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Trauer in der systemischen Supervision – Oder: Der Tod ... - DGSF

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> <strong>–</strong><br />

O<strong>der</strong>: <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong> klopft çfter an, als man denkt<br />

Ulrich Pfeifer-Schaupp<br />

Zusammenfassung<br />

Das Erkenntnis leitende Interesse dieses Beitrags ist es, e<strong>in</strong> besseres Verständnis von<br />

<strong>Trauer</strong> zu gew<strong>in</strong>nen, um die systemische Praxis, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>Supervision</strong>, hilfreicher<br />

gestalten zu kçnnen. Im ersten Abschnitt wird <strong>der</strong> Begriffsh<strong>in</strong>tergrund von »<strong>Trauer</strong>«<br />

geklärt. <strong>Der</strong> zweite Abschnitt stellt dar, wo und wie <strong>Trauer</strong> und <strong>Tod</strong> zu Themen systemischer<br />

<strong>Supervision</strong> werden. Im dritten Abschnitt wird die Bedeutung von Theorie kurz<br />

erläutert und zwei Modelle vorgestellt, die hilfreich se<strong>in</strong> kçnnen für das Verständnis von<br />

<strong>Trauer</strong>prozessen. Thema des vierten Abschnitts ist die Praxis, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Grundhaltungen<br />

und Methoden, die zum Umgang mit <strong>Trauer</strong> und Abschied <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong><br />

<strong>Supervision</strong> und Beratung nützlich se<strong>in</strong> kçnnen.<br />

Schlagwçrter: <strong>Supervision</strong> <strong>–</strong> Abschied <strong>–</strong> <strong>Trauer</strong> <strong>–</strong> <strong>Tod</strong><br />

Summary<br />

Grief and death <strong>in</strong> systemic counsell<strong>in</strong>g<br />

The contribution tries to give a better un<strong>der</strong>stand<strong>in</strong>g to processes of of grief and mourn<strong>in</strong>g,<br />

for a more helpful construction of systemic practice, particularly systemic supervision.<br />

In the first part the term<strong>in</strong>ological background is discussed. The second part<br />

describes, how grief and mourn<strong>in</strong>g become issues <strong>in</strong> systemic supervision. The third part<br />

beg<strong>in</strong>s with a short glimpse at the general importance of theory, then two models are<br />

presented, which may be helpful for the un<strong>der</strong>stand<strong>in</strong>g of grief and mourn<strong>in</strong>g. In the<br />

fourth part practical questions are discussed, especially attitudes and methods, which may<br />

be useful <strong>in</strong> deal<strong>in</strong>g with processes of grief and farewell.<br />

Key words: supervision <strong>–</strong> counsell<strong>in</strong>g <strong>–</strong> grief <strong>–</strong> death<br />

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Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçtt<strong>in</strong>gen 2008 31


Ulrich Pfeifer-Schaupp<br />

Haus ohne Fenster<br />

<strong>Der</strong> Schmerz sargt uns e<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus ohne Fenster<br />

Die Sonne, die die Blumen çffnet,<br />

zeigt se<strong>in</strong>e Kanten<br />

nur deutlicher<br />

Es ist e<strong>in</strong> Würfel aus Schweigen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht.<br />

<strong>Der</strong> Trost,<br />

<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Fenster f<strong>in</strong>det und ke<strong>in</strong>e Türen<br />

und h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> will, trägt erbittert das Reisig zusammen.<br />

Er will e<strong>in</strong> Wun<strong>der</strong> erzw<strong>in</strong>gen<br />

und zündet es an,<br />

das Haus aus Schmerz.<br />

(Hilde Dom<strong>in</strong>)<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Wie kçnnen <strong>Trauer</strong> und (Abschieds-)Schmerz <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

und Beratung angemessen und hilfreich thematisiert werden? Im <strong>systemischen</strong><br />

Ansatz werden Probleme gerne als Lçsungen gesehen. Dabei besteht me<strong>in</strong>es<br />

Erachtens die Gefahr, Phänomene wie <strong>Trauer</strong>, Abschied, <strong>Tod</strong> und Schmerz allzu<br />

schnell umzudef<strong>in</strong>ieren und <strong>–</strong> im S<strong>in</strong>ne des Wortes <strong>–</strong> nicht »wahr« zu nehmen o<strong>der</strong><br />

sie zu verdrängen. Probleme s<strong>in</strong>d nicht nur Lçsungen (Pfeifer-Schaupp, 2002a), es<br />

gilt, auch schmerzvolle Erfahrungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>Trauer</strong>, als solche offen zu<br />

thematisieren, wo es angemessen ist, sie zu würdigen und ihnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong><br />

e<strong>in</strong>en angemessenen Raum zu geben. E<strong>in</strong>e ausschließliche und vor allem kurzfristige<br />

Lçsungsorientierung angesichts existenzieller Grenzerfahrungen ersche<strong>in</strong>t<br />

nicht hilfreich.<br />

Im folgenden Beitrag wird untersucht, wie <strong>Trauer</strong>, Sterben und <strong>Tod</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> und <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> Beratung s<strong>in</strong>nvoll »wahr«<br />

genommen und »transformiert« werden kçnnen. Dabei steht <strong>Trauer</strong> beim Verlust<br />

von wichtigen Beziehungspersonen durch <strong>Tod</strong> o<strong>der</strong> Trennung im Mittelpunkt.<br />

Die systemische Brille ist auch nur e<strong>in</strong>e mçgliche Sichtweise, mit <strong>der</strong> wir<br />

Wirklichkeit konstruieren <strong>–</strong> daran sollten sich Systemiker ab und zu er<strong>in</strong>nern und<br />

die Tugend <strong>der</strong> Respektlosigkeit auch gegenüber den eigenen theoretischen<br />

Grundannahmen pflegen sowie hilfreiche Erkenntnisse aus an<strong>der</strong>en methodischen<br />

Ansätzen verstärkt rezipieren. Deshalb werden auch zwei Modelle aus<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

an<strong>der</strong>en Theorietraditionen vorgestellt. Es geht <strong>in</strong> diesem Beitrag we<strong>der</strong> um<br />

<strong>Trauer</strong>therapie noch um die Entwicklung e<strong>in</strong>es Konzepts systemischer <strong>Trauer</strong>beratung,<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong>e durchaus lohnende Aufgabe, die aber über den<br />

Rahmen dieses Aufsatzes h<strong>in</strong>ausgeht und zu <strong>der</strong> Goldbrunner (1996) bereits<br />

e<strong>in</strong>en wichtigen Beitrag geleistet hat, son<strong>der</strong>n um e<strong>in</strong>en gelassenen, offenen und<br />

fçr<strong>der</strong>lichen Umgang mit Phänomenen <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>, wie sie im Rahmen von psychosozialer<br />

Beratung häufig vorkommen. 1<br />

2 Was ist <strong>Trauer</strong> <strong>–</strong> Begriffliche Grundlagen<br />

Zunächst e<strong>in</strong>ige kurze Bemerkungen zum Begriff <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>: Systemiker(<strong>in</strong>nen)<br />

haben das Rad nicht erfunden. Sie verdanken an<strong>der</strong>en Theorierichtungen viel,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> psychoanalytischen Tradition <strong>–</strong> obwohl dies gerne vergessen<br />

wird. Auch beim Begriff <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong> lohnt sich e<strong>in</strong> Rückblick <strong>in</strong> diese Tradition.<br />

Freud formulierte 1916 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em klassischen Aufsatz »<strong>Trauer</strong> und Melancholie«<br />

e<strong>in</strong>e Def<strong>in</strong>ition von <strong>Trauer</strong>, die mir auch heute noch bedenkenswert ersche<strong>in</strong>t:<br />

»<strong>Trauer</strong> ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust e<strong>in</strong>er geliebten Person o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>er an ihrer Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, e<strong>in</strong> Ideal<br />

usw.« (Freud, 1916). Schon dieser klassische <strong>Trauer</strong>begriff verweist darauf, dass<br />

<strong>Trauer</strong> nicht nur die Reaktion auf den Verlust e<strong>in</strong>er wichtigen Person ist, son<strong>der</strong>n<br />

ebenso e<strong>in</strong>e Reaktion auf den Abschied von e<strong>in</strong>er wichtigen Vorstellung, e<strong>in</strong>em<br />

Ideal, e<strong>in</strong>er »Abstraktion« se<strong>in</strong> kann. Freud sieht Schmerz und <strong>Trauer</strong> als Affektreaktionen<br />

auf e<strong>in</strong>e Trennung (Freud, 1926, S. 161). Er weist darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

<strong>Trauer</strong> e<strong>in</strong>e Mischung verschiedener Affekte be<strong>in</strong>halten kann <strong>–</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

nach dem <strong>Tod</strong> des Vaters kann sie zum Beispiel auch mit e<strong>in</strong>em Gefühl des<br />

Triumphs und <strong>der</strong> Freude o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erleichterung verbunden se<strong>in</strong>: <strong>Der</strong> <strong>Tod</strong>eswunsch<br />

gegen den bçsen Vater ist <strong>in</strong> Erfüllung gegangen (Freud, 1928, S. 410).<br />

Kerst<strong>in</strong> Lammer greift <strong>in</strong> ihrer hervorragenden Studie zur perimortalen<br />

<strong>Trauer</strong>beratung (d.h. zur <strong>Trauer</strong>beratung, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zeitlich und räumlich<br />

mçglichst engen Bezug zum Ereignis des <strong>Tod</strong>es <strong>Tod</strong> steht) Freuds klassische<br />

Def<strong>in</strong>ition von <strong>Trauer</strong> auf. Sie sieht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em <strong>Trauer</strong>begriff verschiedene Vorzüge:<br />

<strong>–</strong> Er verweist auf die positive Funktion <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>, nämlich die Bewältigung von<br />

Verlusterfahrungen (»Reaktion auf Verlust«).<br />

<strong>–</strong> Er hebt die Normalität von <strong>Trauer</strong> hervor (»regelmäßig«).<br />

<strong>–</strong> Er ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, vielfältige <strong>in</strong>trapersonale und <strong>in</strong>terpersonale Aspekte <strong>der</strong><br />

<strong>Trauer</strong>phänomenologie e<strong>in</strong>zuschließen (»Reaktion auf Verlust«) (Lammer,<br />

