Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net
Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net
Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
130 Winfried Schulze <strong>Die</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Landesdefensionen</strong> <strong>im</strong> <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jh. 131<br />
verse Bewertung erfahren hat. Erschienen sie aus der Perspektive absolutistischer<br />
Machtpolitik als hemmende <strong>und</strong> militärisch unwirksame Einrichtungen,<br />
als bedeutungsloser Verlegenheitsschritt auf dem Weg zum<br />
stehenden Heer des Absolutismus, so bedeuteten sie für Historiker auf<br />
der Suche nach den Wurzeln der allgemeinen Wehrpflicht einen wesentlichen<br />
Entwicklungsschritt. Während Georg von Below 1915 <strong>im</strong> Bewußtsein<br />
des Streits um Landwehr <strong>und</strong> Linienheer allen jenen Verteidigern<br />
der Landwehr empfohlen hatte, doch einmal die Akten der <strong>Landesdefensionen</strong><br />
des <strong>16.</strong>/<strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts zu lesen, um zu sehen, daß „der<br />
friedliche Bürger nicht zum Kriegsdienst tauge" 3 , wurde 1939 ein Lazarus<br />
von Schwendi zum „ersten <strong>deutschen</strong> Verkünder der allgemeinen<br />
Wehrpflicht", wie es Eugen von Frauenholz formulierte, der gerade aus<br />
diesem Interesse heraus in seiner „Entwicklungsgeschichte des <strong>deutschen</strong><br />
Heerwesens" die Institution der <strong>Landesdefensionen</strong> zum erstenmal<br />
breit dokumentierte4.<br />
Es ist nun für die neuere Forschung in der B<strong>und</strong>esrepublik best<strong>im</strong>mend<br />
geworden, daß die Verbindung zwischen frühneuzeitlichem Defensionssystem<br />
<strong>und</strong> allgemeiner Wehrpflicht keine wesentliche Rolle mehr<br />
gespielt hat. Vielmehr ist durch die Einordnung des Defensionswesens<br />
in die Geschichte des werdenden Territorialstaates einerseits <strong>und</strong> in die<br />
militärwissenschaftliche <strong>und</strong> allgemeine Geistesgeschichte andererseits<br />
eine Forschungsorientierung gewonnen worden 5 , die uns eher , in die<br />
Lage versetzt, zu einer angemessenen historischen Würdigung des Landesdefensionswesens<br />
zu gelangen. Denn — <strong>und</strong> dies soll festgehalten<br />
werden — es herrscht keineswegs Klarheit über die Gründe für die Ausbildung<br />
dieser Systeme in einer ganzen Reihe deutscher Territorialstaaten,<br />
über ihre sozialgeschichtlichen Auswirkungen <strong>und</strong> über ihren<br />
Erfolgswert <strong>im</strong> Rahmen der Militärgeschichte. <strong>Die</strong> Frage soll gestellt<br />
werden, ob es sich bei den Defensionswerken dieser Zeit nur um ein<br />
vorübergehendes Phänomen oder um das Antizipieren einer neuen Idee<br />
handelte, die sich zwar unter den Bedingungen des <strong>16.</strong>/<strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
noch nicht entfalten konnte, die gleichwohl aber in ihrer gr<strong>und</strong>sätzlichen,<br />
engen Verbindung von Staatsbürgern <strong>und</strong> Defensionssystem ein modernes<br />
Element darstellte. Angesichts des beachtlichen Forschungsstandes<br />
3 Georg von Below, Das deutsche Heereswesen in alter <strong>und</strong> neuer Zeit, in:<br />
ders., Vom Mittelalter zur Neuzeit. Bilder aus der <strong>deutschen</strong> Verfassungs<strong>und</strong><br />
Wirtschaftsgeschichte, Leipzig 1924, 98.<br />
4 Vgl. Eugen von Frauenholz. Lazarus von Schwendi. Der erste deutsche<br />
Verkünder der allgemeinen Wehrpflicht. Hamburg 1939 <strong>und</strong> ders.. Das Heerwesen<br />
in der Zeit des 30jähri g en Krieges, 2. Teil: <strong>Die</strong> <strong>Landesdefensionen</strong><br />
(Entwicklungsgeschichte des <strong>deutschen</strong> Heerwesens 3, 2), München 1939.<br />
