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Fastenpredigt von Dekanin Andrea Borger - St. Matthias

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„Meine Sehnsucht nach tragenden Beziehungen“<br />

Ökumenische <strong>Fastenpredigt</strong> <strong>von</strong> <strong>Dekanin</strong> <strong>Andrea</strong> <strong>Borger</strong><br />

am 12.3.2006 in <strong>St</strong>. <strong>Matthias</strong><br />

LIED Herr, Deine Liebe ist wie Gras und Ufer (EG 638)<br />

PREDIGT<br />

Gnade sei mit Euch und Friede<br />

Von dem, der da ist und der da war und der da kommt.<br />

Liebe Gemeinde,<br />

Beziehungen,<br />

tragende Beziehungen<br />

haben wir so nötig wie das tägliche Brot.<br />

Und so ist es sicher kein Zufall, dass das biblische Wort, das mir zu unserem heutigen Thema eingefallen ist,<br />

zum Thema „Meine Sehnsucht nach tragenden Beziehungen“,<br />

dass dieses Wort beim Evangelisten Lukas ganz nah beim Vaterunser steht.<br />

Eine kleine Beziehungsgeschichte und einige Überlegungen, die Jesus dazu angestellt hat;<br />

überliefert im Lukasevangelium, Kap.11, Verse 5-13<br />

Dann sagte Jesus zu seinen Jüngern: „<strong>St</strong>ellt euch vor, einer <strong>von</strong> euch geht mitten in der Nacht zu seinem<br />

Freund und bittet ihn: ‚Lieber Freund, leih mir doch drei Brote! Ich habe gerade Besuch <strong>von</strong> auswärts<br />

bekommen und kann ihm nichts anbieten.’ <strong>St</strong>ellt euch vor, der Freund im Haus würde rufen: ‚Lass mich in<br />

Ruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder liegen bei mir im Bett. Ich kann nicht aufstehen und<br />

dir etwas geben.’ Ich sage euch, wenn er nicht aus Freundschaft aufsteht und es ihm gibt, so wird er es doch<br />

wegen der Unverschämtheit jenes Menschen tun und ihm alles geben, was er braucht.<br />

Deshalb sage ich euch: Bittet und ihr werdet bekommen! Sucht, und ihr werdet finden! Klopft an, und man<br />

wird euch öffnen! Denn wer bittet, der bekommt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Ist<br />

unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange geben würde, wenn er um einen Fisch bittet? Oder<br />

einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? So schlecht ihr auch seid, ihr wisst doch, was euren Kindern gut tut<br />

und gebt es ihnen. Wieviel mehr wird der Vater im Himmel denen seinen Geist geben, die ihn darum bitten“<br />

Bittet, so wird euch gegeben,<br />

suchet, so werdet ihr finden,<br />

klopft an, so wird euch aufgetan.<br />

Hat nicht diese Sehnsucht,<br />

die wir sicher ALLE kennen<br />

und heute miteinander teilen,<br />

die Sehnsucht nach Beziehung,<br />

nach Beziehungen, die halten und tragen,


hat nicht jede Sehnsucht<br />

(das sagt ja schon das Wort!)<br />

etwas mit SUCHE zu tun?!<br />

Nun ja, manchmal suchen nicht wir,<br />

nicht wir haben Sehnsucht und sind damit unterwegs, sondern<br />

die Sehnsucht HAT UNS;<br />

dann sind wir besetzt und vielleicht sogar blockiert,<br />

traurig,<br />

müde, oder auch<br />

umgetrieben.<br />

Ein schönes Bild dieser Sehnsucht, die festhält und dann doch auch wieder bewegt, malt Rainer Maria Rilke<br />

in folgendem Gedicht:<br />

„Und Du wartest,<br />

erwartest das Eine,<br />

das Dein Leben unendlich vermehrt,<br />

das Mächtige, Ungemeine,<br />

das Erwachen der <strong>St</strong>eine,<br />

Tiefen, Dir zugekehrt.<br />

Es dämmern im Bücherständer<br />

Die Bände in Gold und Braun<br />

Und Du denkst an durchfahrene Länder,<br />

an Bilder, an die Gewänder<br />

wiederverlorener Frau’n.<br />

Und da weißt Du auf einmal.: Das war es.<br />

Du erhebst Dich<br />

Und vor Dir steht<br />

Eines vergangenen Jahres<br />

Angst und Gestalt und Gebet.“<br />

(Rainer Maria Rilke: Erinnerung)<br />

Die Sehnsucht<br />

kann,<br />

wenn es gut geht,<br />

uns bewegen,<br />

uns aufstehen lassen,<br />

uns<br />

nach vielleicht schon EINIGEN Jahren vergangener Suche<br />

in eine NEUE Suchbewegung bringen,<br />

statt dass wir nur dasitzen und warten<br />

auf das Eine, Ungemeine, wie Rilke es mit ganz kleinem Augenzwinkern nennt.<br />

