PDF Download - Evangelische Kirche in Deutschland
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»Ich war e<strong>in</strong> Vaterk<strong>in</strong>d. Me<strong>in</strong> Vater imponierte mir<br />
mit se<strong>in</strong>em Universalwissen, mit se<strong>in</strong>er Klugheit<br />
und Sorgfalt, mit der er die D<strong>in</strong>ge ang<strong>in</strong>g. Egal, ob<br />
im von uns K<strong>in</strong>dern sogenannten Bunker, <strong>in</strong> den<br />
er sich für se<strong>in</strong>e L<strong>in</strong>olschnitte und Handwerksarbeiten<br />
zurückzog, am Schreibtisch, an dem er<br />
an den Worten und Sätzen für se<strong>in</strong>e Predigten und<br />
Geschichten feilte, oder auf der Kanzel. Hier war<br />
er streng. Ich er<strong>in</strong>nere mich der Blicke, mit denen<br />
er uns strafte, wenn wir oben auf der Empore<br />
wieder e<strong>in</strong>mal zu laut wurden, und damit auch<br />
die erschrockene Geme<strong>in</strong>de zur nötigen Aufmerksamkeit<br />
antrieb. Wir waren ke<strong>in</strong>e Vorzeigek<strong>in</strong>der<br />
– während Vaters Kollege se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der<br />
auf Trab hatte, schafften wir es wohl noch, die<br />
Hand zu geben. Dass man dabei auch se<strong>in</strong>en Namen<br />
nennt, war aber schon zu viel. Pfarrers K<strong>in</strong>der, Müllers Vieh …<br />
Mutter, die das Herz der Familie war, und uns sechs K<strong>in</strong>der und den<br />
weiten Garten mit viel Geduld und nicht enden wollender Langmut<br />
hegte, hat sich öfter geschämt, wenn wieder mitleidige Blicke<br />
Gerhard Schöne<br />
Liedermacher<br />
auf die K<strong>in</strong>der der Schönes fielen. An der Liebe<br />
zu uns hat das nicht genagt. Das Elternhaus ist<br />
mir weniger als Pfarrhaus denn als Elternhaus<br />
<strong>in</strong> Er <strong>in</strong>nerung geblieben. Me<strong>in</strong>e Eltern waren<br />
auch ke<strong>in</strong>e Missionare – weder nach außen noch<br />
<strong>in</strong>ner halb der Geme<strong>in</strong>de, was ihnen manchmal<br />
verübelt wurde. Sie lebten den Glauben, dafür<br />
bedurfte es ke<strong>in</strong>er Fahne. Vater war behutsam.<br />
Wichtig war für ihn und uns das geme<strong>in</strong>same S<strong>in</strong>gen<br />
und der Abendsegen – beides habe ich auch<br />
<strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Familie übernommen. Ob eigene oder<br />
mitgebrachte Lieder, Volkslieder oder Choräle –<br />
wir s<strong>in</strong>gen geme<strong>in</strong>sam. Und der Segen untere<strong>in</strong>ander<br />
ist uns, wie damals bei me<strong>in</strong>en Eltern, wie<br />
das täglich Brot.«<br />
Gerhard Schöne wurde 1952 <strong>in</strong> Coswig bei Dresden<br />
geboren. Er wurde Korpusgürtler und ist seit 1979 e<strong>in</strong>er der bekanntesten<br />
deutschen Liedermacher. Wegen se<strong>in</strong>es Engagements für<br />
K<strong>in</strong>der wurde er zum UNICEF-Botschafter ernannt. 1992 und 2003<br />
erhielt er den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.<br />
Ethos<br />
und Idyll<br />
Die Idealisierung<br />
des Pfarrhauses<br />
Christ<strong>in</strong>e Eichel<br />
D<br />
as deutsche evangelische Pfarrhaus steht s<strong>in</strong>gulär <strong>in</strong> der<br />
europäischen Kulturgeschichte: als Träger der protestantischen<br />
Kultur, geistliches Kraftfeld, künstlerisches<br />
