Fastenpredigt von Pfr. Ebert (Lukaskirche) - St. Matthias
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Nicht plappern wie die Heiden – Wege zum Gebet<br />
Ökumenische <strong>Fastenpredigt</strong> <strong>von</strong> Pfarrer Andreas <strong>Ebert</strong><br />
am 11.März 2007 in <strong>St</strong>. <strong>Matthias</strong><br />
„Nicht plappern wie die Heiden“ heißt die Überschrift. Über das Gebet geht es heute und deswegen<br />
beginnen wir auch nicht mit Worten, sondern aus der <strong>St</strong>ille heraus mit dem Schweigen. Und ich<br />
lade Sie ein, in der <strong>St</strong>ille sich auszurichten auf Gott und um seinen Segen und seinen Geist zu bitten<br />
für das, was ich sage, und für das, was Sie hören.<br />
Pause –<br />
Herr, öffne meinen Mund, dass meine <strong>St</strong>imme dein Lob verkünde. Amen.<br />
Liebe Schwestern und Brüder,<br />
eine Predigt über das Beten passt gut in die Fastenzeit, den Fasten und Beten, das gehört im neuen<br />
Testament, das gehört in der Bibel ganz eng zusammen. Der öffentliche Auftritt Jesu, seine Zeit, als<br />
er unter die Menschen ging, begann mit einer 40tägigen Zeit des Fastens und Betens in der Wüste.<br />
Es heißt, der Geist, der Heilige Geist, hat ihn in die Wüste geschickt, wozu? Damit er vom Teufel<br />
versucht würde. Der Heilige Geist treibt ihn an den Ort der Versuchung, wo Jesus fastet und betet<br />
und ringt um seinen Auftrag, und er ringt mit den großen Versuchungen des Menschseins:<br />
mit der Versuchung der Macht –<br />
alle Reiche will ich dir geben, wenn du niederfällst,<br />
mit der großen Versuchung, sich verehren zu lassen, eine Show zu vollführen –<br />
Spring doch vom Tempel! Alle werden dich sehen und dich bejubeln!<br />
mit der Versuchung auf der materiellen Ebene –<br />
das Hungerproblem zu lösen, egozentrisch für sich selbst zu sorgen, aus <strong>St</strong>einen Brot machen,<br />
etwas zu haben.<br />
Den drei großen Versuchungen, der Habsucht, der Ehrsucht und der Machtsucht, muss er sich<br />
stellen. Und denen kann er sich nur stellen im Gebet.<br />
Wenn wir fasten und beten, dann werden wir durchlässig, durchlässig nicht nur für Gott, das wäre ja<br />
schön. Nein, dann kommt auch das Dunkle zum Vorschein, der Schatten, all das, was wir oft<br />
zudecken im Alltag mit Konsum, mit Arbeit, mit Fernsehen, mit Essen und Trinken und anderen<br />
kleinen und großen Suchtmitteln. Fasten und Beten gehören zusammen. Von der armen Witwe, die<br />
ihren letzten Pfennig buchstäblich für Gott gibt und sich so ganz loslässt, heißt es: diese Witwe<br />
habe beständig gefastet und gebetet.<br />
Jesus weiß aus eigener Erfahrung, dass aus dieser Verbindung, aus dieser Kombination <strong>von</strong> Fasten,<br />
das heißt <strong>von</strong> Verzicht auf Unwesentliches, auf Ablenkung, zu Gunsten des Wesentlichen, das aus<br />
dieser Kombination <strong>von</strong> Fasten und Beten eine große innere Kraft erwächst, nicht nur für das eigene<br />
Leben, sondern auch eine Ausstrahlung für andere; ja, auch die Kraft, dem Dunklen zu widerstehen,<br />
etwas entgegenzusetzen dem Finsteren, dem was Menschen zerstört, was Leben blockiert.
