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Kreatives Schreiben und narrative Ansätze in der ... - DGSF

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<strong>Kreatives</strong> <strong>Schreiben</strong> <strong>und</strong> <strong>narrative</strong> <strong>Ansätze</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> systemischen Onl<strong>in</strong>eberatung<br />

»Me<strong>in</strong> Regentagebrief« – entstanden im Urlaub, orig<strong>in</strong>algetreu abgetippt<br />

Liebe Britta,<br />

jetzt hat sich e<strong>in</strong> großer Wunsch von dir erfüllt: Du bist endlich mal wie<strong>der</strong> am Meer! Du<br />

genießt die Weite, die Sonne, die Wellen, den Sand unter den Füßen … schön, dass du die<br />

Tage genießen kannst, auch wenn dich de<strong>in</strong>e Mutter beziehungsweise eure Situation<br />

ständig begleitet. Aber du weißt, sie ist versorgt <strong>und</strong> gewisse D<strong>in</strong>ge hast du nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Hand <strong>und</strong> musst sie auch nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand haben. Du bist st<strong>und</strong>enlang am Strand,<br />

beobachtest, wie das Wasser kommt <strong>und</strong> geht, wie sich <strong>der</strong> Sand verän<strong>der</strong>t, manchmal<br />

denkst du, manchmal nicht, lässt dich treiben <strong>und</strong> hast zum Glück wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Blick für<br />

die schönen Augenblicke. Erschrecken<strong>der</strong>weise g<strong>in</strong>g das zu Beg<strong>in</strong>n des Jahres verloren.<br />

Es g<strong>in</strong>g dir nicht gut, physisch <strong>und</strong> psychisch weit unten … Als die Gürtelrose ausbrach<br />

<strong>und</strong> du krank geschrieben warst <strong>und</strong> irgendwann auch wie<strong>der</strong> die Kraft zum Nachdenken<br />

hattest, wusstest du, dass du irgendwie e<strong>in</strong>en Schalter umlegen musst, um gut weiterzuleben<br />

trotz beziehungsweise mit <strong>der</strong> Erkrankung de<strong>in</strong>er Mutter. Ich glaube, damals<br />

wolltest du vielleicht zu viel – de<strong>in</strong> altes, unabhängiges Leben mit viel Freiheiten <strong>und</strong> die<br />

Versorgung de<strong>in</strong>er Mutter alle<strong>in</strong> stemmen. Es ist dir nicht gelungen, Kompromisse zu<br />

f<strong>in</strong>den, die Lebenssituation so zu akzeptieren <strong>und</strong> trotzdem e<strong>in</strong>en Weg zu f<strong>in</strong>den – e<strong>in</strong>e<br />

»kle<strong>in</strong>e Lösung« sozusagen. Du musstest mühsam lernen, dass solche Prozesse auch Zeit<br />

brauchen <strong>und</strong> du aktiv Hilfe e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n musst. Die Hilfe anzunehmen war dann leichter,<br />

aber das ist <strong>der</strong> Verdienst von Herr Klasen, <strong>der</strong> hat es dir wirklich leicht gemacht. Ich<br />

glaube, dass manche Gedanken schon <strong>in</strong> dir waren, aber durch se<strong>in</strong>e Hilfe konntest du sie<br />

formulieren, zu Ende denken <strong>und</strong> an Lösungen basteln. Weißt du noch, zu Beg<strong>in</strong>n? Du<br />

hast dir <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Mail gewünscht, <strong>in</strong> den Gesprächen mit de<strong>in</strong>er Mutter weniger<br />

aggressiv <strong>und</strong> wütend zu se<strong>in</strong>. Du hast um Kommunikationsregeln gebeten, hast aber<br />

gleichzeitig geahnt, dass das mit Regeln nicht getan ist – es geht um e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Haltung.<br />

Inzwischen schaffst du es öfters, dich <strong>in</strong> die Lage de<strong>in</strong>er Mutter zu versetzen, <strong>und</strong> die Wut<br />

ist deutlich weniger geworden. Du machst auch wie<strong>der</strong> schöne D<strong>in</strong>ge. Triffst dich mit<br />

de<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>en, genießt die Natur, bist entspannter. Und du sitzt hier am Meer, vor<br />

e<strong>in</strong>em Jahr nicht vorstellbar. Mit dem Wasser, den Wellen ist es so wie mit dem Leben.<br />

Manchmal plätschert es gemächlich vor sich h<strong>in</strong>, es gibt magische, beson<strong>der</strong>s schöne<br />

Momente – e<strong>in</strong> Sonnenuntergang zum Beispiel, aber es kann auch dramatisch se<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

die Wellen peitschen hoch. Aber es beruhigt sich auch wie<strong>der</strong>, wird wie<strong>der</strong> normal – so ist<br />

Leben.<br />

Beratermail: »Siebte Schreibsitzung – e<strong>in</strong> schöner Brief!«<br />

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für Ihre lieben Zeilen bedanken <strong>und</strong> Ihnen auch gern<br />

schreiben, dass mich diese beim Lesen sehr berührt haben! Ganz beson<strong>der</strong>s möchte ich<br />

mich bei Ihnen für Ihren w<strong>und</strong>erschönen, ganz persönlichen Regentagebrief bedanken!<br />

Sie schreiben, dass das <strong>Schreiben</strong> Ihnen nicht leicht fiel <strong>und</strong> <strong>der</strong> Brief Ihnen zunächst<br />

nicht gel<strong>in</strong>gen wollte, im Urlaub Sie dann jedoch den nötigen Abstand <strong>und</strong> die nötige<br />

Ruhe f<strong>in</strong>den konnten. Sie haben <strong>in</strong> Ihrem Brief so viele verschiedene, so viele schöne<br />

D<strong>in</strong>ge angesprochen, dass ich ihn mir gleich mehrmals durchgelesen habe! In Ihrem<br />

Regentagebrief wird deutlich, wie Sie <strong>in</strong> den letzten Wochen Ihren Blickw<strong>in</strong>kel verän<strong>der</strong>t<br />

haben. Mit e<strong>in</strong>em Lächeln im Gesicht sitze ich hier im Büro <strong>und</strong> lese mir Ihre vergangenen<br />

Nachrichten an mich durch […] Liebe Frau M., sehr gern habe ich Sie e<strong>in</strong> Stück<br />

KONTEXT 44,2, S. 149 – 174, ISSN 0720-1079<br />

Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçtt<strong>in</strong>gen 2013 171

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