2004, S. 31).<br />

1 Für hilfreiche Anregungen zum Manuskript danke ich Ursula De<strong>in</strong>hart, Bjçrn<br />

Kraus, Reg<strong>in</strong>e Pfeifer, Klaus Schnei<strong>der</strong>, Jürgen Sehrig und Juliane Weerenbeck.<br />

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Lammer bezieht sich deshalb auf die Def<strong>in</strong>ition Freuds und wandelt sie ger<strong>in</strong>gfügig<br />

ab: »<strong>Trauer</strong> ist regelmäßig die Reaktion auf e<strong>in</strong>en Verlust, speziell auf den<br />

Verlust e<strong>in</strong>er signifikanten Person« (S. 31).<br />

Diese »Reaktion auf e<strong>in</strong>en Verlust« hat verschiedene Aspekte, die im angloamerikanischen<br />

Sprachgebrauch deutlicher werden, als im Deutschen. Lammer<br />

erläutert, dass <strong>der</strong> deutsche Begriff »<strong>Trauer</strong>« auf englisch <strong>in</strong> drei verschiedenen<br />

Worten ausgedrückt wird: Bereavement, Grief und Mourn<strong>in</strong>g (Lammer, 2004,<br />

S. 36 ff.).<br />

Mit Bereavement wird die äußere soziale Tatsache des H<strong>in</strong>terbliebense<strong>in</strong>s<br />

nach e<strong>in</strong>em <strong>Tod</strong>esfall beschrieben. Bereavement bezeichnet üblicherweise die<br />

objektive Situation von Menschen, die e<strong>in</strong>e wichtige Person durch <strong>der</strong>en <strong>Tod</strong><br />

verloren haben. Im Deutschen wären dafür die Ausdrücke »e<strong>in</strong>en <strong>Tod</strong>es- o<strong>der</strong><br />

<strong>Trauer</strong>fall haben«, »<strong>in</strong> <strong>Trauer</strong> se<strong>in</strong>« o<strong>der</strong> »h<strong>in</strong>terblieben se<strong>in</strong>« ungefähr entsprechend.<br />

Grief ist dagegen <strong>der</strong> Begriff, <strong>der</strong> mehr die subjektive Innenseite des <strong>Trauer</strong>ns<br />

betont: Gefühle, psychische Zustände o<strong>der</strong> Erlebnisreaktionen. Dieser Begriff<br />

zielt auf die <strong>in</strong>dividuell-subjektive Reaktion auf den <strong>Tod</strong>esfall beziehungsweise<br />

die subjektive Erlebnisseite <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>, die verschiedene emotionale, affektive,<br />

aber auch psychosomatische Aspekte e<strong>in</strong>schließt und <strong>in</strong> etwa mit »<strong>Trauer</strong>reaktion«,<br />

»<strong>Trauer</strong>symptome« o<strong>der</strong> »<strong>Trauer</strong>n« im engeren S<strong>in</strong>n des Wortes übersetzt<br />

werden kann.<br />

Mourn<strong>in</strong>g schließlich ist das äußerlich sichtbare, kulturell und sozial determ<strong>in</strong>ierte<br />

<strong>Trauer</strong>verhalten, e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> Rituale und Interaktionsprozesse.<br />

3 Kommen <strong>Trauer</strong>, Sterben und <strong>Tod</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong><br />

<strong>Supervision</strong> vor?<br />

Systemische <strong>Supervision</strong> unterscheidet sich von an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong><br />

durch ihre Orientierung an Grundpr<strong>in</strong>zipien und Grundhaltungen <strong>systemischen</strong><br />

Denkens und Handelns. Bedeutsam s<strong>in</strong>d dabei <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Pr<strong>in</strong>zipien von<br />

Zirkularität, Allparteilichkeit beziehungsweise Neutralität, das Hypothetisieren,<br />

die Grundhaltung des Nicht-Wissens, das E<strong>in</strong>nehmen von Metaperspektiven und<br />

e<strong>in</strong>e reflektierende Grundhaltung (z. B. im reflektierenden Team), strategisches<br />

Vorgehen, Wertschätzung und Respekt, gepaart mit angemessener Respektlosigkeit,<br />

Lçsungs- und Ressourcenorientierung, Kundenorientierung, Kontextsensibilität<br />

und e<strong>in</strong>e konstruktivistische Grundhaltung (vgl. Pfeifer-Schaupp,<br />

2002a, Schnei<strong>der</strong>, 2002).<br />

Wo und wie kommt <strong>Trauer</strong> als Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> vor? Mit<br />

dieser Fragestellung habe ich Daten aus zehn Jahren me<strong>in</strong>er eigenen supervisorischen<br />

Praxis (aus <strong>der</strong> Zeit von 1996<strong>–</strong>2006) im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Selbstevaluation<br />

ausgewertet (vgl. He<strong>in</strong>er, 1994, 2001; Kähler, 1999; Kçnig, 2000). Ausgewertet<br />

wurden Protokolle aus E<strong>in</strong>zel-, Team- und Gruppensupervisionen. Teilnehmer<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

waren psychosoziale Fachkräfte <strong>–</strong> Sozialarbeiter<strong>in</strong>nen und Sozialpädagogen,<br />

Pflegekräfte, Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer, Pastoralassistenten und Geme<strong>in</strong><strong>der</strong>eferenten<br />

<strong>–</strong> aus dem Non-Profit-Bereich, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus E<strong>in</strong>richtungen <strong>der</strong> freien<br />

Wohlfahrtspflege.<br />

<strong>Trauer</strong>, so wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Analyse dieser Protokolle deutlich, wird auf vier unterschiedlichen<br />

Ebenen zum Thema systemischer <strong>Supervision</strong>.<br />

Zum e<strong>in</strong>en gibt es <strong>Trauer</strong> und <strong>Tod</strong> als »Teil des normalen Geschäfts«:<br />

<strong>–</strong> <strong>Der</strong> Umgang mit dem <strong>Tod</strong> von Patient<strong>in</strong>nen und Patienten gehçrt zum Beispiel<br />

zum »normalen« Alltag von Pflegekräften im Bereich <strong>der</strong> Palliativpflege, <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> stationären und ambulanten Hospizarbeit, <strong>in</strong> Pflegeheimen und Intensivstationen.<br />

<strong>–</strong> <strong>Der</strong> drohende o<strong>der</strong> tatsächliche <strong>Tod</strong> von Klienten als Folge jahrzehntelanger<br />

Alkoholabhängigkeit ist im Suchtbereich e<strong>in</strong> wichtiges und wie<strong>der</strong>kehrendes<br />

Thema.<br />

E<strong>in</strong> zweiter Bereich ist <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> von Klienten durch Suizid o<strong>der</strong> Suizidversuch, <strong>der</strong><br />

<strong>–</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> psychiatrischen E<strong>in</strong>richtungen <strong>–</strong> häufig als »Scheitern« <strong>der</strong><br />

Bemühungen <strong>der</strong> Helfer<strong>in</strong>nen und Helfer erlebt wird.<br />

E<strong>in</strong> dritter, eher seltener Bereich ist <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> von Kollegen o<strong>der</strong> von wichtigen<br />

Interaktionspartner<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> sozialen Fachkräfte, zum Beispiel<br />

<strong>–</strong> <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> e<strong>in</strong>es Kollegen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Kolleg<strong>in</strong> aus dem Team,<br />

<strong>–</strong> <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> des Partners o<strong>der</strong> die Trennung e<strong>in</strong>er Supervisand<strong>in</strong> von ihrem Partner,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> die gegenwärtige Arbeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wirkt,<br />

<strong>–</strong> <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> e<strong>in</strong>es Supervisors.<br />

Viertens waren <strong>Trauer</strong>prozesse auf »metaphorischen« Ebenen des »Sterbens«<br />

wichtig:<br />

<strong>–</strong> beim Abschied von Arbeitskollegen,<br />

<strong>–</strong> beim »Sterben« von Projekten o<strong>der</strong> Teams,<br />

<strong>–</strong> <strong>Trauer</strong> um eigene ungelebte Anteile,<br />

<strong>–</strong> Abschied von eigenen Mçglichkeiten.<br />

»Die Chance klopft çfter an, als man denkt«, heißt es auf e<strong>in</strong>er Spruchkarte von<br />

William Renn Adair, »aber meistens ist niemand zu Hause«. In Abwandlung<br />

dieses Satzes kçnnte man für den hier beschriebenen Bereich formulieren: <strong>Trauer</strong><br />

und <strong>Tod</strong> klopfen <strong>–</strong> auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> <strong>–</strong> çfter an, als man denkt.<br />

Wichtig ist es, als Supervisor dafür zu sorgen, dass dann jemand zu Hause ist, das<br />

heißt, dass diese Phänomene genauso Thema <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> werden (dürfen)<br />

wie Lçsungen, Ausnahmen, Wun<strong>der</strong>, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Zukunft o<strong>der</strong> die problemfreien<br />

Zeiten. Ich mçchte dazu folgende Hypothese formulieren: <strong>Trauer</strong> und <strong>Tod</strong><br />

werden umso eher <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> thematisiert, je eher <strong>der</strong> Supervisor sie<br />

zulassen kann, je mehr er sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigenen Leben dafür geçffnet und sich<br />

damit ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt hat. Hat <strong>der</strong> Supervisor Angst vor Sterben und <strong>Tod</strong>,<br />

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s<strong>in</strong>d ihm die Gefühle <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong> suspekt o<strong>der</strong> machen sie ihm Angst, werden sich<br />

die Supervisanden hüten, entsprechende Anliegen zu formulieren.<br />

4 <strong>Trauer</strong>phasen und <strong>Trauer</strong>aufgaben<br />

4.1 Theorie und die Grundhaltung des Nicht-Wissens<br />

Welche Bedeutung hat Theorie für die Thematisierung von <strong>Trauer</strong>prozessen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Supervision</strong>? E<strong>in</strong> Verständnis von <strong>Trauer</strong> wird erleichtert, wenn man den<br />

typischen <strong>–</strong> o<strong>der</strong> besser: den mçglichen <strong>–</strong> Ablauf von <strong>Trauer</strong>prozessen kennt o<strong>der</strong><br />

wenn man (mçglichst mehrere) Modelle dafür hat, die helfen kçnnen, Ordnung <strong>in</strong><br />

das Chaos zu br<strong>in</strong>gen, das häufig mit <strong>Trauer</strong> und Verlust verbunden ist. Aus<br />

systemischer Sicht geht es darum, we<strong>der</strong> zu viel noch zu wenig über <strong>Trauer</strong> zu<br />

wissen. Wer zu viel weiß und se<strong>in</strong> Wissen für »die Realität« hält, kann leicht den<br />

