Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net
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142 Winfried Schulze <strong>Die</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Landesdefensionen</strong> <strong>im</strong> <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jh. 143<br />
Hieb- <strong>und</strong> Stichwaffen unterschiedlicher Qualität angesichts der sich<br />
durchsetzenden Bewaffnung mit Feuerwaffen hoffnungslos unterlegen<br />
war. Insofern bedeutete der neue Ausschuß auch systematische Bewaffnung<br />
mit Seitengewehr <strong>und</strong> einheitlichen Langfeuerwaffen. Landgraf<br />
Moritz von Hessen-Kassel behielt auch noch den Lanzenträger bei, doch<br />
scheint insgesamt der Ausschuß der Fußsoldaten als Träger von Feuerwaffen<br />
verstanden zu werden. Erst diese Bewaffnung machte den Ausschuß<br />
zu einem waffentechnisch gleichwertigen Gegner gegen angreifende<br />
Söldnerheere, bedingte allerdings auch eine neue Form des Trainings<br />
an der Waffe <strong>und</strong> <strong>im</strong> Verband. Es scheint so, als sei das systematische<br />
Waffentraining in Nassau bereits seit 1572 eingeführt worden<br />
<strong>und</strong> von dort in die oranische Heeresreform der Niederlande vermittelt<br />
worden. G. Oestreich führte dies vor allem auf die Anregungen des<br />
französischen Militärschriftstellers <strong>und</strong> Heerführers Frangois de la<br />
Noue zurück <strong>und</strong> zeigte, daß Johann für eine Übernahme dieser Übungen<br />
plädierte, durchaus <strong>im</strong> Gegensatz zur bisherigen Praxis deutscher<br />
Truppenführer".<br />
Der Drill — eine Begriffsschöpfung des Grafen Johann 35 — muß besonders<br />
beachtet werden. Er ist die logische Konsequenz des gezielten<br />
<strong>und</strong> planmäßigen Einsatzes der Handfeuerwaffen durch größere Truppeneinheiten.<br />
<strong>Die</strong>ser Einsatz war unter den technischen Bedingungen<br />
der Luntenrohre des späten <strong>16.</strong> <strong>und</strong> frühen <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts nur dann<br />
effektiv möglich, wenn die Vorgänge des Ladens, Zielens <strong>und</strong> Zündens<br />
vereinheitlicht <strong>und</strong> mechanisch eingeübt wurden. Selbst wenn es dem<br />
Grafen Johann gelang, das Laden <strong>und</strong> Abschießen einer Büchse auf<br />
20 Handgriffe zu begrenzen", so blieb das eine technisch komplizierte<br />
Prozedur, deren Übung um so wichtiger war, je ungewohnter die Technik<br />
für die Defensionäre war, zumal wenn die „Exercitien" in der Bewegung<br />
<strong>und</strong> auf bewegliche Ziele durchgeführt wurden 37 . Daher rührt<br />
auch die selbst <strong>im</strong> Defensionssystem <strong>im</strong>mer wieder zu beobachtende Bevorzugung<br />
von städtischen Handwerkern gegenüber Bauern her. Ohne<br />
allzuweit vom Thema abzuschweifen, wird man sagen können, daß sich<br />
hier auf dem Gebiet des Kriegswesens eine neue Arbeits- <strong>und</strong> Bewegungsdisziplin<br />
durchsetzte, die auf gewerblichem Gebiet erst in der<br />
Manufaktur wiederzufinden war. Sie unterschied sich erheblich von<br />
der Art militärischer Übung, wie sie etwa Schwendi gefordert hatte,<br />
der für das Aufgebot schon die Übungen auf Schießständen <strong>und</strong> von<br />
34 Gerhard Oestreich, Graf Johannes VII. Verteidigungsbuch für Nassau-<br />
Dillenburg 1595, in: ders., Geist <strong>und</strong> Gestalt des frühmodernen Staates (Anm.<br />
5), 311 - 355, hier 339.<br />
36 Vgl. Hohlweg, Heeresreform (Anm. 21), 29 f.<br />
36 Ebd. 254 f. (Nr. 24), die hessische Instruktion kennt 28 Kommandos.<br />
