BGB P5 Folien T5 - Prof. Dr. Reinhard Singer
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<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Reinhard</strong> <strong>Singer</strong> Wintersemester 2009/2010<br />
(26.11.2009, § 5/<strong>T5</strong>)<br />
Grundkurs im Bürgerlichen Recht<br />
b) Zugang bei Einschaltung von Hilfspersonen<br />
aa) Empfangsvertreter: Zugang an einen Bevollmächtigten des Empfängers gilt als<br />
Zugang gegenüber dem Vertretenen (§ 164 III <strong>BGB</strong>).<br />
bb) Empfangsbote:<br />
gesetzlich nicht geregelt; es gelten die allgemeinen Regeln.<br />
(a) Machtbereich des Empfängers: wenn Willenserklärung einer nach der<br />
Verkehrsauffassung zum Empfang geeigneten und ermächtigten Person zugeht.<br />
Beispiel: Ehegatte, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Haushaltshilfe,<br />
im Betrieb des Empfängers tätige Angestellte<br />
(b) Kinder, die im Haushalt des Empfängers wohnen: wenn sie über entsprechende<br />
geistige Reife verfügen.<br />
Beispiel: 10-jähriger Tochter des L – T - wurde Annahme des E (Fall 21) übermittelt; T<br />
sagt L Bescheid<br />
Vertrag (+): selbst wenn 10-jährige Tochter keine ausreichende geistige Reife hätte,<br />
läge Zugang des Angebots vor, weil Vater L informiert = Idealziel des Zugangs<br />
erreicht.<br />
(c ) Empfangsbote ist personifizierte Empfangsvorrichtung des Empfängers (BGH NJW<br />
1994, 2613, 2614).<br />
cc) Erklärungsbote: = Personen, die vom Erklärenden als Mittelsperson eingesetzt<br />
werden, aber weder Vertreter (§ 164 <strong>BGB</strong>), noch Empfangsvertreter oder Empfangsbote<br />
(oben aa und bb) sind.<br />
Beispiele:<br />
(1) E (Fall 21) schickt seine 10-jährige Tochter los, um Annahmeerklärung bei L in den<br />
Briefkasten zu werfen<br />
(2) 7-jähriger Tochter des L wird Angebot übermittelt; richtet sie es aus, liegt Zugang vor;<br />
vergisst sie es, ist Annahme nicht zugegangen<br />
Erklärung gegenüber einer zum Empfang von Willenserklärungen nicht ermächtigten<br />
oder als geeignet anzusehenden Person (Geschäftsunfähige, Kleinkinder,<br />
Nachbarn) = keine Empfangs-, sondern Erklärungsboten<br />
1
Konsequenzen:<br />
(a) Absender trägt bei Erklärungsboten Risiko des Zugangs<br />
Zugang nur, wenn Erklärung korrekt übermittelt wird<br />
(b) Absender trägt auch Risiko der Falschübermittlung (§ 120)<br />
Falls 7-jährige Tochter des L diesem irrtümlich ausrichtet, dass E 8.800.- €<br />
bietet, kann L dieses Angebot annehmen; Folge: Vertrag über 8.800.- €.<br />
Wenn sich Irrtum herausstellt, kann allerdings E anfechten gem. § 120 <strong>BGB</strong><br />
(gegen Zahlung des Vertrauensschadens gem. § 122 <strong>BGB</strong>; dazu unten § 7 II 7.).<br />
Erklärungsbote ist funktional „(Sprach-)Werkzeug“ des Absenders<br />
Beachte: auf Empfangsbote ist § 120 nicht anwendbar<br />
(Palandt/Ellenberger, § 120 Rn. 2, 130 Rn. 9).<br />
c) Die Vereitelung des Zugangs<br />
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Lösung von Fall 22:<br />
Wirksamkeit der Kündigung:<br />
Voraussetzung: Zugang innerhalb der Kündigungsfrist?<br />
[Bei Verfristung: Kündigung nicht „unwirksam“, sie gilt zum nächst möglichen Termin]<br />
1. Voraussetzung: WE in den Machtbereich des Empfängers gelangt.<br />
