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Drei Sozialpädagogen berichten über ihren Alltag im ... - AvenirSocial

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<strong>Drei</strong> <strong>Sozialpädagogen</strong> <strong>berichten</strong> <strong>über</strong> <strong>ihren</strong> <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> Knast<br />

Zwischen Lust und Frust<br />

Was bedeutet sozialpädagogische Arbeit <strong>im</strong> Umfeld des Straf− und Massnahmenvollzugs? Müssen<br />

Sozialpädagoginnen und <strong>Sozialpädagogen</strong> an diesem Arbeitsort das Unmögliche möglich machen?<br />

Wo ist die besondere Herausforderung, das Bereichernde, aber auch das Frustrierende in diesem<br />

besonderen Umfeld?<br />

Von Jeannette Dietziker<br />

Sozialpädagoginnen und <strong>Sozialpädagogen</strong> <strong>im</strong> Gefängnis müssen regelkonform arbeiten und<br />

gleichzeitig menschlich sein. Sie dürfen finanziell und emotional nicht korrupt sein. Sie müssen <strong>im</strong><br />

Insassen, in der Insassin, den Menschen sehen und nicht nur das Delikt, und trotzdem nicht<br />

vergessen, dass dieser Mensch ein – oft schweres − Delikt begangen hat. Idealerweise sind sie mit<br />

sich <strong>im</strong> Reinen und können sich gegen<strong>über</strong> den Insassinnen und Insassen abgrenzen, begegnen<br />

ihnen aber gleichzeitig mit einer ressourcenorientierten und personenzentierten Haltung. So fasst<br />

Leena Haessig, Psychologin, Strafrechtlerin, Referentin an verschiedenen Höheren Fachschule für<br />

Sozialpädagogik und seit 23 Jahren Mitarbeiterin be<strong>im</strong> forensisch−psychiatrischen Dienst der<br />

Universität Bern, die Anforderungen an eine Person zusammen, die als Sozialpädagogin oder<br />

Sozialpädagoge <strong>im</strong> Straf− und Massnahmenvollzug arbeitet.<br />

Wie wird ein einzelner Mensch all diesen Ansprüchen gerecht? Ist es möglich, die<br />

sozialpädagogische Theorie und deren Anforderungen mit den eigenen Gefühlen, Reaktionen und<br />

Bedürfnissen in diesem sehr anspruchsvollen Umfeld zu vereinbaren? Oder anders gefragt: Was ist<br />

Lust, was Frust von SozialpädagogInnen <strong>im</strong> Straf− und Massnahmenvollzug?<br />

Gespräche mit drei <strong>Sozialpädagogen</strong> mit Arbeitsort Vollzugsanstalt sollen diesen Fragen<br />

nachgehen.<br />

Die Methode der konfrontativen Pädagogik<br />

Giovanni Feola (Sozialpädagoge in Ausbildung an der HSL Luzern) ist an seinem Arbeitsort, dem<br />

Massnahmenzentrum Uitikon / ZH (MZU) mit den oben genannten Fragen täglich konfrontiert. Auf<br />

der einen Seite die jungen Männer mit all <strong>ihren</strong> Bedürfnissen, die mit seiner Begleitung <strong>im</strong> offenen<br />

Vollzug lernen sollen, sich in der Gesellschaft wieder zu integrieren; auf der anderen Seite die<br />

gesellschaftlichen Anforderungen an das MZU − und damit an die MitarbeiterInnen − bezüglich<br />

Sicherheit, Ordnung und Regeln.<br />

Der angehende Sozialpädagoge ist <strong>über</strong>zeugt, dass die Ausbildung ihm Grundlagen und<br />

Werkzeuge vermittelt, um sich in diesem Spannungsfeld besser bewegen und allen Seiten<br />

gerechter werden zu können. Auch sieht er sich durch Wissen aus beispielsweise Soziologie,<br />

