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Kreatives Schreiben und narrative Ansätze in der ... - DGSF

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Mathias Klasen<br />

Menschen pflegt, können sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit verän<strong>der</strong>n. Überlegen Sie, wie es bei<br />

Ihnen ist?<br />

– Welche Erwartungen haben me<strong>in</strong>e Mutter <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e nahestehende Menschen an mich<br />

gestellt? Versuche ich, diese Erwartungen zu erfüllen? Ärgere ich mich vielleicht auch<br />

darüber? Und, ganz wichtig: Welche Erwartungen habe ich an mich selbst?<br />

Das <strong>Schreiben</strong> kann auch anstrengend se<strong>in</strong> <strong>und</strong> viel Energie benötigen, suchen Sie sich<br />

daher e<strong>in</strong>e Möglichkeit, diese Anspannung wie<strong>der</strong> zu lösen. Sie könnten sich e<strong>in</strong>e Tasse<br />

Tee machen <strong>und</strong> diese <strong>in</strong> aller Ruhe tr<strong>in</strong>ken o<strong>der</strong> auch mit e<strong>in</strong>er Ihnen nahestehenden<br />

Person telefonieren. Probieren Sie aus, was für Sie am besten ist. <strong>Schreiben</strong> Sie mir dann<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Woche, was Sie <strong>in</strong> Ihrem Alltag beobachten konnten, wie es Ihnen mit den<br />

beiden Aufgaben ergangen ist <strong>und</strong> schicken Sie mir die Texte Ihrer Schreibaufgabe mit.<br />

Ich b<strong>in</strong> schon sehr gespannt darauf, wie<strong>der</strong> von Ihnen zu hören, <strong>und</strong> wünsche Ihnen<br />

weiterh<strong>in</strong> viel Kraft <strong>in</strong> den nächsten Tagen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en guten Start <strong>in</strong> die Woche!<br />

Frau M.: »Re: Erste Schreibsitzung«<br />

Das Bild, <strong>in</strong> dem me<strong>in</strong>e Mutter über dünnes Eis geht, hat mir sehr gefallen <strong>und</strong> geholfen.<br />

Es zeigt ganz gut die Zerbrechlichkeit <strong>der</strong> Situation. Sie muss alle<strong>in</strong> den Weg gehen, aber<br />

ich kann ihr Hilfe anbieten <strong>und</strong> die Hand reichen. Wenn wir nicht vorsichtig s<strong>in</strong>d, landen<br />

wir beide im eiskalten Wasser. Es gilt, gegenseitig aufmerksam zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> sich immer<br />

wie<strong>der</strong> neu ranzutasten. Das s<strong>in</strong>d so me<strong>in</strong>e Gedanken dazu, Ihnen vielen Dank dafür.<br />

Jetzt zu den Aufgaben. […]<br />

Bei <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Lebensgeschichte überwiegt das Schwere, es verb<strong>in</strong>det uns viel<br />

Kummer, Sorge, Krankheit, Tod. Me<strong>in</strong>e Mutter kommt aus sehr e<strong>in</strong>fachen Verhältnissen,<br />

hat mit 14 Jahren ihre Mutter verloren <strong>und</strong> wurde mit 16 aus dem Haus geschickt zum<br />

Geld verdienen. Sie hat als Haushaltshilfe gearbeitet <strong>und</strong> dann mit 20 me<strong>in</strong>en Vater<br />

kennengelernt. Er war 22 <strong>und</strong> musste sehr früh die Familiengärtnerei übernehmen, da<br />

se<strong>in</strong> Vater auch verstorben war. Über allem regierte me<strong>in</strong>e Oma, die nie e<strong>in</strong> gutes Verhältnis<br />

zur Schwiegertochter hatte, wir wohnten aber alle unter e<strong>in</strong>em Dach … das war<br />

sehr konfliktreich. […] Mir ist also schon lange klar, dass ich für me<strong>in</strong>e Mutter »zuständig«<br />

b<strong>in</strong>. Die Krankheit entwickelte sich sehr langsam, viele Jahre kam sie auch meist<br />

alle<strong>in</strong> damit zurecht, seit zwei Jahren beschäftigt sie mich mit, seit e<strong>in</strong>em Jahr gibt es viele<br />

Krisen zu bewältigen, physisch <strong>und</strong> psychisch. […]<br />

Ich möchte me<strong>in</strong>e Mutter gut versorgt wissen <strong>und</strong> auch für sie da se<strong>in</strong>, das heißt für<br />

mich jedoch nicht, dass ich das alles selbst machen muss. Ich b<strong>in</strong> voll berufstätig <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong>zeit geht das alles noch, falls jedoch die Pflegebedürftigkeit zunimmt, ist für mich auch<br />

e<strong>in</strong>e stationäre Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Heim o<strong>der</strong> Hospiz nicht ausgeschlossen. Ich<br />

habe das mit me<strong>in</strong>er Mutter kommuniziert, <strong>und</strong> da sie eh die wenigsten Entscheidungen<br />

<strong>in</strong> ihrem Leben selbst getroffen hat, überlässt sie vermutlich auch diese mir. »Wenn es<br />

nicht an<strong>der</strong>s geht, dann muss ich halt«, ist die Antwort. Wenn mir so e<strong>in</strong>iges nicht klar ist,<br />

aber ich weiß ganz sicher, dass ich we<strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Arbeit noch me<strong>in</strong>en Wohnort für die<br />

Pflege me<strong>in</strong>er Mutter aufgeben würde. Me<strong>in</strong>e Mutter erwartet – etwas zu selbstverständlich<br />

– bed<strong>in</strong>gungslose Zuwendung, jedoch von mir. Sie unterstreicht das immer<br />

wie<strong>der</strong> mit Aussagen: »Du gehst zwei Tage dich mit de<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>en vergnügen <strong>und</strong> ich<br />

sitze hier wie<strong>der</strong> krank <strong>und</strong> alle<strong>in</strong>«, »gib acht auf dich, wenn dir was passiert, habe ich ja<br />

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KONTEXT 44,2, S. 149 – 174, ISSN 0720-1079<br />

Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçtt<strong>in</strong>gen 2013

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