- 2 -<br />
Seine Jünger kommen einmal zu ihm, Sie haben versucht, einem Jungen zu helfen, der schwer<br />
krank ist, der geistig, geistlich krank ist, besetzt ist, besessen ist <strong>von</strong> einer dunklen Macht,<br />
aber es ist ihnen nicht gelungen. Sie konnten es nicht, sie hatten keine Vollmacht. Und Jesus<br />
sagt, so etwas ist nur möglich durch Fasten und Beten, durch große Konzentration auf Gott,<br />
auf das Wesentliche, damit wir geläutert werden, damit wir durchlässig werden, damit Gott<br />
durch uns wirken kann, auch über unser eigenes kleines Leben hinaus.<br />
Es geht bei diesen Fasenpredigten um die Provokationen der Bergpredigt. Und in der<br />
Bergpredigt spricht Jesus zweimal ausführlicher über das Gebet, und was er über das Gebet<br />
sagt, ist provozierend, provokativ. Denn es widerspricht nicht der gängigen Gebetspraxis<br />
seiner Zeit, er sagt überraschendes, Neues und legt seinen Finger auf den wunden Punkt<br />
unseres Gebetslebens. Da hat sich vielleicht gar nicht so viel geändert seit damals. Ich lese<br />
vor, was Jesus an zwei <strong>St</strong>ellen in der Bergpredigt (Math. 6 und 7) über das Beten sagt:<br />
„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und sogar an<br />
den <strong>St</strong>raßenecken stehen und beten, damit sie <strong>von</strong> den Leuten gesehen werden. Ich sage euch,<br />
sie haben ihren Lohn schon gehabt. Wenn du betest, dann geh in dein Kämmerlein, schließ<br />
die Tür <strong>von</strong> innen zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der in<br />
das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten. Und wenn ihr betet, dann sollt ihr nicht viel<br />
plappern wie die Heiden, denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.<br />
Ihnen sollt ihr nicht gleichen. Euer Vater weiß, was ihr braucht, schon bevor ihr ihn bittet.<br />
Deswegen betet einfach so:<br />
Vater unser im Himmel, dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe<br />
wie im Himmel so auf Erden.<br />
Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben<br />
unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns <strong>von</strong> dem Bösen.<br />
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater<br />
auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater auch<br />
nicht vergeben.“<br />
Etwas später in der Bergpredigt sagt Jesus: „Bittet, so wird euch gegeben. Suchet, so werdet<br />
ihr finden. Klopft an, so wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der<br />
findet, und wer anklopft, dem wird geöffnet.<br />
Wer ist unter euch, der seinem Sohn, wenn er ihn um Brot bittet, einen <strong>St</strong>ein gibt? Oder wenn<br />
er euch um einen Fisch bittet, ihm eine Schlange reicht? Wenn schon ihr, die ihr doch böse<br />
seid, trotzdem euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird euer Vater im<br />
Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten?“<br />
Und schließlich, nicht in der Bergpredigt, sondern bei Mt 18 noch eine wichtige <strong>St</strong>elle. Noch<br />
einmal spricht Jesus zum Gebet: „Ich sage euch: wenn zwei unter euch eins werden auf<br />
Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren <strong>von</strong> meinem Vater im Himmel.<br />
Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“<br />
Was können wir aus diesen wenigen Anleitungen übers Gebet für unser eigenes Gebetsleben<br />
lernen und mitnehmen? Ich denke, es sind sechs Dinge, die ich gefunden habe. Eigentlich<br />
kommt da noch etwas Siebtes dazu:<br />
o<br />
Beten ist etwas sehr Persönliches, etwas sehr Intimes; denn es ist die innere<br />
