Broschüre - Ökumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar
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die größte deutsche Importorganisation im Jahr 1992 Transfair<br />
mitgegründet hatte. Außerdem will die GEPA auch weiterhin<br />
Mitglied im Transfair e.V. sein. Zwar spricht man bei der<br />
GEPA nicht von einer Abkehr von TransFair, sondern einer<br />
„reinen Marketing- Entscheidung“. Allerdings ist man bei der<br />
GEPA der Meinung, dass das Fairtrade Siegel bei weitem nicht<br />
mehr dem Standard der GEPA entspricht. Offensichtlich sieht<br />
man bei der GEPA sogar das Profil als Fair Handelshaus durch<br />
das Fairtrade Siegel in Gefahr. „Man kann sich fragen, welches<br />
Image das Siegel bekommt“, sagte etwa GEPA-Geschäftsführer<br />
Thomas Speck angesichts der Vergabe des Transfairsiegels an<br />
Lidl. Damit wendet sich die GEPA von einem Siegel ab, das<br />
immerhin zwei Drittel der VerbraucherInnen in Deutschland<br />
kennen. Kritik an der Entscheidung der GEPA kam daher<br />
nicht nur von Transfair, sondern auch von Verbraucherschutzorganisationen.<br />
Sie befürchten eine zunehmende Verwirrung<br />
unter den VerbraucherInnen. Befürwortet wurde der Schritt<br />
der GEPA dagegen von den Importorganisationen El Puente<br />
und dwp, die wegen der zunehmenden Aufweichung der<br />
Transfair Kriterien ebenfalls auf das Siegel verzichten.<br />
Im Spannungsfeld von politischer Aufklärung<br />
und Warenverkauf<br />
Wer nur diese und andere aktuelle Diskussionen im Fairen<br />
Handel kennt, kann sich kaum noch vorstellen, dass der Faire<br />
Handel in Deutschland einmal als politische Bewegung begann.<br />
Denn der Beginn der Weltladenbewegung in den späten<br />
60er Jahren ist ohne die Proteste der Studentenbewegung und<br />
der außerparlamentarischen Opposition nicht zu erklären.<br />
Ausgehend von der Infragestellung der Machtverhältnisse in<br />
der BRD wurden auch ungerechte Machtverhältnisse im internationalen<br />
Bereich thematisiert. ‚Erste‘ und ‚Dritte‘ Welt<br />
sowie ‚Entwicklung‘ und ‚Unterentwicklung‘ wurden als zwei<br />
Seiten einer Medaille begriffen. Die bestehenden Abhängigkeiten<br />
zwischen den Zentren und der Peripherie wurden sowohl<br />
theoretisch (Dependenztheorie) als auch an konkreten<br />
Ländern bearbeitet, vor allem in den zahlreichen Solidaritätsbewegungen<br />
(Chile, Argentinien, El Salvador oder Nicaragua).<br />
Eine nicht unerhebliche Rolle in dieser Zeit spielten auch die<br />
Kirchen. In Lateinamerika griffen die Bischofskonferenzen von<br />
Puebla (1968) und Medellin (1979) im Anschluss an das II. Vatikanische<br />
Konzil die Fragen nach Befreiung und Gerechtigkeit<br />
am konsequentesten auf. Statt paternalistische Hilfe zu predigen<br />
stützte sich die Befreiungstheologie auf eine gründliche<br />
Analyse der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Nord und<br />
Süd. In Deutschland entstanden in der Folge von Oster- und<br />
Hungermärschen viele Dritte-Welt-Initiativen mit ausgeprägt<br />
politischem Bewusstsein. Als aus dieser Dritte-Welt-Bewegung<br />
die ersten Dritte-Welt-Läden hervorgingen, gehörte es vielerorts<br />
zum Selbstverständnis, Produkte aus der ‚Dritten Welt‘<br />
nicht ohne Aufklärungsarbeit über ungerechte Strukturen zu<br />
verkaufen. So stand in der Präambel des Kriterienkatalogs der<br />
GEPA vom 14.10.1977: „Die GEPA ist Teil einer Bewegung,<br />
die im Verkauf von Waren aus Ländern der Dritten Welt und<br />