Sozialpolitik, aber auch aus der Entwicklungspsychologie, darin unterstützt, die Insassen besser zu<br />

verstehen und entsprechend adäquater mit ihnen arbeiten zu können. Seine Haltung dabei ist klar:<br />

„Es ist mir wichtig, dass ich den Menschen, der ein Delikt begangen hat, nicht verurteile. Dabei hilft<br />

mir, dass ich seinen Hintergrund kenne. Gleichzeitig verurteile ich aber das Delikt – und das mache<br />

ich in der konfrontativen Arbeit mit den Klienten sehr deutlich.“<br />

Das MZU arbeitet mit der Methode der konfrontativen Pädagogik, um den Insassen aufzuzeigen,<br />

was sie einerseits „verbrochen“ haben, und warum sie eingesperrt sind; und um andererseits mit<br />

ihnen auf Ideen zu kommen, wie sie ihr Leben in der Freiheit anders gestalten, deliktfrei aufbauen<br />

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können. Dies ist auch ein wichtiger Teil der Motivation von Giovanni Feola in der Arbeit mit den<br />

jungen Männern: „Hinschauen, aufzeigen, Reibungsfläche sein und klar und direkt in die<br />

Auseinandersetzung gehen. Schritt für Schritt mit ihnen auf den Weg in ein integriertes Leben<br />

gehen.“ An persönliche Grenzen kommt er, wenn die Arbeit nicht greift, ein Insasse <strong>im</strong>mer wieder<br />

rückfällig wird und Vorfälle passieren, die eine vor<strong>über</strong>gehende Einzelhaft nötig machen.<br />

„Wichtig ist der Mensch und seine Entwicklung – unabhängig von seiner Tat“<br />

Auch Christian Schmid (Sozialpädagoge HFS Agogis, Leiter des Integrationsprogramms und<br />

Projektleiter Bildung <strong>im</strong> Strafvollzug der kantonalen Anstalt Realta GR) ist mit dem Thema der<br />

Resozialisierung beschäftigt. Im Integrationsprogramm (IP) arbeiten 15 von 80 Insassen, welche auf<br />

Grund ihrer psychischen und/oder physischen Probleme eine intensivere Betreuung brauchen.<br />

Zusammen mit der neben der Anstalt liegenden psychiatrischen Klinik und dem anstaltseigenen<br />

Sozialdienst sowie dem Betreuungs− und Sicherheitsdienst werden Betreuungs− und<br />

Behandlungsleistungen erbracht. Das IP ist dabei für die Tagestruktur verantwortlich. Ziel ist es, die<br />

Insassen in absehbarer Zeit in den Normalvollzug integrieren zu können. „Dieses Arbeitsfeld ist<br />

sehr abwechslungsreich und die Zusammenarbeit mit den Insassen ist sehr intensiv. Wer gerne<br />

konfrontativ arbeitet, kommt hier auf seine Rechnung.“<br />

Christian Schmid hatte anfänglich etwas Mühe mit der neuen Gefängniswelt, mit dem Tragen einer<br />

Uniform oder auch mit der Einschliessung am Abend. Unterdessen akzeptiert er dies als Teil seiner<br />

Arbeit und kann darin auch Vorteile sehen, zum Beispiel, wenn es um die Beruhigung einer Person<br />

oder Gruppe geht. Seine sozialpädagogische Ausbildung sieht er als Grundlage für die konkrete<br />

Zusammenarbeit mit den Insassen, als Unterstützung auch für seine eigene Haltung: „Wichtig ist<br />

der Mensch und seine Entwicklung, egal, welche Tat er begangen hat, und damit das Ziel, das<br />

Leben in Zukunft straffrei gestalten zu können.“<br />

Als lustvoll an dieser Arbeit bezeichnet Christian Schmid auch die Möglichkeit, zusammen mit den<br />