Zwiesprache zwischen Mensch und Gott. Es geht beim Gebet um unser Innerstes, es<br />
geht um unsere Herzensanliegen, es geht um unsere Ratlosigkeit, um unsere Nöte, um
- 3 -<br />
unsere tiefsten Gefühle, Bedürfnisse und Sehnsüchte, oft um Unaussprechliches, oft<br />
um etwas, was wir selber gar nicht genau in Worte fassen können, und manchmal auch<br />
um Dinge, die wir auf jeden Fall nicht vor Menschen aussprechen können. Diese<br />
intime Zwiesprache braucht einen intimen Rahmen, keine Zuschauer.<br />
Jesus selbst hat sich in der Regel zum Gebet zurückgezogen, er war auch sehr<br />
zurückhaltend, er hat seine Jünger nicht stundenlang belehrt über das Gebet. Sie<br />
kommen sogar einmal und sagen: „Johannes, der Täufer, der sagt seinen Jüngern,<br />
seinen Anhängern, wie man betet. Warum sagst du uns nichts? Sag uns doch, wie man<br />
betet!“ Jesus hat das <strong>von</strong> sich aus gar nicht getan. Vielleicht deswegen, weil es keinen<br />
Sinn hat, übers Gebet zu sprechen, wenn Menschen nicht an dem Punkt sind, wo sie<br />
eine große Sehnsucht danach haben, <strong>von</strong> sich aus kommen und beten und sagen: Herr,<br />
lehre uns beten!<br />
Ohne Gebet kann ich nicht leben. Ich brauche diesen Zugang zur Kraftquelle und<br />
Jesus selber hat ihn gebraucht und gesucht, sich regelmäßig ganz allein<br />
zurückgezogen, mutterseelenallein, nachts, auf einen einsamen Berg. Er war ja<br />
obdachlos, er hatte kein Kämmerlein, in das er gehen konnte, aber er liebte die Natur.<br />
Nachts auf dem Berg, da hat er die <strong>St</strong>erne gesehen und den Mond und hinter den<br />
<strong>St</strong>ernen hat er das große DU gesucht, Gott, den er Abba genannt hat, Papa heißt das<br />
eigentlich, sehr intim. Aus dieser Zweisamkeit mit Gott, aus der <strong>St</strong>ille, aus dem<br />
Alleinsein, aus der Intimität mit Gott hat er die Kraft geschöpft, um dann wieder<br />
unermüdlich da zu sein, sich zu engagieren für seine leidenden Mitmenschen.<br />
Und deswegen empfiehlt Jesus als erstes: Geh in die Einsamkeit, geh in die <strong>St</strong>ille. Ich<br />
kenne inzwischen viele Menschen, denen es ein Herzensanliegen geworden ist, sich in<br />
der eigenen Wohnung so einen Ort der <strong>St</strong>ille zu schaffen, z. B. im Schlafzimmer eine<br />
kleine Gebetsecke. Da steht vielleicht eine Ikone, ein Kruzifix, eine Kerze, ein <strong>St</strong>uhl<br />
oder ein Meditationshocker. Und immer mehr Menschen erzählen mir, sie brauchen<br />
einmal am Tag diese Zeit, z. B. vor dem Frühstück, wo sie 20 Minuten sich<br />
zurückziehen in diese <strong>St</strong>ille, vielleicht ein Schriftwort lesen oder die Tageslesung,<br />
vielleicht für andere Menschen beten, ein Vaterunser sprechen, ein Ave Maria, wenn<br />
sie katholisch sind, oder auch nur schweigend meditieren. Das Wesentliche dabei ist<br />
dieser Raum der <strong>St</strong>ille, wo ich in meine innere Herzenskammer einkehren kann, wo<br />
ich ganz nach innen gehen kann, nach innen lauschen, um Gott in der Verborgenheit<br />
meines Herzens zu suchen.<br />
o<br />
Das zweite, was wir <strong>von</strong> Jesus lernen: Liebende brauchen nicht viele Worte zu<br />
machen. Beten bedeutet in erster Linie, in Gottes Gegenwart zu sein, in seiner Nähe zu<br />
sein, nicht unbedingt zu reden. Gott muss man nichts erklären, er weiß alles, er weiß,<br />
was wir brauchen; deswegen nicht plappern wie die Heiden. Dahinter steckt ein<br />
falsches Gottesbild, als müssten wir ihn überzeugen <strong>von</strong> irgendetwas, als müssten wir<br />
ihn bestürmen, als müssten wir um seine Liebe erst buhlen. Nein, er liebt uns, und er<br />
