Broschüre - Ökumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar
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keiner Legitimation mehr. Dies ist inzwischen so selbstverständlich,<br />
dass auf jede humanitäre Überhöhung verzichtet werden<br />
kann. Es gibt aber sehr wohl Bedarf, die Bereitschaft junger<br />
Leute zu fördern, bei solchen Sicherungseinsätzen mitzumachen<br />
und der Gesellschaft die nötigen Opfer plausibel zu machen.<br />
Deshalb gilt es, Heroismus zu fördern, der in nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip<br />
kalkulierenden Marktgesellschaften bedroht<br />
ist. Um dies deutlich zu machen unterscheidet der Politologe<br />
Herfried Münkler zwischen heroischen und postheroischen Gesellschaften.<br />
3 Heroische Gesellschaften (z.B. Afghanistan) sind<br />
durch Knappheit an physischen und Reichtum an moralischen<br />
Ressourcen gekennzeichnet. Umgekehrt verhält es sich bei postheroischen<br />
(westlichen) Gesellschaften. Bei ihnen kann die<br />
Knappheit an moralischen Ressourcen bei Stresssituationen<br />
(z.B. bei ‚zu vielen‘ eigenen Toten bei Kriegseinsätzen) zu einer<br />
Legitimationskrise bei Militäreinsätzen führen.<br />
Mangelnder Heroismus ist vor allem vor dem Hintergrund<br />
marktwirtschaftlicher Orientierung ein Problem, da die marktwirtschaftliche<br />
Währung (Selbstbehauptung in der Konkurrenz,<br />
Leistung, Lohn) mit der zivilgesellschaftlichen Währung<br />
(Heroismus beim Einsatz des Lebens bis in den Tod) konkurriert.<br />
Dem Zweck, solchen Heroismus zu stärken, dienen in der<br />
Öffentlichkeit inszenierte Militärrituale von Öffentlichen Vereidigungen<br />
über Zapfenstreiche bis hin zu unterhaltsamen Auftritten<br />
des Heeresmusikkorps.<br />
Der Bundespräsident fordert Heroismus der<br />
„glückssüchtigen Gesellschaft“<br />
Auch die Rede von Bundespräsident Gauck im Juni 2012 vor<br />
der Führungsakademie der Bundeswehr sollte den Heroismus<br />
stärken. An dieser Stelle werden einige Redepassagen – die<br />
Bundeswehr, ihre Auslandeinsätze und die „glücksüchtige Gesellschaft“<br />
betreffend – genauer betrachtet.<br />
Auszüge aus der Rede:<br />
„Liebe Soldatinnen und Soldaten, Sie schützen und verteidigen,<br />
was uns am wichtigsten ist, auch über die Grenzen unseres Landes<br />
hinaus: Freiheit und Sicherheit, Menschenwürde und das<br />
Recht jedes Einzelnen auf Unversehrtheit. Sie handeln im Auftrag<br />
einer freiheitlichen Demokratie. (...) Wir denken nicht gern<br />
daran, dass es heute in unserer Mitte wieder Kriegsversehrte<br />
gibt. Menschen, die ihren Einsatz für Deutschland mit ihrer körperlichen<br />
oder seelischen Gesundheit bezahlt haben. Und dass<br />
es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige<br />
Gesellschaft schwer zu ertragen. (...) Freiheit und Wohlergehen<br />
sehen viele als Bringschuld von Staat und Demokratie. Andere<br />
sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls<br />
auch vehement einzufordern. Und vergessen dabei allzu<br />
gern, dass eine funktionierende Demokratie auch Einsatz erfordert,<br />
Aufmerksamkeit, Mut, und manchmal auch das Äußerste,<br />
was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben.“<br />
Unsere Demokratie bringt Freiheit, Sicherheit und Unversehrtheit<br />
für die Afghanen? Durch einen Befehl des Oberst Georg<br />
Klein starben bei einem Bombenangriff in der nordafghanischen<br />
Provinz Kundus am 4. September 2009 137 Menschen.<br />
Die meisten von ihnen Zivilpersonen, darunter Kinder und Jugendliche<br />
aus den umliegenden Dörfern. Am 6. Juni 2012 sind<br />
bei einem Luftangriff auf ein Haus in Afghanistan in dem eine<br />
Hochzeitsfeier stattfand, fünf Frauen, sieben Kinder und sechs<br />
Männer getötet worden. Der Blutzoll, den die afghanische Bevölkerung<br />
zu zahlen hat, bleibt, wie immer, unerwähnt.<br />
Unerwähnt bleibt auch, was Sanktionen und Kriege in den<br />
Ländern anrichten: Die US-Außenministerin Madeleine Albright<br />
wurde im Mai 1996 zu den Folgen der UN-Sanktionen<br />
gegen den Irak befragt. In der Moderation hieß es: „Mehr als<br />
500.000 Kinder seien in der Folge der Sanktionen gestorben,<br />
glauben Sie, dass es den Preis wert ist?“ Albright meinte: „Es<br />
ist eine schwere Entscheidung, aber wir denken, es ist den Preis<br />
wert.“<br />
Und was versteht Herr Gauck unter Glück? Auf<br />
Wikipedia 4 findet man dies:<br />
Auf gesellschaftliche Zusammenhänge bezogen, liegt der<br />
Schlüssel zum individuellen Glück nach Klein (Stefan Klein ist<br />
ein deutscher Wissenschaftsautor. 2002 erschien sein Buch „Die<br />
Glücksformel oder wie die guten Gefühle entstehen“) darin,<br />
das eigene Leben selbst in der Hand zu haben. In gesundheitsschädlichen<br />
Stress gerate, wem es an Selbstbestimmung fehlt.<br />
Klein resümiert seinen Befund in Bezug auf gesellschaftspolitische<br />
Glücksvoraussetzungen: „Bürgersinn, sozialer Ausgleich<br />
und Kontrolle über das eigene Leben sind das magische Dreieck<br />
des Wohlbefindens in einer Gesellschaft.“<br />
Unsere „glückssüchtige Gesellschaft“ besteht u.a. aus:<br />
n Kinderarmut (über eine Million arme Kinder)<br />
n Benachteiligten Frauen<br />
n Diskriminierten MigrantInnen<br />
n Unzumutbaren Verhältnissen in Asylbewerberheimen<br />
n Pflegenotstand<br />
n 32% prekär beschäftigter junger Menschen<br />
n Es gibt ca. 860.000 Wohnungslose.<br />
n Trotz Sozialleistungen sind in der BRD von Armut bedroht<br />
u.a.:<br />
- 7,2% der Erwerbstätigen, 13,4% der RuheständlerInnen,<br />
70,3% der Arbeitslosen<br />
- Gesamt ca. 13 Millionen Menschen.<br />
In kaum einem anderen ‚reichen‘ Land ist die Ungleichheit<br />
und das Armutsrisiko in den letzten 15 Jahren so stark gestiegen<br />
wie in Deutschland. 5<br />
Damit Demokratie funktionieren kann, bedarf es des Einsatzes<br />
und der Opfer durch die BürgerInnen, nur so sind, so Gauck,<br />
Freiheit und Wohlergehen gesichert. Der/die BürgerIn soll aufmerksam<br />
sein, erkennen, dass von ihm auch „Das Äußerste,<br />
was ein Mensch geben kann: das Leben, das eigene Leben“ erwartet<br />
werden kann – nur so kann das Volk mobilisiert werden,<br />
um Kriege zu führen.