ZWEI DRAMEN AUS DER PERSPEKTIVE DER ... - Matarka
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18 Júlia Ernei<br />
rung (23. Februar 1776) immer widersprüchlich beurteilt, und der Grund dafür war eben die<br />
Körpersprache, die Darstellung der Leidenschaft auf der Bühne. An der Körpersprache –<br />
die Lessing als gestische Seelenzeichenkunst abgehoben hat – zeigt sich bei Klingers Zwillingen<br />
der Mangel an der psychologischen Motivation der Charaktere und der Handlung.<br />
Die Lebhaftigkeit der vom Text schon gegebenen Sturm- und Drang-Sprache verführte<br />
die Hauptdarsteller (...) diese Dynamik der Leidenschaften allzu grell, fast<br />
zur Raserei werden zu lassen. Das Grauen des Tragischen, das hier vom Spiel her<br />
gemildert werden sollte, wurde dadurch zum Grausigen gesteigert und trotz aller<br />
Kunst überspannt. 25<br />
Den Stoff und den Anlass für dieses Stück hat wahrscheinlich das Trauerspiel Julius von<br />
Tarent (1776) von. J. A. Leisewitz geliefert.<br />
Das Trauerspiel Die Zwillinge in fünf Akten spielt in einem italienischen Fürstenhaus.<br />
Im Mittelpunkt steht ein Zwillingspaar: Ferdinando, der erstgeborene Zwilling, und<br />
Guelfo. Der Konflikt entsteht dadurch, dass Guelfo gegen seinen Bruder Ferdinando und<br />
seine Eltern wütet. Er denkt immer daran, ob er nicht doch der Erstgeborene sei. Entsprechend<br />
der Tradition bekommen die Erstgeborenen den Namen des Vaters, wie ein familiäres<br />
Erbe. Aber hier nennt man den Erstgeborenen Ferdinando, und der jüngere Bruder bekommt<br />
den Namen des alten Guelfos. Zu diesem Gefühl kommt noch die Eifersucht: er<br />
liebt Kamilla, die Braut von Ferdinando. Der Hass ist so groß geworden, dass er seinen<br />
Bruder tötet. Am Ende wird er von seinem Vater ermordet.<br />
Das große Problem, die Wurzel des Konflikts entsteht hier also auch zwischen<br />
Sohn und Vater. Das richtige Verhalten, die normale Beziehung zwischen den beiden wäre<br />
– nach den Benehmensnormen der Zeit – folgendes:<br />
Was kann hingegen entzückender sein, als der Anblick eines geliebten Vaters mitten<br />
unter seinen erwachsenen Kindern, die nach seinem weisen und freundlichen<br />
Umgange sich sehnen, keinen Gedanken ihres Herzens verbergen vor ihm, der ihr<br />
treuester Ratgeber, ihr nachsichtsvoller Freund ist, der an ihren unschuldigen, jugendlichen<br />
Freuden teilnimmt oder sie wenigstens nicht stört, und mit ihnen wie<br />
mit seinen besten und natürlichsten Freunden lebt. – Eine Verbindung, zu welcher<br />
sich alle Empfindungen vereinigen, die nur dem Menschen teuer sein können,<br />
Stimme der Natur, Sympathie, Dankbarkeit, Ähnlichkeit des Geschmacks, gleiches<br />
Interesse und Gewohnheit des Umgangs. 26<br />
Mit dem Stück Die Zwillinge hat Klinger den Nerv der Zeit sicher getroffen: er thematisierte<br />
einen Streit unter Brüdern, eine Auseinandersetzung mit der alles bestimmenden, strengen<br />
Vaterfigur. Die ziemlich einfache Handlung kann er als ein ,,echter” Stürmer und<br />
Dränger darstellen, indem er alles sehr dramatisch formuliert: Empfindsamkeit, Liebe,<br />
Leidenschaft, Verzweiflung, Mord und Todschlag. Aber die Tatsache, dass Amalia (die<br />
Mutter) und Kamilla (die Braut) mit ihrem einfühlsamen Auftreten den schrecklichen Aus-<br />
25 KIN<strong>DER</strong>MANN 1972, 576.<br />
26 KNIGGE (Anm. 11), 324318.