will, dass es uns gut geht.<br />
Es gibt freilich in der spirituellen Entwicklung eines Menschen bestimmte<br />
Wachstumsphasen. Traditionellerweise war es so, dass, wenn man gut katholisch oder<br />
evangelisch aufgewachsen ist, man angefangen hat mit Tischgebet oder gereimten<br />
Gebeten, die Mama am Bett gesprochen hat. Dann hat man Gebete auswendig gelernt,<br />
vielleicht Psalmen. Und irgendwann, vielleicht in der Pupertätszeit, hat man<br />
angefangen, frei zu beten, das so genannte emotionale Gebet. Ich habe angefangen mit
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Gott zu reden wie mit einem Freund, ich habe ihm einfach erzählt, was mich bewegt,<br />
meine Gefühle. Das ist eine ganz wichtige Phase im Gebetsleben, das es persönlich<br />
wird, nicht nur abstrakt und nicht nur mit fremden vorgeformten Worten, ohne dass<br />
die aufhören wichtig zu sein.<br />
Es gibt eine Phase, wo es wichtig ist, dass wir dieses emotionale Gebet üben, und es<br />
gibt immer wieder Situationen im Leben, wo es darum geht, einfach mit Gott zu reden,<br />
wie uns der Schnabel gewachsen ist, das Herz ihm ausschütten, auch mit eigenen<br />
Worten, mit eigenem <strong>St</strong>öhnen, mit eigenem Seufzen, nicht, weil Gott das braucht,<br />
sondern weil es uns selbst gut tut, weil es uns entlastet, wenn wir mit Gott reden wie<br />
mit einem Freund und wissen, wenn uns kein Mensch mehr hört, er hört uns.<br />
Und dennoch ist das erste die halbe Seite des Gebets. Auch die menschliche Liebe lebt<br />
erstens vom Reden und Zuhören, und zweitens vom Reden und Schweigen. Das gilt<br />
auch für die Zwiesprache mit Gott. Niemand hat das so schön ausgedrückt wie der<br />
dänische Philosoph Sören Kirgegaard, der seine Gebetserfahrung so beschreibt: „Als<br />
mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger zu<br />
sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer<br />
Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Erst meinte ich, beten sei reden. Ich<br />
lernte aber, dass beten nicht bloß Schweigen ist, sondern hören.“<br />
So ist es. Beten heißt nicht, sich selber reden zu hören, beten heißt still werden und<br />
still sein und warten, bis der Betende Gott hört. Gott redet eine ganz eigene Sprache,<br />
das sind keine Worte in der Regel, die wir als Worte hören, Gott redet durch seine<br />
Anwesenheit, er lässt sich spüren, er lässt sich erfahren als schweigende Präsenz, so<br />
wie zwei Liebende, die sich wirklich lieben, auch miteinander schweigen können und<br />
einfach wissen, der Andere ist da. Dieses Schweigen hat für viele etwas Bedrohliches.<br />
Es reicht ja nicht, einfach aufzuhören zu reden und schon redet Gott. Wenn wir<br />
schweigen, dann wird es erst einmal ganz laut in uns, dann steigen die Gedanken, die<br />
Gefühle, die Bilder auf. Viele haben Angst vor dem Schweigen; deswegen muss<br />
immer das Radio dröhnen oder der Fernseher. Die ganze innere Unruhe kommt unter<br />
Umständen erst einmal nach oben.<br />
Schweigen will gelernt und geübt sein. Deswegen sind heute in den Klöstern und in<br />
den Meditationshäusern die Kurse überlaufen, wo man Schweigen lernen kann und<br />
Schweigen üben kann. 10 Tage nicht reden, aber auch nicht einfach nichts sagen,<br />
sondern zu üben, wie das ist, nach innen zu lauschen, wie gehe ich um mit der Unruhe<br />
in mir, mit den Gedanken, die kommen? Wie kann ich es lernen, wirklich vorzustoßen,<br />
vorzudringen zu jenem innerstem Raum in mir, wo Gott wohnt und wo Gott spricht<br />
auf seine Weise?<br />
o<br />
Jesus schenkt seinen Jüngern ein Mustergebet, das Mustergebet schlechthin, das Gebet<br />