nicht der Fall, weil M die Entgegennahme des Briefs verweigert hat.<br />
2. Bedenken: Könnte Empfänger Zugang einer Willenserklärung allein dadurch vereiteln,<br />
dass er die Entgegennahme verweigert, würde die Wirksamkeit von Umständen<br />
abhängen, die Absender nicht beeinflussen kann.<br />
Konsequenz: Empfänger verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 <strong>BGB</strong>), wenn er sich<br />
grundlos weigert, Willenserklärung entgegenzunehmen.<br />
a) Falls Empfänger Strafporto zahlen soll, ist Annahmeverweigerung nicht grundlos;<br />
also kein Zugang.<br />
Konsequenz: zweiter Zustellversuch kommt für Wahrung der Frist zu spät.<br />
Kündigung allerdings nicht etwa unwirksam, sondern wirksam zum nächst zulässigen<br />
Termin (§ 140 <strong>BGB</strong>)<br />
b) Variante: ordnungsgemäß frankierter Brief; grundlose Annahmeverweigerung.<br />
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Konsequenz: Zugangsfiktion (Gedanke des § 162 Abs. 1 <strong>BGB</strong>); Kündigung<br />
rechtzeitig wirksam geworden.<br />
3. Ergänzung: grundlose Annahmeverweigerung im Fall 21?<br />
BGHZ 137, 205: keine Annahmeverweigerung durch Unterlassen; da keine Verpflichtung<br />
besteht, bei der Post niedergelegtes Schriftstück abzuholen.<br />
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Lösung von Fall 23:<br />
Anspruch G – I auf Lieferung von Guatemala-Bananen<br />
Anspruchsgrundlage: § 433 Abs. 1 S. 1 <strong>BGB</strong><br />
I. Voraussetzung: Wirksamer Kaufvertrag<br />
II. Zustandekommen eines Kaufvertrages:<br />
1. Angebot des I: Fax 20.00 Uhr Bananen, 600.- € Tonne<br />
Wirksamkeit:<br />
- Abgabe<br />
- Zugang gem. § 130 <strong>BGB</strong><br />
Problem: Angebot über 600 € pro Tonne nicht wirksam, wenn gleichzeitig ein Widerruf<br />
zugegangen ist (§ 130 Abs. 1 S. 2 <strong>BGB</strong>).<br />
a) Zugang des ersten Angebots: Willenserklärungen unter Abwesenden werden erst<br />
wirksam, wenn üblicherweise mit ihrer Kenntnisnahme zu rechnen ist.<br />
Eingang nach Büroschluss = Zugang am folgenden Werktag.<br />
b) Widerruf dieses Angebots: nach Büroschluss = Zugang am darauf folgenden Werktag<br />
= gleichzeitig.<br />
Es kommt nicht darauf an, welche Erklärung Empfänger zuerst liest.<br />
arg.: entscheidend ist Möglichkeit der Kenntnisnahme.<br />
Rechtzeitiger Widerruf des Angebots über 600.- € (+);<br />
2. Annahme durch I?<br />
a) Angebot des I über 600.- € nicht mehr annahmefähig<br />
b) Angebot des I über 650.- € hat G nicht angenommen.<br />
Ergebnis: kein wirksamer Kaufvertrag über Bananen.<br />
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3
Variante Fall 23:<br />
I. Wirksamer Kaufvertrag, wenn Fax des I wirksam geworden.<br />
= wenn Widerruf des Angebot nicht „gleichzeitig“<br />
II. Zugang des ersten Fax:<br />
Zugang immer dann, wenn Empfänger vom Inhalt der Willenserklärung tatsächlich Kenntnis<br />
nimmt.<br />
arg.: Idealziel der Willenserklärung erreicht.<br />
Machttheorie dient ausschließlich den Interessen des Empfängers; dieser bedarf aber keines<br />
Schutzes, wenn er Erklärung tatsächlich erhalten hat.<br />
Konsequenz: eine am Abend in den Briefkasten eingeworfene Kündigung, die zufällig vom<br />
Empfänger gelesen wird, ist tatsächlich wirksam geworden.<br />
III. Widerruf am darauf folgenden Werktag kommt zu spät!<br />