Blick auf den beson<strong>der</strong>en Menschen verlieren, <strong>der</strong> Hilfe braucht. Wer zu wenig<br />

weiß, kann Schwierigkeiten haben, sich zu orientieren und (zu viel) Angst entwickeln,<br />

die es ihm erschwert, hilfreich zu se<strong>in</strong>. Deshalb gew<strong>in</strong>nt im Umgang mit<br />

<strong>Trauer</strong> und Abschied die Grundhaltung des Nicht-Wissens beson<strong>der</strong>e Bedeutung<br />

(vgl. Pfeifer-Schaupp, 2002a).<br />

E<strong>in</strong>en angemessenen Umgang mit <strong>Trauer</strong> und Abschied zu f<strong>in</strong>den erfor<strong>der</strong>t<br />

das Offense<strong>in</strong> für das jeweilige Gegenüber, dabei kann (zu viel) Theorie h<strong>in</strong><strong>der</strong>lich<br />

se<strong>in</strong>. Empathie und Echtheit s<strong>in</strong>d grundsätzlich wichtig als Voraussetzung<br />

für Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> Beratung und Therapie (Hubble, Duncan u. Miller, 2001). Es<br />

kann nützlich se<strong>in</strong>, von mir selbst zu erzählen und mich, soweit es angemessen ist<br />

und den Prozess unterstützt, mit eigenen Gefühlen zu zeigen. Inzwischen ist es<br />

auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> Praxis »salonfähig« geworden, auf Gefühle von Klient<strong>in</strong>nen<br />

nicht nur mit zirkulären Fragen zu antworten, son<strong>der</strong>n Mitgefühl zu zeigen.<br />

Spätestens seit Lynn Hoffman davon berichtet hat, dass sie mit Klient<strong>in</strong>nen<br />

auch we<strong>in</strong>t (Hoffman, 2000), kann von e<strong>in</strong>er »Renaissance <strong>der</strong> Gefühle« <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>systemischen</strong> Praxis gesprochen werden. Garry Prouty, e<strong>in</strong> Schüler von Carl<br />

Rogers, <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Prä-Therapie, spricht von »Mit-Se<strong>in</strong>« (Prouty, Pçrtner<br />

u. van Werde, 1996). Es geht also darum, we<strong>der</strong> zu viel noch zu wenig Theorie <strong>in</strong><br />

die Begegnung mit Klienten o<strong>der</strong> Supervisanden e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen <strong>–</strong> o<strong>der</strong> den eigenen<br />

theoretischen Grundannahmen und dem eigenen theoretischen Vorwissen mit<br />

<strong>der</strong> gleichen Respektlosigkeit zu begegnen wie Mustern und Symptomen im<br />

Klientensystem.<br />

Theorie hat im besten Fall die Funktion, Komplexität s<strong>in</strong>nvoll zu reduzieren,<br />

sie kann Ordnung <strong>in</strong> die Vielfalt von <strong>Trauer</strong>mçglichkeiten br<strong>in</strong>gen. Welche<br />

Theoriekonzepte s<strong>in</strong>d für den supervisorischen Umgang mit <strong>Trauer</strong> hilfreich? Ich<br />

mçchte hier exemplarisch zwei Modelle kurz vorstellen, die me<strong>in</strong>es Erachtens gut<br />

geeignet s<strong>in</strong>d, das Verständnis von <strong>Trauer</strong>prozessen zu fçr<strong>der</strong>n <strong>–</strong> wenn man sie<br />

nicht dogmatisiert o<strong>der</strong> mit »<strong>der</strong> Wirklichkeit« verwechselt. Die beiden Modelle<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

ergänzen sich gut und haben vieles geme<strong>in</strong>sam: erstens Verena Kasts Konzept <strong>der</strong><br />

<strong>Trauer</strong>phasen und zweitens William Wordens Modell <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>aufgaben.<br />

4.2 <strong>Trauer</strong>phasen<br />

Verena Kast entwickelt das Modell <strong>der</strong> Sterbephasen von Elisabeth Kübler-Ross<br />

weiter, verän<strong>der</strong>t und ergänzt es. Sie bezieht sich <strong>–</strong> wie Worden <strong>–</strong> stark auf die<br />

b<strong>in</strong>dungstheoretische <strong>Trauer</strong>theorie von Bowlby und die Bowlbys Theorie zugrunde<br />

liegenden empirischen Untersuchungen von Parkes, <strong>der</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die<br />

<strong>Trauer</strong>prozesse von Witwen <strong>in</strong>tensiv erforscht hat.<br />

1. Die Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens ist gekennzeichnet durch Empf<strong>in</strong>dungslosigkeit,<br />

Distanz zum eigenen Erleben und zur Realität. Charakteristisch<br />

ist das Nicht-wahrhaben-Wollen des Verlustes. Dies hat nicht nur mit <strong>der</strong><br />

Verdrängung <strong>der</strong> unangenehmen Nachricht zu tun, son<strong>der</strong>n dient auch dem<br />

Schutz vor e<strong>in</strong>er Überwältigung mit zu starken Gefühlen (Kast, 1982, S. 61 f.).<br />

In <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> kann es also darauf ankommen, das Bedürfnis des Nichtwahrhaben-Wollens<br />

e<strong>in</strong>es Verlustes freundlich und wertschätzend wahrzunehmen<br />

und gleichzeitig mit e<strong>in</strong>er vorsichtigen Dosis von Respektlosigkeit zu<br />

helfen, diese Phase zu »transformieren«.<br />

2. Die Phase <strong>der</strong> aufbrechenden Emotionen: <strong>Der</strong> Phase des Nicht-wahrhaben-<br />

Wollens folgt e<strong>in</strong>e Phase aufbrechen<strong>der</strong> Emotionen. Zorn, Angst, Ruhelosigkeit,<br />

Anklagen, Ohnmachtsgefühle, Schuldgefühle s<strong>in</strong>d nichts Außergewçhnliches,<br />

son<strong>der</strong>n typisch für diese Phase.<br />

»Um wirklich fruchtbr<strong>in</strong>gend trauern zu kçnnen, d. h. um alte Verhaltensmuster<br />

aufbrechen und neue Verhaltensmuster entstehen zu lassen, sche<strong>in</strong>t es<br />

für neue Beziehungs- und Lebensmçglichkeiten ke<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Weg zu<br />

geben, als dieses wechselnde Emotions-Chaos durchzuhalten, auszuhalten.<br />

Das Emotions-Chaos ist e<strong>in</strong> Bild für das Chaos ganz allgeme<strong>in</strong>, <strong>in</strong> dem Altes<br />

verschw<strong>in</strong>det und Neues sich bilden kann« (Kast, 1982, S. 67). <strong>Supervision</strong><br />

kann helfen, dieses Gefühls-Chaos auszuhalten und es zu »normalisieren«, das<br />

heißt zu <strong>der</strong> Erkenntnis zu verhelfen, dass diese Gefühle nichts Krankhaftes,<br />

Abseitiges, »Unnormales« haben, son<strong>der</strong>n dass sie im Gegenteil not-wendig <strong>–</strong><br />

im S<strong>in</strong>ne von Not wendend <strong>–</strong> und fruchtbar se<strong>in</strong> kçnnen.<br />

3. Die Phase des Suchens und Sich-Trennens: In <strong>der</strong> dritten Phase geht es um die<br />

Klärung von Beziehungen und die Suche nach dem, was <strong>der</strong> Verstorbene, <strong>der</strong><br />

Weggegangene für den H<strong>in</strong>terbliebenen bedeutet hat. Es geht auch um e<strong>in</strong>e<br />

ganz reale Suche: das Aufsuchen von Örtlichkeiten, die <strong>der</strong> Verstorbene geliebt<br />

hat, bis h<strong>in</strong> zur Übernahme se<strong>in</strong>es Lebensstils o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Gewohnheiten.<br />

Das Suchen drückt sich oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Zwiegespräch mit dem Verstorbenen<br />

aus. »Im <strong>in</strong>neren Zwiegespräch f<strong>in</strong>det man den Partner nochmals, kann<br />

nochmals mit ihm sprechen« (Kast, 1982, S. 69).<br />

»Das Suchen geschieht unwillkürlich. Die <strong>Trauer</strong>arbeit sche<strong>in</strong>t mir dort ge-<br />

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lungen zu se<strong>in</strong>, wo dem F<strong>in</strong>den immer wie<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Aspekt des Sichtrennen-müssens,<br />

des Verlassen-müssens folgt« (S. 69). Das »<strong>in</strong>nere Zwiegespräch<br />

mit dem Verstorbenen« kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> »externalisiert« werden,<br />

zum Beispiel mit e<strong>in</strong>em leeren Stuhl. Auch <strong>in</strong> Form von »Haus-Aufgaben«<br />

kçnnen die Themen dieser Phase aufgegriffen werden, beispielsweise als<br />

Anregung, dem Verstorbenen e<strong>in</strong>en Brief zu schreiben o<strong>der</strong> Örtlichkeiten<br />

aufzusuchen, die für das geme<strong>in</strong>same Erleben bedeutsam waren und dort<br />

Abschied zu nehmen.<br />

4.3 <strong>Trauer</strong>aufgaben<br />

Das Modell <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>aufgaben nach William Worden kann ebenfalls hilfreich<br />

se<strong>in</strong> zum Verständnis und zum Umgang mit <strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> und hat<br />

viele Berührungspunkte zum Modell von Verena Kast. Worden (1987) beschreibt<br />

vier <strong>Trauer</strong>aufgaben:<br />

<strong>–</strong> Erste Aufgabe: Den Verlust als Realität akzeptieren<br />

»Die erste <strong>Trauer</strong>aufgabe besteht dar<strong>in</strong>, es wirklich als Realität zu akzeptieren,<br />

dass <strong>der</strong> Betreffende tot ist und nicht zurückkehren wird. Dazu gehçrt auch,<br />

dass man die Überzeugung gew<strong>in</strong>nt, dass e<strong>in</strong> Wie<strong>der</strong>sehen mit dem Verstorbenen<br />

zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> diesem Leben nicht mçglich ist. Es besteht e<strong>in</strong> unmittelbarer<br />

Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> Lçsung dieser Aufgabe und dem Suchverhalten,<br />

das Bowlby und Parkes umfassend beschrieben haben […] Das<br />

Gegenteil davon, den Verlust als Realität zu akzeptieren, ist das nicht wahrhaben<br />

Wollen <strong>–</strong> <strong>der</strong> Verlust wird geleugnet. Manche Menschen weigern sich, zu<br />

glauben, dass <strong>der</strong> Betreffende wirklich tot ist, und bleiben im <strong>Trauer</strong>prozess<br />

schon bei <strong>der</strong> ersten Aufgabe stecken« (Worden, 1987, S. 19). Das Leugnen des<br />

Verlusts kann, so Worden, verschiedene Formen annehmen: Sie reichen von<br />

leicht verzerrter Wahrnehmung bis h<strong>in</strong> zu voll erblühten Wahnvorstellungen.<br />

E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Leugnung ist die »Mumifizierung«: Es werden Besitztümer<br />

des Verstorbenen <strong>in</strong> mumifiziertem Zustand aufbewahrt, damit sie zur<br />

Verfügung stehen, wenn er zurückkehrt (S. 19). Für die <strong>Supervision</strong> heißt das,<br />

dass es wichtig ist, Anregungen zu geben, den Verlust »wirklich« werden zu<br />

lassen, ihn nicht zu leugnen o<strong>der</strong> zu umgehen.<br />

<strong>–</strong> Zweite Aufgabe: Den <strong>Trauer</strong>schmerz erfahren<br />

Worden bezieht sich bei dieser Aufgabe auf das deutsche Wort »Schmerz«, das<br />

se<strong>in</strong>er Ansicht nach e<strong>in</strong> besserer Term<strong>in</strong>us ist als das englische »pa<strong>in</strong>«. Er sagt<br />

dazu: »Dank se<strong>in</strong>es breiteren Bedeutungsspektrums umfasst dieser Begriff<br />

sowohl die tatsächlich physischen Schmerzen, die viele Menschen nach e<strong>in</strong>em<br />

Verlust erdulden, als auch das emotionale und verhaltensspezifische Leid, das<br />

er mit sich br<strong>in</strong>gt. Dieser Schmerz muss anerkannt und durchgearbeitet werden,<br />

sonst wird er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Symptom o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Form von abwei-<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

chendem Verhalten zutage treten […] Nicht je<strong>der</strong> erlebt den Schmerz <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong>selben Intensität o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Weise, aber weh tun wird es auf jeden<br />

Fall, wenn man e<strong>in</strong>en Menschen verliert, an dem man sehr hängt« (Worden,<br />

1987, S. 21 f.). Das Anerkennen und Würdigen des Schmerzes kann auch e<strong>in</strong><br />

Thema von <strong>Supervision</strong> se<strong>in</strong>, sofern <strong>der</strong> Kontext für den Supervisanden, die<br />

Supervisand<strong>in</strong> passend ist. Wichtig ist hier die sorgfältige Auftragsklärung: Was<br />

mçchten Sie tun? Ist hier <strong>der</strong> richtige Rahmen dazu? Was müssten wir tun, dass<br />

<strong>der</strong> Rahmen besser passt? Was soll hier nicht passieren? Welche Methode<br />

hätten Sie gerne? Falls <strong>der</strong> Supervisand ke<strong>in</strong>e Idee dazu hat, ersche<strong>in</strong>t es mir<br />

hilfreich, ihm zum<strong>in</strong>dest zwei mçgliche Vorgehensweisen zur Auswahl vorzuschlagen.<br />

»Negieren lässt sich diese zweite Aufgabe (das Durcharbeiten des Schmerzes)<br />

durch Flucht <strong>in</strong> die Empf<strong>in</strong>dungslosigkeit. Man kann Aufgabe II auf verschiedene<br />

Weise abkürzen, vor allem, <strong>in</strong>dem man se<strong>in</strong>e Gefühle abwürgt und<br />

den gegenwärtigen Schmerz leugnet. Manchmal halten Menschen den Prozess<br />

dadurch auf, dass sie schmerzliche Gedanken vermeiden. Mit Gedankenstop-<br />

Methoden bewahren sie sich vor <strong>der</strong> gedrückten Stimmungslage, die <strong>in</strong>folge<br />

des Verlustes droht. Manche Menschen stimulieren sich ausschließlich zu erfreulichen<br />

Gedanken an den Verstorbenen und wehren dadurch unbehagliche,<br />

beunruhigende Gedanken an ihn ab. Auch das Idealisieren des Toten und das<br />

Ausschalten von Er<strong>in</strong>nerungen an ihn s<strong>in</strong>d Wege, auf denen Menschen sich <strong>der</strong><br />

Bewältigung <strong>der</strong> Aufgabe II entziehen« (Worden, 1987, S. 22).<br />

In <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> wird es darauf ankommen, diese Erkenntnisse<br />

e<strong>in</strong>es erfahrenen <strong>Trauer</strong>beraters e<strong>in</strong>erseits anzuerkennen, an<strong>der</strong>erseits aber<br />

nicht zu dogmatisieren und offen zu bleiben für verschiedene Wirklichkeitskonstruktionen<br />

und verschiedene Formen, mit dem <strong>Trauer</strong>schmerz umzugehen<br />

<strong>–</strong> das heißt auch, geschlechtsspezifische Verarbeitungsformen als gleich gültig<br />

wertzuschätzen und zuzulassen und den Beteiligten zu helfen, sich gegenseitig<br />

diese Unterschiedlichkeit zuzugestehen. Zum Beispiel s<strong>in</strong>d Tränen o<strong>der</strong> Klagen<br />

e<strong>in</strong>er Frau nicht per se »besser« o<strong>der</strong> »schlechter« als die handwerkliche<br />

Aktivität e<strong>in</strong>es Mannes zur <strong>Trauer</strong>bewältigung. Hilfreich kann es se<strong>in</strong>, immer<br />

wie<strong>der</strong> die Grundsätze aus dem lçsungsorientierten Ansatz zu er<strong>in</strong>nern:<br />

»Wenn etwas funktioniert, mach mehr davon <strong>–</strong> Wie<strong>der</strong>hole nicht, was nicht<br />

funktioniert, lass es und mach etwas an<strong>der</strong>es« (Berg, 1999, S. 30 ff.). Aufgabe<br />

des <strong>systemischen</strong> Supervisors ist es nicht, den Supervisand<strong>in</strong>nen zu helfen,<br />

»richtig« zu trauern, son<strong>der</strong>n sie zu unterstützen zu erkennen, ob das, was sie<br />

mit und <strong>in</strong> ihrer <strong>Trauer</strong> tun, für sie hilfreich ist und gegebenenfalls mit ihnen<br />

Mçglichkeiten zu entwickeln, etwas an<strong>der</strong>es zu tun, wenn das, was sie tun, nicht<br />

hilfreich ist.<br />

<strong>–</strong> Dritte Aufgabe: Sich anpassen an e<strong>in</strong>e Umwelt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Verstorbene fehlt<br />

»Sich auf e<strong>in</strong>e verän<strong>der</strong>te Umwelt e<strong>in</strong>stellen, bedeutet für verschiedene<br />

Menschen verschiedenerlei, je nachdem, wie zu Lebezeiten des Verstorbenen<br />

die Beziehung zu ihm beschaffen war und welche Rollen er gespielt hat«<br />

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(Worden, 1987, S. 23). Es geht bei dieser Aufgabe darum zu begreifen, was es<br />

heißt, ohne den verstorbenen An<strong>der</strong>en zu leben. Bewältigt werden müssen<br />

beispielsweise Fragen, wie man es schaffen wird, alle<strong>in</strong> zu wohnen, f<strong>in</strong>anziell<br />

über die Runden zu kommen und den Alltag zu bewältigen. Außerdem geht es<br />

darum, für die verschiedenen Rollen, die <strong>der</strong> Verstorbene übernommen hat,<br />

e<strong>in</strong>en Ersatz zu f<strong>in</strong>den.<br />

Aufgabe 3 bleibe unerledigt, me<strong>in</strong>t Worden, solange ke<strong>in</strong>e Anpassung an den<br />

Verlust erfolgt. »Manche Menschen arbeiten da gegen sich selbst, <strong>in</strong>dem sie auf<br />

ihrer eigenen Hilflosigkeit beharren, statt die nçtigen Bewältigungsfertigkeiten<br />

zu entwickeln, o<strong>der</strong> <strong>in</strong>dem sie sich von <strong>der</strong> Welt zurückziehen und den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Umwelt ausweichen« (S. 23). Systemische <strong>Supervision</strong><br />

kann dar<strong>in</strong> unterstützen, Mçglichkeiten zu entwickeln: ohne den geschätzten<br />

Kollegen im Team, den geliebten Chef zurecht zu kommen, den Alltag nach<br />

dem Abschied von dem wichtigen Projekt, das e<strong>in</strong>gestellt werden musste, neu<br />

zu strukturieren.<br />

<strong>–</strong> Vierte Aufgabe: Emotionale Energie abziehen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Beziehung<br />

<strong>in</strong>vestieren<br />

»Die vierte und letzte Aufgabe im <strong>Trauer</strong>prozess besteht dar<strong>in</strong>, sich von dem<br />

Dah<strong>in</strong>gegangenen gefühlsmäßig abzulçsen, damit die frei werdende emotionale<br />

Energie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Beziehung <strong>in</strong>vestiert werden kann« (Worden, 1987,<br />

S. 24). Systemiker<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d geübt dar<strong>in</strong>, zum Beispiel durch zirkuläre Fragen<br />

o<strong>der</strong> die Wun<strong>der</strong>frage die Entwicklung alternativer Zukünfte zu fçr<strong>der</strong>n. Sie<br />

kçnnen Aufgaben geben, die dazu e<strong>in</strong>laden, im probeweisen Handeln diese<br />

Zukunft bereits jetzt vorwegzunehmen.<br />

5 Hilfreiche Grundhaltungen und Vorgehensweisen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>systemischen</strong> Praxis<br />