überhaupt – das Vater unser. Was ist das Wesentliche und das Besondere an diesem<br />
Gebet? Was unterscheidet es <strong>von</strong> allen anderen Gebeten? Nicht nur die Tatsache, dass<br />
Jesus es selber gelehrt hat und uns empfohlen hat, so zu beten, sondern es ist ein sehr<br />
ungewöhnliches Gebet, weil es ein Gebet ist, das anders als 90 % aller Gebete, die<br />
normalerweise gesprochen werden, weil es nicht um das ICH kreist, es ist ein absolut<br />
nicht egozentrisches, egoistisches Gebet. Es befreit uns <strong>von</strong> diesem ewigen Kreisen<br />
um uns, unsere Sorgen, unsere Pläne, unsere Gedanken, unsere Hoffnung, unsere<br />
Nöte, unsere Schmerzen, unsere Freuden, unsere Wünsche. Ein Vater unser blickt über<br />
den Tellerrand der eigenen Bedürfnisse und Nöte. Das beginnt schon einmal damit,
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dass es ein Gemeinschaftsgebet ist, dass es nicht heißt „Vater mein im Himmel“<br />
sondern „Vater unser im Himmel“. Es öffnet vom ersten Augenblick an meinen Blick<br />
für die Menschenfamilie, ich bin nicht allein auf dieser Welt. Und für mich kann ich<br />
nur das erbitten, was ich auch allen anderen Menschen auf der Welt, sogar meinen<br />
Feinden – letzte Woche war ja das Thema die Feindesliebe – wünsche und gönne. Und<br />
dann geht es in diesem Gebet eben nicht um mich und nicht einmal um uns, sondern es<br />
geht zunächst einmal um Gott, es ist eine Ausrichtung auf Gott.<br />
„Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe“! Da haben<br />
wir wieder die drei großen Versuchungen, denen Jesus widerstanden hat:<br />
Die Habsucht – ich will etwas haben, mein kleines Reich, was ich besitze. Nein mein<br />
Reich ist nicht wichtig, dein Reich komme.<br />
Das ist die Erlösung <strong>von</strong> der Habsucht.<br />
Dein Name werde geheiligt! Es ist nicht wichtig, ob ich geehrt werde, ob mein Name<br />
in der Zeitung steht oder in aller Munde ist. Wichtig ist, dass Gottes Name geheiligt<br />
wird, der Name des Gottes, der meinen Namen kennt und mich mit Namen ruft: Das<br />
ist die Erlösung <strong>von</strong> der Ehrsucht.<br />
Dein Wille geschehe! Es geht nicht darum, dass ich mich durchsetze in dieser Welt,<br />
sondern dass sich Gott durchsetzt. Denn das ist das, was uns allen und dann auch mir<br />
gut tut. Das ist die Erlösung <strong>von</strong> der Machtsucht.<br />
Habsucht, Ehrsucht, Machtsucht, die großen Versuchungen Jesu, sind auch die großen<br />
Versuchungen unseres Lebens. Im „Vater unser“ lösen wir uns gleich zweimal da<strong>von</strong>,<br />
am Anfang und am Schluss, wo wir noch einmal sagen: Dein ist das Reich – nicht<br />
mein -, Dein ist die Kraft – nicht mein -, und Dein ist die Herrlichkeit – nicht mein.<br />
Und dazwischen die Bitten, das sind Wir-Bitten. Da bitten wir um etwas ganz<br />
Elementares, um das tägliche Brot, aber nicht nur für mich, für uns, für uns Deutsche,<br />
für uns Reiche. „Unser tägliches Brot gib uns heute“, das heißt, alle Menschen sollen<br />
zu essen haben. Das kann auch bedeuten, wenn wir zu viel haben, dass diese Bitte<br />
mich einlädt zu teilen, mehr zu teilen als bisher. Es geht nicht um mein Brot, es geht<br />
um unser Brot. Und es geht um die Vergebung der Schuld.<br />
Vergib uns unsere Schuld. Uns allen, nicht nur mir, sondern auch denen, die an mir<br />
schuldig geworden sind. Wir sind ja nicht nur Sünder, wir sind auch immer Opfer der<br />
Sünde. Wie viele Menschen, fast jeder, ist zunächst einmal Opfer gewesen, bevor er<br />
Täter wurde. Das geht oft bis in die Kindheit zurück, ins Elternhaus, zu Geschwistern,<br />
