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Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net

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138 Winfried Schulze <strong>Die</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Landesdefensionen</strong> <strong>im</strong> <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jh. 139<br />

Es entsteht das Bild eines militärischen Musterstaats bis hin zu jenem<br />

Manöver <strong>im</strong> Herbst 1592, in dem der nassauische <strong>und</strong> solmsische Ausschuß<br />

nahe bei Dillenburg ihre Fähigkeiten zu beweisen versuchten,<br />

wobei die Manöverlage davon ausging, daß das durch den Türkenkrieg<br />

geb<strong>und</strong>ene Reich von Truppen entblößt sei <strong>und</strong> dann von spanischen<br />

Truppen angegriffen werde. Alle diese militärischen Reformmaßnahmen<br />

— <strong>und</strong> hier scheint ein erster wesentlicher Unterschied zu<br />

Schwendi zu liegen — wurden Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion<br />

<strong>und</strong> intensiver Diskussion mit befre<strong>und</strong>eten Fürsten, so daß der kriegswissenschaftliche<br />

Nachlaß des Grafen Johann einen beachtlichen Umfang<br />

aufweist, von dem die Hahlweg'sche Edition bewußt nur einen Teil<br />

bietet-'.<br />

Neben den österreichischen, bayerischen, elsässischen <strong>und</strong> Wetterauer<br />

Defensionswerken, von deren Existenz wir nun zumindest kurz gehört<br />

haben, können wir an der Wende vom <strong>16.</strong> zum <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert bzw. <strong>im</strong><br />

Jahrzehnt danach eine ganze Reihe weiterer Defensionssysteme feststellen.<br />

Es besteht durchaus Anlaß zu der Vermutung, daß der Reichspfennigmeister<br />

Zacharias Geizkofler 1604 in einem Gutachten eine<br />

richtige Beobachtung niederschrieb, wenn er davon sprach, daß „auch<br />

bey einem Jar oder 5 her fast die maisten fürsten <strong>im</strong> Reich schöne Defensionsordnungen<br />

angestelt <strong>und</strong> ir landtvolk also armiren <strong>und</strong> abrichten<br />

lassen, das man sich auf alle notfäll irer nit weniger als besoldter<br />

leuth zu gebrauchen" 25. Er empfahl diese allgemeinen Muster <strong>und</strong> insbesondere<br />

die hessische Ordnung zur Nachahmung in den österreichischen<br />

Erblanden, deren frühe Ordnungen offensichtlich inzwischen<br />

hinter die nassauische Entwicklungsstufe zurückgefallen waren, denn<br />

bei der hessischen Ordnung des Landgrafen Moritz handelt es sich ja<br />

um eine durch den Nassauer beeinflußte Ordnung, deren Gr<strong>und</strong>überlegungen<br />

allerdings von Landgraf Moritz in einer umfangreichen Denkschrift<br />

von 1601/2 niedergelegt wurden 26 . Neben den bislang erwähnten<br />

Defensionswerken sind entsprechende Einrichtungen aus dem Kurfürstentum<br />

Mainz, den fränkischen Bistümern Würzburg <strong>und</strong> Bamberg,<br />

der Kurpfalz, Württemberg, Braunschweig-Wolfenbüttel, Brandenburg-<br />

Preußen, Baden-Durlach, Ansbach, Kursachsen, Sachsen-We<strong>im</strong>ar,<br />

Schwarzburg-Rudolstadt <strong>und</strong> -Sonderhausen <strong>und</strong> den schlesischen Fürstentümern<br />

bekannt27.<br />

24 Vgl. dazu meine Rezension des „Kriegsbuches" in: Zeitschrift für historische<br />

Forschung 1 (1974), 233 - 239.<br />

25 Das Gutachten <strong>im</strong> Staatsarchiv Ludwigsburg, 13 90, Büschel 391 („Discurs<br />

wie das ungarische Kriegswesen dieser Zeit ... anzustellen").<br />

26 <strong>Die</strong>ses Gutachten wird ausführlich kommentiert bei Gunter Thies, Territorialstaat<br />

<strong>und</strong> Landesverteidigung. Das Landesdefensionswerk in Hessen-<br />

Kassel unter Landgraf Moritz (1592 - 1627), Darmstadt <strong>und</strong> Marburg 1973,<br />

29 ff.<br />

Von besonderem Interesse bei diesem Überblick über die <strong>deutschen</strong><br />