Insassen Neues auszuprobieren, andere Wege zu gehen. Zum Beispiel die Zusammenarbeit mit<br />

der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich, aus der das Projekt „Kunst <strong>im</strong> Knast“ entstanden<br />

ist. Frau Giuliana Mani, Absolventin der HGKZ und seit September 2006 Mitarbeiterin <strong>im</strong> IB initiierte<br />

dieses Projekt und führt es weiter.<br />

Frust? „Hauptsächlich bei Männern, die stark verwahrlost sind, komme ich manchmal an Grenzen,<br />

wenn ich tausend Mal das Selbe sagen muss, ohne dass ich eine sichtbare Wirkung erkenne.“<br />

Fordern und fördern: Lebensbewältigung <strong>im</strong> <strong>Alltag</strong><br />

Marco Röthlisberger (Sozialpädagoge BFF, Bern) verfügt <strong>über</strong> eine langjährige Praxis <strong>im</strong> Sozialen<br />

Bereich, <strong>im</strong> Behindertenbereich, mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, <strong>im</strong><br />

Suchtbereich mit Erwachsenen und ist nun seit 9 Jahren in den Anstalten Hindelbank / BE tätig.<br />

Hier leitet er, nach einigen Jahren <strong>im</strong> geschlossenen Vollzug, die Aussenwohngruppe „Steinhof“, wo<br />

die Frauen auf dem Weg in die Freiheit Zwischenhalt machen, um nach vielen Jahren des<br />

Eingesperrtseins zu üben, wie „draussen“ wieder Fuss gefasst werden kann. Marco Röthlisberger<br />

sieht seinen (sozialpädagogischen) Auftrag ganz konkret darin, die Frauen auf möglichst<br />

konstruktive und auch fordernde Art zu begleiten, sie zu fördern. Dabei steht, mit Blick auf die<br />

Resozialisierung, die Lebensbewältigung <strong>im</strong> <strong>Alltag</strong> <strong>im</strong> Zentrum. „Diese Arbeit ist sehr spannend und<br />

vielfältig. Speziell an meinem Arbeitsort ist, dass die meisten Frauen motiviert hierher kommen, da<br />

es ja um den Austritt geht und sie bei uns in einer realitätsnahen Umgebung mit deutlich mehr<br />

Freiraum als <strong>im</strong> geschlossenen Vollzug leben können.“<br />

Schwieriger wird die sozialpädagogische Arbeit dann, wenn zum Beispiel eine Suchtproblematik so<br />

stark <strong>im</strong> Vordergrund steht, dass eine Insassin nicht mehr weiter kommt. „Der Frust einer<br />

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etroffenen Frau kann dann eine negative Dynamik auslösen, die sich auf die anderen, und<br />

manchmal sogar auf das Team <strong>über</strong>tragen kann. Dann kann man sich auch mal ziemlich<br />

ohnmächtig fühlen.“ Hier ist die Professionalität gefragt, die Distanz und die Analyse: Gespräche mit<br />

der Betroffenen, Austausch <strong>im</strong> Team, Supervision; Werkzeuge, die es ermöglichen, neue Wege zu<br />

sehen und aufzuzeigen und einen Schritt weiter zu gehen.<br />

Der Auftrag der Gesellschaft ist klar: Entweder sollen die Straftäter und Straftäterinnen eingesperrt<br />

sein, oder dann sollen sie sich regelkonform wieder eingliedern. Die Sozialpädagogik kann <strong>ihren</strong><br />

Beitrag dazu leisten, indem sie Hand bietet, um den wichtigen Schritt in die Resozialisierung zu<br />

machen. Durch intensive Begleitung in vielen Lebensbereichen wird den Straffälligen Möglichkeiten<br />

für die eigene Entwicklung geboten. Und so machen die Sozialpädagoginnen und <strong>Sozialpädagogen</strong><br />

– manchmal – das Unmögliche möglich.<br />

www.avenirsocial.ch<br />

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