An Bord von „U 21“ - Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Medizin und Wissenschaft<br />
Barometer. Sollte geschossen werden? Wir fahren<br />
seit gestern abend neun Uhr unter Wasser.<br />
Fünf Uhr. Ich entnehme eine Harnprobe und<br />
stelle sie zur Untersuchung auf spezifisches Gewicht,<br />
Elektrolytgehalt und Harnstoffgehalt hin.<br />
Plötzlich kommt Befehl: Schleuse wieder auf.<br />
Auf 35 kg füllen. Winkeleinstellung null Prozent.<br />
Es ist 5 Uhr 32 morgens. Meldung: Erstes<br />
Rohr ist fertig! 5 Uhr 34 dann 35. Das Sehrohr<br />
wird ausgefahren. Die Spannung wächst im<br />
Boot ganz momentan ungeheuer. Mein Puls 108<br />
in der Minute, fliegende Atmung. Ich nehme<br />
die Uhr, um genau zu sehen, wie lange der Torpedo<br />
bis zur Detonation läuft. Denke gerade an<br />
die enorme <strong>An</strong>forderung an die Nerven des<br />
Kommandanten und des anderen verantwortlichen<br />
Personals. Da plötzlich Kommando: „Achtung<br />
- Fertig - Los!“. 5 Uhr 37 morgens. Zehn<br />
Sekunden verstreichen, 20 - 30 - 40 Sekunden,<br />
da erfolgt eine riesige Detonation. Ein Hurra<br />
dem Kommandanten. Er hat das Linienschiff<br />
auf 750 m abgeschossen. Aus dem „Weyer“ ergibt<br />
sich, es ist ein Schiff der Majesticklasse, Bestückung<br />
und Baujahr festgestellt. Der Kommandant<br />
berichtet, während wir mit abgedrehtem<br />
Kurse auf 20 m fahren: wie ein einziges Linienschiff<br />
dicht unter Land gelegen hätte, umgeben<br />
<strong>von</strong> Transportern, und zwar so eng, daß<br />
nur ein Teil vom mittleren Bootsrumpf freilag.<br />
In weiterem Abstand Zerstörer. Und zwischen<br />
allen durch hatte er trotz aushängenden Torpedoschutznetzes<br />
das Linienschiff herausgeschossen.<br />
Es kenterte in wenigen Minuten übers<br />
Heck und schwamm noch einige Zeit überschlagen<br />
kieloben.<br />
Zwei Tage darauf geriet <strong>„U</strong> <strong>21“</strong>, beim Versuch<br />
aus der Bucht <strong>von</strong> Imbros ein Linienschiff vor<br />
<strong>An</strong>ker abzuschießen, in ein U-Bootsnetz, das<br />
sich rings ums Boot legte und durch die Geistesgegenwart<br />
des Kommandanten zerrissen wurde,<br />
indem er, im Netz auf 40 Meter Tiefe gehend,<br />
drehte und unter Wasser äußerste Kraft aus der<br />
Bucht hinausfuhr. Fünfeinhalb Stunden<br />
schleppten wir das Netz mit uns, bevor wir ungesehen<br />
auftauchen konnten und uns <strong>von</strong> den<br />
stählernen Fangmaschen, die mit Bleigewichten<br />
beschwert waren und an einer Schwimmtrosse<br />
aufgebojt waren, wieder frei machen konnten.<br />
Dieser Tag war für meine Beobachtungen besonders<br />
lehrreich, weil der auf der Fernunternehmung<br />
fortlaufend <strong>von</strong> mir kontrollierte Koranysche<br />
Quotient in meinem Harn auf 3,8 anstieg<br />
und der Eiweißumsatz am Tage nach den<br />
Netzaufregungen bei mir auf 137,1 stieg.<br />
Über die Art der Untersuchungen und Berechnungen<br />
muß ich nun nähere <strong>An</strong>gaben machen.<br />
Gemessen wurde die 24-stündige Harnmenge.<br />
Ferner das spezifische Gewicht und der aus dem<br />
Leitungswiderstand abgelesene Elektrolytgehalt<br />
des Harns mit dem für diese Zwecke sehr<br />
brauchbaren Apparat <strong>von</strong> Wunder. Reservebatterien<br />
der Notbeleuchtung an <strong>Bord</strong> dienten als<br />
Stromquelle. Man füllt eine Pravaz-Spritze mit<br />
dem zu untersuchenden Harn und mißt den<br />
Stromwiderstand. Aus den gemessenen Werten<br />
konnte mittels Tabellen der Prozentgehalt an<br />
Elektrolyten bei bestimmter Temperatur im<br />
Harn festgestellt werden. Nun wurde das spezifische<br />
Gewicht im Harn gemessen, das sich sowohl<br />
aus Elektrolyten wie aus Nichtelektrolyten,<br />
und zwar vornehmlich aus Harnstoff, zusammensetzt.<br />
Den Elektrolyten entsprach aber<br />
auch ein bestimmtes spezifisches Gewicht. Zog<br />
man nun dieses <strong>von</strong> dem spezifischen Gewicht<br />
des Harnes ab, so bekam man <strong>An</strong>näherungswerte<br />
für den Harnstoff. Aus der 24-stündigen<br />
Harnmenge ließ sich durch Multiplikation mit<br />
2,9 und Hinzuaddierung eines als fest angenommenen<br />
Koteiweißbestandteiles <strong>von</strong> sechs<br />
Gramm der Gesamteiweißumsatz in 24 Stunden<br />
annähernd berechnen.<br />
Man schelte diesen kleinen entzückenden Apparat<br />
<strong>von</strong> Wunder nicht. Will man etwa <strong>von</strong><br />
mir verlangen, daß ich Stickstoffanalysen nach<br />
Kjeldahl während der Fahrt mache und Kotanalysen<br />
noch dazu, wenn man jeden Augenblick<br />
erwartet, wie in der Falle des U-Bootnetzes, daß<br />
man samt dem Boot durch <strong>An</strong>schlagen einer<br />
Sprengpatrone in die Luft fliegt?<br />
Ich wollte wissen, wie seelische Aufregung auf<br />
Salz- und Wasserausscheidung und auf den<br />
Stickstoffwechsel wirkt. Mein Kommandant behauptete<br />
allerdings, ich würde demnächst meine<br />
Flatus mit Löschpapier auffangen und analysieren.<br />
Ich ließ mich dadurch aber nicht beirren.<br />
Um Vergleichswerte für die Untersuchung zu<br />
gewinnen, hatte ich schon vor <strong>An</strong>treten der<br />
70<br />
<strong>Schleswig</strong>-<strong>Holstein</strong>isches Ärzteblatt 10/2006