Welche Grundhaltungen und Vorgehensweisen erweisen sich darüber h<strong>in</strong>aus als<br />

s<strong>in</strong>nvoll und notwendig, Not wendend, <strong>in</strong> <strong>der</strong> supervisorischen Praxis? Ich mçchte<br />

e<strong>in</strong>ige Aspekte herausarbeiten, die mir beson<strong>der</strong>s wichtig ersche<strong>in</strong>en. Theorie,<br />

Methoden, Grundhaltungen und Menschenbild s<strong>in</strong>d dabei nicht vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu<br />

trennen, sie s<strong>in</strong>d im <strong>systemischen</strong> Ansatz mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verschränkt (Herwig-Lempp,<br />

2002). E<strong>in</strong> wichtiger Grundsatz systemischer Praxis ist für mich außerdem <strong>–</strong> ich sage<br />

es noch e<strong>in</strong>mal <strong>–</strong> die Wertschätzung und die Integration von Konzepten, Methoden<br />

und Haltungen, die <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en <strong>–</strong> »nicht-<strong>systemischen</strong>« <strong>–</strong> Kontexten entwickelt<br />

wurden. Dies geschieht nicht beliebig, son<strong>der</strong>n theoriegeleitet (auf <strong>der</strong> Basis konstruktivistischer<br />

Erkenntnistheorie) und erfolgt da, wo es sich als nützlich und<br />

hilfreich erweist. »Die Abgrenzung <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> von an<strong>der</strong>en Beratungsformen,<br />

wie beispielsweise Therapie, Fachberatung o<strong>der</strong> Fortbildung, ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e<br />

Frage <strong>der</strong> fachlichen Verantwortung. <strong>Supervision</strong> richtet den Fokus immer auf die<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

Problemstellungen des beruflichen Handelns <strong>der</strong> Supervisand<strong>in</strong>nen und Supervisanden.<br />

Es geht nicht um die Therapie von Persçnlichkeitsstçrungen o<strong>der</strong> um e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>haltliche Fachberatung o<strong>der</strong> Fortbildung« (Schnei<strong>der</strong>, 2002, S. 231). Insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Arbeit mit <strong>Trauer</strong> und Abschied ist wichtig, dass die Thematisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Supervision</strong> <strong>der</strong> Bewältigung des beruflichen Alltags <strong>der</strong> Supervisand<strong>in</strong>nen dient,<br />

dabei ist die <strong>–</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> Praxis übliche <strong>–</strong> Fokussierung auf Gegenwart und<br />

Zukunft hilfreich, ohne deshalb die Vergangenheit auszublenden, wo sie wichtig ist<br />

für die Gegenwart.<br />

E<strong>in</strong> Kollege stellt die wichtige Frage, <strong>in</strong> welchem <strong>in</strong>stitutionellen o<strong>der</strong> organisatorischen<br />

Kontext, bei welchen Teams o<strong>der</strong> bei welcher Teamdynamik welche<br />

Form und welche Intensität <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>Trauer</strong> s<strong>in</strong>nvoll sei. Dies<br />

sollte me<strong>in</strong>es Erachtens nicht vom Supervisor als Experten beantwortet werden.<br />

Auch hier gilt <strong>der</strong> systemische Grundsatz <strong>der</strong> Kunden- und Auftragsorientierung.<br />

Die Supervisanden s<strong>in</strong>d die »Kundigen« (Hargens). Es wird das bearbeitet, wofür<br />

es von ihnen e<strong>in</strong>en Auftrag gibt. <strong>Der</strong> »Auftraggeber«, sei es e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelner <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Team o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe, sei es e<strong>in</strong> ganzes Team, entscheidet <strong>–</strong> wie oben<br />

erwähnt <strong>–</strong> sowohl über die Methode als auch über die Intensität, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er/sie sich<br />

auf das Thema e<strong>in</strong>lassen mçchte. In <strong>der</strong> Regel sche<strong>in</strong>t es mir s<strong>in</strong>nvoll, die Teilnehmer<br />

zwischen unterschiedlichen vom Supervisor vorgeschlagenen Methoden<br />

wählen zu lassen, wenn sie nicht bereits selbst e<strong>in</strong>en Wunsch für e<strong>in</strong> bestimmtes<br />

Vorgehen haben. Auch die Entscheidung darüber, wann es für sie genug ist, sollte<br />

die Auftraggeber<strong>in</strong> treffen. Dabei kann sie <strong>der</strong> Supervisor beispielsweise dadurch<br />

unterstützen, dass er sie auffor<strong>der</strong>t, mit e<strong>in</strong>er kurzen Geste deutlich zu machen,<br />

wann es reicht o<strong>der</strong> <strong>in</strong>dem er während des Prozesses gegebenenfalls <strong>in</strong>nehält, e<strong>in</strong>e<br />

Metaperspektive e<strong>in</strong>nimmt und den Prozess kurz zum Thema macht: »Wo stehen<br />

wir im Moment? Reicht es Ihnen so für heute o<strong>der</strong> sollen wir noch e<strong>in</strong>en Schritt<br />

weitergehen?«<br />

Gibt es auch Situationen, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Supervisor das Thema <strong>Tod</strong> und <strong>Trauer</strong><br />

forciert, abschwächt o<strong>der</strong> sogar den Wi<strong>der</strong>stand dagegen unterstützt? Zu welchem<br />

Zeitpunkt und an welchem Punkt <strong>der</strong> Teamdynamik soll das Thema <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Supervision</strong> bearbeitet werden und soll <strong>der</strong> Supervisor bezüglich <strong>der</strong> Thematisierung<br />

von <strong>Tod</strong>, <strong>Trauer</strong> und Verlust direkt <strong>in</strong>tervenieren? In <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong><br />

<strong>Supervision</strong> gilt für mich das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> »Selbst<strong>in</strong>dikation« (Moeller, 1992), das<br />

heißt nicht <strong>der</strong> Supervisor entscheidet, was, wie viel, wann für wen s<strong>in</strong>nvoll ist,<br />

son<strong>der</strong>n er geht von <strong>der</strong> Annahme aus, dass er es mit selbstverantwortlichen,<br />

autonomen und erwachsenen Personen zu tun hat. Das Konzept des Wi<strong>der</strong>stands<br />

ersche<strong>in</strong>t mir dabei nicht beson<strong>der</strong>s hilfreich, wenn man davon ausgeht, dass<br />

dieser Wi<strong>der</strong>stand aufgelçst o<strong>der</strong> »durchgearbeitet« werden sollte. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

kann <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand wichtige H<strong>in</strong>weise dafür geben, dass die Auftraggeber<strong>in</strong><br />

jetzt hier und heute nicht weiter gehen mçchte. Deshalb halte ich es für s<strong>in</strong>nvoll,<br />

mit dem Wi<strong>der</strong>stand zu gehen, ihn als »Co-Berater« e<strong>in</strong>zuladen, statt gegen ihn zu<br />

arbeiten. Dabei ist es wesentlich, auf den richtigen Abstand zum Thema zu achten,<br />

darauf gehe ich noch näher e<strong>in</strong> (Abschnitt 5.5).<br />

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Ulrich Pfeifer-Schaupp<br />

5.1 Die Vielfalt von <strong>Trauer</strong><br />

Zunächst ersche<strong>in</strong>t es mir bedeutsam, die Vielfalt von <strong>Trauer</strong>mçglichkeiten<br />

wahrzunehmen und sensibel zu se<strong>in</strong> für die mçglicherweise sehr unterschiedlichen<br />

Auswirkungen von Verlust. Es gibt nicht das »richtige« o<strong>der</strong> »falsches«<br />

<strong>Trauer</strong>n. Systemiker achten beson<strong>der</strong>s auf unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen<br />

und -erfahrungen von Supervisanden: zum Beispiel auf geschlechtsspezifische<br />

Unterschiede, auf Ambivalenzen und Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>in</strong> den<br />

Gefühlen und darauf, welche unterschiedlichen <strong>in</strong>teraktionellen Dynamiken die<br />

<strong>Trauer</strong> auslçst. Zum Beispiel kann <strong>Trauer</strong> (neue) Beziehungen und Nähe schaffen<br />

<strong>–</strong> sie kann aber auch Distanz herstellen und zum Abbruch von Beziehungen<br />

führen. Bei Beerdigungen, am Sterbebett, bei <strong>der</strong> Ordnung des Nachlasses e<strong>in</strong>es<br />

Verstorbenen begegnen sich beispielsweise Verwandte, die sich schon jahrelang<br />

nicht mehr gesehen haben. Manche <strong>der</strong> so (wie<strong>der</strong>) entstehenden Beziehungen<br />

s<strong>in</strong>d von kurzer Dauer, manche führen die H<strong>in</strong>terbliebenen (wie<strong>der</strong>) zusammen<br />

und s<strong>in</strong>d bleibend.<br />

<strong>Trauer</strong> verb<strong>in</strong>det, schafft Nähe und hat (manchmal) e<strong>in</strong>e beziehungsstiftende<br />

Funktion. Geme<strong>in</strong>same <strong>Trauer</strong>, geteilte <strong>Trauer</strong>, geteilte Gefühle von Schmerz,<br />

Wut, Schuld usw. kçnnen verb<strong>in</strong>den, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e den <strong>Trauer</strong>nden mit dem/den<br />

Helfer/<strong>in</strong>nen. <strong>Trauer</strong> br<strong>in</strong>gt den <strong>Trauer</strong>nden dazu, Hilfe zu suchen, aber: Hilfebeziehungen<br />

bleiben nicht, sie enden immer irgendwann, spätestens dann, wenn<br />

<strong>der</strong> Helfer ke<strong>in</strong>e Zeit mehr hat o<strong>der</strong> es ihm zu viel wird.<br />

Aber: <strong>Trauer</strong> kann auch trennen, Distanz, Fremdheit bis h<strong>in</strong> zum Abbruch von<br />

Beziehungen schaffen. <strong>Trauer</strong> kann <strong>in</strong> die Isolation führen und im »Haus aus<br />

Schmerz« herrscht oft E<strong>in</strong>samkeit. Manchmal ist <strong>der</strong> Schmerz e<strong>in</strong> »Würfel aus<br />

Schweigen«, wie es Hilde Dom<strong>in</strong> ausdrückt. <strong>Trauer</strong> kann dazu führen, dass die<br />

Kontaktdichte abnimmt, die Intensität von Beziehungen sich reduziert. <strong>Der</strong><br />

