stereoplay Die setzen den Maßstab (Vorschau)
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Musik Klassik<br />
Foto: Sony / Don Hunstein<br />
Foto: Sony / Chris Hartgrove<br />
M<br />
y Nine Lives” („Meine<br />
neun Leben“) überschrieb<br />
Leon Fleisher<br />
seine 2010 erschienene Biografie;<br />
kaum ein anderer Pianist von<br />
Weltrang hat die Höhen und Tiefen<br />
des Virtuosendaseins so exzessiv<br />
erfahren und hat dem Schicksal<br />
so getrotzt wie der 1928 in San<br />
Francisco geborene Sohn russischpolnischer<br />
Einwanderer. Schon als<br />
Kind wurde er von <strong>den</strong> Dirigenten<br />
Alfred Hertz und Pierre Monteux<br />
entdeckt und gefördert, und<br />
bereits 1938 war er Schüler des<br />
legendären Artur Schnabel, der<br />
ihn dann zehn Jahre lang unter<br />
seine Fittiche nahm und seinen<br />
Klavierstil maßgeblich prägte.<br />
Foto: Sony / Koichi Miura<br />
Der virtuose<br />
Aufklärer<br />
Dem steilen Höhenflug eines „Wunderkindes“<br />
und frühen Weltruhm folgte der jähe Absturz:<br />
Schon mit 35 Jahren konnte Leon Fleisher seine<br />
rechte Hand nicht mehr bewegen, wurde Lehrer,<br />
Dirigent und Spezialist für die linke Hand: Er blieb<br />
eine Legende. Sony veröffentlichte zu seinem<br />
85. Geburtstag alle seine früheren Erfolgsalben.<br />
Attila Csampai berichtet.<br />
Nach ersten sensationellen Konzertauftritten<br />
in San Francisco und<br />
New York nahm sich Fleisher eine<br />
mehrjährige Auszeit und ging nach<br />
Paris, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln.<br />
Sein souveräner Sieg<br />
beim Brüsseler Reine-Elisabeth-<br />
Wettbewerb 1952 markierte dann<br />
<strong>den</strong> Durchbruch zu einem zehn<br />
Jahre währen<strong>den</strong> internationalen<br />
Triumphzug, der sich auch in einer<br />
Reihe herausragender Konzertaufnahmen<br />
mit George Szell<br />
und dem Cleveland Orchestra niederschlug,<br />
die bis heute Kultstatus<br />
genießen.<br />
Bereits 1963 war dieser kurze<br />
Höhenflug zu Ende, als ein als fokale<br />
Dystonie diagnostiziertes<br />
Nervenlei<strong>den</strong> einige Finger seiner<br />
rechten Hand immer mehr lähmte<br />
und das Klavierspielen bald unmöglich<br />
machte. Doch Fleisher<br />
gab nicht auf: Er wurde Hochschullehrer,<br />
begann zu dirigieren<br />
und sich auf das Klavierspielen<br />
mit der linken Hand zu spezialisieren<br />
– mit gleicher Hingabe, mit<br />
ähnlich eindrucksvollen Resultaten<br />
wie zuvor. Erst 1995, nach einer<br />
Zwangspause von mehr als 30<br />
Jahren, konnte er dann nach einer<br />
erfolgreichen Botox-Behandlung<br />
wieder beidhändig spielen und<br />
auch wieder seine alten Lieblingskonzerte<br />
(von Mozart und Brahms)<br />
aufführen.<br />
Zu Fleishers 85. Geburtstag im<br />
Juli hat Sony jetzt alle seine für das<br />
Columbia-Label Epic produzierten<br />
Erfolgsalben aus <strong>den</strong> Jahren<br />
1955 bis 1963 in akustisch optimierten<br />
Eins-zu-eins-Umschnitten<br />
auf 19 CDs zusammengefasst<br />
und sie durch drei Linke-Hand-<br />
Alben sowie die 2009 erschienene<br />
späte Mozart-CD ergänzt. Den<br />
Schwerpunkt dieser „Complete<br />
Album Collection“ bil<strong>den</strong> die in<br />
<strong>den</strong> späten 1950ern entstan<strong>den</strong>en<br />
energisch prägnanten, modellhaften<br />
Einspielungen der Klavierkonzerte<br />
von Beethoven und<br />
Brahms mit dem musikalisch ähnlich<br />
georteten ungarischen Präzisionsfanatiker<br />
George Szell. <strong>Die</strong>se<br />
Klavierkonzerte zählen bis heute<br />
zu <strong>den</strong> zeitlosen Referenzen und<br />
haben nichts eingebüßt von ihrer<br />
Klarheit und ihrer glühen<strong>den</strong><br />
Aura. Sie zeigen Fleisher als einen<br />
perfekten Virtuosen mit elektrisierender<br />
Technik, der mit entwaffnender<br />
Klarheit und rigoroser<br />
Deutlichkeit <strong>den</strong> objektiven<br />
„Sinn“ der Kompositionen herauszustellen<br />
vermochte.<br />
So erreichte er bei fast allen seinen<br />
Aufnahmen einen erstaunlich<br />
hohen Grad an Objektivität und<br />
Plausibilität, der sie heute noch,<br />
nach mehr als sechzig Jahren, so<br />
frisch, so kompakt, so gültig erscheinen<br />
lässt. Mit Szell produzierte<br />
Fleisher auch ähnlich energische,<br />
schlackenlose Versionen<br />
des Grieg- und des Schumann-<br />
Konzerts sowie der Paganini-Variationen<br />
Rachmaninows.<br />
Etwa die Hälfte des Programms<br />
aber widmet sich <strong>den</strong> nicht weni-<br />
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