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Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert

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des Erwachens, <strong>und</strong> oben <strong>in</strong> der freien Höhe reitet Wilhelm, der Erfüller,<br />

gleichsam aus dem Berg heraus, vor e<strong>in</strong>er "trotzigen"41 Turmarchitektur, mit<br />

Adler <strong>und</strong> Krone an der Spitze. Das E<strong>in</strong>zelereignis <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>zelperson treten<br />

h<strong>in</strong>ter historisch-mythischen Vorstellungen von alter deutscher Kaiserherrlichkeit<br />

zurück, das Reich wird <strong>in</strong> die Tiefe der Zeit h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gestellt <strong>und</strong> zugleich als<br />

Erfüllung der nationalen Geschichte gefeiert. Der aus dem Berg <strong>und</strong> der riesigen<br />

Turmanlage heraustretende Kaiser nun reitet, ganz anders als bei e<strong>in</strong>em<br />

bloß plastischen Denkmal auf städtischem Platz, <strong>in</strong> den freien Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

<strong>und</strong> damit gegen e<strong>in</strong>e Unendlichkeit an, gegen e<strong>in</strong> Ungreifbares, Absolutes oder<br />

Transzendentes. Dar<strong>in</strong> wird m. E. sichtbar, wie wenig das Nationalbewußtse<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> sich ruht, wie stark es auf e<strong>in</strong> unbest<strong>im</strong>mtes Gegenüber <strong>und</strong> wie stark es auf<br />

e<strong>in</strong> Absolutes bezogen ist <strong>und</strong> wie es selbst Absolutheit beansprucht; wir werden<br />

auf dieses Problem noch an anderen Beispielen e<strong>in</strong>gehen müssen. Die Form<br />

ist romanisch stilisiert, das sollte, nachdem die Wissenschaft die Identifizierung<br />

von Gotik <strong>und</strong> Deutschtum unmöglich gemacht hatte, e<strong>in</strong> Ausdruck des typisch<br />

Deutschen se<strong>in</strong>. Und die Form ist monumental, wenn sie auch <strong>in</strong>s mystisch<br />

Dumpfe <strong>und</strong> massig Auftrumpfende gerät. Monumentalität <strong>und</strong> Massenentfaltung<br />

s<strong>in</strong>d gewollt. Sie sollen die Unbezw<strong>in</strong>glichkeit des Kaiserreiches, die<br />

Macht <strong>und</strong> Größe der <strong>in</strong> Urzeiten gegründeten Nation ausdrücken, <strong>und</strong> sie sollen<br />

die sich hier zu patriotischen Festen sammelnden Massen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e geschlossene<br />

Geme<strong>in</strong>schaft e<strong>in</strong>beziehen <strong>und</strong> verwandeln 42 •<br />

Das Denkmal ist noch e<strong>in</strong> d-atch;otuS monarchisches Denkmal, <strong>in</strong> allen Äußerungen<br />

der Denkmalsfeste ist der~ ;~~archi;che Ton - "treu zu Kaiser <strong>und</strong><br />

Reich, Fürst <strong>und</strong> Vaterland", zu den "E<strong>in</strong>richtungen des monarchischen Staa;..<br />

tes, dessen Segnungen die neue Größe des Reiches zu verdanken ist", "gegen jeden<br />

uns <strong>im</strong> Innern drohenden Sturm" (!) - durchaus dom<strong>in</strong>ierend 43 , Aber es<br />

ist niSULnur monarchisches Denkmal, es ist zugleich e<strong>in</strong>e Stätte "deutschnationaler<br />

Eriilnerung <strong>und</strong> Erhebung"44, e<strong>in</strong> "Wahrzeichen der unerschütterlich festen<br />

Gr<strong>und</strong>lage des <strong>in</strong> Sturm <strong>und</strong> Kampf gee<strong>in</strong>ten Vaterlandes"45; <strong>und</strong> zumal<br />

die architektonische Form, ihr überd<strong>im</strong>ensionaler Geltungsanspruch <strong>und</strong> ihr<br />

Sich-<strong>in</strong>s-Unbegrenzte-H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>stellen, geht über das monarchisch-dynastische<br />

Symbol h<strong>in</strong>aus. Es ist die Nation selbst, die monarchisch verfaßte, aber vor allem<br />

die mächtige <strong>und</strong> geschlossene Nation, die sich hier <strong>in</strong> Erfüllung e<strong>in</strong>er mythischen<br />

Geschichte selbst feiert. Die Zeitgenossen 46 sahen <strong>in</strong> jenem Denkmal<br />

nicht die wilhelm<strong>in</strong>ische Attitüde, die gewollte Mythisierung, das Pochen auf<br />

die Macht, sondern sie sahen <strong>in</strong> der monumentalen e<strong>in</strong>heitlichen Architektur e<strong>in</strong>en<br />

künstlerischen Fortschritt, e<strong>in</strong>e überw<strong>in</strong>dung der epigonalen Plastik <strong>und</strong><br />

des barock dekorativen Pathos von Begas, <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en politischen Fortschritt,<br />

denn hier schien jenseits der dynastischen Loyalität e<strong>in</strong> zeitgemäßer Ausdruck<br />

der über<strong>in</strong>dividuellen nationalen Solidarität <strong>und</strong> Größe gef<strong>und</strong>en zu se<strong>in</strong>. Das<br />

