Trauer in der systemischen Supervision – Oder: Der Tod ... - DGSF
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Ulrich Pfeifer-Schaupp<br />
5.1 Die Vielfalt von <strong>Trauer</strong><br />
Zunächst ersche<strong>in</strong>t es mir bedeutsam, die Vielfalt von <strong>Trauer</strong>mçglichkeiten<br />
wahrzunehmen und sensibel zu se<strong>in</strong> für die mçglicherweise sehr unterschiedlichen<br />
Auswirkungen von Verlust. Es gibt nicht das »richtige« o<strong>der</strong> »falsches«<br />
<strong>Trauer</strong>n. Systemiker achten beson<strong>der</strong>s auf unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen<br />
und -erfahrungen von Supervisanden: zum Beispiel auf geschlechtsspezifische<br />
Unterschiede, auf Ambivalenzen und Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>in</strong> den<br />
Gefühlen und darauf, welche unterschiedlichen <strong>in</strong>teraktionellen Dynamiken die<br />
<strong>Trauer</strong> auslçst. Zum Beispiel kann <strong>Trauer</strong> (neue) Beziehungen und Nähe schaffen<br />
<strong>–</strong> sie kann aber auch Distanz herstellen und zum Abbruch von Beziehungen<br />
führen. Bei Beerdigungen, am Sterbebett, bei <strong>der</strong> Ordnung des Nachlasses e<strong>in</strong>es<br />
Verstorbenen begegnen sich beispielsweise Verwandte, die sich schon jahrelang<br />
nicht mehr gesehen haben. Manche <strong>der</strong> so (wie<strong>der</strong>) entstehenden Beziehungen<br />
s<strong>in</strong>d von kurzer Dauer, manche führen die H<strong>in</strong>terbliebenen (wie<strong>der</strong>) zusammen<br />
und s<strong>in</strong>d bleibend.<br />
<strong>Trauer</strong> verb<strong>in</strong>det, schafft Nähe und hat (manchmal) e<strong>in</strong>e beziehungsstiftende<br />
Funktion. Geme<strong>in</strong>same <strong>Trauer</strong>, geteilte <strong>Trauer</strong>, geteilte Gefühle von Schmerz,<br />
Wut, Schuld usw. kçnnen verb<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den <strong>Trauer</strong>nden mit dem/den<br />
Helfer/<strong>in</strong>nen. <strong>Trauer</strong> br<strong>in</strong>gt den <strong>Trauer</strong>nden dazu, Hilfe zu suchen, aber: Hilfebeziehungen<br />
bleiben nicht, sie enden immer irgendwann, spätestens dann, wenn<br />
<strong>der</strong> Helfer ke<strong>in</strong>e Zeit mehr hat o<strong>der</strong> es ihm zu viel wird.<br />
Aber: <strong>Trauer</strong> kann auch trennen, Distanz, Fremdheit bis h<strong>in</strong> zum Abbruch von<br />
Beziehungen schaffen. <strong>Trauer</strong> kann <strong>in</strong> die Isolation führen und im »Haus aus<br />
Schmerz« herrscht oft E<strong>in</strong>samkeit. Manchmal ist <strong>der</strong> Schmerz e<strong>in</strong> »Würfel aus<br />
Schweigen«, wie es Hilde Dom<strong>in</strong> ausdrückt. <strong>Trauer</strong> kann dazu führen, dass die<br />
Kontaktdichte abnimmt, die Intensität von Beziehungen sich reduziert. <strong>Der</strong><br />
<strong>Trauer</strong>nde fühlt sich unverstanden, alle<strong>in</strong> gelassen und zieht sich zurück. <strong>Trauer</strong><br />
kann bereits vorhandene Gräben <strong>in</strong> Beziehungen vertiefen. <strong>Der</strong> Interaktionspartner<br />
ist unsicher, weiß nicht, wie er sich dem <strong>Trauer</strong>nden gegenüber verhalten<br />
soll und zieht sich deshalb zurück. Dies kçnnen nur kurze Beispiele se<strong>in</strong>. Zum<br />
besseren Verständnis <strong>der</strong> Vielfalt von <strong>Trauer</strong>formen und -folgen verweise ich auf<br />
die Studien von von Spiegel (1995), Goldbrunner (1996) und Lammer (2004).<br />
5.2 Lçsungen s<strong>in</strong>d nicht alles <strong>–</strong> <strong>Trauer</strong> wahrnehmen<br />
In <strong>der</strong> Ausbildung von Helfer<strong>in</strong>nen wird häufig e<strong>in</strong>e Haltung vermittelt, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
professionellen Sozialisation nach dem Studium vertieft wird. Ich mçchte diese<br />
Haltung als den »Mythos von Nähe und Distanz« bezeichnen: die Überzeugung,<br />
dass Abgrenzung und Distanz für professionelles Helfen e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung<br />
habe. Dies mçchte ich <strong>in</strong> Frage stellen o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest ergänzen durch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />
Pr<strong>in</strong>zip, das mir m<strong>in</strong>destens genauso bedeutsam ersche<strong>in</strong>t. Beim Helfen, so auch<br />
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KONTEXT 39,1, S. 31 <strong>–</strong> 50, ISSN 0720-1079<br />
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçtt<strong>in</strong>gen 2008