Lehrern. Wir sind verletzt worden. Das ist der Grund, warum auch wir verletzen. Wir<br />
schlagen sozusagen zurück, meistens am falschen Ort.<br />
Vergib uns unsere Schuld heißt, erlöse uns aus dieser Verstrickung. Vergib auch<br />
denen, die an mir schuldig geworden sind, dass diese Verstrickungen aufhören, lös die<br />
Knoten der Vergangenheit, auch in meiner Geschichte, meiner Familiengeschichte<br />
zum Bespiel. Das bedeutet auch, dass ich loslassen lerne, dass ich bereit bin, mich zu<br />
versöhnen und nicht die Schuld der anderen festhalte, sonst funktioniert das nicht.<br />
Versöhnung, das sind kommunizierende Röhren.<br />
Man kann nicht mit Gott versöhnt sein, aber nicht mit seinen Mitmenschen. Man kann<br />
auch nicht mit sich selbst versöhnt sein, wenn wir immer noch Anklagen in uns tragen,<br />
Bitterkeit, andere beschuldigen. Und in diesem Gebet, dem Vater unser, lassen wir uns<br />
ein auf den Weg der Versöhnung. Das ist ein langer Prozess, das geht nicht <strong>von</strong> heute
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auf morgen, das geht auch nicht einfach durch einen Beschluss, jetzt vergebe ich allen<br />
Menschen und dann ist alles gut. Es bedeutet: Ich trete vor Gott und sage: „Herr, zeig<br />
mir den nächsten Schritt auf dem Weg der Versöhnung und zeig mir, wo ich noch<br />
nicht versöhnt bin.“ Ein unversöhnliches Herz ist eine große Blockade für das Gebet.<br />
Deswegen<br />
o<br />
o<br />
Gebet und Versöhnung gehören zusammen. Man kann nicht mit unversöhntem<br />
Herzen beten wie der Pharisäer, der sich hinstellt und sagt: „Ich danke dir, Gott, dass<br />
ich nicht bin wie diese Dreckskerle da, diese Sünder, diese Prostituierten, die<br />
Terroristen, die Zöllner, die Linken, die Rrechten, je nachdem wen ich nicht leiden<br />
kann.“ Es funktioniert nicht, dass ich mich <strong>von</strong> anderen abhebe, dass ich meine, ich<br />
bin schon eine <strong>St</strong>ufe weiter, ich stehe auf irgendeinem Podest und kann auf<br />
irgendjemand herabschauen. Der Zöllner dagegen steht einfach da und sagt: „Gott, sei<br />
mir Sünder gnädig“. Er weiß, ich brauche Barmherzigkeit.<br />
Jesus lädt zum beharrlichen Gebet ein. Bittet, so wird euch gegeben werden.<br />
Suchet, so werdet ihr finden. Klopfet an, so wird euch aufgetan. Gebet ist eine<br />
lebenslange Aufgabe. „Betet ohne Unterlass“ heißt es in einem Paulusbrief. Und das<br />
heißt, lasst euch geduldig ein auf diesen Dialog mit Gott, auf ein Leben des Gebetes.<br />
Jesus ermutigt uns anzuklopfen, Gott etwas zuzutrauen.<br />
Es gibt eine Reihe <strong>von</strong> Erzählungen im Evangelium, wo Leute geradezu unverschämt<br />
alle guten Konventionen hinter sich lassend beten und <strong>von</strong> Jesus etwas wollen: Die<br />
syrophönizische Frau, deren Tochter krank ist, die sagt „Mach sie gesund“, und Jesus<br />
weist sie erst schroff ab und sagt: „Ich bin nur für die Juden da“. Und sie packt ihn<br />
genau da und sagt: „Okay, wenn du nur für die Kinder Israels da bist, aber die Hunde<br />
unter dem Tisch, die kriegen doch auch einige Brotsamen ab. Dann bin ich eben ein<br />
Hund, aber ich brauche auch etwas“. Und Jesus ist so beeindruckt, vielleicht sogar<br />
beschämt <strong>von</strong> dem, was diese Frau sagt, dass er sagt: „Dein Kind soll gesund werden“.<br />
Oder der Hauptmann <strong>von</strong> Kapharnaum, der seine Würde als Offizier vergisst und zu<br />
Jesus kommt und sagt: „Bitte, bitte, hilf meinem Burschen, an dem ich so hänge, er ist<br />
krank“. Oder die blutflüssige Frau, die sich heimlich anschleicht <strong>von</strong> unten und Jesus<br />
