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HRRS Ausgabe 1/2013 - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen<br />

len. Die Sicherungsverwahrung bezweckt, neben <strong>de</strong>m<br />

Schutz <strong>de</strong>r Allgemeinheit, <strong>de</strong> lege lata gera<strong>de</strong> auch die<br />

Wie<strong>de</strong>reinglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Verwahrten in ein Leben in<br />

Freiheit, § 129 S. 2 StVollzG. Diese Zwecksetzung und<br />

<strong>de</strong>ren Berücksichtigung in <strong>de</strong>r Vollzugspraxis ist sogar<br />

zwingend erfor<strong>de</strong>rlich, da eine bloße Unterbringung zur<br />

Sicherung <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>de</strong>n Täter zum bloßen Objekt<br />

staatlichen Han<strong>de</strong>lns herabwürdigen wür<strong>de</strong> – dies wäre<br />

mit Blick auf die Menschenwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Täters offensichtlich<br />

unzulässig. 28<br />

Somit wären je<strong>de</strong>nfalls gute Grün<strong>de</strong> erfor<strong>de</strong>rlich, um die<br />

berechtigten Interessen <strong>de</strong>s Verwahrten und seine grundsätzliche<br />

Son<strong>de</strong>rstellung – die nicht nur <strong>de</strong> lege lata garantiert,<br />

son<strong>de</strong>rn auch für die Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>r<br />

Sicherungsverwahrung zwingend erfor<strong>de</strong>rlich ist – zurückzudrängen.<br />

Dabei ist auch von Be<strong>de</strong>utung, dass die<br />

dargestellten Beschlüsse <strong>de</strong>s OLG Hamm nach <strong>de</strong>m<br />

Urteil <strong>de</strong>s EGMR ergingen: Inwieweit <strong>de</strong>ssen Überlegungen<br />

einbezogen wur<strong>de</strong>n, ist durchaus bezeichnend für die<br />

praktische Umsetzung <strong>de</strong>r gesetzlich garantierten Son<strong>de</strong>rstellung<br />

<strong>de</strong>r Sicherungsverwahrten. Ausgehend von<br />

<strong>de</strong>r durch das EGMR-Urteil bestätigten Basis, dass gera<strong>de</strong><br />

die praktische Befolgung <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rregelungen für<br />

Sicherungsverwahrte (§§ 129 S.2, 131 ff. StVollzG) Ausdruck<br />

<strong>de</strong>s Unterschieds zwischen <strong>de</strong>r Verwahrung und<br />

einer Freiheitsstrafe ist, 29 lösen die Begründungen für die<br />

durchgängige Bestätigung aller Antragsablehnungen<br />

gewisse Irritationen aus.<br />

Das gilt etwa für die Annahme <strong>de</strong>s OLG Hamm, die JVA<br />

habe bezüglich <strong>de</strong>r Einschätzung <strong>de</strong>r Gefährlichkeit einen<br />

Ermessensspielraum: bei <strong>de</strong>r „Gefährlichkeit“ han<strong>de</strong>lt es<br />

sich um eine faktische Frage, ein Ermessen gibt es insofern<br />

nicht. Zutreffend ist dagegen, dass die Sicherheitsinteressen<br />

gegen die Interessen <strong>de</strong>s Verwahrten abgewogen<br />

wer<strong>de</strong>n müssen und hierfür das Ausmaß <strong>de</strong>r Gefährlichkeit<br />

– sowohl <strong>de</strong>s Verwahrten als auch <strong>de</strong>r beantragten<br />

Vollzugsbedingungen – eine wichtige Rolle spielt. Gera<strong>de</strong><br />

bei dieser Abwägung sollte aber nicht nur nach <strong>de</strong>m<br />

Gesetzeswortlaut <strong>de</strong>r §§ 129 ff. StVollzG, 30 son<strong>de</strong>rn auch<br />

nach <strong>de</strong>n Vorgaben <strong>de</strong>r Verfassung und <strong>de</strong>r EMRK, konkretisiert<br />

durch <strong>de</strong>n EGMR, <strong>de</strong>r Fokus auf einer hinreichen<strong>de</strong>n<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>s Verwahrten<br />

liegen. Das spiegelt sich auch in <strong>de</strong>n weiteren Begründungen<br />