<strong>Trauer</strong>nde fühlt sich unverstanden, alle<strong>in</strong> gelassen und zieht sich zurück. <strong>Trauer</strong><br />

kann bereits vorhandene Gräben <strong>in</strong> Beziehungen vertiefen. <strong>Der</strong> Interaktionspartner<br />

ist unsicher, weiß nicht, wie er sich dem <strong>Trauer</strong>nden gegenüber verhalten<br />

soll und zieht sich deshalb zurück. Dies kçnnen nur kurze Beispiele se<strong>in</strong>. Zum<br />

besseren Verständnis <strong>der</strong> Vielfalt von <strong>Trauer</strong>formen und -folgen verweise ich auf<br />

die Studien von von Spiegel (1995), Goldbrunner (1996) und Lammer (2004).<br />

5.2 Lçsungen s<strong>in</strong>d nicht alles <strong>–</strong> <strong>Trauer</strong> wahrnehmen<br />

In <strong>der</strong> Ausbildung von Helfer<strong>in</strong>nen wird häufig e<strong>in</strong>e Haltung vermittelt, die <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

professionellen Sozialisation nach dem Studium vertieft wird. Ich mçchte diese<br />

Haltung als den »Mythos von Nähe und Distanz« bezeichnen: die Überzeugung,<br />

dass Abgrenzung und Distanz für professionelles Helfen e<strong>in</strong>e zentrale Bedeutung<br />

habe. Dies mçchte ich <strong>in</strong> Frage stellen o<strong>der</strong> zum<strong>in</strong>dest ergänzen durch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Pr<strong>in</strong>zip, das mir m<strong>in</strong>destens genauso bedeutsam ersche<strong>in</strong>t. Beim Helfen, so auch<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> und Beratung, geht es me<strong>in</strong>es Erachtens darum,<br />

durchlässig zu werden für Gefühle, auch für <strong>Trauer</strong> und Schmerz, statt sich abzugrenzen.<br />

<strong>Trauer</strong> und Schmerz an<strong>der</strong>er Menschen an mich herankommen, durch<br />

mich durchfließen und wie<strong>der</strong> abfließen zu lassen ist e<strong>in</strong>e Kunst, aber e<strong>in</strong>e Kunst,<br />

die gelernt werden kann. 2 Wie kann man diese Fähigkeit lernen? Vielleicht sollte<br />

ihr <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> Fort- und Weiterbildung e<strong>in</strong>e grçßere Bedeutung zugemessen<br />

werden, zum Beispiel <strong>in</strong>dem neben zirkulären Fragen auch <strong>der</strong> E<strong>in</strong>übung<br />

von Empathie (wie<strong>der</strong>) mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Hier kçnnten<br />

Systemiker<strong>in</strong>nen vielleicht noch e<strong>in</strong>iges von personzentrierten Therapeuten lernen<br />

(z.B. Rogers, 1985, 1992; Gendl<strong>in</strong>, 1998).<br />

Mir selbst helfen zum Beispiel auch sehr e<strong>in</strong>fache Übungen aus <strong>der</strong> buddhistischen<br />

Tradition. Den eigenen Gefühlen, <strong>der</strong> <strong>Trauer</strong>, <strong>der</strong> Wut, dem Zorn fünf<br />

M<strong>in</strong>uten lang zulächeln kann dabei helfen, Achtsamkeit und Offenheit zu entwickeln<br />

und Gefühle zu transformieren: »Mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>atmung nehme ich me<strong>in</strong>e<br />

<strong>Trauer</strong> wahr <strong>–</strong> mit <strong>der</strong> Ausatmung lächle ich me<strong>in</strong>er <strong>Trauer</strong> zu.« Diese kle<strong>in</strong>e<br />

Übung des vietnamesischen Meditationslehrers Thich Nhat Hanh (2004) habe ich<br />

auch oft schon oft Supervisand<strong>in</strong>nen für ihren Alltag empfohlen <strong>–</strong> und fast alle<br />

waren überrascht über die nachhaltige und transformierende Wirkung.<br />

»Traurigkeit ist e<strong>in</strong>e normale und gesunde Reaktion auf jedes Unglück. Die<br />

meisten, wenn nicht alle <strong>in</strong>tensiveren Episoden von Traurigkeit werden hervorgerufen<br />

durch den Verlust o<strong>der</strong> den erwarteten Verlust entwe<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es geliebten<br />

Menschen o<strong>der</strong> vertrauter und geliebter Orte o<strong>der</strong> sozialer Rollen. E<strong>in</strong> trauriger<br />

Mensch weiß, wen (o<strong>der</strong> was) er verloren hat, und sehnt sich nach se<strong>in</strong>er (o<strong>der</strong><br />

dessen) Rückkehr. Außerdem sucht er wahrsche<strong>in</strong>lich Hilfe und Trost bei e<strong>in</strong>em<br />

Gefährten, dem er vertraut, und glaubt irgendwo <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Innern, mit <strong>der</strong> Zeit<br />

und mit Unterstützung werde er fähig se<strong>in</strong>, sich wie<strong>der</strong> zu erholen und sei es nur<br />

e<strong>in</strong> wenig« (Bowlby, 1983, S. 317 f.).<br />

5.3 <strong>Trauer</strong> muss nicht bewältigt werden <strong>–</strong> sie gehçrt zum Leben<br />

<strong>Trauer</strong> und Leiden, Krankheit und Schmerzen s<strong>in</strong>d Probleme, die »bewältigt«<br />

werden müssen. <strong>Trauer</strong> muss durch »<strong>Trauer</strong>arbeit« überwunden werden: Diese <strong>–</strong><br />

westliche <strong>–</strong> Perspektive hat uns wertvolle Erkenntnisse über Cop<strong>in</strong>g-Strategien,<br />

Bewältigungsmechanismen hilfreicher und nicht hilfreicher Art beschert. (Nicht<br />

nur) für Systemiker kçnnte es nützlich se<strong>in</strong>, diese Perspektive zu ergänzen, zu<br />

vertiefen und zu erweitern mit <strong>der</strong> uralten Erkenntnis <strong>der</strong> buddhistischen o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> christlichen Tradition, dass Leiden, Krankheit, <strong>Trauer</strong> und <strong>Tod</strong> nicht bewältigt<br />

2 Herzlichen Dank an die Mitarbeiter<strong>in</strong>nen und Mitarbeiter vom Team des Bestattungs<strong>in</strong>stituts<br />

Horizonte <strong>in</strong> Freiburg, von denen ich viel über diese Grundhaltung gelernt<br />

habe.<br />

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werden müssen, son<strong>der</strong>n zum Leben dazugehçren wie Regen und Wolken zum<br />

Frühl<strong>in</strong>g (Boff, 1999; Heller, 2003; Sogyal R<strong>in</strong>poche, 2003; Chçdrçn, 2001).<br />

»Wenn Sie am Morgen erwachen und sich aus dem Nichts das Leiden <strong>der</strong><br />

Entfremdung und E<strong>in</strong>samkeit e<strong>in</strong>stellt, kçnnen Sie die Situation als goldene<br />

Gelegenheit beim Schopf packen? Kçnnen Sie sich, statt sich mit dem Gefühl zu<br />

quälen, irgend etwas würde schrecklich falsch laufen, gerade <strong>in</strong> diesem Augenblick<br />

<strong>der</strong> Traurigkeit und <strong>der</strong> Sehnsucht entspannen und die grenzenlose Weite<br />

des menschlichen Herzens berühren? Wenn sich Ihnen diese Gelegenheit das<br />

nächste Mal bietet, probieren Sie es aus« (Chçdrçn, 2001, S. 93).<br />

Zunächst geht es darum, <strong>Trauer</strong> e<strong>in</strong>fach wahrzunehmen, das Sonnenlicht <strong>der</strong><br />

Achtsamkeit auf unsere <strong>Trauer</strong> sche<strong>in</strong>en zu lassen <strong>–</strong> es wird sie verwandeln.<br />

Achtsamkeit für den Atem, Achtsamkeit für unsere Gefühle. Achtsamkeit für<br />

das, was ist, ob <strong>Trauer</strong>, Wut, Langeweile o<strong>der</strong> Freude, sche<strong>in</strong>t mir vielleicht die<br />

wichtigste Grundhaltung <strong>–</strong> auch für Systemiker<strong>in</strong>nen. Es geht nicht um e<strong>in</strong>en<br />

Trost, <strong>der</strong> »erbittert das Reisig zusammenträgt«, um e<strong>in</strong> »Wun<strong>der</strong> zu erzw<strong>in</strong>gen«,<br />

wie es Hilde Dom<strong>in</strong> so wun<strong>der</strong>schçn formuliert hat. Wir »zünden es an, das Haus<br />

aus Schmerz« <strong>–</strong> aber häufig geht es darum, das »Haus aus Schmerz« e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong><br />

zu lassen, ohne es mit Trost zu belagern. Hier <strong>–</strong> wie bei den an<strong>der</strong>en Grundhaltungen<br />

<strong>–</strong> kann <strong>Supervision</strong> den Helfer<strong>in</strong>nen Anregungen vermitteln, die sie auch<br />

an Kollegen wie an Klienten weitergeben kçnnen.<br />

5.4 <strong>Trauer</strong> und Abschied brauchen Raum und Zeit<br />

Maria ist Leiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es ambulanten Pflegedienstes. In <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> berichtet sie vom<br />

<strong>Tod</strong> e<strong>in</strong>er 72-jährigen Klient<strong>in</strong>, <strong>der</strong> sie vçllig überrascht hat. Obwohl vorher ke<strong>in</strong>e kçrperlichen<br />

Anzeichen auf e<strong>in</strong>e ernstere Krankheit erkennbar waren, wurde Frau L.<br />

morgens vom Pflegedienst tot aufgefunden. <strong>Der</strong> behandelnde Arzt fragt mehrfach bei<br />

Maria nach, ob sie denn im Vorfeld nichts Auffälliges bemerkt habe. »Da frage ich mich<br />

dann schon: Hab ich was übersehen?« Maria berichtet, dass sie an <strong>der</strong> Beerdigung von<br />

Frau L. teilgenommen habe. »Ich habe sonst nie Kopfschmerzen, aber da habe ich vier<br />

