Berliner Leben: Zeitschrift für Schönheit und Kunst
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"Ohne von Nelly Abschied genommen zu haben?<br />
Nein, niemals!"<br />
Miss Clever bat <strong>und</strong> flehte. Nell)' sei ja noch<br />
wahrhaftig ein Kind , - sie würde sich bald zu<br />
trösten wissen, wenn ein anderes Spielzeug ihr gefiele.<br />
Ich wollte, ich konnte nicht nachgeben, denn<br />
mir sass der süsse Fratz eben ganz gewaltig im<br />
llerzen; endlich einigten wir nns 'dahin, dass ich<br />
NeU)' alles mitteilen, - dann abznreisen <strong>und</strong> das<br />
nächste Jahr als "promovirter Dr." um ihre I-land<br />
in aller Form bei der Obervorm<strong>und</strong>schaft anhalten<br />
würde.<br />
Ich kam mir dabei wie ein übergossener Pudel<br />
vor, den man mit einem Schlage aus einem warmen<br />
S tillleb~n ~ 'n e in ~r~ rauhen Herbsttag hinausge tossen<br />
hatte; <strong>und</strong> plötzlich fielen mir des Dichters Worte:<br />
"Weiter soll sich nicht ins Land Lieb von Liebe<br />
wagen, als sich blühend in der Hand lässt die Hose<br />
tragen", schwer auf mein Gemüt. Nicht<br />
nein um NeÜ)'s will e;, bangte es mir.<br />
pfinden, das füh lte icb, würde l\aum<br />
um meinet<br />
Mein Em<strong>und</strong><br />
Zeiten<br />
überdauern, aber sie - die verwöhnte - umworbene<br />
- bewun'derte <strong>und</strong> last not least, reiche Erbin,<br />
würde sie in demabwechselungsreichen <strong>und</strong> farbenprächtigen<br />
<strong>Leben</strong>, das sie umrauschte, im stande<br />
sein, das Bild eines Menschen festzuhalten, der nur<br />
wie - ja ich möchte fast sagen - nur wie eine<br />
Episodenfigur auf die Bühne ihres Daseins getreten<br />
- sie momentan erfreuend <strong>und</strong> zerstreuend - um<br />
sofort von der Bildfläche zu verschwinden?<br />
,,0 La~sanne, Du altersgraue, ehrwürdige Stadt,<br />
Dicb w:erde ich sehen, wenn ich an ,sie' denke -<br />
von Dir werde ich träumen, wenn meiue Phantasie<br />
mir immer wieder <strong>und</strong> wieder Nelly's reizumflossenes<br />
Bildchen vor die Seele ' zaubert - Du bist die Folie<br />
zu 'dem ' Pastellbildcben', das meine Seele in mein<br />
Herz gezeichnet."<br />
So schrieb ich an jenem Abend in mein "ragebuch.<br />
Die St<strong>und</strong>e der Entscheidung nahte: Nell)" taufrisch<br />
wie ein holder Maienmorgen, kaTI:l mir lächelnd<br />
entgegen. Die Sonne spielte in ihren goldenen Locken,<br />
sonniges Leuchten sprach aus ihren Augen - <strong>und</strong><br />
als ich so vor ihr stand <strong>und</strong> ihr patschiges Händcheq<br />
mit. leichtem Drucke in meinen I-länden fUhlte<br />
- da nannte ich mich im StÜl en einen Dummkopf,<br />
wenn ich diesem lachenden Frühling ZLl entfliehen<br />
vermöchte ..<br />
Fast schüchtern rückte ich mit meinem Bekenntnis<br />
allmählich heraus - die Wirkung war eine überraschende<br />
- Nelly lachte wie toll. - Dass ich noch<br />
ein "Student" sei, das fand sie gar zu drollig. Sie<br />
konnte dies mit meinem mächtigen Bart <strong>und</strong> meinem<br />
sonstigen AClssehen gar nicht in Einklang bringen ..<br />
Ich stand verdutzt <strong>und</strong> sprachlos vor ihr. Solch<br />
eine Wirkung hatte ich doch nicht vorausgesehen.<br />
Ich verstand sie eben nicht.<br />
Wie hatte doch Miss Clever gesag·t: NefIy wäre<br />
noch ein Kind, das sich bald zu trösten wüsste,<br />
wenn ein anderes Spielzeug ihr gefiele.<br />
Nnn ja, der "Nicolo" hatte plötzlich sein en Bart<br />
verloren, der ihm Würde <strong>und</strong> Ansehen gab, nun<br />
kam das Puppengesicht zum Vo rschein - das erregte<br />
ihre Lachlust.<br />
Ein schlechtes Spiel, das die Kinder nicbt freut.<br />
Und ich hatte es so ernst genommen. Bald darauf<br />
reiste ich ab. -<br />
Eine Konsequenz hatte ich jedoch aus ' diesem<br />
kleinen Intermezzo gezogen.<br />
Der Ernst <strong>und</strong> hiermit auch die Freude am<br />
geistigen Schaffen ward plötzlich aus der Beschämung<br />
<strong>und</strong> Eeue, die ich damals in Lausanne empfand -<br />
als mich Nell)', das Kind - verspottete, in meinem<br />
Innern erwacht <strong>und</strong> emporgeblüht.<br />
Das nächste Jahr umarmte Papa seinen "promovirten<br />
Dr." <strong>und</strong> Mütterchen weinte Freudenthränen.<br />
Denn im Innersten ihres Herzens hatte sie doch ein<br />
bisscheri Angst gehabt; sie kannte ja "ihren Jungen",<br />
jetzt aber blickte sie mit Stolz auf ihn; er hatte<br />
doch Wort gehalten, Erst später hat sie es erfahren,<br />
dass an der ganzen Wandlung von allem Anfang an<br />
doch nur "ein Paar Stiefelchen" die Schuld getragen.<br />
Dies wollte ich Ihnen erzählen, Gnädigste, um<br />
gleichzeitig die Berechtigung meines Fatalismus zu .<br />
legitiinieren.<br />
Zufall, nichts als Zufall - erwiderte ich boshaft<br />
- <strong>und</strong> er drohte lachend. "Was sich liebt,<br />
das neckt sich." -<br />
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