<strong>de</strong>s OLG Hamm nicht wie<strong>de</strong>r.<br />

28<br />

Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, in: Münchener Kommentar<br />

zum StGB Bd. II, 2. Aufl. (2012), § 66 Rn. 4 ff.<br />

29<br />

Auch unabhängig von diesen Urteilen ist die bisherige<br />

Praxis kritikwürdig. Zwar fin<strong>de</strong>n insofern inzwischen einige<br />

Entwicklungen statt, und auch die Neuregelung (BT-<br />

Drs. 17/9874) geht in diese Richtung. Doch waren und<br />

sind die meisten Sicherungsverwahrten nicht nur bisher in<br />

(nicht immer vollständig abgetrennten) eigenen Abteilungen<br />

von Justizvollzugsanstalten untergebracht – und diese<br />

Möglichkeit bleibt auch nach <strong>de</strong>r Neuregelung bestehen.<br />

Nicht selten wur<strong>de</strong> ihnen auch die „Einzelzelle“ verweigert<br />

(OLG Frankfurt v. 9.8.2000 – 3 Ws 596, 597/00 = NStZ-<br />

RR 2001, 28).<br />

30<br />

Die Normen bezüglich <strong>de</strong>s Son<strong>de</strong>rstatus während <strong>de</strong>r<br />

Verwahrung sind <strong>de</strong>rgestalt formuliert, dass <strong>de</strong>r Verwahrte<br />

eine gewisse Son<strong>de</strong>rbehandlung erhalten soll, wenn nicht<br />

ausnahmsweise an<strong>de</strong>re Belange dagegen sprechen: „nach<br />

Möglichkeit Rechnung zu tragen“ (§ 131 S. 2 StVollzG);<br />

„wenn Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sicherheit nicht entgegen stehen“<br />

(§ 132 StVollzG).<br />

<strong>HRRS</strong> Januar <strong>2013</strong> (1/<strong>2013</strong>)<br />

Beck – Strafe o<strong>de</strong>r Nicht-Strafe?<br />

Statt<strong>de</strong>ssen liegt <strong>de</strong>r Vorrang <strong>de</strong>r Begründungen sowohl<br />

<strong>de</strong>r JVA als auch <strong>de</strong>s OLG Hamm auf Sicherheit und<br />

Kontrolle: Bezüglich <strong>de</strong>r Buchbestellungen ist schon die<br />

ursprüngliche Begründung <strong>de</strong>r JVA für die Ablehnung,<br />

nämlich die notwendige Gleichbehandlung <strong>de</strong>r Insassen,<br />

problematisch, da sie <strong>de</strong>r vorweggenommenen Gewichtung<br />

zugunsten <strong>de</strong>s Verwahrten, aus <strong>de</strong>r durchaus auch<br />

ein Anspruch auf generelle Son<strong>de</strong>rbehandlung resultieren<br />

könnte, nicht entspricht. In <strong>de</strong>r Begründung wird auch<br />

nicht darauf eingegangen, dass <strong>de</strong>r Verwahrte die Fachbücher<br />

für seine Ausbildung benötigt – nach § 129 S. 2<br />

StVollzG ein zentrales Ziel <strong>de</strong>r Sicherungsverwahrung. 31<br />

Die durchaus nachvollziehbaren Ausführungen <strong>de</strong>s Verwahrten,<br />

dass es die hierfür notwendigen Bücher nur bei<br />

speziellen Verlagen gebe, wer<strong>de</strong>n nicht im Detail kommentiert.<br />