Defensionswerke ist auch die Existenz paralleler Institutionen in anderen<br />

europäischen Staaten. Dabei denke ich weniger an die englische<br />

„militia" als vielmehr an die „milizia paesana" in Piemont, ähnliche<br />

Einrichtungen in Venedig <strong>und</strong> schließlich die Reform des schweizerischen<br />

Heerwesens <strong>im</strong> frühen <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert, die ganz offensichtlich<br />

unter dem Einfluß der niederländischen Erfahrungen erfolgte. <strong>Die</strong>ses<br />

europäische Ausmaß des Defensionswesens weist darauf hin, daß die<br />

Gründe für diese Form der Heeresorganisation nicht alleine in <strong>deutschen</strong><br />

Voraussetzungen gesucht werden dürfen28.<br />

Überblickt man die Fülle von Territorien, die in durchaus unterschiedlicher<br />

Weise versuchten, einen Ausschuß der eigenen Untertanen<br />

militärisch auszubilden, so lassen sich auch unterschiedliche Motivationen<br />

erkennen. Im Kreis der korrespondierenden Reichsstände — allen<br />

voran Nassau, Hessen-Kassel <strong>und</strong> die Kurpfalz — sind die häufigen<br />

Hinweise auf die vermeintliche Bedrohung durch die katholisch-spanische<br />

Partei nicht zu übersehen. In einzelnen Fällen führt auch die<br />

Gründung <strong>und</strong> Konsolidierung der Union zur Einrichtung von Defensionswerken.<br />

<strong>Die</strong>s geschieht z. B. in Braunschweig-Wolfenbüttel 1605,<br />

wo schon 1600 kurpfälzische Mahnungen eintrafen <strong>und</strong> auch Graf Johann<br />

von Nassau als Besucher erschien <strong>und</strong> darum warb, ein exercitium<br />

militare einzurichten, „weil unsere widrige Geistliche <strong>und</strong> andere mit<br />

allerhand Praktiken umgingen" 20 . Auch für Kursachsen <strong>und</strong> Kurbrandenburg,<br />

die 1613 ihre Defensionswerke einrichten bzw. vorbereiten,<br />

dürfte die allgemeine Unsicherheit der Lage <strong>im</strong> Reich nach der Gründung<br />

von Union <strong>und</strong> Liga der Auslöser gewesen sein, zumal in allen<br />

Fällen schon mehrjährige Vorbereitungen vorausgingen".<br />

27 Vgl. dazu den Überblick bei Schnitter, Volk <strong>und</strong> Landesdefension (Anm.<br />

23), 114 - 132.<br />

28 Ich verweise auf einen Beitrag von Walter Barberis, La formazione della<br />

„milizia paesana" in Piemonte: potere centrale et relationi locali fra Cinque<br />

e Seicento, der in dem von A. Maczak herausgegebenen Band seines Kolloquiums<br />

über Patronage- <strong>und</strong> Klientelwesen in der Frühen Neuzeit 1986<br />

erscheinen wird. Für Venedig vgl. jetzt J. R. Haie / M. E. Mallett, The Military<br />

Organization of a Renaissance State: Venice c. 1400 - 16<strong>17</strong>, Cambridge<br />

1984. Für die Reform des Berner <strong>und</strong> Zürcher Kriegswesens vgl. Frieder Walter,<br />

Niederländische Einflüsse auf das eidgenössische Staatsdenken <strong>im</strong> späten<br />

<strong>16.</strong> <strong>und</strong> frühen <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert. Neue Aspekte der Zürcher <strong>und</strong> Berner Geschichte<br />

<strong>im</strong> Zeitalter des werdenden Absolutismus, Zürich 1979, 18 ff. <strong>und</strong><br />

Jürg Stüssi, Militärwissenschaftliche Wechselwirkungen zwischen Deutschland<br />

<strong>und</strong> der Schweiz in der ersten Hälfte des <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts, in: Schweizerisch-deutsche<br />

Beziehungen <strong>im</strong> konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur<br />

Kulturgeschichte 1580 - 1650, Fribourg 1986 (<strong>im</strong> Druck).<br />

29 Müller, Lehns- <strong>und</strong> Landesaufgebot (Anm. 14), 69.<br />

30 Für Kursachsen vgl. Naumann, Das kursächsische Defensionswerk (Anm.<br />

14), <strong>und</strong> Christian Krollmann, Das Defensionswerk <strong>im</strong> Herzogtum Preußen,<br />

2 Teile, Berlin 1904/1909.

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