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Gesellschaftskritik in Anton P. Tschechows Prosawerk - Libertäres ...

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2.3 Anna am Halse (1895)<br />

2.3.1 Inhalt<br />

Diese Erzählung beg<strong>in</strong>nt mit e<strong>in</strong>er trostlosen Hochzeit zwischen der 18-<br />

jährigen Anna und dem 52-jährigen Beamten Modest Alekseitsch. Anna kommt<br />

aus e<strong>in</strong>er Familie, die nach dem Tod der Mutter <strong>in</strong> Armut geraten war, da ihr<br />

Vater Pjotr Leontjitsch anf<strong>in</strong>g zu tr<strong>in</strong>ken. Nur des Geldes wegen heiratet<br />

die junge und hübsche Anna nun diesen alten, reichen und langweiligen Mann,<br />

der ‚Pr<strong>in</strong>zipien’ hat und für den der Kontakt zur ‚besseren Gesellschaft’<br />

das Wichtigste ist. Doch Anna ekelt sich vor ihm und hat Angst. Um Geld zu<br />

fragen, traut sie sich nicht, da sie sich schämt. So geht es ihrer Familie<br />

nachher auch nicht besser und selbst sie hat weniger Geld als vor der<br />

Hochzeit. Doch dann gibt es e<strong>in</strong>en Wohltätigkeitsball <strong>in</strong> fe<strong>in</strong>er Adelsgesellschaft.<br />

Hier tanzt Anna mit vielen Männern und fühlt sich unter den<br />

Anwesenden wohl, welche ihrer Schönheit Anerkennung zollen. Nach diesem<br />

Abend ändert sich alles. Anna verliert ihre Angst und den Respekt gegenüber<br />

ihrem Mann und lebt ausgiebig mit dessen Geld. Sie verbr<strong>in</strong>gt die Tage mit<br />

Ausflügen mit anderen Adligen. Modest Alekseitsch ist dies sche<strong>in</strong>bar egal,<br />

solange er nur se<strong>in</strong>e Orden bekommt. So sagt ihm ‚Se<strong>in</strong>e Erlaucht’ bei der<br />

Übergabe des Annenordens zweiter Klasse dann: “Sie haben jetzt also drei<br />

Annen, [...], e<strong>in</strong>e im Knopfloch und zwei am Halse“ 13 . Anna beg<strong>in</strong>nt auch<br />

schnell ihre Herkunft zu verleugnen und verkehrt nur noch sehr selten mit<br />

ihrer Familie. Sie schämt sich sogar für diese.<br />

2.3.2 Deutung<br />

Auch hier geht es wieder um e<strong>in</strong>e unglückliche Ehe und auch hier heißt die<br />

Person (wohl nicht zufällig) Anna. Diese Ehe ist von Anfang an zum<br />

Scheitern verurteilt: „Und <strong>in</strong> Anjas Vorstellung flossen all diese Mächte zu<br />

e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen zusammen und g<strong>in</strong>gen [...] auf die Schwachen und Schuldigen<br />

los [...], und sie hatte Angst, etwas gegen sie zu sagen, und sie lächelte<br />

gezwungen und heuchelte Zufriedenheit [...].“ 14 Dies hat mit der Ehe im<br />

ursprünglichen S<strong>in</strong>n nichts mehr geme<strong>in</strong>. Es ist e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Geldheirat, bzw.<br />

für Modest Alekseitsch e<strong>in</strong>e Prestigeheirat, <strong>in</strong> der die Liebe gar ke<strong>in</strong>e<br />

Rolle spielt. Doch Anna ist hier ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e tragische Held<strong>in</strong>, mit der man<br />

Mitleid haben muss, da sie sich nach dem Wohltätigkeitsball schnell <strong>in</strong> die<br />

reiche Gesellschaft e<strong>in</strong>lebt, ihre Angst verliert: „und ihre e<strong>in</strong>stige Angst<br />

von e<strong>in</strong>er sich auf sie zu bewegenden Macht, die sie zu zermalmen drohte,<br />

erschien ihr lächerlich“ 15 . Auch leugnet sie ihre Herkunft, vergisst, dass<br />

sie aus armen Verhältnissen kommt und schämt sich sogar dafür: „Anja<br />

errötete, <strong>in</strong> der Erwartung, er [ihr Vater] werde etwas Unpassendes sagen<br />

(sie schämte sich schon, e<strong>in</strong>en so armen, so gewöhnlichen Vater zu haben)“ 16 .<br />

Tschechow kritisiert hier diejenigen, die die Armut verlassen und sie<br />

sofort vergessen. Dazu sagte er auch e<strong>in</strong>st: „Wir waren alle e<strong>in</strong>mal arm und<br />

haben uns empört, aber haben wir je etwas getan für die Armen?“ 17 . E<strong>in</strong><br />

weiterer Kritikpunkt, und hier kommt auch die Kritik an den „Satten“ zum<br />

Ausdruck, ist das Beamtentum. „Wem das Leben fremd ist, wer dazu unfähig<br />

ist, dem bleibt nichts anderes, als Beamter zu werden.“ 18 . So zeigte<br />

Tschechow se<strong>in</strong>en Unmut über die Beamtenschaft und Modest Alekseitsch<br />

sche<strong>in</strong>t hier e<strong>in</strong> überspitztes Paradebeispiel zu se<strong>in</strong>. Er hat absolut ke<strong>in</strong><br />

Gefühl für den Menschen und ist auch gar nicht daran <strong>in</strong>teressiert. Ihm ist<br />

nur die Obrigkeit wichtig und die Kontakte zu ihr, so erklärt er z.B. Anna<br />

bei passenden Gelegenheiten immer die Vermögensverhältnisse anderer Reicher<br />

und bittet Anna sie zu grüßen, um <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em günstigen Licht zu stehen. Des<br />

Weiteren <strong>in</strong>teressieren ihn die Orden, die er eigentlich gar nicht verdient<br />

hat. Den „Hungrigen“, also denen, die nichts haben, wie z.B. Annas Familie,<br />

erteilt er beständig ziemlich banale Lehren über Sittlichkeit und<br />

Pflichten. Geld gibt er ihnen jedoch ke<strong>in</strong>es, unter anderem aufgrund der<br />

Trunksucht des Vaters, was er für unsittlich hält. Trotz se<strong>in</strong>es Reichtums<br />

ist er geizig. So kauft er beispielsweise beim Buffet an e<strong>in</strong>em Theaterabend<br />

ke<strong>in</strong>e Birne, da sie mit 25 Kopeken zu teuer ist, sondern kauft aus<br />

Höflichkeit nur e<strong>in</strong>e Flasche Wasser, von der er Anna ke<strong>in</strong>en Schluck abgibt.<br />

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