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Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net

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146 Winfried Schulze <strong>Die</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Landesdefensionen</strong> <strong>im</strong> <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jh. 147<br />

auch genau zu beobachten. Er soll nur von Adeligen geführt werden, so<br />

daß er <strong>im</strong> Revoltenfall führerlos ist. Auch das negative Exempel des<br />

Bauernkrieges stehe ihm vor Augen, <strong>und</strong> schließlich sei man den Untertanen<br />

auch weiterhin mit Waffen, Geschütz <strong>und</strong> Festungen überlegen.<br />

Mit der Hoffnung, daß das ganze Defensionswerk schließlich ein<br />

neues Vertrauensverhältnis zwischen Untertanen <strong>und</strong> Obrigkeiten<br />

schaffe, geht Johann dann zum 2. Argument über, seiner Kritik an der<br />

normalen Herrschaftspraxis in den Territorien. Was wirklich zu einem<br />

neuen Bauernkrieg Anlaß gebe, sei die Belastung der Untertanen mit<br />

allen möglichen Abgaben <strong>und</strong> <strong>Die</strong>nsten <strong>und</strong> ihre Vernachlässigung <strong>im</strong><br />

Falle der Not. <strong>Die</strong>se Obrigkeiten bedachten nicht die mutua obligatio<br />

zwischen Herrn <strong>und</strong> Untertanen.<br />

Ohne jetzt diesen Begriff der mutua obligatio in die Staatstheorie des<br />

europäischen Calvinismus einordnen zu können, scheint die Argumentationsweise<br />

des nassauischen Grafen an dieser Stelle von besonderer<br />

Bedeutung. Auch wenn zu bedenken ist, daß in den meisten der eingerichteten<br />

Defensionswerke seine Anweisungen wenig Nachahmung<br />

fanden <strong>und</strong> daß seine Anleitungen zur Herstellung eines dauerhaften<br />

Vertrauensverhältnisses zwischen Herrschaft <strong>und</strong> Untertanen den theoretischen<br />

Höhepunkt seines Landesdefensionssystems darstellt, muß die<br />

verbreitete Praxis der Defensionswerke mit ihrer gr<strong>und</strong>legenden Einbeziehung<br />

der Untertanen ein beachtenswerter Hinweis auf die Herrschaftspraxis<br />

<strong>und</strong> ihre Hinnahme seitens der Untertanen sein. Wenn es<br />

gewiß auch verfehlt wäre, die Vorstellungen des Grafen <strong>und</strong> anderer<br />

Militärhistoriker von der Beziehung zwischen Vaterland <strong>und</strong> Untertan<br />

schon für die Realität anzusehen, so muß man doch als beachtlich festhalten,<br />

daß schon zwei Generationen nach dem Bauernkrieg die Untertanen<br />

auf relativ breiter Front in die Landesverteidigung integriert<br />

wurden, ihnen in vielen Fällen die Waffen mit nach Hause gegeben<br />

wurden.<br />

Doch auch hier findet sich jene schon oben erwähnte Ambivalenz wieder.<br />

<strong>Die</strong> Einbeziehung der Untertanen in die Landesdefension hatte<br />

zwar positive Auswirkungen auf die Stellung der Untertanen <strong>im</strong> Territorialstaat,<br />

aber diese Einbeziehung sollte auch den Untertanen erziehen,<br />

ja umformen. Das ausführliche „Sendschreiben" des hessischen<br />

Landgrafen Moritz macht dies ebenso deutlich wie die „Motive" des<br />

Grafen Johann. Für Moritz ist die disciplina militaris ein wichtiger<br />

Ansatzpunkt für eine Disziplinierung aller Untertanen, für die Hebung<br />

der allgemeinen Moral, für den Kampf gegen otium <strong>und</strong> voluptas, zur<br />

letztlichen Herstellung des „ordo", d. h. eines konfliktfreien Verhältnisses<br />

von Herrschaft <strong>und</strong> Untertanen 45 . Ohne jetzt auf die Frage einer<br />

spezifisch calvinistischen Herleitung solcher Vorstellungen einzugehen,<br />

soll auf die allgemeine Entwicklung der <strong>deutschen</strong> Territorialstaaten <strong>im</strong><br />

späten <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert hingewiesen werden, die durch die zunehmende<br />

