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Brief an Begleitgruppe SHG-Revision - AvenirSocial

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Soziale Arbeit Schweiz<br />

Travail social Suisse<br />

Lavoro sociale Svizzera<br />

Lavur sociala Svizra<br />

<strong>AvenirSocial</strong> Sektion Zürich<br />

Schwarztorstrasse 22, PF 8163<br />

CH-3001 Bern<br />

T. +41 (0) 44 382 24 42<br />

Sicherheitsdirektion des K<strong>an</strong>tons Zürich<br />

Generalsekretariat<br />

Herr Peter Schnider<br />

Neumühlequai 10<br />

Postfach<br />

8090 Zürich<br />

zuerich@avenirsocial.ch<br />

www.avenirsocial.ch/de/zuerich<br />

16. September 2013<br />

<strong>Revision</strong> Sozialhilfegesetz K<strong>an</strong>ton Zürich<br />

Sehr geehrter Herr Schnider<br />

Sehr geehrte Damen und Herren<br />

Der Regierungsrat möchte das bestehende Sozialhilfegesetz revidieren und hat die<br />

„Expertengruppe Totalrevision <strong>SHG</strong>“ eingesetzt. Als Berufsverb<strong>an</strong>d möchten wir uns <strong>an</strong> der<br />

Meinungsbildung beteiligen, sind doch die meisten unserer Mitglieder direkt oder indirekt mit dem<br />

Vollzug der Sozialhilfe befasst. Deshalb formulieren wir im Folgenden fachliche Überlegungen, die<br />

aus der Perspektive der Sozialen Arbeit Berücksichtigung finden sollten. Wir bitten Sie, diese<br />

Stellungnahme den Mitgliedern der Expertengruppe zukommen zu lassen. Dieses Dokument<br />

finden Sie auch online: http://www.avenirsocial.ch/shg-zuerich<br />

1. Was erhalten bleiben sollte: der Ged<strong>an</strong>ke der gesellschaftlichen Integration<br />

Wir betrachten die allgemeine Ausrichtung des bestehenden Gesetzes auch nach über dreissig<br />

Jahren als zeitgemäss. Dem Gesetz liegt ein umfassendes Verständnis über belastende Umstände<br />

tatsächlicher oder drohender Armut zugrunde. Ökonomischer M<strong>an</strong>gel k<strong>an</strong>n zu sozialen Problemen<br />

in der Familie und in <strong>an</strong>deren wichtigen Beziehungen führen und psychische Belastungen<br />

hervorrufen (Schuldgefühle, Scham, Zukunftsängste). So ist bek<strong>an</strong>nt, dass dauerhafte Knappheit<br />

und externe Kontrollen chronischen Stress bedeuten und zu gesundheitlichen Problemen, wie<br />

Schlafstörungen, Depressionen oder Magen-/ Darmerkr<strong>an</strong>kungen führen.<br />

Dieses Wissen stützt die Grundhaltung, dass die Hilfe rechtzeitig und umfassend sein muss.<br />

Deshalb besteht die Hilfe seit vielen Jahren aus drei Säulen: der persönlichen, der<br />

erwerbsbezogenen und der fin<strong>an</strong>ziellen (materiellen) Hilfe.<br />

1.1. Die persönliche Hilfe als beraterische Integrationshilfe<br />

In der persönlichen Hilfe werden die Sorgen derjenigen Menschen aufgenommen, die durch<br />

vielfältige Umstände ungewollt in Abhängigkeit von der Sozialhilfe geraten bzw. länger in ihr<br />

verbleiben. Im Rahmen von Beratungen wird den Klientinnen und Klienten Orientierung in einer<br />

ökonomisch prekären Situation vermittelt. Es ist insbesondere die persönliche Hilfe, die das<br />

Anliegen des Gesetzes nach „Integration der Hilfeempfänger in die Gesellschaft“ umzusetzen<br />

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versucht. Nicht vergessen gehen darf, dass Beratung - als Orientierungs- und Entscheidungshilfe -<br />

auch einen präventiven Effekt haben k<strong>an</strong>n.<br />

1.2. Integrationsmassnahmen in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt<br />

„Eine Stelle zu haben“ ist nicht gleichzusetzen mit gesellschaftlicher Integration (§3b <strong>SHG</strong>). Mit<br />

Blick auf eine optimierte berufliche und soziale Integration unterstützen wir, dass die Klientinnen<br />

und Klienten ihre Möglichkeiten ausschöpfen und Eigenleistungen erbringen, jedoch stets unter<br />