37 <strong>Die</strong>s sah die hessische Instruktion vor.<br />
Truppenbewegungen empfohlen hatte, ohne jedoch etwa Laden <strong>und</strong><br />
Schußabgabe <strong>im</strong> „Scharmutzieren", also in der Bewegung <strong>im</strong> Gelände,<br />
zu üben. <strong>Die</strong> Verbindung von Ausschuß der Untertanen <strong>und</strong> systematischer<br />
Waffenübung, der „Trillerey", schon <strong>im</strong> Frieden scheint der Kern<br />
dessen zu sein, was wir als militärisches Spezifikum der nassauischen<br />
Heeresreform ausmachen können; „dises ist also das mitell, dadurch aus<br />
bauren soldaten gemacht werden"38.<br />
Doch diese <strong>im</strong> Prinzip alle Defensionswerke beeinflussende Reformbewegung<br />
läßt sich nicht auf die militärischen Spezifika beschränken.<br />
<strong>Die</strong> Defensionswerke waren auch reformerische Maßnahmen von politischer<br />
Brisanz. Da ist zum einen die schon erwähnte Problematik der<br />
ständischen Bewilligung zu beobachten, der die <strong>Landesdefensionen</strong> dort<br />
unterlagen, wo Landstände bei der politischen Willensbildung beteiligt<br />
waren. <strong>Die</strong> autonomen Bereiche der Gr<strong>und</strong>herrschaften des Adels <strong>und</strong><br />
der Prälaten ließen sich nur dort durch die neue Militärorganisation<br />
erobern, wenn — wie in den habsburgischen Erblanden — eine direkte<br />
Bedrohung die notwendige Vereinheitlichung des Territoriums erzwang<br />
<strong>und</strong> die Stände zudem organisatorisch an der Landesdefension beteiligt<br />
wurden oder wenn der landesfürstliche Wille durchgesetzt werden<br />
konnte. Dabei ist zu bedenken, daß natürlich auch den Ständen an<br />
einem wirksamen, gleichwohl billigen <strong>und</strong> sozial verträglichen Defensionsmittel<br />
gelegen war. Insgesamt kann man urteilen — <strong>und</strong> hierin ist<br />
dem „Handbuch der <strong>deutschen</strong> Militärgeschichte" zuzust<strong>im</strong>men -39 , daß<br />
die Haltung der Stände gegenüber den Defensionswerken durchaus unterschiedlich<br />
war <strong>und</strong> wir keine einheitliche Front gegen die Defensiopssysteme<br />
erkennen können, wie dies in anderen zentralen Fragen<br />
der Territorialpolitik der Fall war.<br />
<strong>Die</strong> Haltung des landständischen Adels gegenüber neuen Formen der<br />
Landesdefension war weiterhin beeinflußt durch das allgemeine Verhältnis<br />
des Adels zu den Untertanen. Man muß <strong>im</strong> Auge behalten, daß<br />
die ersten Überlegungen eines L. v. Schwendi zur Bewaffnung der Untertanen<br />
in einem erheblich weiteren Kontext standen. Schwendis wiederholt<br />
berührter Ausgangspunkt war die Frage, „wie sowol der Adl<br />
als auch der gemaine Mann zue der Reitterey <strong>und</strong> Kriegswesen abgerichtet<br />
<strong>und</strong> unterhalten werden soll". <strong>Die</strong>se Schrift beklagt vehement<br />
die Abwendung des Adels vom Kriegswesen, ja sie kritisiert die Adeligen,<br />
die in „gestikten köstlichen Kleidern <strong>und</strong> weibische Pracht meer<br />
38 Das Zitat bei Thies, Territorialstaat <strong>und</strong> Landesverteidigung (Anm.<br />
26). J. H. von Wallhausen betonte 1616 (Anm. 41), „daß bestandene Männer,<br />
ja viel grobe Bawren <strong>und</strong> Pflugsbengel in solchem ihrem Alter das Trillen<br />
oder die Kriegsubungen geler<strong>net</strong> haben <strong>und</strong> noch täglich lernen" <strong>und</strong> verwies<br />
auf die Beispiele der Kurpfalz, Hessens <strong>und</strong> der Wetterau.<br />
39 Papke, Handbuch der <strong>deutschen</strong> Militärgeschichte (Anm. 2), Bd. 1, 81 f.