Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17 ... - Historicum.net
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134 Winfried Schulze <strong>Die</strong> <strong>deutschen</strong> <strong>Landesdefensionen</strong> <strong>im</strong> <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jh. 135<br />
ist <strong>und</strong> so für die Diskussion um die Rechtsgr<strong>und</strong>lage der „neuen" <strong>Landesdefensionen</strong><br />
nicht genutzt werden konnte. Es handelt sich dabei um<br />
ein Gutachten des Juristen Gerhard Buxtorf über die von zwei Grafen<br />
gestellte Frage, ob die Durchführung von Musterungen der Untertanen,<br />
die Einrichtung <strong>und</strong> Einübung eines „Ausschusses" erlaubt sei, <strong>und</strong> ganz<br />
allgemein, wie weit sich die Verpflichtung der Untertanen zur Verteidigung<br />
des Vaterlandes erstrecke. Aus den Abkürzungen des gräflichen<br />
Geschlechts <strong>und</strong> der Stadt ihres Territoriums läßt sich kein Anhaltspunkt<br />
auf das wirkliche Territorium gewinnen, während der Zeitpunkt der<br />
Abfassung <strong>im</strong> Jahre 1614 liegen muß. Das Gutachten kreist um das von<br />
der Stadt kontestierte Recht der Grafen zur Durchführung aller Maßnahmen<br />
der Landesdefension.<br />
Das Gutachten erbringt nicht nur die Rechtmäßigkeit aller einschlägigen<br />
Maßnahmen als „der Hohen Landes Ober Regalien <strong>und</strong> Herligkeit<br />
anhängig" <strong>und</strong> da „einem jeden Fürsten <strong>und</strong> Graffen <strong>und</strong> Herrn in seinem<br />
territorio eben der Gewalt <strong>und</strong> Macht, so dem Kaiser <strong>im</strong> Reich gebüret,<br />
heutiges Tags zu geniessen". <strong>Die</strong>se Rechtslage wird nicht nur<br />
auf die schon erwähnte Reichsexekutionsordnung zurückgeführt, sondern<br />
auch auf eine Reihe von Best<strong>im</strong>mungen der Reichsgesetzgebung —<br />
etwa zum Landfrieden — vor allem des frühen <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Im Verlauf dieses Gutachtens, dessen vielschichtige Problematik hier<br />
nur ausschnitthaft wiedergegeben werden kann, wird auch deutlich gemacht,<br />
daß die Neueinrichtung des Ausschusses <strong>und</strong> der Musterungen<br />
von der Rechtslehre nicht als Neuerung, sondern als Wahrnehmung der<br />
Generalverpflichtung des Landesfürsten zum Schutz seiner Untertanen<br />
betrachtet wird. Auch wird die Verpflichtung der Untertanen zur Verteidigung<br />
des Landes herausgestellt <strong>und</strong> keineswegs nur den adeligen<br />
Lehensträgern zugewiesen. Darüber hinaus zeigen die Nachweise des<br />
Gutachtens, daß an der breiten Diskussion <strong>und</strong> Befürwortung der <strong>deutschen</strong><br />
Defensionssysteme kein Zweifel bestehen kann, da „manniglich<br />
unverporgen, daß es ein gemeinnütziges <strong>und</strong> hochnothwendiges Werck<br />
sey, daß Fürsten, Graffen <strong>und</strong> Herrn, zu Schutz <strong>und</strong> Schirm ihrer von<br />
Gott anbefohlener Land <strong>und</strong> Leut, von etlichen zum Streit tauglichen<br />
<strong>und</strong> qualifizierten personen einen ausschuß anzustellen <strong>und</strong> diselbe in<br />
Drillen, scharmützeln <strong>und</strong> anderen militaribus exercitiis üben <strong>und</strong> anführen<br />
lassen ... inmassen darzu nicht allein die Politici <strong>und</strong> Juristen<br />
rathen"15.<br />
15 Das Gutachten findet sich in: Fasciculus sive decas consultationum insigniorum<br />
ad materiam contributionem principaliter pertinentium. Frankfurt/<br />
Main 1676, 12 - 42, hier vor allem 12 - 24. Es behandelt einen Rechtsstreit<br />
zwischen den Grafen zu W. <strong>und</strong> der Stadt C., in dem bereits ein Gutachten<br />