Also:<br />

Aufstehen und Suchen!<br />

Wir wissen ja,<br />

wir wollen es annehmen,


dass unser himmlischer Vater uns keine <strong>St</strong>eine geben wird, sondern Brot,<br />

Wenn schon <strong>von</strong> Anfang an Gottes Wort und Wille heißt:<br />

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“.<br />

Wenn schon ihr,<br />

sagt Jesus,<br />

die ihr nicht unbedingt vertrauenswürdig seid,<br />

(Wir sind in der Passionszeit.<br />

Was sagt uns die Passionsgeschichte über die Tragfähigkeit <strong>von</strong> Beziehungen und über die<br />

Vertrauenswürdigkeit <strong>von</strong> Menschen?<br />

Was hat Jesus mit seinen Freunden erlebt? Von den Feinden ganz zu schweigen, die er doch auch zu lieben<br />

gelehrt und vorgelebt hat?!) -<br />

Also:<br />

Wenn schon ihr,<br />

sagt Jesus,<br />

die ihr nicht unbedingt vertrauenswürdig seid,<br />

euren Kindern (in der Regel) gute Gaben gebt,<br />

wie viel mehr wird der Vater im Himmel,<br />

die einzig und ganz und gar vertrauenswürdige Person,<br />

wenn wir Jesus folgen,<br />

wieviel mehr wird diese schöpferische, Liebe setzende Kraft,<br />

zu der Jesus „Abba“, Papa sagt,<br />

uns geben, was wir brauchen!<br />

oder, wie es in unserem biblischen Textabschnitt am Ende heißt:<br />

den Heiligen Geist geben<br />

denen, die darum bitten?!<br />

Moment mal! Heiliger Geist?! Hatten wir nicht gerade <strong>von</strong> Beziehungen gesprochen,<br />

<strong>von</strong> unserer Sehnsucht nach Beziehungen,<br />

die tragen und Halt geben?!<br />

Was hat das mit dem Heiligen Geist zu tun?!<br />

Wir kommen darauf zurück.<br />

Zunächst lasst uns dem Aufruf folgen:<br />

Bittet, so wird euch gegeben,<br />

suchet, so werdet ihr finden,<br />

klopfet an, so wird euch aufgetan.<br />

Aufstehen und suchen,<br />

suchen nach<br />

tragenden Beziehungen.<br />

Mir ist als einer der ersten Einfälle<br />

zum <strong>St</strong>ichwort „tragend“<br />

das Bild <strong>von</strong> einem Mann gekommen,<br />

der ein kleines Kind auf den Schultern trägt.<br />

Kennen Sie die Legende vom Christophorus?<br />

Ein Mann, der so stark und groß und kräftig ist,<br />

dass er anderen über einen reißenden Fluss helfen kann,<br />

in dem sie sonst untergehen würden.<br />

Und einmal kommt ein kleines Kind und will da auch rüber,


und er nimmt es – hopp, ganz leicht! – auf seine Schultern<br />

und geht los,<br />

und merkt nach einigen Schritten,<br />

wie das immer schwerer wird,<br />

und das Gewicht dieses Kleinen auf seiner Schulter ihn ins Wanken bringt, ihn runterdrückt.<br />

