Albvereinsblatt_2004-5.pdf
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Schauplatz Standorf<br />
Schwer genug, das Ziel überhaupt zu finden, denn der erste<br />
(recht versteckte) Hinweis auf ein Dorf namens Standorf findet<br />
sich gerade mal einen Kilometer davor. Wer mit dem<br />
Fahrrad von unten, vom Taubertal her kommend, den steilen<br />
Hang erklommen hat, kommt da leicht ins Schwitzen. Aber<br />
endlich ist es geschafft, und der Weiler Standorf bei Creglingen<br />
mit seinen gerade einmal 50 Einwohnern ist glücklich<br />
gefunden – doch gleich geht die Suche weiter. Nach der sagenhaften<br />
Ulrichskapelle, die doch hier angeblich zu finden<br />
ist. Von wegen! Weit und breit nichts! Kein Kirchturm und<br />
erst recht keine Kapelle ist zu sehen. Und ein Wegweiser?<br />
Ebenfalls Fehlanzeige!<br />
Halt, nicht ganz! Endlich stoßen wir auf ein kleines Metallschild,<br />
das sich freilich eher als eine Art Bilderrätsel präsentiert.<br />
Ein Schild, angebracht an einer Hauswand, mit einer<br />
Kirche darauf, samt der Abbildung eines Schlüssels und der<br />
Zahl 6. Außerdem weist es in eine ganz bestimmte Richtung.<br />
Aha – langsam dämmert es den verblüfften Betrachtern. „Lesen“<br />
muss man halt können! Denn nichts anderes besagt<br />
die ungewöhnliche Bildersprache, als dass in dem Bauernhaus<br />
mit der Nummer 6 der Schlüssel zur Ulrichskapelle erhältlich<br />
ist.<br />
Nach der Aushändigung desselben geht es freilich erst einmal<br />
wiederum steil bergauf, bis sich dann endlich die Ulrichskapelle<br />
mit ihrem eigenartigen Grundriss präsentiert. Umgeben<br />
von einer wuchtigen Steinmauer wacht das gedrungene<br />
spätromanische Bauwerk über die wundertätige Quelle<br />
am Fuß des Hügels. Schon im frühen Mittelalter hat es eine<br />
Wallfahrt zur sogenannten Ulrichsquelle gegeben, von deren<br />
Wasser sich die Menschen Heilung bei Augenleiden versprochen<br />
haben. Ein mystischer Ort – seit vielen Jahrhunderten.<br />
Kein Wunder, dass im 13. Jahrhundert der damalige Ortsherr,<br />
Konrad von Hohenlohe-Brauneck eben jene Stelle wie geschaffen<br />
dafür empfunden hat, hier ein Gotteshaus erbauen<br />
zu lassen. Und zwar nicht „irgendeine“ Kapelle, sondern eine<br />
ganz besondere. Denn der Adlige war in den Jahren 1228<br />
und 1229 auf dem letzten Kreuzzug des Stauferkaisers Friedrich<br />
II. dabei und hat in der Jerusalemer Grabeskirche etwas<br />
ganz besonderes in seine Obhut bekommen: das legendäre<br />
Grabtuch Christi! Einen der größten Schätze der Christenheit!<br />
Für die Aufbewahrung jener hoch verehrten Kostbarkeit habe<br />
er, so sagt es die Legende (die nicht ganz und gar unplausibel<br />
klingt), eigens diese Kapelle gebaut, deren Grundriss<br />
im übrigen der Grabeskirche in Jerusalem nachempfunden<br />
ist. Erst nach seinem Tod sei das Grabtuch „weitergewandert“,<br />
bis es schließlich nach Turin gekommen ist, wo es<br />
noch heute – strengstens bewacht – als sogenanntes „Turiner<br />
Grabtuch“ den Menschen Rätsel aufgibt.<br />
Es muss also nicht immer „nur“ die Herrgottskirche in Creglingen<br />
sein. Wobei ein Besuch jener Kirche mit ihrem wunderbaren,<br />
vom legendären Holzschnitzer Tilmann Riemenschneider<br />
geschaffenen Marienaltar natürlich dennoch<br />
wärmstens empfohlen sei. Genauso wie nach so viel Kunst<br />
und Geschichte eine gemütliche Rast in der „Holdermühle“<br />
zwischen Tauberzell und Archshofen, wo man sich als echter<br />
13<br />
Die Ulrichskapelle in Creglingen-Standorf wurde Anfang<br />
des 13. Jahrhunderts auf einer Anhöhe über der Ulrichsquelle<br />
erbaut, ein achteckiger Zentralbau mit Chor und<br />
halbrunder Apsis. Von den ursprünglich zwei Türmen an<br />
den Chorseiten ist nur einer vollständig erhalten.<br />
Grenzgänger betätigen kann. Denn mitten durch die Gaststube<br />
der „Holdermühle“ verläuft die Grenze zwischen Bayern<br />
und Baden-Württemberg. Die Wirtsleute haben sich einen<br />
Spaß daraus gemacht und decken die eine Hälfte der guten<br />
Stube mit blau-weißen bayerischen Rauten, die andere dagegen<br />
mit dem württembergischen gelb-schwarz. Doch wie<br />
auch immer: Landsmannschaftlich handelt es sich auf beiden<br />
Seiten um Franken und fränkisch ist auch der Wein, der hier<br />
ausgeschenkt wird: „Tauberzeller Hasennestle“ – aus dem<br />
einzigen Weinort des Landkreises Ansbach.<br />
Im nächsten Heft geht es nach Osten, auf das Härtsfeld. Dort thront seit<br />
vielen Jahrhunderten eine Burg mit einem gewaltigen Bergfried über dem<br />
Land. Sie gilt als Wahrzeichen des Härtsfelds. Und wie es sich für eine<br />
alte Burg gehört, scheint es hier drinnen auch kräftig zu spuken. Wenn<br />
Sie nun an eines unserer Haustiere denken, dann haben Sie die Frage,<br />
wie das Bauwerk heißt, übrigens schon halb beantwortet. Falls Sie auch<br />
noch den zweiten Teil herausfinden, dann schreiben Sie das Lösungswort<br />
bitte auf einer Postkarte an die Blätter des Schwäbischen Albvereins,<br />
Waldburgstrasse 48, 70563 Stuttgart. Einsendeschluss ist der 20.<br />
September. Zu gewinnen gibt es Gunter Haugs Bildband „Tauberblau<br />
– Mühlen, Menschen, Meisterwerke“. Die Rätselfrage aus dem letzten<br />
Heft hat Dorothea Degeler aus Sontheim-Bergenweiler gewonnen.