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Programmheft als PDF - Staatskapelle Dresden

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»Landesvater« in Göttingen, 1765<br />

Mehrm<strong>als</strong> besuchte Johannes Brahms in den 1850er Jahren die alte Universitätsstadt,<br />

in der er in privaten und öffentlichen Konzerten mit Joseph Joachim,<br />

Clara Schumann und Julius Otto Grimm auftrat und seine Jugendliebe Agathe<br />

von Siebold kennenlernte. Bei seinem ersten Göttinger Aufenthalt 1853<br />

machte er, begleitet von Joachim, ausgiebig Bekanntschaft mit dem burschenschaftlichen<br />

»Commersch« und wurde umfassend in die studentischen Gebräuche<br />

und Lieder eingeführt. Erfahrungen, die in der Akademischen Festouvertüre<br />

ihren musikalischen Nachhall gefunden haben dürften.<br />

aufrecht. Der zweifachen Abwandlung und Umgestaltung schließt sich das<br />

zweite Zitat an: das Lied »Alles schweige«, genauer gesagt dessen Refrain<br />

»Hört, ich sing das Lied der Lieder«, der anfänglich von den Violinen intoniert<br />

und gleichfalls umgehend weiterverarbeitet wird. Das Lied ist auch<br />

bekannt <strong>als</strong> »Landesvater« bzw. fest mit dem gleichnamigen Brauch verbunden,<br />

bei dem mit kräftigem Gesang und gegenseitigem Durchstechen der<br />

Studenten mützen der Landesvater geehrt und der Burscheneid bekräftigt<br />

wird. Als nächstes in der Brahms’schen Ouvertüre zu hören, zuerst in humorigen<br />

Klängen der Fagotte, ist das »Fuchslied« oder der »Fuchsenritt« (»Was<br />

kommt dort von der Höh’«), mit dem Brahms – wie überhaupt mit dem studentischen<br />

Liedgut – in jungen Jahren in Göttingen in Kontakt gekommen<br />

war, im Zuge eines Besuchs bei Joseph Joachim. Der befreundete Geiger,<br />

<strong>als</strong> »königlicher Hof- und Staats-Concertmeister« in Hannover engagiert<br />

und vom musikliebenden König Georg V. künstlerisch wie persönlich sehr<br />

geschätzt, weilte seinerzeit in der alten niedersächsischen Universitätsstadt<br />

und ging seinem Bildungsdrang nach, was sich im Beisein von Brahms<br />

offenkundig auch auf das Eintauchen in die Welt der Göttinger Burschenschaftler<br />

erstreckte. Brahms fand der Überlieferung zufolge durchaus Gefallen<br />

an dem übermütigen Treiben und ließ sich über Geschichte, Sinn und<br />

Bedeutung der angestimmten Lieder genauestens informieren. Vorgeführt<br />

worden sein dürfte ihm bei dieser Gelegenheit auch das berühmte »Gaudeamus<br />

igitur« (»Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus«, »Laßt uns, weil wir<br />

jung noch sind, uns des Lebens freuen«), das den gesamten Schlussteil der<br />

Ouvertüre ausfüllt und das Werk fulminant und strahlend ausklingen lässt.<br />

Eine ähnlich brillante, unbeschwerte Komposition wird sich unter<br />

den Brahms’schen Orchesterwerken kaum finden lassen. Genau dieser gelöste<br />

Tonfall der Ouvertüre aber und ihre Zweckgebundenheit <strong>als</strong> musikalisches<br />

»Geschenk« haben bis heute in der Musikliteratur dazu geführt, der<br />

Partitur mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Einer Skepsis, zu der auch<br />

und gerade die Studentenlieder und die politischen Anspielungen, die unweigerlich<br />

von ihnen ausgehen, ihren Beitrag geleistet haben. Wenig passte<br />

dies alles zu der Vorstellung vom autonomen, introvertierten, grüblerischen<br />

Künstler Brahms, der sich einzig auf sein kompositorisches »Kerngeschäft«,<br />

die reine Tonkunst, konzentriert. Brahms selbst hingegen haderte lange<br />

vornehmlich mit der Benennung des Werkes, die ihm zu hölzern vorkam:<br />

»Früher gefiel mir bloß meine Musik nicht, jetzt auch die Titel nicht, das ist<br />

am Ende Eitelkeit – ?«<br />

Lyrische Inspiration, symphonische Haltung:<br />

das Brahms’sche Violinkonzert<br />

1880 verbrachte Brahms, seit geraumer Zeit geschmeidiger Bartträger,<br />

erstm<strong>als</strong> die Sommermonate im noblen, exklusiven Bad Ischl: einerseits<br />

zur Erholung, andererseits um die grandiose Natur- und Urlaubsszenerie<br />

des Salzkammerguts schöpferisch umzumünzen und seine Kompositionen<br />

voranzutreiben. Bei ausgedehnten Spaziergängen und Wanderungen ließ<br />

er seine Gedanken kreisen und Ideen reifen, <strong>als</strong> Ausgleich pflegte er zum<br />

Tagesausklang die anregende Geselligkeit im Kreise von Freunden, Gönnern<br />

oder Künstlerbekanntschaften, die er in seinem Feriendomizil um sich<br />

scharte. Vor Bad Ischl, in dem sich alljährlich auch der Kaiser zeigte, war<br />

drei Jahre lang das beschauliche Pörtschach am Wörthersee, das »Paradiese<br />

Kärntens«, Brahms’ bevorzugter sommerlicher Rückzugsort. »Hier – ja hier<br />

ist es allerliebst, See, Wald, ›drüber blauer Berge Bogen, schimmernd weiß<br />

in reinem Schnee‹«, schrieb er höchst entzückt an den Freund Theodor Billroth.<br />

»Mir ist es auch für längeren Aufenthalt sehr geeignet … Krebse aber<br />

14 15 10. SYMPHONIEKONZERT

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