Kopfschmerztabletten genommen.« Maria wird den <strong>Tod</strong> von Frau L. nicht los, obwohl<br />

das Sterben von Patienten sonst zum Alltag <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflegestation gehçrt.<br />

Wie lassen sich »flüchtige Abschiede« hilfreich gestalten? Das Abschiednehmen<br />

<strong>–</strong> von Klient<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Patient<strong>in</strong>nen (wie von Kolleg<strong>in</strong>nen o<strong>der</strong> Praktikant<strong>in</strong>nen)<br />

<strong>–</strong> braucht Raum und Zeit. Wo dieser fehlt, weil das Sterben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Abschied<br />

plçtzlich kommt, weil die Zeit fehlt, <strong>der</strong> nächste »Fall« schon wartet, ist es häufig<br />

so, dass Helfer den <strong>Tod</strong> ihrer Klienten nicht loswerden, dass <strong>der</strong> Abschied sie bis<br />

<strong>in</strong> den Traum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> verfolgt, vor allem, wenn <strong>–</strong> wie <strong>in</strong> dem Beispiel bei Maria <strong>–</strong><br />

Schuldgefühle <strong>der</strong> Helfer<strong>in</strong> mit dem <strong>Tod</strong> verbunden s<strong>in</strong>d. Kle<strong>in</strong>e Alltagsrituale<br />

kçnnen hier sehr hilfreich se<strong>in</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn Sterben und <strong>Tod</strong> o<strong>der</strong> Abschiednehmen<br />

häufig vorkommen und den beruflichen Alltag stark prägen wie <strong>in</strong><br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

e<strong>in</strong>em Pflegedienst, e<strong>in</strong>em Pflegeheim o<strong>der</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Hospiz. Mitarbeiter e<strong>in</strong>es<br />

Hospizes berichten von solchen hilfreichen Ritualen (Pletscher, o.J.):<br />

<strong>–</strong> Im Gang auf <strong>der</strong> Station steht e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er »Abschiedstisch«, auf dem e<strong>in</strong>e Kerze<br />

entzündet wird für jeden Verstorbenen. Dazu wird e<strong>in</strong> Gegenstand gestellt, <strong>der</strong><br />

dem Verstorbenen wichtig war, se<strong>in</strong> Foto, die <strong>Tod</strong>esanzeige o<strong>der</strong> irgendetwas<br />

an<strong>der</strong>es, was an diesen Menschen er<strong>in</strong>nert.<br />

<strong>–</strong> Als hilfreich wird auch e<strong>in</strong> »<strong>Trauer</strong>buch« erlebt, <strong>in</strong> dem verschiedene Mitarbeiter<br />

<strong>–</strong> vor allem, wenn <strong>in</strong> Wechselschicht gearbeitet wird <strong>–</strong> ihre Gedanken<br />

und Gefühle aufschreiben, die sie dem Verstorbenen entgegenbr<strong>in</strong>gen.<br />

<strong>–</strong> Die e<strong>in</strong>fachste Form ist das Entzünden e<strong>in</strong>es Teelichts auf e<strong>in</strong>em Tisch, das so<br />

lange brennt, bis ke<strong>in</strong> Wachs mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schale ist. Es kçnnen gleichzeitig<br />

mehrere Kerzen brennen.<br />

Ich habe mit Pflegekräften, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Palliativpflege, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong><br />

immer wie<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Entwicklung solcher Rituale gearbeitet. Wo die Implementierung<br />

<strong>in</strong> den beruflichen Alltag gelang <strong>–</strong> wozu die <strong>Supervision</strong> e<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Beitrag leisten kann <strong>–</strong> wurden sie als sehr hilfreich und entlastend<br />

erlebt. »Bei uns heißt es immer: Mit dem <strong>Tod</strong> musst du halt professionell umgehen,<br />

das gehçrt zum Job.« Die Verdrängung von <strong>Trauer</strong>, Abschied und Schmerz<br />

aus dem Alltag <strong>der</strong> Helfer<strong>in</strong>nen wird häufig als »professionell« verbrämt. Im<br />

Gegensatz dazu vertrete ich die Auffassung, dass zu e<strong>in</strong>er professionellen Haltung<br />

im Umgang mit <strong>Trauer</strong> und Abschied das »Wahrnehmen«, die angemessene Zeit<br />

und <strong>der</strong> angemessene Raum gehçren. Wenn Klienten e<strong>in</strong>fach aus dem Alltag<br />

e<strong>in</strong>er Beratungsstelle, e<strong>in</strong>er psychiatrischen Akutstation o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Pflegeheims<br />

verschw<strong>in</strong>den, weil sie sich suizidiert haben, weil sie an ihrer Krankheit gestorben<br />

s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> sich auf e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Weise aus dem Leben verabschiedet haben (z.B.<br />

durch e<strong>in</strong>en Unfall), ohne dass dies im Alltag thematisiert wird, vergrçßern sich<br />

dadurch häufig die Belastungen für die Helfer<strong>in</strong>nen. Sie nehmen dann das Leid<br />

mit nach Hause. Die Belastungen kçnnen dadurch gemil<strong>der</strong>t werden, dass <strong>der</strong><br />

<strong>Trauer</strong>, dem Abschied <strong>–</strong> zum Beispiel im geschützten Rahmen <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> <strong>–</strong><br />

e<strong>in</strong>fach Raum gegeben wird, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>e Mçglichkeit da ist, darüber zu sprechen.<br />

Außerdem kann <strong>Supervision</strong> anregen, die Regeln <strong>der</strong> Institution zum Umgang<br />

mit <strong>Trauer</strong> zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren.<br />

5.5 <strong>Der</strong> richtige Abstand<br />

Dass Supervisanden o<strong>der</strong> Klienten <strong>Trauer</strong> und die damit verbundenen häufig<br />

wi<strong>der</strong>sprüchlichen Gefühle <strong>in</strong> die Beratung o<strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, wird<br />

dadurch erleichtert, dass <strong>der</strong> Supervisor e<strong>in</strong>en angesessenen Abstand zum Thema<br />

herstellen kann. Dazu ist das Reflect<strong>in</strong>g Team (vgl. Hargens u. von Schlippe, 1998)<br />

e<strong>in</strong> sehr hilfreiches Mittel. Insbeson<strong>der</strong>e wenn Supervisand<strong>in</strong>nen zçgern, stark<br />

gefühlsbelastete Themen e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen, kann das reflektierende Team helfen, sehr<br />

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Persçnliches <strong>in</strong> Gegenwart des Betroffenen anzusprechen, ohne ihn direkt zu<br />

thematisieren, ohne ihn direkt anzusprechen und zu e<strong>in</strong>er Reaktion e<strong>in</strong>zuladen.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Erleichterung kann es se<strong>in</strong>, wenn noch mehr Abstand hergestellt wird,<br />

<strong>in</strong>dem sich <strong>der</strong> Supervisand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>iger Entfernung von <strong>der</strong> reflektierenden Gruppe<br />

auf den Boden legt und das Gesagte <strong>in</strong> entspanntem Zustand auf sich wirken lässt.<br />

In <strong>der</strong> Regel erweist es sich als beson<strong>der</strong>s fçr<strong>der</strong>lich, dass die Supervisand<strong>in</strong> h<strong>in</strong>terher<br />

nichts dazu sagen muss: »Nehmen Sie das mit, was nützlich ist und lassen Sie<br />

das, was nicht nützlich ist, wie Wolken am Sommerhimmel vorüberziehen.«<br />

5.6 Ressourcenorientierung<br />

Die Ressourcenorientierung als Grundhaltung <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> Praxis kann<br />

dazu beitragen, e<strong>in</strong>e Atmosphäre zu schaffen, die es erlaubt, auch belastende<br />

Gefühle, Situationen o<strong>der</strong> Geschichten an sich herankommen zu lassen. <strong>Der</strong><br />

»Ressourcenpool« kann dabei hilfreich se<strong>in</strong>. In e<strong>in</strong>er <strong>Supervision</strong>sgruppe werden<br />

die Ressourcen <strong>der</strong> Teilnehmer im Umgang mit Abschied und <strong>Trauer</strong> gesammelt<br />

und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte auf dem Boden ausgebreitet. Leitfrage dabei ist: Was hilft mir<br />

persçnlich im Umgang mit <strong>Trauer</strong> und Abschied? Die Teilnehmer<strong>in</strong>nen werden<br />

gebeten, bis zur nächsten Sitzung dazu jeweils e<strong>in</strong>en Gegenstand o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Symbol<br />

mitzubr<strong>in</strong>gen. In <strong>der</strong> Gruppe kann dann nach me<strong>in</strong>er Erfahrung <strong>in</strong>nerhalb von<br />

15 M<strong>in</strong>uten e<strong>in</strong>e sehr bewegende »Ressourcentrance« (siehe Revenstorf u.<br />

Zeyer, 1997) entstehen, das heißt e<strong>in</strong>e Fokussierung auf Ressourcen, die nicht nur<br />

kognitiv, son<strong>der</strong>n auch emotional verankert ist und die gleichzeitig auch Handlungsanregungen<br />

gibt: zwei hilfreiche Bücher; e<strong>in</strong>e Kassette mit Meditationsmusik;<br />

e<strong>in</strong> Tuch, das den orientalischen Tanz symbolisiert, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Teilnehmer<strong>in</strong><br />

hilft, mit belastenden Gefühlen kreativ umzugehen; e<strong>in</strong> Kreuz; e<strong>in</strong> Hund; e<strong>in</strong><br />

Edelste<strong>in</strong>, den e<strong>in</strong> Teilnehmer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tasche trägt und herausholt, wenn es<br />

schwierig wird; e<strong>in</strong>e Gitarre … Die Ressourcen tatsächlich <strong>in</strong> Form von Gegenständen<br />

o<strong>der</strong> Symbolen im Raum zu haben, vermittelt den Teilnehmern e<strong>in</strong> vçllig<br />

an<strong>der</strong>es Gefühl, als wenn nur darüber geredet wird.<br />

E<strong>in</strong> wichtiges Thema für die <strong>Supervision</strong> ist es auch, Anregungen zu geben, den<br />

eigenen Arbeitsplatz entsprechend zu gestalten: Die eigenen Ressourcen kçnnen<br />

