PDF Download - Evangelische Kirche in Deutschland
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W<br />
enn e<strong>in</strong> weißes Band über der Kl<strong>in</strong>ke an der Tür<br />
zum Studierzimmer me<strong>in</strong>es Vater h<strong>in</strong>g, dann durften<br />
wir nicht stören, dann erstarb das laute Lachen,<br />
sobald wir aus dem Wohnzimmer <strong>in</strong> den Flur stürmten. Der<br />
Appetit zu lärmen und zu raufen verflog, unsere Bewegungen<br />
verlangsamten sich, als würde e<strong>in</strong> Film auf Zeitlupe umspr<strong>in</strong>gen.<br />
An jenem frühen Nachmittag bremste me<strong>in</strong> Bruder Henk<br />
so stark, dass ich mit der Nase gegen se<strong>in</strong>en Rücken knallte,<br />
ich filterte den Schmerz heraus, sperrte die Tränen weg und<br />
rief me<strong>in</strong>e Stimmbänder zur Ordnung, spannte ängstlich me<strong>in</strong><br />
Gehör, ob me<strong>in</strong> Vater durch die Tür uns ermahnte, dann schlichen<br />
wir über die Veranda <strong>in</strong> den Garten, mieden das für Stunden<br />
sedierte Haus.<br />
Ich ließ mich vom hohen Gras an den bloßen Waden streicheln,<br />
der Geruch von vergorenen Äpfeln stachelte den Appetit zu<br />
lärmen wieder an, ich vergaß me<strong>in</strong>en Schmerz, vergaß me<strong>in</strong>e<br />
Note Drei <strong>in</strong> Late<strong>in</strong> und vergaß, warum mich me<strong>in</strong> Bruder Henk<br />
auf dem Nachhauseweg von der Schule gepiesackt hatte. Quiekend<br />
protestierte me<strong>in</strong> Bruder, als ich ihn kitzelte, ich stellte<br />
ihm e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong>, im Fallen riss er mich mit sich, wir balgten m<strong>in</strong>utenlang<br />
herum, er wollte mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong> verwandeln,<br />
ich ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Mädchen, wir vere<strong>in</strong>barten rülpsend e<strong>in</strong>en Waffenstillstand,<br />
rangen nach Luft, torkelten wie Betrunkene zu<br />
unseren beiden Hängematten, ließen uns h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>fallen und verschluckten<br />
den Himmel. Auch an jenem Nachmittag musste<br />
ich nur bis zehn zählen, bis me<strong>in</strong> Bruder unter se<strong>in</strong>em Hemd<br />
se<strong>in</strong>en Liebl<strong>in</strong>gscomic Bessie hervorholte, kurz den Kopf hob<br />
und zum Haus h<strong>in</strong>überl<strong>in</strong>ste, noch e<strong>in</strong>mal rülpste und dann<br />
Abenteuer im wilden Wyom<strong>in</strong>g erlebte. Ich spürte ganz konzentriert<br />
dieser be<strong>in</strong>ahe keuschen Berührung nach, die mir auf<br />
dem streng bewachten Schulhof gelungen war, als e<strong>in</strong>e Gesprächspause<br />
sich zwischen Fenni und mir gepresst hatte, ich<br />
mich zu ihr h<strong>in</strong>überbeugte und ihr e<strong>in</strong>en Kuss auf die Wange<br />
hauchte. Ich schlang beide Arme um mich, wollte mich überlisten,<br />
schloss die Augen und schmeckte noch e<strong>in</strong>mal die Lippen<br />
ab, döste vielleicht dreißig M<strong>in</strong>uten lang, bis die mutterwarme<br />
Stimme me<strong>in</strong>en Tagtraum zerplatzen ließ. Henk sprang<br />
als Erster aus der Hängematte, rollte mit dem Nacken, als wolle<br />
er die noch frische Abenteuergeschichte gleichmäßig im Kopf<br />
verteilen, versteckte dann den Comic <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hohlen Baumstumpf<br />
und gab mir e<strong>in</strong>en Schubs: »Komm, das jüngste Gericht<br />
wartet.« Mit jedem Schritt Richtung Haus wurde Henk<br />
durchsichtiger. Stets gegen vier mussten wir uns im Studierzimmer<br />
unseres Vaters e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den, unsere Eltern tranken dann<br />
an e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Tisch Tee, wir stellten uns vor ihnen auf,<br />
im Rücken die deckenhohen Regale mit den vielen dickleibigen<br />