Berücksichtigung ihrer individuellen Situation.<br />

Auf st<strong>an</strong>dardisierte Beschäftigungsprogramme „nach Schema F“, die von vielen Klientinnen und<br />

Klienten als „sinnlos“ und „schik<strong>an</strong>ös“ erlebt werden, sollte weitestgehend verzichtet werden.<br />

Schematische Pflichtbeschäftigungen werden gerade von denjenigen Klientinnen und Klienten als<br />

un<strong>an</strong>gemessen und ungerecht erlebt, die ohne eigenes Verschulden in eine Notlage geraten sind.<br />

Wir bestreiten nicht, dass eine individuelle Abklärung aufwendig ist. Eine solche schafft aber mehr<br />

Akzept<strong>an</strong>z, was den berufsethisch begründeten Prinzipien nach Respekt, Individualität/Subjektivität<br />

und dem berechtigten Bedürfnis nach sozialer Anerkennung besser entspricht. Die adäquate<br />

Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist ein nachhaltiger Beitrag zur Motivation. Sie<br />

erhöht die Bereitschaft zu kooperieren erheblich, was eine wesentliche Voraussetzung zur<br />

Rückkehr in die Unabhängigkeit von öffentlichen Geldern ist.<br />

1.3. Die materielle Grundsicherung und die situationsbedingten Leistungen verstehen wir<br />

als ökonomische Integrationshilfe<br />

Unter ökonomischer Integrationshilfe verstehen wir Beiträge zur Sicherung des Bedarfs <strong>an</strong><br />

lebenswichtigen und darüber hinausgehenden Gütern. Es sollen nicht nur fin<strong>an</strong>zielle Direkthilfen,<br />

sondern auch Hilfen gewährt werden, die eine Ausbildung (z.B. Musikunterricht für Kinder oder<br />

eine im 1. Arbeitsmarkt verwertbare Ausbildung) und die Teilnahme am kulturellen Geschehen<br />

ermöglichen. Eine so verst<strong>an</strong>dene Erweiterung der „reinen“ Existenzsicherung mittels der<br />

situationsbedingten Leistungen ist ein zentraler Beitrag zur sozialen Integration, bzw. zu deren<br />

Erhalt. Damit wird dem Prinzip der Individualisierung Rechnung getragen.<br />

2. Unsere Anliegen hinsichtlich geänderter bzw. neuer Bestimmungen<br />

2.1. Zweckartikel im <strong>SHG</strong><br />

Wir würden es begrüssen, wenn das neue Sozialhilfegesetz die bisherigen §1 - 5 in einem<br />

Zweckartikel zusammenfassen würde. Denn diese Artikel geben die grundlegende Ausrichtung der<br />

Sozialhilfe wieder.<br />

Zum Grundsätzlichen eines Zweckartikels gehört unserer Auffassung nach der Leitged<strong>an</strong>ke, dass<br />

die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller:<br />

<br />

im g<strong>an</strong>zen K<strong>an</strong>ton gleich beh<strong>an</strong>delt werden. Dies setzt die Verbindlichkeit der SKOS-<br />

Richtlinien voraus. Bisher wird der Bedarf <strong>an</strong> wirtschaftlicher und persönlicher Sozialhilfe von<br />

Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich bewertet, verfügt und die materiellen Leistungen<br />

verschieden gewährt. Nicht selten werden „Situationsbedingte Leistungen“ nicht berücksichtigt,<br />

bzw. nicht bewilligt. Deshalb bleibt der Auftrag der materiellen Existenzsicherung zu sehr auf<br />

das zum Überleben notwendige beschränkt, <strong>an</strong>statt das die tatsächliche Existenz zutreffend<br />

festgestellt werden würde (Pflichtgemässes Ermessen). Zudem wird der Austausch und die<br />

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Weiterbildung in der k<strong>an</strong>tonalen Sozialkonferenz bisher nach Gemeindegrösse strukturiert, was<br />

dazu geführt hat, dass kleinen Gemeinden verschiedene Besonderheiten zugest<strong>an</strong>den wurden,<br />

die mit dem Geist und Zweck des Gesetzes nur schwer vereinbar sind (Willkürverbot).<br />

<br />

<br />

<br />

die gleichen Angebote in Anspruch nehmen können, die sie zu ihrer sozialen und beruflichen<br />

Integration führen. Schliesslich soll auch künftig die Hilfe rechtzeitig einsetzen. Zwischen<br />

Angeboten der Stadt Zürich und den TeilnehmerInnen aus dem K<strong>an</strong>ton Zürich bestehen<br />

fin<strong>an</strong>zielle Hürden in Form von Vollkostenrechnungen, die eine Teilnahme <strong>an</strong> diesen<br />