Tendenz zum Eingriff in die Privatsphäre gekennzeich<strong>net</strong> ist. Sie war<br />

— darauf hat zuletzt Wolfgang Reinhard hingewiesen — keineswegs<br />

konfessionsspezifisch, sondern erfaßte alle Territorialstaaten, <strong>und</strong> deshalb<br />

scheint mir auch der Hinweis darauf notwendig zu sein. Der Versuch<br />

militärischer Disziplinierung ist nur ein Teilaspekt einer allgemeinen<br />

Bewegung".<br />

IV.<br />

Doch kehren wir nach dieser Beleuchtung einiger geistesgeschichtlicher<br />

<strong>und</strong> dazu auch sehr gut erforschter Fragen zurück zu den <strong>Landesdefensionen</strong><br />

<strong>und</strong> zur abschließenden Frage nach Erfolg oder Mißerfolg<br />

<strong>und</strong> der daraus folgenden historischen Bewertung. <strong>Die</strong>se Frage ist oft<br />

genug gestellt worden, <strong>und</strong> eine zunächst militärische Erfolge abwägende<br />

Antwort muß betonen, daß bedeutende Siege von Defensionstruppen<br />

nicht zu verzeichnen sind. Wir wissen in einigen Fällen von der erfolgreichen<br />

Abwehr eines Truppendurchzugs, manchmal bewähren sich Ausschußtruppen<br />

auch in größeren Truppenkörpern wie etwa bei der bayerischen<br />

Exekution gegen Donauwörth. Bemerkenswert ist auch, daß<br />

Graf Johann von Nassau seinen Ausschuß gegen die Stadt Siegen einsetzte,<br />

die gegen die Einführung des calvinistischen Bekenntnisses Widerstand<br />

leistete. Doch sowohl der Türkenkrieg wie auch der 30jährige<br />

Krieg sind nicht von Ausschußtruppen gekämpft worden, vielmehr erleben<br />

eingesetzte Aufgebote blutige Niederlagen wie die badensischen<br />

in der Schlacht von W<strong>im</strong>pfen 1622 (gegen Tilly) oder die württembergischen<br />

in der Schlacht von Nördlingen 1634. Doch wie so oft trifft eine<br />

so nachgefragte Erfolgsbilanz nicht den entscheidenden Punkt. Wesentlicher<br />

erscheint die Tatsache, daß auch nach dem 30jährigen Krieg das<br />

Landesdefensionssystem eine praktische Reorganisation <strong>und</strong> auch eine<br />

theoretische Renaissance erlebte, wenn wir an die Äußerungen von<br />

Veit Ludwig von Seckendorff, Kaspar Klock, Leibniz, Spinoza, Flemming<br />

<strong>und</strong> Friedrich dem Großen denken. Flemmings Plädoyer — das<br />

auch den Begriff Land-Milice <strong>und</strong> National-Truppen verwendet — für<br />

die parallele Existenz von stehendem Söldnerheer <strong>und</strong> Landesdefension<br />

45 Vgl. Thies. Territorialstaat <strong>und</strong> Landesdefension (Anm. 26), 56. Das Zitat<br />

Oestreichs in: Der römische Stoizismus <strong>und</strong> die oranische Heeresreform, in:<br />

ders., Geist <strong>und</strong> Gestalt des frühmodernen Staates (Anm. 5), 26.<br />

46 Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu<br />

einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische<br />

Forschung 10 (1983), 257 - 271, der natürlich (ebd. 276) auch auf Oestreichs<br />

Begriff der „Sozialdisziplinierung" verweist.<br />

10.

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