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FOTOS: Alfredo Piola; (rechte Seite) Alfredo Piola; Guy Mar<strong>in</strong>o (3)<br />
INTERVIEW: Sie gelten als junger Hoffnungsträger <strong>in</strong> der<br />
Modewelt. Wurde Ihr Talent Ihnen <strong>in</strong> die Wiege gelegt?<br />
CÉDRIC CHARLIER: Me<strong>in</strong>e Urgroßmutter war Militärschneider<strong>in</strong><br />
und ausschließlich auf Armeehosen spezialisiert,<br />
me<strong>in</strong>e Großmutter war e<strong>in</strong>e begnadete Sticker<strong>in</strong>. Auch<br />
me<strong>in</strong>e Mutter besaß e<strong>in</strong>e Nähmasch<strong>in</strong>e, und e<strong>in</strong>e me<strong>in</strong>er<br />
ersten Er<strong>in</strong>nerungen ist, dass ich heimlich an ihr geübt<br />
habe, wenn ich früher als K<strong>in</strong>d alle<strong>in</strong>e zu Hause war.<br />
Me<strong>in</strong> Vater ist e<strong>in</strong> leidenschaftlicher Hobbymaler, und<br />
seit ich fünf b<strong>in</strong>, habe ich Mal- und Zeichenunterricht<br />
genommen.<br />
INTERVIEW: Dann war das Modestudium ja etwas sehr<br />
Naheliegendes.<br />
CHARLIER: Na ja, e<strong>in</strong>erseits entdeckte ich als Teenager<br />
vor allem über die Medien die Pariser Modewelt: Yves Sa<strong>in</strong>t<br />
Laurent, Christian Dior, das fand ich alles unglaublich.<br />
Andererseits begann ich <strong>mit</strong> zwölf Jahren <strong>mit</strong> dem Spr<strong>in</strong>greiten,<br />
und lange Zeit dachte ich eigentlich, dass ich e<strong>in</strong><br />
professioneller Spr<strong>in</strong>greiter werden würde. Für mich gab<br />
es nur Pferde und die Malerei. Bis me<strong>in</strong> Vater mir <strong>mit</strong> 18<br />
Jahren sagte: „Du musst dich jetzt entscheiden: entweder<br />
Reiten oder Mode.“ Da entschied ich mich für die Mode.<br />
INTERVIEW: Sie haben <strong>in</strong> Brüssel studiert. Welchen<br />
Unterschied macht es <strong>in</strong> Belgien, ob man <strong>in</strong> Antwerpen<br />
oder <strong>in</strong> Brüssel studiert?<br />
Sommerkollektion 2014:<br />
Rock und Oberteil <strong>mit</strong><br />
weicher Rückenpanzerung<br />
Sommerkollektion<br />
2014: im<br />
Samurailook bereit<br />
zur Verführung<br />
CHARLIER: Neben der Sprache ist es vor allem e<strong>in</strong>e<br />
Mentalitätsfrage. Die Antwerpener Hochschule hat e<strong>in</strong>e<br />
lange Tradition, Brüssel ist dafür jünger und frischer.<br />
Der Stil dort ist romantischer, verspielter und poetischer.<br />
In Antwerpen ist der vorherrschende Stil vergleichsweise<br />
düster. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der Unterschied<br />
zwischen französischer und belgischer Mode der<br />
ist, dass die Franzosen auf immer auch von ihrer reichen<br />
Couturegeschichte bee<strong>in</strong>flusst s<strong>in</strong>d. In Belgien gibt es<br />
das nicht, deshalb wirkt belgische Mode oft androgyner.<br />
Belgische Mode hat für mich mehr Freiheiten.<br />
INTERVIEW: Sie s<strong>in</strong>d nach dem Studium trotzdem sofort<br />
nach Paris gegangen.<br />
CHARLIER: Ja, ich habe <strong>mit</strong> me<strong>in</strong>er Abschlussarbeit den<br />
Moët Hennessy Fashion Award gewonnen und fi ng<br />
<strong>mit</strong> 20 Jahren sofort bei Cél<strong>in</strong>e an, damals noch unter<br />
Michael Kors.<br />
INTERVIEW: Bis heute haben Sie e<strong>in</strong>e beachtliche Zahl<br />
an berufl ichen Stationen durchlaufen. Können Sie zu<br />
jeder e<strong>in</strong>zelnen sagen, was Sie dort gelernt haben?<br />
CHARLIER: Bei Cél<strong>in</strong>e war ich zwei Jahre und habe<br />
mich um die Accessoires gekümmert. Das war e<strong>in</strong> sehr<br />
<strong>in</strong>teressanter Job, denn ich habe dort sehr viel über<br />
dreidimensionale Entwurfstechniken, zum Beispiel für<br />
Taschen, gelernt. Das war e<strong>in</strong>e sehr wertvolle Erfahrung,<br />
aber dann kam das Angebot vom belgischen Designer<br />
Jean-Paul Knott.<br />
INTERVIEW: Was reizte Sie daran?<br />
CHARLIER: Jean-Paul Knott war früher der erste Assistent<br />
von Yves Sa<strong>in</strong>t Laurent, und me<strong>in</strong> Traum war immer<br />
gewesen, für Yves Sa<strong>in</strong>t Laurent zu arbeiten, aber als<br />
ich <strong>in</strong> Paris ankam, zog er sich gerade aus dem Geschäft<br />
zurück. Deshalb hoffte ich, dass ich über Jean-Paul<br />
Knott doch noch etwas im Geiste von Yves Sa<strong>in</strong>t Laurent<br />
lernen würde. Und so war es dann auch: Von ihm<br />
habe ich gelernt, wie man Kleider drapiert.<br />
"Man kann nur<br />
verführen, wenn man<br />
sich beschützt fühlt"<br />
INTERVIEW: Wie g<strong>in</strong>g es dann weiter?<br />
CHARLIER: Ich schrieb Alber Elbaz von Lanv<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Brief, und drei Tage später rief man mich an, und es<br />
hieß: „Alber Elbaz möchte Sie sehen.“ Wir trafen uns<br />
am Wochenanfang, und er sagte: „Kommen Sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Woche wieder und br<strong>in</strong>gen Sie mir Zeichnungen,<br />
Musterteile, Stoffe und alles, was Sie <strong>in</strong>teressant f<strong>in</strong>den<br />
und etwas über Sie aussagt, <strong>mit</strong>.“ E<strong>in</strong>e Woche später<br />
kam ich <strong>mit</strong> riesigen Koffern und breitete alles auf dem<br />
Boden se<strong>in</strong>es Büros vor ihm aus. Man konnte nirgendwo<br />
mehr laufen. Alber Elbaz schaute sich alles an und sagte<br />
nur: „Okay, morgen fängst du an.“<br />
INTERVIEW: So spektakulär wird vermutlich eher selten<br />
e<strong>in</strong>gestellt.<br />
CHARLIER: Vermutlich. Ich fühlte mich jedenfalls wie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em schönen Traum. Ich habe sechs Jahre <strong>mit</strong> Alber<br />
Cédric Charlier<br />
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