Statt<strong>de</strong>ssen führt das OLG unter an<strong>de</strong>rem an,<br />

dass § 70 S. 1 StVollzG nur <strong>de</strong>n Besitz, nicht <strong>de</strong>n Bezug<br />

von Büchern regle. Unabhängig davon, dass <strong>de</strong>r Besitz –<br />

bis auf mitgebrachte Gegenstän<strong>de</strong> – <strong>de</strong>n Bezug erfor<strong>de</strong>rt<br />

und Letztgenannter somit wohl auch von dieser Norm<br />

erfasst ist, wird hier gera<strong>de</strong> nicht auf die Son<strong>de</strong>rstellung<br />

<strong>de</strong>s Sicherungsverwahrten eingegangen. Inwiefern die<br />

Ausnahme die Anstaltssicherheit gefähr<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r einen<br />

erheblichen Verwaltungsmehraufwand darstellen könnte,<br />

wird nicht erläutert. 32 Es ist zwar zutreffend, dass <strong>de</strong>r<br />

Verwahrte im konkreten Einzelfall Anträge stellen und<br />

gegen eine Ablehnung vorgehen kann – doch ist dies<br />

<strong>de</strong>utlich umständlicher. Selbst wenn (mit <strong>de</strong>r Kategorisierung<br />

<strong>de</strong>r Klage als vorbeugen<strong>de</strong> Unterlassungsklage)<br />

das Vorbringen <strong>de</strong>r Umständlichkeit für die Bejahung<br />

eines Rechtsschutzbedürfnisses nicht ausreicht, bleibt<br />

festzuhalten, dass ein ein<strong>de</strong>utiges Bewusstsein hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rlichkeit einer Son<strong>de</strong>rbehandlung von<br />

Sicherungsverwahrten we<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r JVA noch beim OLG<br />

Hamm ersichtlich ist.<br />

Dieser Eindruck verstärkt sich bei Analyse <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Beschlüsse. So wird bezüglich <strong>de</strong>r Computernutzung<br />

explizit auf § 70 Abs. 2 Nr. StVollzG verwiesen und argumentiert,<br />

dass sogar die generelle Eignung eines<br />

Gegenstands für eine sicherheits- o<strong>de</strong>r ordnungsgefähr<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Verwendung ausreicht, um seine Nutzung zu<br />

untersagen – unabhängig von konkreten Anhaltspunkten<br />

in <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Antragstellers. Zwar weist das OLG<br />

Hamm allgemein auf <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />

hin (ggf. Vorrang <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>s Gefangenen,<br />

Vorrang von technischen Vorkehrungen am Computer),<br />

die weiteren Ausführungen zum Einzelfall entsprechen<br />

<strong>de</strong>m jedoch nicht. Konkrete, sich aus <strong>de</strong>m spezifischen<br />

Fall (<strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Verwahrten, <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>s Computers,<br />

<strong>de</strong>r Situation in <strong>de</strong>r JVA) ergeben<strong>de</strong> und hinreichend<br />

gewichtige Grün<strong>de</strong>, warum die Abwägung im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall <strong>de</strong>nnoch zu Lasten <strong>de</strong>s Verwahrten ausfällt,<br />

wer<strong>de</strong>n nicht angeführt. Vielmehr bleibt es letztlich doch<br />

bei <strong>de</strong>n generellen Überlegungen zur Gefährlichkeit eines<br />

Computers, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verwahrte unbewacht nutzt. 33 Dies<br />

31<br />

Dies gewinnt gera<strong>de</strong> auch mit Blick auf die Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>de</strong>s Instituts als solchem erheblich an Be<strong>de</strong>utung,<br />

vgl. zu <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Urteilen oben, Fn. 1 und<br />

2.<br />

32<br />

Das Gefährdungspotential von Ausbildungsliteratur ist<br />

je<strong>de</strong>nfalls nur schwer erkennbar.<br />

33<br />

Im Übrigen sind die Grün<strong>de</strong> für diese Gefährlichkeit nur<br />

bedingt überzeugend: zwar stimmt es, dass theoretisch eine<br />

Datenübertragung innerhalb <strong>de</strong>r Anstalt o<strong>de</strong>r nach außen<br />

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