der Juristenfakultät Giessen vorlag. Buxtorf stützt sich in seinen Ausführungen<br />
sowohl auf antike Autoren (Vegetius) als auch auf die zeitgenös-<br />
II.<br />
Während diese rechtliche Betrachtungsweise relativ stark die Kontinuität<br />
zu früheren Einrichtungen betont, muß jetzt auf die Besonderheiten<br />
der neuen Defensionswerke hingewiesen werden, auf ihren<br />
historischen Ort <strong>im</strong> Lauf des <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts. Militärgeschichtlich<br />
ist die erste Hälfte des <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts in Deutschland eine Epoche<br />
der Soldtruppen. Obwohl gerade in den österreichischen Erblanden<br />
eine ungebrochene Kontinuität in der Verwendung der Landesaufgebote<br />
bestand (erinnert sei nur an das Innsbrucker Libell von 1518),<br />
werden die europäischen wie die inner<strong>deutschen</strong> Konflikte in der Zeit<br />
Max<strong>im</strong>ilians I. <strong>und</strong> Karls V. mit geworbenen Truppen ausgefochten.<br />
Deutschland wird zu einem der Hauptlieferanten europäischer Söldnerheere,<br />
schlaglichtartig mag das sichtbar werden, wenn wir hören, daß<br />
deutsche Söldner 1549 den Aufstand englischer Untertanen bei Norfolk,<br />
die sog. Kett's Rebellion, niederschlagen. Trotz aller möglichen Versuche,<br />
dieses Söldnerwesen zu ordnen <strong>und</strong> für die Bevölkerung ertragbar<br />
zu machen, zeigen uns die stereotyp wiederholten Mandate gegen<br />
gartende Knechte, welche sozialen Folgelasten die abgedankten Heere<br />
den Territorien auferlegten<strong>16.</strong><br />
Hinzu kommt, daß die Soldtruppen außerordentlich teuer waren. Wir<br />
wissen, wie sehr gerade Max<strong>im</strong>ilian I. <strong>und</strong> Karl V. mehrfach die Mißlichkeit<br />
gespürt haben, ohne Geld ihren Soldtruppen ausgeliefert zu sein.<br />
Für die <strong>deutschen</strong> Landesfürsten verbot sich die Anwerbung von Söldnern<br />
außer in Fällen wirklicher Landesnot aus finanziellen Gründen. So<br />
finden wir in den <strong>deutschen</strong> Territorien des <strong>16.</strong> Jahrh<strong>und</strong>erts — von der<br />
Besatzung einiger Festungen <strong>und</strong> Wachtsoldaten einmal abgesehen —<br />
keine ständigen Truppenkörper. Als Alternativen für den Defensionsfall<br />
standen teure Werbungen auf der einen <strong>und</strong> das alte Lehnsaufgebot<br />
auf der anderen Seite zur Verfügung. Letzteres war jedoch militärisch<br />
kaum brauchbar, da der Adel die Stellung der Ritterpferde oder Gültpferde<br />
zwar als adeliges Vorrecht bewahrte, in der Realität aber wenig<br />
Neigung für den militärischen Einsatz empfand, ja sich oft auch als ungeeig<strong>net</strong><br />
bezeich<strong>net</strong>e. Man braucht nur die Briefe zu lesen, die die Lehnssischen<br />
Konsiliensammlungen <strong>und</strong> die einschlägigen Werke der Politik (Justus<br />
Lipsius, Giovanni Botero, Henning Arnisaeus). In diesem Zusammenhang<br />
soll noch darauf hingewiesen werden, daß für die Politikwissenschaft<br />
des späten <strong>16.</strong> <strong>und</strong> <strong>17</strong>. Jahrh<strong>und</strong>erts kein Zweifel daran bestand, daß der einhe<strong>im</strong>ische<br />
Soldat dem Söldner vorzuziehen sei (z. B. Adam Contzen, <strong>Die</strong>trich<br />
Reinkingk).<br />
16 Als Beispiel vgl. Eugen von Frauenholz, Entwicklungsgeschichte des<br />
<strong>deutschen</strong> Heereswesens, Bd. 3/1 (Das Söldnertum), München 1938, 260 - 262<br />
(Brandenburgisches Edikt von 1620 „wider das Herumlauffen <strong>und</strong> Plackereyen<br />
der neugeworbenen Soldaten <strong>und</strong> was denen gardenden Knechten gegeben<br />
werden soll").