<strong>in</strong> Form von kle<strong>in</strong>en Symbolen auf dem Schreibtisch, im Stationszimmer o<strong>der</strong> auf<br />

dem Tisch im Beratungszimmer platziert werden und helfen dem Helfer, <strong>in</strong><br />

schwierigen Situationen sich wie<strong>der</strong> zu verankern und zu sich selbst zu f<strong>in</strong>den.<br />

5.7 <strong>Trauer</strong> und Abschied »verkçrpern« <strong>–</strong> Strukturaufstellungen und Timel<strong>in</strong>e<br />

Analoge Mittel s<strong>in</strong>d beson<strong>der</strong>s hilfreich zum Umgang mit <strong>Trauer</strong>, weil sie es<br />

erlauben, <strong>in</strong>tensive Gefühle von außen wahrzunehmen und sie dadurch zu<br />

transformieren. Hier gilt das Pr<strong>in</strong>zip: <strong>Trauer</strong> und Schweres dürfen da se<strong>in</strong>, aber sie<br />

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<strong>Trauer</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong><br />

müssen nicht immer expliziert werden, um Verän<strong>der</strong>ung zu ermçglichen. Wichtig<br />

ist es, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Supervision</strong> <strong>–</strong> im S<strong>in</strong>ne von Bateson <strong>–</strong> <strong>in</strong>haltlich und methodisch e<strong>in</strong>en<br />

Unterschied zu machen, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Unterschied macht, also das bekannte Pr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>der</strong> »wohldosierten Unterschiede« umzusetzen. <strong>Der</strong> Unterschied darf nicht zu<br />

groß se<strong>in</strong>, sonst f<strong>in</strong>det ke<strong>in</strong>e Koppelung statt, er darf aber auch nicht zu kle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>,<br />

sonst wird er nicht wahrgenommen. Die Strukturaufstellung ist e<strong>in</strong>e Methode, die<br />

sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Praxis vielfach bewährt hat, um den Umgang mit <strong>Trauer</strong> und<br />

Abschied zu erleichtern (Sparrer u. von KibØd, 2000; Weber, 2000; Weber 1998).<br />

E<strong>in</strong>e schçne Mçglichkeit, über die <strong>Trauer</strong> h<strong>in</strong>auszugehen und sie gleichzeitig<br />

zu würdigen und wahrzunehmen ist auch die Timel<strong>in</strong>e. Die Timel<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> Lebensflussmethode<br />

dient dazu, zeitliche Abläufe o<strong>der</strong> biografische Sequenzen<br />

sichtbar, erlebbar und verän<strong>der</strong>bar zu machen. Dabei werden <strong>–</strong> entlang e<strong>in</strong>er<br />

imag<strong>in</strong>ierten o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong> Seil o<strong>der</strong> ¾hnliches symbolisierten L<strong>in</strong>ie im Raum<br />

-bestimmte Lebensstationen dargestellt. Diese kçnnen durch Gegenstände<br />

symbolisiert werden o<strong>der</strong> <strong>in</strong>dem Ereignisse und dazugehçrende Ressourcen<br />

e<strong>in</strong>fach auf Zettel geschrieben werden. 3<br />

Markus br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> die Gruppensupervision das Thema e<strong>in</strong>, ob er von X-Stadt, wo er wohnt,<br />

<strong>in</strong> die Kle<strong>in</strong>stadt S. umziehen soll, wo er arbeitet. Die Auftragsklärung ergibt, dass h<strong>in</strong>ter<br />

diesem Anliegen die grundsätzliche Frage steht, wie Markus se<strong>in</strong> Leben künftig an<strong>der</strong>s<br />

gestalten mçchte, welche Weichen er an<strong>der</strong>s stellen will. Beson<strong>der</strong>s geht es ihm darum,<br />

ob er Abschied nehmen kann von all dem Traurigen, das ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben begleitet<br />

hat. »Das Schwere gehçrt so sehr zu mir, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, me<strong>in</strong><br />

Leben an<strong>der</strong>s zu sehen«. Er äußert jedoch Angst, dieses Anliegen <strong>in</strong> die Gruppe e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen,<br />

da es ihm zu persçnlich ersche<strong>in</strong>t und da er befürchtet, dass die an<strong>der</strong>en die<br />

»dunklen Flecken <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben sehen« kçnnten. Da er die Methode <strong>der</strong> Timel<strong>in</strong>e<br />

bereits kennt, kann er sich vorstellen, sich dem Thema auf diesem Weg zu nähern.<br />

Markus wird gebeten, sich zu entscheiden, wo er beg<strong>in</strong>nen mçchte, bei se<strong>in</strong>er Geburt<br />

o<strong>der</strong> bei e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt. Er entscheidet sich für den Zeitpunkt se<strong>in</strong>er Geburt<br />

und symbolisiert diesen durch e<strong>in</strong> Kissen, das er im Raum platziert. Se<strong>in</strong> Lebenslauf wird<br />

durch zu Streifen gedrehtes Flipchart-Papier symbolisiert (die »Timel<strong>in</strong>e« kann auch nur<br />

vorgestellt werden, besser ist das Sichtbarmachen, z.B. durch e<strong>in</strong> Seil). Markus sucht<br />

dann im Raum nach e<strong>in</strong>em Gegenstand, <strong>der</strong> den gegenwärtigen Zeitpunkt verkçrpert.<br />

Nun geht <strong>der</strong> Supervisor mit ihm von <strong>der</strong> Geburt bis zur Gegenwart, auf diesem Weg<br />

werden zu den schwierigen Ereignissen die Ressourcen gesammelt und <strong>in</strong> Form von<br />

Gegenständen auf <strong>der</strong> L<strong>in</strong>ie platziert, die ihm geholfen haben, die schweren Ereignisse,<br />

das Traurige und Belastende <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em bisherigen Leben zu bewältigen.<br />

Die »Cop<strong>in</strong>g-Fragen« aus dem lçsungsorientierten Ansatz (vgl. de Shazer, 1989;<br />

Berg, 1999; Berg u. Miller, 1993; Walter u. Peller, 2002) werden hier »vergegenständlicht«,<br />

ohne dass das entsprechende belastende Ereignis dazu erläutert<br />

3 Ich danke Clemens Schmid-Isr<strong>in</strong>ghausen, <strong>der</strong> mich mit dieser Methode vertraut<br />

gemacht hat.<br />

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werden muss. »Was hat dir geholfen, mit dieser schwierigen Situation fertig zu<br />

werden? Suche dir dafür e<strong>in</strong> Symbol und lege es an den passenden Platz auf <strong>der</strong><br />

Lebensflussl<strong>in</strong>ie.« Damit werden auch die entsprechenden Ressourcen und Bewältigungsformen<br />

stärker erlebbar. Mit <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>fahrung, von <strong>der</strong> Markus<br />

geprägt ist, würde es vermutlich ke<strong>in</strong>en großen Unterschied machen, die <strong>Trauer</strong><br />

und das Schwere zu repräsentieren. <strong>Der</strong> Supervisor schlägt deshalb vor, stattdessen<br />

die Ressourcen anwesend zu machen. Nach dem Pr<strong>in</strong>zip des »Anwesendmachens<br />

von Nichtanwesenden« (Weiss, 1989) werden hier nicht Familienmitglie<strong>der</strong>,<br />

son<strong>der</strong>n eigene Fähigkeiten <strong>in</strong> den Raum geholt. Nach dem Auslegen<br />

aller Ressourcen auf <strong>der</strong> Timel<strong>in</strong>e geht <strong>der</strong> Supervisor mit Markus an <strong>der</strong> Lebensl<strong>in</strong>ie<br />

entlang, Markus sammelt die Ressourcen e<strong>in</strong>, die vom Supervisor jeweils<br />

nochmals wertschätzend kommentiert werden. Beim Gegenwartspunkt<br />

angekommen, wird Markus aufgefor<strong>der</strong>t, kçrperlich zu spüren, wie es sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gegenwart anfühlt. Bei <strong>der</strong> Lebensflussmethode kommt es darauf an, über<br />

Ressourcen o<strong>der</strong> Ereignisse nicht nur zu sprechen, son<strong>der</strong>n sie erfahrbar zu<br />

machen. Hier kann die Methode des Focus<strong>in</strong>g sehr hilfreich se<strong>in</strong>. »E<strong>in</strong>er kçrperlichen<br />

Wirkung nachzuspüren, erweist sich als e<strong>in</strong> nicht willkürlicher Prüfste<strong>in</strong>.<br />

Damit kann <strong>der</strong> Therapeut nutzen, was die verschiedenen Ansätze zu bieten<br />

haben <strong>–</strong> und rasch alles fallen lassen, das ke<strong>in</strong>e Auswirkung auf das kçrperliche<br />

Erleben hat« (Gendl<strong>in</strong>, 1998, S. 24). Markus schaut dann mit se<strong>in</strong>en Ressourcen<br />

im Arm <strong>in</strong> die Zukunft und spürt, wie sich das anfühlt. »Es fühlt sich gut und leicht<br />

an, ah, wirklich gut!« Zum Schluss geht Markus mit dem Berater noch e<strong>in</strong>ige<br />

Schritte <strong>in</strong> die Zukunft, verweilt e<strong>in</strong>en Moment an dem Ort, bis zu dem er gehen<br />

mçchte, und schaut dann von dort aus zurück auf se<strong>in</strong> bisheriges Leben, erfüllt<br />

von Stolz und Dankbarkeit darüber, was er alles geschafft hat.<br />

6 Fazit<br />

<strong>Trauer</strong> und Abschied s<strong>in</strong>d existenzielle Grun<strong>der</strong>fahrungen, sie brauchen auch <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>systemischen</strong> <strong>Supervision</strong> und Beratung Zeit und Raum: im Leben von<br />

Klienten und Supervisanden ebenso wie im Leben von Supervisoren und Beratern<br />

und <strong>in</strong> den Ritualen und Abläufen helfen<strong>der</strong> Institutionen. <strong>Trauer</strong> zuzulassen<br />

und zu transformieren setzt schçpferische Kräfte frei, das sagen (nicht nur) die<br />

Dichter uns immer wie<strong>der</strong>. Beson<strong>der</strong>s prägnant hat es William Blake formuliert:<br />

»Joys impregnate. Sorrows br<strong>in</strong>g forth.<br />

Freude zeugt. Leid gebiert.«<br />

(William Blake, Die Hochzeit von Himmel und Hçlle)<br />

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