Büchern, die uns mit tausend Augen beobachteten. Auf<br />
dem Gesicht me<strong>in</strong>es Vaters hatte sich e<strong>in</strong> Glanz versammelt,<br />
der stets nur um vier dort anzutreffen war. Ich hielt se<strong>in</strong>em<br />
Blick stand, obwohl me<strong>in</strong>e Nase die Augen auf die Schüssel<br />
mit dem Apfelkompott mit Vanillesauce lenken wollte. Im äußerten<br />
Sichtfeld entdeckte ich zwei Löffel.<br />
»Nun denn.« Me<strong>in</strong> Vater sprach durch Pausen. »In Late<strong>in</strong> gab<br />
es nur e<strong>in</strong>e Drei.« Er nickte. »Ich habe mir die Drei aufs Gewissen<br />
gelegt.« Me<strong>in</strong> Vater nickte erneut. »Wie weise doch, dass<br />
unsere Mutter nur e<strong>in</strong>e Schüssel mit Apfelkompott hergerichtet<br />
hat.« Me<strong>in</strong>e Nase und me<strong>in</strong> Gaumen revoltierten. Ich nickte<br />
jetzt auch. »Wir wollen es so halten: Wenn de<strong>in</strong> Bruder die<br />
Antwort auf die kle<strong>in</strong>e Prüfung nicht weiß, du ihm aber beispr<strong>in</strong>gst,<br />
dann dürft ihr euch das Kompott teilen. F<strong>in</strong>dest du<br />
das gerecht?« In e<strong>in</strong>em schnellen Rhythmus schlossen sich<br />
die Lider über me<strong>in</strong>e Augen, um die aufsteigenden Tränen zu<br />
Es war e<strong>in</strong>mal …<br />
Das jüngste Gericht<br />
E<strong>in</strong>e Idylle<br />
Klaas Huiz<strong>in</strong>g<br />
unterdrücken. »Nun also, Henk. Wie hieß der Mann, dessen<br />
Frau zwei Mal von e<strong>in</strong>em Engel besucht wurde, der ihr die<br />
Geburt e<strong>in</strong>es später berühmten Richters ankündigte?« Henk<br />
neben mir war <strong>in</strong>zwischen ganz durchsche<strong>in</strong>end, deshalb g<strong>in</strong>g<br />
die Frage durch ihn h<strong>in</strong>durch. Wie bei e<strong>in</strong>er Krähe ruckte der<br />
Kopf me<strong>in</strong>es Vater <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Richtung. »Manoah«, flüsterte ich.<br />
»Und der Sohn wird Simson heißen.« Der Kopf me<strong>in</strong>es Vater<br />
ruckte zu me<strong>in</strong>er Mutter, die kaum sichtbar lächelte. »Teilt<br />
gerecht, K<strong>in</strong>der.« Ich nahm die Schüssel, deutete e<strong>in</strong>en Diener<br />
an und g<strong>in</strong>g. Der Schatten me<strong>in</strong>es Bruder folgte mir. In se<strong>in</strong>er<br />
Hängematte wirkte er auf mich immer noch so, als könne er<br />
ke<strong>in</strong>e feste Nahrung zu sich nehmen. »Streber«, sagte er und<br />
knaufte mich <strong>in</strong> die Seite. »Ich habe gesehen, wie du Fenni<br />
geküsst hast.« Dann schloss er die Augen und schwieg. Das<br />
Haus vor uns erstrahlte, als sei der Glanz auf dem Gesicht me<strong>in</strong>es<br />
Vaters auf die Außenwände gewandert. In me<strong>in</strong>en Ohren<br />
flüsterte die Stille.<br />
Klaas Huiz<strong>in</strong>g, geboren 1958 <strong>in</strong> Nordhorn, studierte neben <strong>Evangelische</strong>r<br />
Theologie auch Philosophie, ist Professor für Systematische<br />
Theologie und Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg und<br />
Schriftsteller (zuletzt 2012 Me<strong>in</strong> Süßk<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Jesus-Roman).<br />
Leben nach Luther Themenheft<br />
Leben nach Luther Themenheft<br />
Von Gestern<br />
Die Geschichte<br />
des Pfarrhauses<br />
6<br />
E<strong>in</strong> Kloster<br />
wird Pfarrhaus<br />
Über die Anfänge e<strong>in</strong>es Modells<br />
Christopher Spehr<br />
10<br />
Ethos und Idyll<br />
Die Idealisierung des<br />
Pfarrhauses<br />
Christ<strong>in</strong>e Eichel<br />
14<br />
Das deutsche Pfarrhaus<br />
E<strong>in</strong> hervorragender Ort,<br />
die Künste zu fördern –<br />
und zu hemmen<br />
Dirk Pilz<br />
21<br />
»Himmlische Akademie«<br />
und Kunstdünger<br />
Das Pfarrhaus als Bildungskosmos<br />
Stephan Schaede<br />
25<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e<br />
