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Spät her bst a n <strong>de</strong>r Wil isch Ich l ebe mein Leben<br />

Dort zu stehen, wo die Wilisch in die Zschopau bei Wilischthal mün<strong>de</strong>t,<br />

ist immer ein zauberhafter Anblick – ganz gleich, ob im mil<strong>de</strong>n Sonnenlicht<br />

eines Frühlingsnachmittages, an einem warmen Sommerabend, in <strong>de</strong>r<br />

Farbenpracht eines dunstigen Herbstmorgens o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Kälte eines schneereichen<br />

Wintermittages (Kalen<strong>de</strong>r-Titelblatt).<br />

Es ist Herbst an <strong>de</strong>r Wilisch gewor<strong>de</strong>n. Die Fichten stehen dunkelgrün und<br />

glanzlos. Die Blätter <strong>de</strong>r Bäume liegen schon längst als nasses Laub auf <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>. Auch die Lärchen sind kahl und schmucklos. Nur die Eiche, in Mythen<br />

und Sagen oft ein heiliger Baum und nicht selten von bestaunenswerter<br />

Gestalt, hält ihr Laubwerk noch fest – braun und welk und unansehnlich –<br />

bis zum Frühling. Der Herbst hat seine Arbeit gründlich getan. Mit starken<br />

Win<strong>de</strong>n, tagelangem Regen, Kälte. Über das Land an <strong>de</strong>r Wilisch ist eine Zeit<br />

<strong>de</strong>r trüben, dunklen und kurzen Tage gekommen – mit grauen, tief ziehen<strong>de</strong>n<br />

Wolken. Und dann gibt es ab und an diese mil<strong>de</strong>n Nebel-Frühen, an <strong>de</strong>nen<br />

man nicht nur erlebt, wie bei Sonnenaufgang ein verwirren<strong>de</strong>s Licht durch <strong>de</strong>n<br />

weißen Nebel dringt, son<strong>de</strong>rn wie er sich sachte und unmerklich erst auf <strong>de</strong>n<br />

Höhen, dann in <strong>de</strong>n Tälern auflöst. Nur über <strong>de</strong>m Wilisch-Tal, über <strong>de</strong>m Fluss<br />

spannt sich, wie von Zauberhand gezogen, noch eine Zeit lang ein schmales,<br />

langes und weißes Nebelband (Kalen<strong>de</strong>rblatt November). Dem Nebel-Morgen<br />

ist ein glanzvoller, klarer und heiterer Spät-Herbsttag entstiegen. Es ist, als ob<br />

die Natur plötzlich auf eine wun<strong>de</strong>rsame Weise still stän<strong>de</strong>, sich nicht entschei<strong>de</strong>n<br />

könne, wohin die Reise gehen soll o<strong>de</strong>r als ob sie <strong>de</strong>n durch die Menschen<br />

oft als schmerzlich empfun<strong>de</strong>nen Abschied von Sommer und Herbst durch<br />

einen solch lichten Tag lin<strong>de</strong>rn wolle. Doch die Reise geht vielleicht schon am<br />

nächsten Morgen weiter. Der Winter klopft an – mit Raureif in <strong>de</strong>n Wilisch-<br />

Auen, auf Fel<strong>de</strong>rn, Wiesen und Sträuchern, auf Dächern und Zäunen, mit<br />

vereisten Bäumen, vergol<strong>de</strong>t durch die kalte Novembersonne. Die Natur hat<br />

wie<strong>de</strong>r einmal gezaubert. Durch eine dünne weiße Pracht, die die Hoffnung<br />

und Freu<strong>de</strong> auf einen schneereichen, kalten Winter wach ruft. So verlieren<br />

allmählich die trüben, nasskalten und kurzen Tage ihren Schrecken – nicht<br />

nur wegen <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n lichten Wintertage, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r<br />

nahen<strong>de</strong>n, leuchten<strong>de</strong>n und kerzenreichen Adventszeit mit ihrer traditionellen<br />

und beson<strong>de</strong>ren Herrlichkeit im Erzgebirge, in <strong>de</strong>n Dörfern und Städten entlang<br />

<strong>de</strong>r Wilisch.<br />

Erinnernd an die im Krieg 1914 bis 1918 Gefallenen Brücken-Denkmal <strong>de</strong>r Schmalspurbahn über die Zschopau – Früher Winter an <strong>de</strong>r Wilisch<br />

vor <strong>de</strong>r Wilisch-Mündung<br />

Ich lebe mein Leben in wachsen<strong>de</strong>n Ringen,<br />

die sich über die Dinge ziehn.<br />

Ich wer<strong>de</strong> <strong>de</strong>n letzten vielleicht nicht vollbringen,<br />

aber versuchen will ich ihn.<br />

Ich kreise um Gott, um <strong>de</strong>n uralten Turm,<br />

und ich kreise jahrtausen<strong>de</strong>lang;<br />

und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke,<br />

ein Sturm o<strong>de</strong>r ein großer Gesang.<br />

Rainer Maria Rilke<br />

Romant isches Er zgebir ge An <strong>de</strong>r Wil isch e nt l ang<br />

Landschaften und Orte | Mit Gedichten von Goethe, Hermann Hesse, Novalis und Rilke<br />

2011

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