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Journal - Fondation Franz Weber

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34<br />

JFW | Gesellschaft<br />

Nr 101 Juli | August | September 2012<br />

Vor 50 Jahren in Paris<br />

Rückblende auf <strong>Franz</strong> <strong>Weber</strong>s<br />

Pariser Reporterjahre (1949-1974)<br />

<strong>Franz</strong> <strong>Weber</strong> - Bildnisse berühmter Zeitgenossen<br />

Minou Drouet heisst die blutjunge Dichterin, der Frankreich staunend applaudiert...<br />

Ihr Leben ist ein Märchen<br />

1966. Mit vier Jahren war sie noch blind. Mit sechs<br />

konnte sie noch nicht gehen, kaum sprechen und keinen<br />

Esslöffel halten. Das Waisenkind Minou Drouet,<br />

1947 in der Bretagne geboren, galt als geistig beschränkt.<br />

Zwei Jahre später stand die Achtjährige mit<br />

ihrem ersten Buch im Kreuzfeuer der Literaturkritik.<br />

Heute wissen auch die Zweifler, Minou Drouet ist ein<br />

ganz aussergewöhnliches Talent: Lyrikerin, Romanautorin,<br />

Komponistin und Chansonette. Dass sie nebenher<br />

als Krankenschwester arbeitet, macht die Bewunderung<br />

für sie noch grösser. Constanze-Reporter <strong>Franz</strong><br />

<strong>Weber</strong> hat diese seltsame junge Frau, die inzwischen<br />

achtzehn geworden ist, in Paris interviewt.<br />

Paris, Rue des Moines Nr. 15,<br />

dritter Stock. Minou Drouet<br />

öffnet die Tür: «Herzlich willkommen!»<br />

Sie trägt einen rot<br />

karierten Faltenrock, rote<br />

Schuhe mit kleinen Absätzen<br />

und einen grauen Rollkragenpulli.<br />

Ihr langes, dunkelblondes<br />

Haar ist aus der Stirn<br />

gekämmt, hoch am Hinterkopf<br />

zusammengebunden<br />

und fällt ihr locker auf den<br />

Rücken.<br />

«Ich bekomme viele Heiratsanträge<br />

aus Amerika,<br />

England, Deutschland, Italien,<br />

Österreich. Ich lache nur!»<br />

Eine kleine, energisch fröhliche<br />

Frau taucht neben Minou<br />

auf: ihre Adoptivmutter.<br />

Auch sie heisst mich willkommen.<br />

Wir gehen in die<br />

Stube. Von den Wänden herab<br />

blicken ein Dutzend Porträts<br />

von dem Wunderkind<br />

Minou Drouet: Öl, Wasserfarbe,<br />

Kohlenstift. «Welches Bild<br />

gefällt Ihnen am besten?» frage<br />

ich Minou. Die Mutter antwortet<br />

für sie: «Alle gefallen<br />

ihr prima… Nicht wahr, Minou?»<br />

Minou nickt errötend.<br />

Sie wirkt höchst jungfräulich,<br />

fast schüchtern, obwohl sie<br />

nicht schüchtern ist. Ich frage<br />

sie ohne Umschweife, ob die<br />

Liebe noch nicht an ihr Herz<br />

geklopft habe. Da lacht sie<br />

blitzklar, schüttelt den Kopf.<br />

«Oh, nein!» Sie schaut mich eine<br />

Weile an und lacht wieder.<br />

Sie sieht aus wie ein Kind: unschuldig,<br />

natürlich. «Das ist<br />

aber nur noch eine Frage der<br />

Zeit!» prophezeie ich. Ihr Ge-

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