort, der dem Garten<br />

Gottes wenigstens ganz entfernt wieder ähnlich sieht.<br />

Dann käme nach echtem Fasten echte Ostern ! Neues Leben, aufrechten Gang !<br />

Das wünsche ich Ihnen und mir.<br />

Amen.

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