nur berühren will, weil sie krank ist und hofft, dass diese Berührung, seine Energie, sie<br />
heilt. Und Jesus merkt es und macht sie gesund. Und jedes Mal sagt Jesus: Dein<br />
Glaube ist groß.<br />
Menschen, die etwas erwarten, die etwas wollen <strong>von</strong> Gott, <strong>von</strong> Christus, das nennt<br />
Jesus Glauben, Vertrauen. Deswegen dürfen wir freimütig um seine Gaben bitten. –<br />
Und schließlich<br />
o<br />
Das war der Text, der nicht mehr in der Bergpredigt steht, wo Jesus sagt, die<br />
Gemeinschaft ist etwas ganz Wichtiges beim Gebet. Wir stehen nicht allein vor Gott.<br />
Die Fürbitte ist wichtig und auch, dass wir bereit sind, einen Mitmenschen für uns<br />
beten zu lassen, um Fürbitte zu bitten, keine falsche Scham zu haben. Wann haben Sie<br />
einen anderen Menschen darum gebeten, „bete mal für mich, ich stehe vor einer<br />
schweren Prüfung, oder ich habe Angst vor diesem Besuch beim Arzt, oder mit meiner<br />
Ehe sieht es nicht gut aus“. Da entsteht eine besondere Form der Gemeinschaft, wenn<br />
wir füreinander beten und wenn wir uns auch so verwundbar machen, dass wir andere<br />
um Fürbitte und Segen bitten. Glaube ist etwas Persönliches, aber er ist nicht privat.<br />
Dieses Fürbitten und um Fürbitten bitten ist etwas anderes als sich an <strong>St</strong>raßenecken zu<br />
stellen und seinen Glauben zur Schau zu stellen, das ist immer noch etwas Intimes und
- 7 -<br />
nicht etwas Exhibitionistisches.<br />
Ein letzter Gedanke. Der stammt nun gar nicht <strong>von</strong> Jesus selbst, auch nicht aus der<br />
Bergpredigt, sondern <strong>von</strong> Paulus. Im Römerbrief im 8. Kapitel sagt Paulus etwas sehr<br />
Geheimnisvolles. Da spricht er da<strong>von</strong>, dass Gottes Geist selbst in uns betet, wenn wir nicht<br />
mehr wissen, was wir beten sollen. Es ist ja wirklich so, der Heilige Geist selbst weiß, was<br />
unser tiefstes Bedürfnis ist und er betet in uns, für uns, mit uns. Das halte ich für eine große<br />
Entlastung. Wir müssen keine Perfektionisten des Gebets sein, wir müssen nicht gut beten, es<br />
reicht, dass wir da sind, dass wir vielleicht manchmal mit leeren Händen und stammelnd oder<br />
sogar wortlos vor Gott stehen und dass wir uns <strong>von</strong> ihm beschenken lassen. Und dass wir<br />
lernen zu danken und Gott zu loben. Das ist das Gebet, wo wir auch nicht um uns kreisen,<br />
sondern wo wir den Blick ausrichten auf ihn, auf die Quelle des Lebens.<br />
Deswegen möchte ich mit Ihnen jetzt ein Lied singen <strong>von</strong> Paul Gerhardt, der morgen 400sten<br />
Geburtstag hat; er ist der größte evangelische Liederdichter. Viele Lieder <strong>von</strong> ihm stehen auch<br />
im „Gotteslob“. Wir wollen das Lob- und Danklied Nr. 267 im „Gotteslob“ Paul Gerhardt zu<br />
Ehren und vor allem Gott zu Ehren singen:<br />
Nun danket all und bringet Ehr, ihr Menschen in der Welt, dem,<br />
dessen Lob der Engel Heer im Himmel stets vermeldt.<br />
Ermuntert euch und singt mit Schall Gott, unserem höchsten Gut,<br />
der seine Wunder überall und große Dinge tut.<br />
Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn<br />
und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz in Meerestiefen hin.<br />
Er lasse seinen Frieden ruhn auf unserm Volk und Land:<br />
er gebe Glück zu unserm Tun und Heil zu allem <strong>St</strong>and.<br />
Solange dieses Leben währt, sei er stets unser Heil,<br />
und wenn wir scheiden <strong>von</strong> der Erd, verbleib er unser Teil.<br />
Er drücke, wenn das Herze bricht, uns unsere Augen zu<br />
und zeig uns drauf sein Angesicht dort in der ewgen Ruh.