Ferment. Was sich aus Luthers antiklerikalem Impuls heraus<br />
entwickelte, war die gleichermaßen profane wie heilige Familie,<br />
e<strong>in</strong>e idealtypische christliche Gegenwelt, die zugleich<br />
mitten <strong>in</strong>s weltliche Geschehen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wirken sollte. Über die<br />
Jahrhunderte delegierte man zunehmend an die Pfarrersfamilie,<br />
was andernorts misslang: gottgefälliges Leben, moralische<br />
Unbedenklichkeit, musische Aff<strong>in</strong>ität. Man wünschte<br />
sich das Pfarrhaus als Leitbild, als Versprechen. Es weckte den<br />
Möglichkeitss<strong>in</strong>n für gel<strong>in</strong>gendes Leben. Dazu trug bei, dass<br />
Luthers Familienleben mehr und mehr zum Gegenstand mythischer<br />
Verklärung wurde. Besonders im späten 18. und im<br />
19. Jahrhundert erschien es im milden Licht e<strong>in</strong>es verwirklichten<br />
Ideals – <strong>in</strong> Leitfäden für Pfarrer, <strong>in</strong> der Literatur, auch <strong>in</strong><br />
der Bildenden Kunst. Ethos und Idyll vere<strong>in</strong>igten sich zu e<strong>in</strong>em<br />
Wunschbild, das sich tief im kulturellen Gedächtnis verankerte.<br />
Wilhelm Emil Robert Hecks Gemälde zeigt dies sehr<br />
anschaulich. Wie Heilsbr<strong>in</strong>ger werden der Pfarrer und se<strong>in</strong>e<br />
Familie empfangen, als strahlende Vorbilder: glaubensfest, zugewandt,<br />
dienend und prägend zugleich. Die Pfarrersfamilie,<br />
e<strong>in</strong>e heile Welt, e<strong>in</strong> bürgerlicher Spiegel göttlicher Harmonie?<br />
Bei näherem H<strong>in</strong>sehen erweisen sich solche Vorstellungen als<br />
Klischee. Lange herrschte im Pfarrhaus bittere Not, heile oder<br />
gar kultivierte Verhältnisse waren die Ausnahme. Um möglichst<br />
rasch evangelische Pfarrer zu <strong>in</strong>stallieren, behalf man<br />
sich nach der Reformation mit »sacerdotes simplices«, gläubigen<br />
Laien, die ohne theologische Ausbildung auf die Kanzel<br />
stiegen: ehemalige Lehrer, Stadtschreiber oder Handwerker.<br />
Nur zu oft beschwerten sich kirchliche Visitatoren über<br />
den liederlichen Lebenswandel im Pfarrhaus. Weit schwerer<br />
aber wog die prekäre ökonomische Situation. F<strong>in</strong>anziell abhängig<br />
waren die Pastoren anfangs von ihren evangelischen<br />
Landesfürsten, weltliche und kirchliche Autorität <strong>in</strong> Personalunion.<br />
E<strong>in</strong>e ausreichende Besoldung garantierte das nicht.<br />
Die meisten Pfarrer mussten sich von den Pfründen erhalten,<br />
die zum Pfarrhaus gehörten. Wohl oder übel schlüpften sie <strong>in</strong><br />
die Rolle des Bauern, um sich und ihre großen Familien zu ernähren,<br />
oft <strong>in</strong> größter Armut. In den Städten h<strong>in</strong>gegen war es<br />
e<strong>in</strong>e Frage des Prestiges, hochgebildete Pastoren zu verpflichten,<br />
die zudem gut bezahlt wurden. E<strong>in</strong> Stadtpfarrer gehörte<br />
e<strong>in</strong>em höheren Stande an, während sich auf dem Land e<strong>in</strong><br />
theologisches Proletariat herausbildete. Trotz der notorisch<br />
schlechten Alimentierung wurde Luthers Haushalt stilbildend<br />
für das Pfarrhaus. Es sollte e<strong>in</strong> gastfreundlicher Ort für<br />
Leben nach Luther Themenheft<br />
Leben nach Luther Themenheft<br />
10 Von Gestern<br />
Auf dem Weg zur Arbeit: Seemannspastor Werner Gerke.<br />
Kolumnentitel 11