Andrzej Stasiuk - Instytut KsiÄ Å¼ki
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Agata Tuszyńska Vorübungen zum Verlust<br />
36<br />
Die<br />
Welt der Krankheit, das Imperium der<br />
Krankheit. So sollte ich sie beschreiben. Ein<br />
Planet. Die Krankheit als unbekanntes Land.<br />
Ein Ort zwischendurch. Immer sind wir gesund geworden.<br />
Schwer krank, gestorben waren immer nur andere.<br />
Ich wiederhole. Wir waren gesund und wir konnten und<br />
wollten uns nie den Luxus erlauben, krank zu sein. Jetzt<br />
ist die Krankheit ein Urteil. Ein Aussetzen des vorherigen<br />
Lebens, vielleicht des Lebens überhaupt. Die Krankheit ist<br />
Verlust, Leid. Sie widerspricht UNS, der Willenskraft, der<br />
Kraft zu lieben.<br />
Gleichzeitig gehören wir der Welt der Gesunden und Kranken<br />
an, schrieb Susan Sontag. In unsere irdischen Reisepässe<br />
sind beide Visa eingestempelt. Den einen hat man das Privileg<br />
verliehen, den Planeten der Gesunden zu bewohnen. Für<br />
sie ist das natürlich. So war es mit uns. Von Zeit zu Zeit besuchten<br />
wir das Land der Krankheit, aber selten, notgedrungen<br />
und eilig – um so schnell wie möglich wieder heraus zu<br />
kommen. Jede Heimsuchung durch Krankheit, und sei sie<br />
auch kurz und mit Perspektive auf Heilung, erschien uns als<br />
Demütigung. Die Körper versagten ihren Dienst. Uns quälten<br />
Fieber, Husten, Ausschlag und gebrochene Gliedmaßen.<br />
Wir wollten fliehen. Fliehen zurück zu uns, ins Vaterland der<br />
Gesunden, wo alles möglich ist.<br />
Wir blieben nie für länger im Land der Krankheit, wir<br />
mussten es nicht. Wir wurden dorthin nicht deportiert, vertrieben.<br />
Solch eine Eventualität hatten wir nie in Betracht<br />
gezogen – die Zwangsemigration in die Welt der Kranken.<br />
Das Leben überwuchert vom Gewebe der Krankheit. Ihre<br />
Attacke zerstört alles. Explosion. Dynamit. Kein Platz für<br />
Umwege. Es zerstörte unser unerfülltes Schicksal von Innen.<br />
Und alles was wir hatten, haben, wurde endgültig. Mehr wird<br />
es nicht, und es wird nicht wie es war. Reisen, Kleidung,<br />
Versprechen wiederholen sich nicht in der Form, wie vor<br />
der Diagnose. Der Song von Cohen „I am your Man“, die<br />
Krawatte von Armani, die Porsche-Ledersitze, das Buch von<br />
Konwicki, Rollschuhe am See, gelbe Tulpen, berauschende<br />
Lilien zur Begrüßung, alles andere, anders. Nicht mehr dieser<br />
Geschmack. Der Beigeschmack von Asche.<br />
Das Krankenhaus ist nun zum Lebensmittelpunkt geworden,<br />
nicht wie bisher der Ort schneller, heimlicher Besuche<br />
anderer.<br />
Krankheiten gehen vorbei, so lehrte die Erfahrung. Hier<br />
ist es anders. Noch immer kann (und will) ich die Diagnose<br />
nicht akzeptieren, mich zu diesem Unterschied bekennen.<br />
Wir widersprechen der Krankheit. Wir glauben, sie wäre<br />
heilbar. Willenskraft soll uns Lebenskraft geben.<br />
Die durchschnittliche Größe unseres Gehirns sind 1400<br />
Kubikzentimeter (eineinhalb Liter Milch, genauso viel<br />
Whiskey oder Sauerkrautsuppe?). Das Gehirn eines Mannes<br />
wiegt von 1250 bis 1750 Gramm. Das macht aus dem<br />
raffiniertesten Organ eineinhalb Kilogramm Kartoffeln oder<br />
genau so viel Schweinenacken? Angeblich hatte der Autor<br />
von Rudnin, Iwan Turgenjew das schwerste Gehirn – über<br />
zwei Kilogramm.<br />
Die stark gefaltete Obefläche des Gehirns ermöglicht es,<br />
im Schädel die größte Anzahl von Nervenzellen zu „verpacken“.<br />
Ihre wichtigste Schicht ist die Rinde (Cortex) mit einer<br />
Dicke von nur 2-3 Millimetern, die Hauptzone für Informationsverarbeitung,<br />
besonders der Prozesse, die mit bewusster<br />
Repräsentation verbunden sind. Die Rinde hat eine große<br />
Oberfläche (wie ein riesiges Feld), und damit sie im Schädel<br />
Platz findet, muss sie gepresst werden, daher die Faltung und<br />
die Furchen. Das was in uns am wichtigsten ist, sieht aus<br />
wie ein zerknülltes Stück Papier. Es ist einmalig, sowie die<br />
Papillarlinien in der Hand.<br />
In die Operation gingen wir blind. Wir wollten nicht zu<br />
viel wissen.<br />
Der vordere Teil des Gehirns, also der Stirnlappen nimmt<br />
etwa 40% von der Gesamtheit ein, er ist für die Eigenschaften<br />
zuständig, die uns als Menschen charakterisieren. Hier<br />
also ist der Sitz der Ambitionen von H. und seiner inneren<br />
Kraft, sein Zauber und seine Überzeugungskraft.<br />
Hier wird das Wissen gespeichert – in Gestalt von Begriffen<br />
in Verbindung mit der Sprache. Das alles soll unangetastet<br />
bleiben. So wie alle Arten des Gedächtnisses – das episodische,<br />
semantische, prozedurale und deklarative Gedächtnis.<br />
Die Panik nahm mir die Erinnerung. Über Wochen funktionierte<br />
ich wie betäubt. Wie eine Marionette aus Papier,<br />
bewegt von der Notwendigkeit, dem Kranken zu dienen.<br />
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