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H E I M K E H R DAS DORF MEINER KINDHEIT Otto ... - dkmotion

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den kommenden Übeln berichtete. So sagte die Alte bald gar nichts mehr und<br />

schwieg nur mehr in sich hinein, wenn ihre Buben da waren. Und schrie erst<br />

wieder, als sie ihre Todesnachrichten erhielt, aus dem fernen Russland, das sie<br />

erobern sollten, für irgendwen, den sie nicht kannte und mit dem sie nichts zu tun<br />

haben wollte, die Großmutter.<br />

Er hatte kaum Freunde, der Knabe. Wohl, weil’s nicht die Zeit war für<br />

Freundschaften. Aber wann gibt’s die schon. Wegfreunde gab es einige.<br />

Schulkameraden. Nachbarkinder. Menschen, die neben ihm groß wurden und<br />

älter. Manche gar, denen er zuhörte, manchmal. Wie der Großmutter. Oder dem<br />

alten Jok, einem Knecht vom Greußinghof. Aber sonst. Auch er, der Knabe, war<br />

zufrieden mit dem Wenigen, das da war. Schließlich kannte er nichts anderes. Im<br />

Norden der See, im Osten und Westen Rhein und Ache, im Süden eine riesige<br />

Riedlandschaft. Dazwischen das Dorf, sein Dorf, ein Dorf wie viele andere Dörfer<br />

auch, in dem die Kinder gezüchtigt wurden, bis sie waren, wie das Dorf sie<br />

brauchte. Und es bedurfte nicht viel der Züchtiger. Kirche und Schule, Pfarrer und<br />

Lehrer verrichteten ihren Dienst bei den heranwachsenden Dörflern. Die<br />

Schindlers, die Besitzer der Fabrik, der Strumpfe, wie sie im Dorf genannt wurde,<br />

und die Greußings, die Großbauern, die über all die Jahre Bürgermeister und<br />

Ortsgruppenführer und Kapellmeister und was es sonst noch gab, stellten, waren<br />

für die Restdörfler zuständig. Pfarrer, Lehrer, Schindlers und Greußings, damit<br />

hatte es sich. Mehr brauchte es nicht. Daneben gab’s nur mehr Namenlose,<br />

Gesichtslose. Menschen ohne Bedeutung. Blasse, Gekrümmte, Geknickte. Aber<br />

sie sahen sie nicht, ihre Blässe. Wollten sie nicht sehen. Ebenso wenig wie das<br />

Vieh die Kargheit des Bodens sah, nicht sehen konnte, weil es nichts anderes<br />

kannte als Kargheit. Und wie der Hund den Nebenhund hasst, hasste einer den<br />

anderen. Feige von hinten nach dem Nachbarn schnappend, suchte sich ein jeder<br />

den bequemsten Platz aus im Gespann, aber wenige nur merkten, dass sie dem<br />

Feinde den Karren zogen. Sie bekamen die Knochen vorgeworfen und leckten<br />

dafür noch dankbar die Ruten der Herren. Er, der Knabe, war müde, all die Jahre,<br />

wie sie alle müde waren, ihr Leben lang. Nur spürte man sie nicht, die Müdigkeit,<br />

weil sie einfach da war, immer schon. Das Schlachten und Hungern, Blut und<br />

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