Und es stellt sich dann heraus:<br />

Das war der Christus, den er zu tragen versucht hat.<br />

Ich will jetzt nicht diese Legende ergründen,<br />

aber ich finde das Bild des Christophorus mit dem Kind auf der Schulter<br />

bei unserer Suche nach tragenden Beziehungen<br />

interessant<br />

deswegen,<br />

weil doch die Frage ist:<br />

Wer oder was trägt eigentlich eine Beziehung?<br />

Und weil eine wichtige Lebenserfahrung ist<br />

meiner Meinung nach,<br />

an der wir nicht vorbeigehen sollten<br />

bei unserer Suche nach tragenden Beziehungen,<br />

eine ganz wichtige und vielleicht auch ganz einfache Lebenserfahrung,<br />

die wir aber, so denke ich, immer wieder übersehen, ist:<br />

Kein Mensch kann einen anderen tragen.<br />

Jedenfalls nicht allein<br />

und nicht auf die Dauer.<br />

Jede Mutter, die ganz allein und ohne Hilfe versucht, ein Baby und Kleinkind durch’s Leben zu tragen,<br />

geht in die Knie dabei,<br />

früher oder später,<br />

das sage ich nicht ganz ohne eigene Erfahrung;<br />

und jede Frau und jeder Mann,<br />

der eine kranke, bettlägerige alte Mutter bei sich daheim pflegt,<br />

und dabei ganz allein ist und keine Hilfe hat,<br />

wird irgendwann selber krank sein und ausgelaugt und verzweifelt.<br />

Und alle, die selber einen Angehörigen durch Suizid verloren haben<br />

Oder andere kennen, bei denen das so ist,<br />

die wissen:<br />

Kein Mensch kann einen anderen tragen, ganz allein. Im Extremfall können nicht mal mehrere einen oder eine<br />

andere tragen, wenn die oder der sich nicht tragen lässt<br />

oder wenn an einer Person<br />

das unergründliche Schmerzensgewicht vieler Generationen und unbekannter Welten hängt.<br />

Soviel für’s erste.<br />

Etwas ernüchternd, ich geb’s zu. Aber so ist das oft beim Suchen: Trial and error,<br />

und wer hat gesagt, dass wir nicht auch an falsche Türen klopfen können?<br />

Dann sollten wir halt zur nächsten gehen.<br />

Und dabei sollten wir noch auf ein spezielles Handicap achten,<br />

das wir haben bei unserer Suche,<br />

denn „tragende Beziehungen“<br />

sind in unserer Zeit ja ein fast magisch verpackter Allerweltsartikel auf dem Markt <strong>von</strong>:<br />

Partnerschaftsvermittlungsagenturen,<br />

Kulturindustrie,


Werbebranche,<br />

Parfümläden,<br />

Blumengeschäften,<br />

Herrenausstattern, Damenausstattern,<br />

und so weiter;<br />

ich will sagen:<br />

Wir sind<br />

<strong>von</strong> vielen Seiten her<br />

umgeben <strong>von</strong> BILDERN,<br />

auf denen gute, tragfähige Beziehungen gemalt und uns sozusagen vor die Nase gehalten werden.<br />

Schauen Sie sich mal EINEN Werbeblock im Fernsehen darauf hin an!<br />

Und das – immerzu gute, tragfähige Beziehungen zu malen –<br />

geschieht in den genannten Zusammenhängen eher aufgrund <strong>von</strong> Verkaufsinteressen als<br />

im Sinne einer ehrlichen, realistischen gemeinsamen Suche.<br />

Und das Dumme dabei ist:<br />

Untergründig läuft dabei die Botschaft mit:<br />

„Schaut, so schön kann es sein,<br />

und wenn’s bei Euch nicht so schön ist,<br />

dann seid ihr arme Schweinchen,<br />

vielleicht habe ihr irgendetwas falsch gemacht<br />

oder seid halt einfach nicht so ganz liebenswert.“<br />

Die Idealbilder<br />

<strong>von</strong> tragenden Beziehungen<br />

sind ein Teil unserer Sehnsucht<br />

und treiben uns an auf der Suche,<br />

aber sie können auch in die Irre führen und erdrücken,<br />

denn:<br />

Die Realität ist,<br />

dass Beziehungen<br />

tatsächlich<br />

für ihr Wachstum oft recht wenig Raum bekommen,<br />

dafür aber dann<br />

oft sehr viel tragen müssen,<br />

Egal, ob das Paar-Beziehungen zwischen Erwachsenen sind,<br />

an die wir ja meist als erstes denken, wenn <strong>von</strong> Beziehungen die Rede ist,<br />

