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ZWEI DRAMEN AUS DER PERSPEKTIVE DER ... - Matarka

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12 Júlia Ernei<br />

seßen wie Statuen, und geweint.” 1 . Diese Reaktion des Publikums wiederholte sich auch<br />

später bei den weiteren Aufführungen, und so wurde dieses erste deutsche bürgerliche<br />

Trauerspiel zu einem der größten Erfolge des 18.Jahrhunderts. Im Stück ist mehr als dreißigmal<br />

vom Weinen oder von Tränen die Rede:<br />

Zähren wie auch andere körpersprachliche Artikulationsformen bilden aber kein<br />

empfindsames Beiwerk, sondern bestimmen ganz entscheidend die dramatische<br />

Handlung in diesem Stück. Die Figuren werden durch ihre Empfindungen charakterisiert,<br />

ihre innere Verfassung stellen sich durch den willkürlichen oder unwillkürlichen<br />

Ausdruck ihrer Gefühle dar. 2<br />

Bei Lessing bekommen die Tränen eine große Bedeutung, weil sie gegenteilige Affekte<br />

körperlich repräsentieren können, und zwar Freude und Schmerz. Bei ihm sind Weinen und<br />

Lachen stets miteinander vermischt.<br />

Theodore Ziolkowski und Peter Michelsen haben zuerst die Körpersprache in Miß<br />

Sara Sampson interpretiert. Nach ihrer Meinung hat in Lessings Stück das Nicht-<br />

Aussagbare Vorrang dem Aussagbaren, Mimik und Gestik werden genauso wichtig, wenn<br />

nicht wichtiger, als der poetische Text:<br />

Der – dem Rhetor wird dem Dichter natürlich schon stets bekannte – Weg, der<br />

»kürzer als über die gegliederte Rede zum Herzen geht, der Weg der sinnlichen<br />

Gegenwart, der Mimik und der Gestik, wird dem 18. Jahrhundert mehr und mehr<br />

zum Hauptweg; die Sprache reicht zum Ausdrucksverlangen der Dichter nicht<br />

mehr aus. 3<br />

Lessing bemühte sich, die auf der Bühne vorzustellenden psychischen Dispositionen im<br />

Text zu begründen, er wollte sie den Schauspielern und dem Publikum verständlich machen.<br />

Lessing formulierte in einem Brief (14. September 1757), den er an seinen Freund<br />

Mendelssohn schrieb, seine Meinung über die Verpflichtung des Dichters, für die Schauspieler<br />

zu arbeiten. Er glaubt, dass es sehr wichtig ist ,,den ganzen Affekt, in welchem der<br />

Akteur erscheinen soll” 4 möglichst genau zu zergliedern.<br />

Mit diesem Theaterstück wollte Lessing beweisen, dass der Mimik und Gestik einen<br />

kürzeren Weg ins menschliche Herz bedeuten als die poetische Sprache. Dieses Interesse<br />

an der körperlichen Beredsamkeit bestimmt die dramatische Handlung der Miß Sara<br />

Sampson. Im Stück gibt es hundertundfünfzig Bühnenanweisungen, mehr als sechshundert<br />

Redepausen (durch Gedankenstriche gekennzeichnet) und zahlreiche Passagen, in denen<br />

Mimik und Gestik kommentiert werden.<br />

Wenn die Schauspieler schweigen, spricht der Körper weiter, der Empfindungen<br />

und Gefühle ausdrückt, zum Beispiel als Sara im Sterbebett ihr Misstrauen gegen Mellefont<br />

1 RAMLER 1971, 88.<br />

2 Vgl. KOŠENINA 1995.<br />

3 Zit. nach FISCHER-LICHTE 1994, 192.<br />

4 LESSING 1968, 121.

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