Trauer in der systemischen Supervision – Oder: Der Tod ... - DGSF
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Ulrich Pfeifer-Schaupp<br />
werden müssen, son<strong>der</strong>n zum Leben dazugehçren wie Regen und Wolken zum<br />
Frühl<strong>in</strong>g (Boff, 1999; Heller, 2003; Sogyal R<strong>in</strong>poche, 2003; Chçdrçn, 2001).<br />
»Wenn Sie am Morgen erwachen und sich aus dem Nichts das Leiden <strong>der</strong><br />
Entfremdung und E<strong>in</strong>samkeit e<strong>in</strong>stellt, kçnnen Sie die Situation als goldene<br />
Gelegenheit beim Schopf packen? Kçnnen Sie sich, statt sich mit dem Gefühl zu<br />
quälen, irgend etwas würde schrecklich falsch laufen, gerade <strong>in</strong> diesem Augenblick<br />
<strong>der</strong> Traurigkeit und <strong>der</strong> Sehnsucht entspannen und die grenzenlose Weite<br />
des menschlichen Herzens berühren? Wenn sich Ihnen diese Gelegenheit das<br />
nächste Mal bietet, probieren Sie es aus« (Chçdrçn, 2001, S. 93).<br />
Zunächst geht es darum, <strong>Trauer</strong> e<strong>in</strong>fach wahrzunehmen, das Sonnenlicht <strong>der</strong><br />
Achtsamkeit auf unsere <strong>Trauer</strong> sche<strong>in</strong>en zu lassen <strong>–</strong> es wird sie verwandeln.<br />
Achtsamkeit für den Atem, Achtsamkeit für unsere Gefühle. Achtsamkeit für<br />
das, was ist, ob <strong>Trauer</strong>, Wut, Langeweile o<strong>der</strong> Freude, sche<strong>in</strong>t mir vielleicht die<br />
wichtigste Grundhaltung <strong>–</strong> auch für Systemiker<strong>in</strong>nen. Es geht nicht um e<strong>in</strong>en<br />
Trost, <strong>der</strong> »erbittert das Reisig zusammenträgt«, um e<strong>in</strong> »Wun<strong>der</strong> zu erzw<strong>in</strong>gen«,<br />
wie es Hilde Dom<strong>in</strong> so wun<strong>der</strong>schçn formuliert hat. Wir »zünden es an, das Haus<br />
aus Schmerz« <strong>–</strong> aber häufig geht es darum, das »Haus aus Schmerz« e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong><br />
zu lassen, ohne es mit Trost zu belagern. Hier <strong>–</strong> wie bei den an<strong>der</strong>en Grundhaltungen<br />
<strong>–</strong> kann <strong>Supervision</strong> den Helfer<strong>in</strong>nen Anregungen vermitteln, die sie auch<br />
an Kollegen wie an Klienten weitergeben kçnnen.<br />
5.4 <strong>Trauer</strong> und Abschied brauchen Raum und Zeit<br />
Maria ist Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es ambulanten Pflegedienstes. In <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> berichtet sie vom<br />
<strong>Tod</strong> e<strong>in</strong>er 72-jährigen Klient<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sie vçllig überrascht hat. Obwohl vorher ke<strong>in</strong>e kçrperlichen<br />
Anzeichen auf e<strong>in</strong>e ernstere Krankheit erkennbar waren, wurde Frau L.<br />
morgens vom Pflegedienst tot aufgefunden. <strong>Der</strong> behandelnde Arzt fragt mehrfach bei<br />
Maria nach, ob sie denn im Vorfeld nichts Auffälliges bemerkt habe. »Da frage ich mich<br />
dann schon: Hab ich was übersehen?« Maria berichtet, dass sie an <strong>der</strong> Beerdigung von<br />
Frau L. teilgenommen habe. »Ich habe sonst nie Kopfschmerzen, aber da habe ich vier<br />
Kopfschmerztabletten genommen.« Maria wird den <strong>Tod</strong> von Frau L. nicht los, obwohl<br />
das Sterben von Patienten sonst zum Alltag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflegestation gehçrt.<br />
Wie lassen sich »flüchtige Abschiede« hilfreich gestalten? Das Abschiednehmen<br />
<strong>–</strong> von Klient<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen (wie von Kolleg<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Praktikant<strong>in</strong>nen)<br />
<strong>–</strong> braucht Raum und Zeit. Wo dieser fehlt, weil das Sterben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Abschied<br />
plçtzlich kommt, weil die Zeit fehlt, <strong>der</strong> nächste »Fall« schon wartet, ist es häufig<br />
so, dass Helfer den <strong>Tod</strong> ihrer Klienten nicht loswerden, dass <strong>der</strong> Abschied sie bis<br />
<strong>in</strong> den Traum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> verfolgt, vor allem, wenn <strong>–</strong> wie <strong>in</strong> dem Beispiel bei Maria <strong>–</strong><br />
Schuldgefühle <strong>der</strong> Helfer<strong>in</strong> mit dem <strong>Tod</strong> verbunden s<strong>in</strong>d. Kle<strong>in</strong>e Alltagsrituale<br />
kçnnen hier sehr hilfreich se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn Sterben und <strong>Tod</strong> o<strong>der</strong> Abschiednehmen<br />
häufig vorkommen und den beruflichen Alltag stark prägen wie <strong>in</strong><br />
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KONTEXT 39,1, S. 31 <strong>–</strong> 50, ISSN 0720-1079<br />
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçtt<strong>in</strong>gen 2008