Kyffhäuser-Denkmal steht darum am übergang vom Typus des monarchischen<br />

Denkmals zu dem Typus, den ich das Denkmal der nationalen Sammlung nenne.<br />

144<br />

IU.<br />

Der zweite Typus des <strong>Nationaldenkmal</strong>s ist die Denkmalskirche. Dieser Typus<br />

ist zwar niemals gebaut worden, aber fast das ganze <strong>19.</strong> Jh. h<strong>in</strong>durch hat<br />

es entsprechende Entwürfe gegeben, <strong>und</strong> sie s<strong>in</strong>d für die Struktur des deutschen<br />

Nationalbewußtse<strong>in</strong>s, das Verhältnis von Christentum <strong>und</strong> Nationalismus <strong>und</strong><br />

das Problem der Sakralisierung der Nation von großer Bedeutung. Die Idee<br />

dieses Typus entsteht <strong>im</strong> Zusammenhang mit den Denkmalsplänen nach den<br />

Freiheitskriegen. K. Sievek<strong>in</strong>g, der spätere Hamburger Senator <strong>und</strong> Begründer<br />

des Rauhen Hauses, me<strong>in</strong>t <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schrift "Der deutsche Dom auf dem<br />

Schlachtfeld zu Leipzig", 1814, e<strong>in</strong> "vaterländisches Heiligtum" sei nur "aus<br />

dem Zwecke christlicher Gottesverehrung möglich", er projektiert e<strong>in</strong>en "Dom<br />

aller Deutschen", für beide Konfessionen also, <strong>im</strong> gotischen Stil, an dem außen<br />

die Geschehnisse des Befreiungskrieges <strong>und</strong> die beteiligten Fürsten <strong>und</strong> Feldherren,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Vorhalle Ereignisse der Sage <strong>und</strong> Geschichte, <strong>und</strong> die "großen<br />

Verstorbenen unseres Vaterlandes" dargestellt werden soIlen 47 • M. W. 1. de<br />

Wette schlug vor ("Die neue Kirche oder Verstand <strong>und</strong> Glaube <strong>im</strong> B<strong>und</strong>e",<br />

1815), <strong>in</strong> jeder Stadt e<strong>in</strong>e Kirche für alle Konfessionen <strong>im</strong> gotischen Stil zu errichten,<br />

"zum Denkmal der wieder auferstandenen Religion <strong>und</strong> des geretteten<br />

Vaterlandes" .<br />

Vor allem hat Sch<strong>in</strong>kel <strong>im</strong> Auftrag Friedrich Wilhelms III. 1814/15 Pläne<br />

für e<strong>in</strong>en Dom als Denkmal für die Freiheitskriege, als "Dankdenkmal für<br />

Preußen" (Rauch), als das "religiöse Monument dieser Zeit" (Sch<strong>in</strong>kel) entworfen<br />

48 • Der Dom liegt außerhalb der Stadt "fern vom alltäglichen Gewühl", der<br />

Gang zum Heiligtum soll e<strong>in</strong>e Art von Wallfahrt se<strong>in</strong>, auf der das Volk zu<br />

den hier stattf<strong>in</strong>denden religiösen Hauptfesten "gest<strong>im</strong>mt" wird, die" Wirkung<br />

des auf diese Weise seltener <strong>und</strong> <strong>in</strong> gehöriger Gemütsst<strong>im</strong>mung gesehenen Gegenstandes<br />

(wird dadurch) <strong>im</strong>mer frisch erhalten"49. An diesem Dom sollte<br />

aber nicht nur die unmittelbare Vergangenheit, die Helden <strong>und</strong> Toten der vergangenen<br />

Kriege, verewigt werden, sondern auch die "ganze frühere vaterländische<br />

Geschichte <strong>in</strong> ihren Hauptzügen" sollte daran "<strong>in</strong> Kunstwerken <strong>und</strong><br />

dem Volk anschaulich" leben <strong>und</strong> der Dom so e<strong>in</strong> "unmittelbar bildendes <strong>und</strong><br />

<strong>im</strong> Volk historischen S<strong>in</strong>n begründendes Monument" werden 50 • Außen am Dom<br />

s<strong>in</strong>d die Statuen der preußischen Fürsten, der Helden <strong>und</strong> Staatsmänner angebracht,<br />

über dem E<strong>in</strong>gang "Weihe <strong>und</strong> Verewigung des Eisernen Kreuzes", <strong>im</strong><br />

Inneren stehen an den Pfeilern neben den Aposteln "ausgezeichnete Religiose,<br />

Gelehrte <strong>und</strong> Künstler", "was mehr aufs Innere gewirkt", ja es ist davon die<br />

Rede, daß auch die Asche der großen Männer der Nation hier beigesetzt werden<br />

solle.<br />

An diesem Denkmal s<strong>in</strong>d dJ:ci~D<strong>in</strong>g~.~l}!EYS;?rzuheben. Zunächst: die Nation,<br />

die sich <strong>im</strong> Denkmal f<strong>in</strong>den soll, ist die <strong>in</strong> der Geschichte gegründete, <strong>in</strong> den<br />

Taten <strong>und</strong> Werken ihrer großen Männer <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Verb<strong>in</strong>dung von Geist <strong>und</strong><br />

Macht wirkliche Nation. Die B<strong>in</strong>dung an die Geschichte soll das Monument<br />

zu e<strong>in</strong>em Monument der preußischen Nation machen. Die traditionelle E<strong>in</strong>be-<br />

145<br />

10 Nipperdey

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