der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in der BRD gleichwertige<br />
(!) Komponenten ihres Engagements sieht.“ Weiter<br />
wurde betont, der Import und Verkauf von Waren aus der<br />
‚Dritten Welt‘ sei „vor allem eine pädagogische Aufgabe“, u.a.<br />
zur „Aufklärung über die ungerechten Strukturen des Welthandels“<br />
(ebd.). Noch deutlicher hieß es anlässlich der Eröffnung<br />
des Dritte-Welt-Ladens in Koblenz im November 1979<br />
auf einem Faltblatt: „Was soll mit dem Laden erreicht werden?<br />
Nicht einen möglichst hohen Umsatz zu erzielen – sondern<br />
möglichst viel Verständnis für entwicklungspolitische Probleme<br />
zu vermitteln.“ Und in einem Protokoll der Koblenzer Ladengruppe<br />
vom 22.10.1979 ist zu lesen: „Der Verkauf ist nicht<br />
Selbstzweck, sondern die entwicklungspolitische Bildungsarbeit<br />
hat immer Vorrang.“<br />
Paradigmenwechsel<br />
Der kurze historische Rückblick macht deutlich, dass das Spannungsverhältnis<br />
von politischer Bewusstseinsbildung und Produktverkauf<br />
den Fairen Handel von Anfang an begleitete. Heute<br />
ist dieses Spannungsverhältnis kaum noch wahrnehmbar, weil<br />
sich einer der Spannungspole in Auflösung befindet. Vor allem<br />
infolge des Siegeszugs des Kapitalismus nach dem Zusammenbruch<br />
des Ostblocks im Jahr 1989 hat sich im Verhältnis von<br />
Warenverkauf und Bewusstseinsbildung ein Paradigmenwechsel<br />
vollzogen: weg vom „ideologischen Ballast“, hin zur Erhöhung<br />
des Umsatzes. Mit der Strategie der Handelsausweitung wurden<br />
in den 90er Jahren gezielt über Kataloge und den Lebensmitteleinzelhandel<br />
(Bioläden) neue Vertriebskanäle erschlossen. Höhepunkt<br />
der Handelsausweitung war die Gründung der<br />
Siegelorganisation Transfair (1992). Von Anfang an war es das<br />
Ziel von Transfair, „innerhalb der bestehenden Strukturen des<br />
Handels Absatzmöglichkeiten für fair gehandelte Produkte zu<br />
schaffen“ (Faltblatt des Weltladen Dachverbands, Juli 2006). Leitend<br />
wurde dabei eine Erkenntnis der Verbraucherinitiative:<br />
„Konsumenten suchen in der reizüberfluteten Mediengesellschaft<br />
den schnellen Rat statt komplizierter Informationswege.“<br />
Weil es um die schnelle Kaufentscheidung geht, wirbt die Verbraucherinitiative<br />
mit lockeren Sprüchen wie: „Ich brauch‘s<br />
immer öfter – Konsum gegen Armut!“ oder: „Fairer Handel ist<br />
Fairness beim Konsum“. Der Wohlfühlfaktor ist beim Konsum<br />
wichtig, politische Diskussion und Gesichter der Ausbeutung dagegen<br />
sind absolut kontraproduktiv. Transfair-Geschäftsführer<br />
Diether Overath hat daher auch einen guten Rat für die Weltläden:<br />
„Die Eine Welt Läden müssen sich verändern, weil sich<br />
auch das Verhalten der Konsumenten verändert hat. Nicht jeder<br />
Käufer möchte über die Situation auf dem Weltmarkt belehrt<br />
werden. … Mit Weltbetroffenheit allein verkauft man nichts<br />
mehr.“ (SZ 3.3.2008)<br />
Ob die Weltläden mit dieser Empfehlung wirklich gut beraten<br />
sind? Wohl kaum. Wenn, dann in einer umgekehrten Richtung:<br />
Die Defizite und Widersprüche des Fairen Handels sind die Themen<br />
und Aktionsfelder, auf denen sich die Weltläden profilieren<br />
können. Einige davon sollen im Folgenden kurz genannt werden.<br />
Zusammenhänge aufdecken<br />
Der Verwertungsdruck des kapitalistischen Systems reißt<br />
immer wieder soziale und ökologische Schranken nieder. Die-