männlichen Heilsfiguren mehr<br />
Die Pastor<strong>in</strong> S<strong>in</strong>dy Altenburg und<br />
der pensionierte Pastor Klaus Hartig<br />
über den schwierigen Weg<br />
von der Betreuungszur<br />
Beteiligungskirche<br />
Inhalt<br />
Bis Heute<br />
Alltag und<br />
Anforderungen<br />
30<br />
<strong>Kirche</strong>nbücher –<br />
Grundlage für Ariernachweise<br />
und Judenverfolgung<br />
Das Pfarrhaus<br />
im Nationalsozialismus<br />
Hansjörg Buss und<br />
Stephan L<strong>in</strong>ck<br />
35<br />
Das Pfarrhaus <strong>in</strong> der DDR<br />
Zwischen Bildungsbürgertum<br />
und Politik<br />
Markus Meckel<br />
40<br />
E<strong>in</strong> Fremdl<strong>in</strong>g<br />
soll bei euch wohnen<br />
wie e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>heimischer<br />
<strong>Kirche</strong>nasyl <strong>in</strong> Aurich-Sandhorst<br />
Christel und Guenter Selbach<br />
44<br />
Pfarrfrauen<br />
und Frauen von Pfarrern<br />
Persönliche E<strong>in</strong>sichten e<strong>in</strong>er Pfarrfrau<br />
Caritas Führer<br />
48<br />
E<strong>in</strong> Samen, der wachsen wird<br />
Die Unternehmer<strong>in</strong> Claudia Langer und der<br />
Geschäftsführer Bernhard Lorentz über<br />
das, was Pfarrerseltern e<strong>in</strong>em mitgeben<br />
Für Morgen<br />
Herausforderungen<br />
für die Zukunft<br />
52<br />
Ideal<br />
und Wirklichkeit<br />
Wie sich das evangelische<br />
Pfarrhaus ändert<br />
Isolde Karle<br />
55<br />
Das jüdische Pfarrhaus<br />
Wie wohnt<br />
e<strong>in</strong>e Rabb<strong>in</strong>er<strong>in</strong>?<br />
Gesa S. Ederberg<br />
56<br />
Das islamische Pfarrhaus<br />
Wie wohnt<br />
e<strong>in</strong> Imam?<br />
Ender Çet<strong>in</strong><br />
59<br />
»Licht <strong>in</strong> der f<strong>in</strong>steren<br />
Heidenwelt«<br />
Weltweite Missionsarbeit<br />
im Pfarrhaus <strong>in</strong> Übersee<br />
Ulrich Schöntube<br />
64<br />
Es kommt darauf an,<br />
was Pfarrer daraus machen<br />
Die Theologiestudierenden<br />
Nancy Rahn und Wolfgang M. Kle<strong>in</strong><br />
über das Potenzial e<strong>in</strong>es Pfarrhauses und<br />
den zukünftigen Protestantismus<br />
Das Pfarrhaus als Elternhaus<br />
Was habe ich aus me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pfarrhaus mitgenommen?<br />
6 Friedrich Nietzsche 10 Gerhard Schöne 14 Raphael Alpermann 21 Hartmut Volle<br />
23 He<strong>in</strong>rich Schliemann 30 Albert Schweitzer 33 Stephan Dorgerloh 35 Renate Me<strong>in</strong>hof 39 Hermann Hesse<br />
43 Kathar<strong>in</strong>a Schwabedissen 44 Gabriele Wohmann 52 Gudrun Enssl<strong>in</strong> 59 David Gill<br />
»Ausstellungsfenster« zur begleiteten Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, Berl<strong>in</strong><br />
»Leben nach Luther. E<strong>in</strong>e Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses«<br />
8 Lucas Cranach der Ältere: Mart<strong>in</strong> Luther und Kathar<strong>in</strong>a von Bora 13 Wilhelm Emil Robert Heck: Empfang e<strong>in</strong>es neuen Pfarrers<br />
durch se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de im Schwarzwald 18 Lisbeth Müller-He<strong>in</strong>tze: Geh aus me<strong>in</strong> Herz, und suche Freud 22 Mart<strong>in</strong> Luther:<br />
E<strong>in</strong>e Predigt, dass man K<strong>in</strong>der zur Schule halten sollte 32 SA- Wochenzeitschrift »Das schwarze Korps«: <strong>Kirche</strong>nbücher zur Ahnenforschung<br />
36 Schwerter zu Pflugscharen: <strong>Evangelische</strong> Friedensdekade <strong>in</strong> der DDR 47 Dietrich Vorwerk: Pfarrfrauenspiegel<br />
54 Cäcilie Ruth Karg: E<strong>in</strong>e der ersten Pfarrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Sachsen 63 Christian Keyßer: Missionsarbeit mit Theaterstück »Papua-Spiel«<br />
67 Ausstellungs<strong>in</strong>formationen des Deutschen Historischen Museums<br />
68 Impressum, Filmtipps