Angeboten aus Kostengründen regelmässig verhindern. Die Städte Winterthur und besonders<br />

Zürich betreiben viele professionelle Einrichtungen, die in kleineren Gemeinden nicht<br />

wirtschaftlich zu betreiben wären und nehmen dadurch eine Zentrumsfunktion wahr. Wir<br />

fordern, dass Angebote dieser Zentren für Teilnehmende, die ausserhalb der grossen<br />

Gemeinden wohnen, besser zugänglich gemacht werden.<br />

den gleichen Anforderungen genügen können. So ist auch hier Gleiches gleich zu beh<strong>an</strong>deln.<br />

Die Eintritts- und Austrittsschwellen sollen nicht nur in fin<strong>an</strong>zieller, sondern auch in sozialer<br />

Hinsicht - insbesondere bezüglich der Fähigkeit zur Wiedereingliederung und der Teilhabe -<br />

besser berücksichtigt werden. Zum Beispiel durch fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung bei<br />

Weiterbildungen, die wirtschaftlich verwertbar sind und den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt<br />

unmittelbar fördern.<br />

allen zumindest die durchschnittlichen Leistungen gewährt werden. Das pflichtgemässe<br />

Ermessen berücksichtigt eben auch sog. „situationsbedingte Leistungen“, wie sie sich in der<br />

individuellen Lebenslage finden. Die Begründung und Rechtfertigung zu ihrer Gewährung<br />

ergibt sich aus den SKOS-Richtlinien.<br />

2.2. Begriffe<br />

Im revidierten Gesetz sollten die „Fürsorgebehörden“ konsequent als „Sozialbehörden“ bezeichnet<br />

werden.<br />

2.3. Professionalisierung der Sozialhilfe<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n a) operative Professionalisierung, b) behördliche Professionalisierung und c) strukturelle<br />

Professionalisierung unterscheiden:<br />

a) Wir plädieren für eine operative Professionalisierung in der Form, dass die Gemeinden den<br />

Vollzug der Sozialhilfe – die Beratung von Menschen, die auf Sozialhilfe <strong>an</strong>gewiesen sind – <strong>an</strong><br />

ausgebildete Fachkräfte delegieren.<br />

b) Ein Vollzug in Personalunion in dem Sinne, dass Behördenmitglieder gleichzeitig Betreuung<br />

und Kontrollen durchführen, sollte nicht mehr zulässig sein. Nicht zuletzt deshalb, weil<br />

Beschlussfassung und Vollzug personell getrennt erfolgen sollten.<br />

c) Mit Blick auf die seit 2013 in Kraft gesetzten Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB)<br />

plädieren wir nicht für eine durchgehende Regionalisierung der Behördenstruktur im Bereich<br />

der Sozialhilfe.<br />

Es gibt Gemeinden, die keinen eigenen Sozialdienst haben, bzw. keinem Zweckverb<strong>an</strong>d als Träger<br />

eines Sozialdienstes <strong>an</strong>geschlossen sind. Diese sollten verpflichtet werden, sich einem<br />

Zweckverb<strong>an</strong>d <strong>an</strong>zuschliessen. Denn aufgrund vereinzelter Fälle k<strong>an</strong>n sich kein Erfahrungswissen<br />

und dadurch auch keine einheitliche Praxis ausbilden. Das fachliche Argument, das wesentlich für<br />

die Realisierung der KESB ins Feld geführt worden war, bezog sich auf die Möglichkeit, durch<br />

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höhere Fallzahlen auch zu einem einheitlichen Vollzug der gesetzlichen Bestimmungen zu<br />

gel<strong>an</strong>gen. Die „milde“ Form der Delegation einer „H<strong>an</strong>d voll“ Sozialhilfefälle <strong>an</strong> einen bestehenden<br />

professionellen Sozialdienst könnte diesem Anliegen bereits gerecht werden (<strong>an</strong>alog der<br />

Gemeinden, die Sozialinspektoren von der Stadt Zürich „ausleihen“ um einem<br />

Missbrauchsverdacht nachzugehen). Dies wäre bereits ein erster Schritt hin zu einer<br />

professionellen Vollzugsstruktur.<br />

Mit bestem D<strong>an</strong>k für die geschätzte Kenntnisnahme.<br />

Für Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.<br />

Freundliche Grüsse<br />

<strong>AvenirSocial</strong> Sektion Zürich<br />

Markus Elsener<br />

Präsident<br />

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