PDF-Ausgabe - Berliner Mieterverein e.V.
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Hintergrund<br />
Schon einmal wurde<br />
am Barbarossaplatz<br />
preiswerter<br />
Wohnraum abgerissen<br />
– das soll sich<br />
nicht wiederholen<br />
Milieuschutz<br />
Der zug nimmt langsam Fahrt auf<br />
tempelhof-schöneberg hat die Aufstellung zweier Milieuschutzgebiete<br />
beschlossen. Nach Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Mitte ist das<br />
der vierte Bezirk, der dieses instrument nutzt. Auch andere Bezirke planen<br />
den einstieg in den Milieuschutz – obwohl die schutzwirkung in Berlin<br />
hinter den bestehenden rechtlichen Möglichkeiten hinterherhinkt. indessen<br />
haben die Bezirke keine anderen Möglichkeiten, um die Verdrängung<br />
der angestammten Bewohnerschaft zu verhindern.<br />
cDu blockiert umwandlungsverordnung<br />
Viel schlagkräftiger könnte der Milieuschutz sein, wenn<br />
der <strong>Berliner</strong> Senat eine Umwandlungsverordnung erließe.<br />
Damit könnten die Bezirke in Milieuschutzgebieten<br />
die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen<br />
für fünf Jahre verbieten und so einen Mietsteigerungsmotor<br />
ausschalten, denn mit einer Umwandlung gehen<br />
fast immer die Entmietung und eine übermäßig teure<br />
Modernisierung einher. Bisher blockiert die CDU eine<br />
solche Verordnung.<br />
js<br />
Die beiden Schöneberger Viertel<br />
Bayerischer Platz/Barbarossaplatz<br />
und Dennewitzplatz/Kaiser-Wilhelm-<br />
Platz will der Bezirk unter Milieuschutz<br />
stellen. „Jeder Mensch hat<br />
ein Recht auf angemessenen Wohnraum<br />
– aber nur, wenn wir den Bestand<br />
wirksam sichern, können wir<br />
dieses Recht auch durchsetzen“, begründet<br />
Stadtentwicklungsstadträtin<br />
Sibyll Klotz (Grüne) ihren Vorstoß.<br />
Mit der sozialen Erhaltungssatzung,<br />
allgemein als „Milieuschutz“ bekannt,<br />
können Luxusmodernisierungen untersagt<br />
werden. Damit wird ein großer<br />
Mietsteigerungsfaktor aus dem<br />
Spiel genommen. Für Nutzungs änderungen<br />
und Abrisse muss im Milieuschutz<br />
ebenfalls eine Genehmigung<br />
eingeholt werden. Damit könnte<br />
der Bezirk einen zweiten Fall wie<br />
am Barbarossaplatz verhindern. Dort<br />
wurde ein Wohnhaus mit günstigen<br />
Kleinwohnungen für den Bau eines<br />
Luxuswohnhauses abgerissen.<br />
Die entwickler spekulieren<br />
auf Verdichtung<br />
Im Bayerischen Viertel sind viele<br />
Grundstücke in den 50er Jahren vergleichsweise<br />
locker bebaut worden –<br />
eine Situation, die die Verwertungsphantasien<br />
der Immobilienentwickler<br />
heute beflügelt. Mit dem Aufstellungsbeschluss<br />
können jetzt schon<br />
Vorhaben unterbunden werden, die<br />
die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“<br />
gefährden würden.<br />
Offensiv wird der Milieuschutz bisher<br />
nur von Friedrichshain-Kreuzberg<br />
und Pankow vertreten. Die beiden<br />
Bezirke haben im Frühjahr mit neuen<br />
Genehmigungskriterien gezeigt, dass<br />
sie das Instrument so wirksam wie<br />
möglich nutzen wollen. Auch weiten<br />
sie die Zahl der Milieuschutzgebiete<br />
aus. In Friedrichshain wird beiderseits<br />
der Petersburger Straße ein<br />
Foto: Nils Richter<br />
neues Erhaltungsgebiet aufgestellt.<br />
Pankow will Schritt für Schritt die<br />
aufgehobenen Sanierungsgebiete in<br />
den Milieuschutz einbeziehen. So ist<br />
das Gebiet Pankow-Zentrum bereits<br />
um das alte Sanierungsgebiet Wollankstraße<br />
erweitert worden.<br />
Auch der Bezirk Lichtenberg nähert<br />
sich dem Thema langsam an. Zwar<br />
hat das Bezirksamt noch im April einen<br />
Milieuschutz für die Victoriastadt<br />
abgelehnt, die Bezirksverordnetenversammlung<br />
(BVV) hat im<br />
August aber beschlossen, Gebiete zu<br />
suchen, für die sich der Milieuschutz<br />
eignet.<br />
In der BVV von Mitte läuft ebenfalls<br />
ein Antrag, im Bezirk Verdachtsgebiete<br />
zu untersuchen. Obwohl Mitte<br />
mit der Oranienburger Vorstadt<br />
schon ein Erhaltungsgebiet hat, verhält<br />
sich das Bezirksamt sehr zurückhaltend.<br />
Neukölln blockt das Thema<br />
völlig ab: Der Quartiersrat des Reuterkiezes<br />
erhielt auf seine Bitte um<br />
Milieuschutz vom Bezirks amt eine<br />
kategorische Absage.<br />
Ein Milieuschutzgebiet kann man<br />
nicht per Deklaration aufstellen.<br />
Damit die Verordnung rechtssicher<br />
wird, muss das betreffende Bezirksamt<br />
mit einer sozialwissenschaftlichen<br />
Untersuchung nachweisen,<br />
dass einerseits ein großer Teil der<br />
Bevölkerung von Verdrängung gefährdet<br />
ist und dass andererseits<br />
die Bausubstanz und die Marktlage<br />
mietpreistreibende Modernisierungen<br />
erwarten lassen. Dabei ist vor<br />
allem die Befragung der Bewohner<br />
sehr aufwendig. Ein solches Gutachten<br />
kostet etwa 20 000 Euro. In bestehenden<br />
Milieuschutzgebieten müs -<br />
sen zudem in regelmäßigen Abständen<br />
Sozialstudien erstellt werden,<br />
um die Verordnung aufrecht zu erhalten.<br />
Für die Prüfung der Bauanträge<br />
und die Kontrolle der Auflagen<br />
benötigt die Verwaltung außerdem<br />
Personal, das die Bezirke nur mit<br />
Mühe stellen können.<br />
Dass der Milieuschutz seine Wirkung<br />
nicht verfehlt, zeigen die allergischen<br />
Reaktionen der Eigentümerverbände,<br />
die das städtebauliche<br />
Ins trument mit Sozialismus und Planwirtschaft<br />
gleichsetzen und verfallende<br />
Stadtteile prophezeien.<br />
Jens Sethmann<br />
MieterMagazin 10/2013<br />
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