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<strong>Bühne</strong><br />
14 LESERBEITRAG Ausgabe 41 | November | Dezember 2013<br />
<strong>Meine</strong><br />
NACHRUF AUF EINEN KATER<br />
Es war nicht so ein Kater, wie man ihn nach<br />
durchzechter Nacht hat, sondern ein echter,<br />
haariger. Nun ja, ganz vollständig war er<br />
nicht mehr, weil man ihn alsbald aus Gründen der<br />
leichteren „Handhabbarkeit“ seiner Hoden beraubt<br />
hatte. Zwar eunuchisch, aber vornehm war er, würdevoll<br />
<strong>und</strong> recht gebieterisch, weshalb er „Herr<br />
Katz“ genannt wurde. Gr<strong>und</strong>sätzlich war er ein<br />
Stubenkater, dessen Revier sich über die gesamten<br />
anderthalb Zimmer der kleinen Wohnung erstreckte.<br />
Im Bad hatte er seine Sandkiste, die er allermeistens<br />
auch zu nutzen, sprich: zu füllen<br />
wusste. Manchmal kam aber ein scharfer Ammoniakgeruch<br />
auch aus Schuhen, aus Handtaschen<br />
oder abgelegten Wäschestücken; dann war jemand<br />
hier, den er nicht verputzen oder mir gönnen<br />
konnte. Fremde Gerüche im Bett pflegte er zu überlagern,<br />
wenn schon nicht mit Urin, dann doch mit<br />
recht umfangreichem Darminhalt. Seine Billignahrung<br />
kam oft auch auf kürzestem Wege, nämlich<br />
als Erbrochenes wieder heraus. Jedenfalls hatte ich<br />
immer irgendetwas hinter ihm her zu putzen. Jetzt<br />
nicht mehr, weil Herr Katz im hohen Alter von 16<br />
Jahren gestorben ist.<br />
Er pflegte mir verschlafen zwinkernd entgegen zu<br />
kommen, wenn ich die Wohnung betrat, schmiegte<br />
seinen Spazierstockschwanz um meine Waden<br />
<strong>und</strong> heischte Zuwendung. Die bestand dann aus<br />
Füttern, Streicheln, Bürsten <strong>und</strong> Schnuffeln. Bei<br />
jeder Mahlzeit hüpfte er auf den Esstisch; er schien<br />
die Grenze zu akzeptieren, die ich ihm aus Zuckerdose,<br />
Salzfass <strong>und</strong> Pfeffermühle gebaut hatte. Nur<br />
manchmal schob er sich millimeterweise mit zuckenden<br />
Nasenlöchern daran vorbei, weil Wohlgerüche<br />
wie die von Cervelat- oder Schinkenwurst<br />
reizten. Er weiß nicht, wie eine Maus schmeckt; ich<br />
übrigens auch nicht. Mich w<strong>und</strong>ert, was heutzutage<br />
alles im Katzenfutter drin ist: Lamm, Kabeljau,<br />
Rind, Pute, Truthahn, Leber, Kaninchen – hat man<br />
je in freier Wildbahn eine Katze ein Rind erlegen<br />
sehen oder beim Schwarzfischen<br />
an der Echaz erwischt? Irgendwie<br />
ernähren wir unsere<br />
Stadtkatzen, glaube ich, nicht besonders<br />
artgerecht. Die<br />
Fleischbrocken in<br />
Gelee oder<br />
Soße braucht<br />
eine Katze<br />
auch nicht zu<br />
jagen <strong>und</strong> zu<br />
fangen, sondern<br />
bekommt<br />
sie von Herrchen<br />
in einem frisch gespülten<br />
Schälchen serviert. Von wegen<br />
Herrchen: Das habe ich mir anfangs eingebildet<br />
zu sein. Inzwischen hatte ich 16 Jahre<br />
Zeit, widerstrebend umzudenken: Ich war de facto<br />
Bimbo, Knecht <strong>und</strong> Lakai des Herrn Katz.<br />
In der Nacht von Samstag auf Sonntag ist er gestorben.<br />
Ob's im Katzenhimmel Mäusemanna<br />
gibt? Nicht einfach so ist er abgetreten, sondern<br />
mit Ankündigung: Nichts schien ihm mehr zu<br />
schmecken, Milch ließ er genauso stehen wie Wasser,<br />
die meiste Zeit schlief er. Von Tag zu Tag wurde<br />
er zusehends klappriger, bestand schließlich nur<br />
noch aus Fell <strong>und</strong> Knochen. Seine Reflexe waren<br />
futsch. Er ruhte gewissermaßen in sich, sei es am<br />
Fußende meines Bettes, auf einem Berg Bügelwäsche<br />
im Bad oder in der Duschwanne. Weil er ein<br />
Familienangehöriger war, kamen andere Familienangehörige<br />
zum Krankenbesuch <strong>und</strong> letztlich zum<br />
Abschiednehmen. Seit Sonntagvormittag liegt er<br />
unter Löwenmäulchen <strong>und</strong> Lilien im Garten. Ich<br />
wollte einfach nicht, dass er von einem Dr. med.<br />
vet. eingeschläfert <strong>und</strong> entsorgt würde. Man munkelt,<br />
dass aus Tierkadavern Seife hergestellt würde.<br />
Mein Herr Katz ist selbst als Leiche kein Kadaver!<br />
Ich liebe ihn.<br />
Er<br />
war der geduldigste<br />
Zuhörer, den ich<br />
kenne. Er fehlt mir. Wer tappt<br />
mir jetzt butterzart mit Samtpfötchen<br />
auf die Wange, um Futter oder Zuwendung<br />
zu heischen, derweil ich schlafe? Wer knabbert<br />
jetzt den Papyros an, wer zerkratzt das Bücherregal?<br />
Wer kriecht heimlich nachts neben mich, um<br />
den Kopf auf meinen Arm zu legen? Wer verschmutzt<br />
jetzt die Teppiche, pisst in Handtaschen<br />
<strong>und</strong> auf Betten?<br />
Sein Plastikklo ist inzwischen im Gelben Sack,<br />
seine Essensvorräte sind verschenkt. Bald wird das<br />
letzte herumliegende Katzenhaar dem Staubsauger<br />
anheim gefallen sein. „Hol' dir doch aus dem Tierheim<br />
eine neue Katze!“ Das kann ich nicht, das will<br />
ich nicht <strong>und</strong> werde ich nicht tun. In meinem Herzen<br />
ist (noch?) kein Platz <strong>für</strong> Ersatz. Ich käme mir<br />
außerordentlich schäbig vor. Eher male ich mir aus,<br />
wie ich jetzt wieder wochenlang in die Berge kann<br />
wie früher, als Herr Katz genug familiäres Betreuungspersonal<br />
um sich hatte <strong>und</strong> nicht auf mich allein<br />
angewiesen war. Die vergangenen drei Jahre<br />
haben uns zu einer veritablen Lebensgemeinschaft<br />
verschweißt. Ich bin ihm nicht böse, dass er mich<br />
verlassen hat, aber er hätte wenigstens noch dreißig<br />
Jahre der fünf<strong>und</strong>zwanzig warten können, bis<br />
ich auch soweit bin ...<br />
(Paul Rasch)<br />
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