oder ob das Freundschaften sind,<br />

oder Eltern-Kind-Beziehungen durch alle Altersstufen,<br />

oder Nachbarschaften,<br />

oder Arbeitsbeziehungen:<br />

Lassen Sie uns doch mal vor dem inneren Auge vorüberziehen,<br />

wie viel Zeit wir für Beziehungen haben<br />

oder: Uns nehmen,<br />

wie häufig<br />

(oder: wie selten) das ist:<br />

Ein gemeinsamer Spaziergang, ein längeres Telefonat,<br />

ein Brief oder eine e-mail,<br />

ein Abend ohne Fernseher,<br />


ja: Oft eben ZU WENIG Raum und Licht und Luft,<br />

zu wenig Gespräch und Genauigkeit in der jeweiligen Positionsbestimmung,<br />

zu wenig Mut in der Abgrenzung.<br />

Und andererseits:<br />

Welche Lasten liegen auf Beziehungen drauf!<br />

ZU VIEL Lasten,<br />

zu viel Bedrohung:<br />

Krankheit, Arbeitslosigkeit, Geldsorgen,<br />

Konkurrenz, schlechter dastehen als der oder die andere, zu viel Unwissen, warum der eine dies so und die<br />

andere jenes anders macht,<br />

zuviel dann auch: Ich muss doch, es soll doch so und so gut sein,<br />

ich muss das schaffen … -<br />

Tragende Beziehungen …<br />

Ich denke, wir tun gut daran,<br />

wenn wir<br />

mitsamt unseren Sehnsuchtsbildern<br />

ganz realistisch und genau uns umsehen<br />

und uns ansehen, was da so los ist,<br />

und nicht die großen Ideale in den Raum stellen,<br />

sondern<br />

- und das ist die Tür, an die ich gern klopfen würde -<br />

umgekehrt<br />

und viel mehr und statt dessen<br />

einmal ganz in die Breite gehen und in die Fülle:<br />

Viele viele kleine Situationen, in denen wir Beziehung erleben<br />

und gestalten können:<br />

Welche und wie viele Menschen sehen wir im Laufe eines Tages?<br />

Was brauchen wir, um uns geborgen zu fühlen?<br />

Welche kleinen oder größeren Wegstrecken haben wir im Laufe unseres Lebens mit anderen zurückgelegt,<br />

die an unserer Seite gewesen sind?<br />

Eltern und Geschwister,<br />

Freundinnen und Freunde,<br />

Seelsorger,<br />

Lehrerinnen,<br />

und nicht zuletzt:<br />

Unsere Geschwister im Glauben,<br />

all die Menschen, mit denen wir Gottesdienst gefeiert haben,<br />

zur Eucharistie eingeladen waren;<br />

und dann auch noch:<br />

unsere Beziehung zu Baum und Blume,<br />

Katze und Hund,<br />

Wind und Meer, … !<br />

Es hat mal einer – kein Theologe, ein Künstler war das -<br />

in einer <strong>St</strong>adtzeitung geschrieben:<br />

„Es ist alles da, was wir brauchen;


Menschen, Orte …“<br />

Und<br />

ich denke:<br />

Das hat ihm der Heilige Geist eingegeben.<br />

Darauf wollten wir doch zurückkommen.<br />

Es ist da! Schaut euch um!!<br />

Je länger wir den Blick auf die FÜLLE richten<br />

<strong>von</strong> Menschen und Orten, die uns tragen<br />

wie ein sicheres Netz,<br />

umso deutlicher kann uns werden,<br />

dass unser himmlischer Vater uns Brot gibt,<br />

keine <strong>St</strong>eine.<br />

„Bittet, so wird euch gegeben,<br />

suchet, so werdet ihr finden,<br />

klopft an, so wird euch aufgetan.“<br />

Amen.<br />

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.<br />

Amen.<br />

LIED: Ins Wasser fällt ein <strong>St</strong>ein (EG 645)<br />

GEBET<br />

Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht bringe ich vor Dich.<br />

Wandle sie in Weite. Herr, erbarme Dich.<br />

Meine ganze Ohnmacht, was mich beugt und lähmt bringe ich vor Dich.<br />

Wandle sie in <strong>St</strong>ärke. Herr, erbarme Dich.<br />

Mein verlor’nes Zutrau’n, meine Ängstlichkeit bringe ich vor Dich.<br />

Wandle sie in Wärme. Herr, erbarme Dich.<br />

Meine tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit bringe ich vor Dich.<br />

Wandle sie in Heimat. Herr, erbarme Dich.<br />

(Eugen Eckert, vertont <strong>von</strong> Winfried Heurich)<br />

Vater unser im Himmel …<br />

SEGEN

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