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Essay2_snt 1 - Theater Osnabrück

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Die Empörung insbesondere des Premierenpublikums, aber auch eines Teils der<br />

Rezensenten, konnte den langfristig immensen Erfolg beider Inszenierungen nicht<br />

verhindern. Beide Produktionen wurden mit <strong>Theater</strong>preisen bedacht, auf internationale<br />

<strong>Theater</strong>festivals eingeladen und füllten die Häuser.<br />

Was bei aller Unterschiedlichkeit vielen Shakespeare-Inszenierungen der letzten<br />

Jahre gemeinsam ist, scheint die Entdeckung oder Wiederentdeckung des<br />

volkstheatralen Shakespeares, des derben, vulgären, Possen reißenden, über die<br />

Maßen brutalen Shakespeares. Dieser Shakespeare ist wahrlich keine Erfindung von<br />

profilneurotischen Regisseuren, die den Skandal bewusst und wohlkalkuliert provozieren<br />

wollen. Wer sich wirklich die Mühe macht, Shakespeare im Original zu lesen,<br />

der wird erstaunliche Entdeckungen machen. "Titus Andronicus" beispielsweise: eine<br />

einzige Orgie der Grausamkeit. Vergewaltigung, Verstümmelung, die Verarbeitung<br />

menschlichen Fleisches zur Bestreitung eines Festmahles - vor keiner noch so entsetzlichen<br />

Brutalität schreckte Shakespeare zurück. Als Botho Strauss vor einigen<br />

Jahren eine Bearbeitung dieses shakespearschen Stückes wagte, die diese Grausamkeiten<br />

nicht aussparte und die Luc Bondy in Paris zur Uraufführung brachte, war<br />

der Furor erneut groß und wieder stand die Frage im Raum: Darf <strong>Theater</strong> das?<br />

Neben "Titus Andronicus" ist auch der Shakespearsche "Macbeth" nicht ohne. Heimtückisch<br />

ermordet Macbeth seinen König Duncan, der sich in Macbeth' Burg sicher<br />

und geborgen glaubte. Mit bluttriefenden Händen tritt der von Duncan frisch beförderte<br />

Macbeth aus dem Schlafgemach des Königs und hält Zwiesprache mit Lady Macbeht,<br />

als es plötzlich am Burgtor pocht. Der schlaftrunkene Torwächter öffnet den<br />

nächtlichen Störenfrieden und rechtfertig seine Zögerlichkeit mit dem übermäßigen<br />

Genuss von Alkohol, der ein rechtes Laster sei. Ich zitiere Shakespeare (in der Übersetzung<br />

von Frank Günther):<br />

Das Saufen ist ein großer Anreger für dreierlei: Nasenröte, Schlafen und Wasserlassen.<br />

Die Wollust regt es an und regt es ab: stachelt das Wollen an, aber<br />

verhindert die Ausübung der Lust. Drum könnt man sagen, Saufen ist der jesuitische<br />

Zweideutler bei der Wollust: es schafft sie und erschlafft sei, es lockt sie<br />

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