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Andrzej Stasiuk - Instytut Książki

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Ignacy Karpowicz Die Neue Blume des Kaisers (und die Bienen)<br />

92<br />

Addis<br />

liegt 2400 Meter über dem Meeresspiegel<br />

und ist somit die am<br />

dritthöchsten über Meeren und<br />

Ozeanen emporragende Hauptstadt weltweit. Der Reiseführer<br />

von Herrn Briggs ist nicht der Einzige. Aus einem anderen<br />

(bei Camerapix erschienenen) Werk fördere ich die folgende<br />

charmante Beschreibung zutage, die aus sicherer Realitätsferne<br />

geschrieben wurde, oder von jemandem, den man dafür<br />

bezahlt hat: „Breite, dreispurige Straßen, eine eindrucksvolle<br />

Architektur, herrliches Wetter und Karawanen von Eseln,<br />

die malerisch durch die Boulevards ziehen, machen die Neue<br />

Blume zu einem empfehlenswerten Reiseziel“. Als sei dies<br />

noch nicht genug führt der Autor auch noch die Fülle von<br />

gemütlichen Cafés und Konditoreien ins Feld, die ein wenig<br />

an Rom erinnert. Klar doch. […]<br />

Ich biege nach rechts in eine Straße mit dem vertrauten<br />

Namen Wavel. Ich werde noch bei verschiedenen Gelegenheiten<br />

die Namen von Straßen nennen – obwohl es nicht<br />

den geringsten Nutzen hat. In erster Linie weil die Straßen<br />

hier überhaupt nicht gekennzeichnet sind und ihre Namen<br />

lediglich auf den Stadtplänen erscheinen. Die Einzigen, die<br />

von ihnen Gebrauch machen, sind weiße Touristen und – zu<br />

diesem Punkt gibt es widersprüchliche Aussagen – die äthiopische<br />

Post. Eine gewisse Erschwernis stellt auch die Tatsache<br />

dar, dass jede einigermaßen ansprechende Straße oder Allee<br />

ein Recht auf zwei, drei oder sogar noch mehr Synonyme für<br />

sich in Anspruch nimmt. Diese Bezeichnungen sind generell<br />

austauschbar. Und es wäre gar nichts an einem solch verschwenderischen<br />

Umgang mit Straßennamen auszusetzen,<br />

wenn jeder sie alle kennen würde.<br />

Leider ist dies nicht der Fall. Wenn ihr euch verirrt, wird<br />

kaum jemand, den ihr nach dem Weg fragt, euer topografisches<br />

Wissen mit euch teilen. Und selbst wenn sich herausstellen<br />

sollte, dass sowohl ihr als auch die von euch gefragte<br />

Person denselben Begriff wiederholt, ist noch lange nichts<br />

gewonnen. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Um<br />

die Dramatik der Situation zu verdeutlichen, möchte ich die<br />

wahrscheinlichsten einmal nennen. Euer Gegenüber versteht<br />

kein Englisch und spricht einfach nach, was ihr gerade gesagt<br />

hat. Euer Gegenüber versteht Englisch, weiß aber nicht,<br />

wovon ihr redet, und spricht euch nach, um ein wenig mit<br />

euch zu schwatzen. Euer Gegenüber versteht Englisch und<br />

weiß, wovon ihr redet, hat jedoch keine Ahnung, wo sich die<br />

gesuchte Straße befindet, und spricht euch nach, um euch<br />

nicht zu kränken. Euer Gegenüber versteht Englisch, weiß,<br />

wovon ihr redet, und kennt – wie er euch versichert – sogar<br />

den Weg dorthin.<br />

Armer, einfältiger Tourist! Du bist noch längst nicht gerettet!<br />

Im besten Fall denkt euer Gegenüber an den dritten Namen<br />

einer Straße, der bereits seit Jahren nicht mehr in Gebrauch<br />

ist (außer in dem Stadtteil, in dem du dich gerade befindest),<br />

während du an den ersten Namen einer Straße denkst, der<br />

so alt ist, dass ihn längst alle vergessen haben. Folgst du nun<br />

also jener mühsam errungenen Wegbeschreibung, kannst du<br />

sicher sein, auf gänzlich unerforschte Gegenden zu stoßen.<br />

Es lohnt sich. Deine Situation erfährt keine wesentliche Änderung:<br />

Noch mehr verirren kann man sich nicht. Entweder<br />

man hat sich verirrt oder nicht, dazwischen gibt es nichts,<br />

so mahnt uns die protestantische Prädestinationslehre. Du<br />

wolltest reisen und jetzt hast du, was du wolltest: Du besuchst<br />

Orte, an denen du noch nie zuvor gewesen bist.<br />

Entgegen allem Anschein entspringt die äthiopische Vorliebe<br />

für Wort- und Namensschöpfungen einer zutiefst ästhetischen<br />

und philosophischen Grundhaltung. Man muss<br />

nur ihre Denkweise verstehen: Irgendein hohes Tier denkt<br />

sich einen Namen aus. In der Regel fragt er die Einwohner<br />

nicht, ob ihnen der neue Name gefällt und ob er die topografische<br />

Realität angemessen wiedergibt. Er macht sich auch<br />

nicht die Mühe zu überprüfen, wie man zum Beispiel diese<br />

Allee bis dahin eigentlich genannt hat. Denn irgendwie muss<br />

man sie ja schließlich genannt haben, die Stadt duldet kein<br />

Vakuum. Und was nun? Soll man sich etwa einfach so mit<br />

der Inkompetenz irgendeines Beamten abfinden? Niemals!<br />

Soll er sich doch von seinem Schreibtisch herab so viele Namen<br />

ausdenken, wie er will.<br />

Folgen wir dieser Spur. Sie ist sicher. Wir werden uns nicht<br />

verirren.<br />

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