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Am Unt er l auf d er Wil isch Her bst t ag<br />
Grießbach verlassend win<strong>de</strong>t sich die Wilisch bis zu ihrer Mündung in die<br />
Zschopau bei Wilischthal durch ein enges Tal mit sehenswerten Steilhängen,<br />
hohen Bäumen und dichten Sträuchern sowie für das Erzgebirge typischen<br />
Fachwerk-Häusern – einige davon unmittelbar an <strong>de</strong>r Wilisch stehend.<br />
Der ausgebaute und bequeme Wan<strong>de</strong>rweg, einst Strecke <strong>de</strong>r Schmalspurbahn,<br />
führt bis zum Ort Schlößchen direkt an <strong>de</strong>r Wilisch entlang, die meist ruhig<br />
und friedlich auf ihrem Unterlauf dahin plätschert – nur ab und an durch<br />
Spuren kleiner Wehre gestaut, um dann bei <strong>de</strong>ren Überfließen kurzzeitig in<br />
ihrem Lauf beschleunigt zu wer<strong>de</strong>n, kleine weiße, rauschen<strong>de</strong> Wellen bil<strong>de</strong>nd.<br />
Der erkun<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Wan<strong>de</strong>rer sollte dort, wo <strong>de</strong>r bequeme Weg an <strong>de</strong>r Wilisch en<strong>de</strong>t,<br />
versuchen weiterzugehen. Läuft er eine kleine Strecke auf einem schmalen,<br />
ansteigen<strong>de</strong>n Weg bergauf, kann er schon bald über einen steilen, verwil<strong>de</strong>rten<br />
Tal-Hang wie<strong>de</strong>r zum Fluss hinuntersteigen, wo er mit einigen Überraschungen<br />
belohnt wird. Da ist zum einen die Aussicht über die Wilisch hinweg zu<br />
<strong>de</strong>n letzten Spuren <strong>de</strong>r einstigen Wilischthaler Papierfabrik, die in <strong>de</strong>n Farben<br />
<strong>de</strong>s Herbstes getaucht o<strong>de</strong>r eingehüllt in eine Winter-Landschaft wie ein verwunschener<br />
Ort erscheint (Kalen<strong>de</strong>rblatt Oktober, Rückseite). Ferner <strong>de</strong>r zuwachsen<strong>de</strong><br />
Bahndamm <strong>de</strong>r Schmalspurbahn und die inzwischen romantisch<br />
wirken<strong>de</strong>n, für die Anschlussbahngleise in das einstige Werk erfor<strong>de</strong>rlichen<br />
Eisen-Brücken über die Wilisch. Aber es klingt an diesem Ort noch etwas an<strong>de</strong>res<br />
mit, etwas, das Vergehen, Bleiben und Wer<strong>de</strong>n auf eine tröstliche Weise<br />
spiegelt. Von solchen und ähnlichen Gedanken belebt, gelangt man im Ort<br />
Wilischthal, nahe <strong>de</strong>r Wilisch-Mündung, zu einer großen Wehr-Anlage <strong>de</strong>s<br />
Flusses (Kalen<strong>de</strong>rblatt Oktober), die für die Wasserversorgung <strong>de</strong>r einstigen<br />
Papierfabrik und das Betreiben <strong>de</strong>r Öl- und Mahlmühle lebenswichtig war.<br />
Eine Besichtigung <strong>de</strong>s Wehres und seiner Anlage lohnt sich nicht nur, weil es<br />
von längst vergangenen Zeiten erzählt, son<strong>de</strong>rn weil es auch zu je<strong>de</strong>r Jahreszeit<br />
im Zusammenspiel mit <strong>de</strong>r Landschaft ein sehenswertes Ereignis bil<strong>de</strong>t – beson<strong>de</strong>rs<br />
in <strong>de</strong>r Farbenfülle <strong>de</strong>r bewal<strong>de</strong>ten Höhe im Herbst, die hinter <strong>de</strong>m<br />
Wehr steil aufsteigt. Der Wan<strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>r die Wilisch über eine kleine Holzbrücke<br />
beim Ort Schlößchen überquert, läuft an einem alten Fachwerkhaus vorbei,<br />
direkt auf das schöne Anwesen <strong>de</strong>s Waldhotels Schlößchen zu (Kalen<strong>de</strong>rblatt<br />
Oktober, Rückseite). Er wird in <strong>de</strong>r gemütlichen Schänke rasten, um sich<br />
danach auf <strong>de</strong>n kurzen Weg zum imposanten Wilisch-Wehr beziehungsweise<br />
zur Wilisch-Mündung zu begeben.<br />
HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.<br />
Leg <strong>de</strong>inen Schatten auf die Sonnenuhren,<br />
und auf <strong>de</strong>n Fluren laß die Win<strong>de</strong> los.<br />
Befiehl <strong>de</strong>n letzten Früchten voll zu sein;<br />
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,<br />
dränge sie zur Vollendung hin und jage<br />
die letzte Süße in <strong>de</strong>n schweren Wein.<br />
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.<br />
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,<br />
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben<br />
und wird in <strong>de</strong>n Alleen hin und her<br />
unruhig wan<strong>de</strong>rn, wenn die Blätter treiben.<br />
Rainer Maria Rilke<br />
Industriebau an <strong>de</strong>r Wilisch bei Wilischthal Waldhotel Schlößchen – nahe <strong>de</strong>r Wilisch-Mündung in die Zschopau gelegen Aufgegeben – letzte Spuren <strong>de</strong>r Papierfabrik in Wilischthal<br />
Romant isches Er zgebir ge An <strong>de</strong>r Wil isch e nt l ang<br />
Landschaften und Orte | Mit Gedichten von Goethe, Hermann Hesse, Novalis und Rilke<br />
2011