5 Dazu vor allem die einschlägigen Arbeiten von Gerhard Oestreich, Geist<br />
<strong>und</strong> Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969<br />
<strong>und</strong> die Ausführungen von Rainer Wohlfeil, Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte,<br />
in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1 (1967), 21 - 29.<br />
auf diesem Gebiet charakterisiert sowohl durch neuere Spezialstudien<br />
wie Zusammenfassungen — soll es bei dieser, durch das Tagungsthema<br />
vorgegebenen Behandlung des Themas vor allem um eine Einordnung<br />
der Defensionswerke in den Gesamtverlauf der frühneuzeitlichen<br />
Militärgeschichte gehen.<br />
Wir wissen heute, daß militärische Institutionen nicht mehr allein<br />
Gegenstand organisationsgeschichtlicher Untersuchungen sein können,<br />
wenn sie als historische Phänomene gewürdigt werden sollen. Es bedarf<br />
in unserem Fall einer ständigen Einordnung in die Geschichte des frühmodernen<br />
Staates, seiner Institutionen, Interessen <strong>und</strong> Konflikte, der<br />
allgemeinen Sozialgeschichte der Epoche <strong>und</strong> schließlich vor allem der<br />
Finanz- <strong>und</strong> Steuergeschichte dieser Zeit, um die Vorbedingungen der<br />
jeweiligen Entwicklungsschritte <strong>im</strong> System des bewaff<strong>net</strong>en Potentials<br />
eines Staates zu ermitteln. Erst vor diesem Hintergr<strong>und</strong> scheint es möglich,<br />
eine Würdigung der Defensionswerke vornehmen zu können, die in<br />
ihrer schon angesprochenen eigentümlichen Verbindung von Elementen<br />
der Feudalordnung, des modernen Staates <strong>und</strong> des bürgerlichen Zeitalters<br />
gewissermaßen ein klassisches Exempel der Epoche der frühen<br />
Neuzeit, dieser Epoche des Übergangs par excellence, abgeben.<br />
Im folgenden will ich zunächst nach den reichsrechtlichen <strong>und</strong> territorialen<br />
Voraussetzungen der Defensionswerke fragen (1), will dann auf<br />
die historische Situation <strong>im</strong> späten <strong>16.</strong> <strong>und</strong> frühen <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>ert zu<br />
sprechen kommen, die den Nährboden für die Landesdefension bildete<br />
(2). Danach sollen ihre reale Verbreitung in den Territorien des Reiches,<br />
ihr geistesgeschichtlicher Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> ihre sozialgeschichtlichen<br />
Wirkungen geschildert werden (3). Abschließend soll die Frage nach<br />
Erfolg <strong>und</strong> Mißerfolg der Defensionswerke <strong>und</strong> nach ihrer historischen<br />
Bedeutung gestellt werden (4).<br />
Wir befinden uns in der 2. Hälfte des <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts, die auf territorialer<br />
Ebene durch den Aufbau zentraler Institutionen, ein intensiviertes<br />
Steuersystem <strong>und</strong> den mehr oder weniger stark spürbaren Gegensatz<br />
von Landesfürst <strong>und</strong> Landständen geprägt ist. Auf der Ebene<br />
der Reichspolitik ist diese Zeit durch den langfristigen Aufbau konfessioneller<br />
Spannungen <strong>und</strong> den Kampf gegen die türkische Bedrohung<br />
charakterisiert 6 . Im engeren Sinne unseres Themas ist bedeutsam,<br />
6 Für den territorialgeschichtlichen Rahmen verweise ich auf Gerhard<br />
Oestreich, Ständetum <strong>und</strong> Staatsbildung, in: ders., Geist <strong>und</strong> Gestalt des<br />
frühmodernen Staates (Anm. 5), 277 - 289. Für den reichsgeschichtlichen Hintergr<strong>und</strong><br />
besonders des späteren <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts verweise ich auf Winfried<br />
Schulze, Reich <strong>und</strong> Türkengefahr <strong>im</strong> späten <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert. Studien zu den<br />
politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung,<br />
München 1978.<br />
9•