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IV. Exkurs RGZ 91, 60:<br />
1. Haushälterin des Empfängers wurde Telegramm abends um 19.00 Uhr ausgehändigt;<br />
Empfänger war zu dieser Zeit persönlich nicht anwesend.<br />
Absender gelang es später, den Postboten wieder dazu zu bewegen, der Haushälterin das<br />
ungeöffnete Telegramm wieder abzunehmen.<br />
2. Reichsgericht:<br />
Zugang des ersten Telegramms mit Aushändigung an den Empfangsboten<br />
(Machttheorie).<br />
Gleichgültig, ob Empfänger persönlich die Möglichkeit hat, von dem Schriftstück<br />
Kenntnis zu nehmen.<br />
3. Konsequenz: späterer Widerruf nicht mehr rechtzeitig.<br />
4. Bedenken: G hat zu keinem Zeitpunkt auf Wirksamkeit des widerrufenen Telegramms<br />
vertraut.<br />
Aber: mit dem Zugang der Willenserklärung hat G bereits eine vermögenswerte<br />
Position (= Angebot) erlangt.<br />
5. Parallelbeispiele:<br />
Abwesenheit des Empfängers infolge Urlaubs, Krankenhausaufenthalt oder U-Haft<br />
hindert nicht Zugang<br />
BGH NJW 2004, 1320: Zugang eines Fax während des Urlaubs des Adressaten<br />
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BAG NJW 1989, 606: Zugang einer Kündigung während des Urlaubs des<br />
Arbeitnehmers<br />
BAG NJW 1989, 2213: Zugang während Untersuchungshaft des Adressaten<br />
6. Problem: Zugang in zeitlicher Hinsicht<br />
a) Literatur (Brox/Walker, AT, Rn. 152; MK/Einsele, § 130 Rn. 25):<br />
Zugang erst, wenn nach gewöhnlichen Umständen mit der Weitergabe des<br />
Schriftstücks an den Adressaten gerechnet werden kann<br />
Übergabe nach 19 Uhr erst am anderen morgen? Nein, da im Allgemeinen mit<br />
unverzüglicher Weitergabe gerechnet werden kann.<br />
b) Parallel-Fall BGH NJW-RR 1989, 757, 758 f.: Widerruf eines Vertragsantrags<br />
gegenüber Empfangsboten in dessen Geschäftsräumen am Tag der<br />
Vertragsunterzeichnung<br />
aa) Bei Übergabe an Empfangsboten kommt es für den Zugang in zeitlicher<br />
Hinsicht darauf an, ob der Empfänger bei Annahme gewöhnlicher Verhältnisse<br />
die (theoretische) Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.<br />
bb) Es ist also in zeitlicher Hinsicht erst dann Zugang an den Adressaten<br />
anzunehmen, wenn man noch die für die Übermittlung gewöhnlich anfallende<br />
Zeit dazu rechnet.<br />
(1) Aber: bei Übergabe an einen Empfangsboten in der Wohnung des Adressaten<br />
oder – während der Geschäftszeiten – in dessen Geschäftsräumen ist diese<br />
Übermittlungszeit auf Null reduziert (wie im Fall RGZ 91, 60)<br />
Ausnahme: Adressat auf hoher See; der Ehefrau ausgehändigte<br />
Rücktritterklärung ist erst nach Übermittlungszeit zugegangen (BGH NJW 1994,<br />
2613, 2614).<br />
(2) Wenn jedoch der Empfangsbote Erklärung in seinen Geschäftsräumen<br />
entgegengenommen hat; dann ist die Übermittlungszeit an den Adressaten dazu<br />
zu rechnen (so im Fall BGH NJW-RR 1989, 757).<br />
Bsp.: Eingang freitags beim Empfangsboten, Übermittlung an Adressaten am<br />
gleichen Tag per Post = Zugang beim Adressaten am folgenden Montag.<br />
Ein am Freitag dem Empfangsboten übermittelter Widerruf beseitigt daher<br />
Bindung an Vertragsannahme wie im Ausgangsfall 23 (vgl. BGH NJW-RR<br />
1989, 759).<br />
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